Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 16. Januar 2025 aufgehoben und der Antrag des Antragstellers auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten im erstinstanzlichen Verfahren, nicht aber die außergerichtlichen Kosten im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Mannheim vom 16.01.2025 ist erfolgreich, der angefochtene Beschluss war aufzuheben. Mit diesem Beschluss hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, gegenüber dem Integrationszentrum L1 (B1straße, L1) zugunsten des Antragstellers in Bezug auf die am 18.12.2024 begonnene stationäre Behandlung (Adaptionsmaßnahme) einstweilen eine Kostenzusage zu erteilen. Diese Verpflichtung erstrecke sich auf den Zeitraum bis zum Abschluss dieser Behandlung und ende gegebenenfalls vorzeitig mit der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 02.12.2024.
Der 2004 geborene Antragsteller, bei dem psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide (Abhängigkeitssyndrom), psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak (Abhängigkeitssyndrom) und psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol (Schädlicher Gebrauch) bestehen, befand sich vom 25.06.2024 bis 09.12.2024 zur stationären Entwöhnung für Drogenabhängige in der Rehaklinik F1 in G1.
Er beantragte bei der beigeladenen Krankenkasse am 15.11.2024 die Übernahme der Kosten für eine Adaptionsbehandlung für Abhängigkeitserkrankte ab dem 02.12.2024 im Integrationszentrum L1, die sich an die Entwöhnungsbehandlung anschließen sollte. Das Integrationszentrum L1 sei die Adaptionseinrichtung der Rehaklinik F1 und eine Einrichtung nach § 40 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Sie stehe unter Vertrag nach § 111 SGB V. Das Gesamtkonzept der Einrichtung stehe unter ärztlicher und psychotherapeutischer Verantwortung und diene zur Nachsorge der Intensivphase einer Drogenentwöhnung.
Die Beigeladene leitete den Antrag auf Adaption am 26.11.2024 an die Antragsgegnerin nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) weiter. Es stehe die soziale und berufliche Integration im Vordergrund, so dass die Beigeladene nicht zuständig sei.
Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag auf Kostenübernahme für die Adaptionsbehandlung mit Bescheid vom 02.12.2024 ab. Auch unter Berücksichtigung von § 14 SGB IX könne man die Leistungen nicht gewähren, da kein Anspruch bestehe. Ein Leistungsanspruch im Rahmen des SGB V gegenüber Beigeladenen sei nicht gegeben, da bei der beantragten Leistung die soziale und berufliche Integration im Vordergrund stehe. Ein Anspruch gegen den zuständigen Rentenversicherungsträger bestehe mangels Erfüllung der notwendigen besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht und auch eine Übernahme nach den Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) komme nicht in Betracht, da Adaptionsmaßnahmen generell keine Leistungen des Eingliederungshilfeträgers darstellten.
Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 19.12.2024 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist.
Am 18.12.2024 wurde der Antragsteller zur stationären Behandlung im Integrationszentrum L1 zur stationären Adaptionsbehandlung aufgenommen.
Bereits am 06.12.2024 hat der Antragsteller vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim SG Mannheim gestellt und die Kostenübernahme einer stationären Adaptionsbehandlung im Anschluss an eine stationäre Entwöhnung begehrt.
Das SG hat die Antragsgegnerin zunächst mit einem „Hängebeschluss“ vom 13.12.2024 im Rahmen einer Zwischenentscheidung verpflichtet, gegenüber dem Integrationszentrum L1 zugunsten des Antragstellers eine zunächst bis zum 17.01.2025 – längstens jedoch bis zur Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 02.12.2024 – befristete Kostenzusage für die Durchführung einer Adaptionsmaßnahme zu erteilen. Aktuell sei eine abschließende Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht möglich, denn der Antragsteller habe bislang keinerlei Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht.
Nachdem der Antragsteller seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nachgewiesen hat, hat das SG mit Beschluss vom 16.01.2025 die Antragsgegnerin dann verpflichtet, gegenüber dem Integrationszentrum L1 (B1straße, L1) zugunsten des Antragstellers in Bezug auf die am 18.12.2024 begonnene stationäre Behandlung (Adaptionsmaßnahme) einstweilen eine Kostenzusage zu erteilen.
Hiergegen richtet sich die von der Antragsgegnerin am 14.02.2025 zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhobene Beschwerde.
Nachdem der Antragsteller die Androhung eines Zwangsgeldes gegen die Antragsgegnerin beim SG beantragt hat, sofern der Beschluss vom 16.01.2025 nicht bis zum 26.02.2025 umgesetzt werde, hat die Antragsgegnerin am 20.02.2025 einen Ausführungsbescheid erlassen und vorläufig eine bis zum Abschluss der Behandlung befristete Zusage zur Übernahme der Kosten für die Durchführung der Adaptionsmaßnahme im Integrationszentrum L1 erteilt und mit Schreiben vom 26.02.2025 mitgeteilt, dass man an der Beschwerde weiter festhalte, da die Entscheidung des SG nicht richtig sei. Das SG gehe in seiner Entscheidung davon aus, dass die Antragsgegnerin nach den Vorgaben des § 14 SGB IX als zweitangegangener Träger die Leistungen zu erbringen habe, ohne dabei eine Rechtsgrundlage für die Leistung als solches zu prüfen. Ein Anspruch des Antragstellers auf Übernahme der Kosten für die Adaptionsbehandlung bestehe aber gerade nicht.
Mit Schreiben vom 13.03.2025 hat das Integrationszentrum mitgeteilt, dass der Antragsteller am 13.03.2025 aus der stationären Behandlung vorzeitig gegen ärztlichen Rat entlassen worden sei.
II.
Die am 14.02.2024 beim LSG Baden-Württemberg eingegangene Beschwerde gegen den Beschluss vom 16.01.2025 ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nach § 173 SGG insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden.
Die Beschwerde ist auch begründet (geworden).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Mayer-Ladewig/Keller /Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 02.05.2005 -1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 14.03.2019 - 1 BvR 169/19 - juris Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - <beide juris> jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).
Unter Berücksichtigung dessen hat die Beschwerde der Antragsgegnerin Erfolg, denn nachdem der Antragsteller die Rehabilitationseinrichtung am 13.03.2025 (gegen ärztlichen Rat) vorzeitig verlassen hat, besteht zumindest kein Anordnungsgrund mehr.
Einstweiliger Rechtsschutz ist nämlich nur zu gewähren, wenn dem Antragsteller ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar ist; dabei sind die Interessen des Antragstellers sowie die öffentlichen und ggf. solche beteiligter Dritter zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Anordnungsgrundes muss der Antragsteller darlegen, welche Nachteile zu erwarten sind, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen wird. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage und damit auch für die Beurteilung der Frage des Vorliegens des Anordnungsgrundes ist der Zeitpunkt der Entscheidung, hier durch den Senat (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.02.2021 - L 5 KR 36/21 B ER - juris, Rn. 45 mit Verweis auf BSG, Urteil vom 02.09.2014 - B 1 KR 3/13 R -, juris, Rn. 28; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 54 Rn. 34). Nachdem der Antragsteller die Adaptionsbehandlung zum 13.03.2025 abgebrochen hat, ist nicht ersichtlich, dass ihm noch Nachteile dadurch drohen, wenn er auf den Ausgang des noch anhängigen Widerspruchsverfahrens bzw. des sich ggf. anschließenden Klageverfahrens verwiesen wird, in dem dann zu klären ist ob bzw. gegen welchen Leistungsträger endgültig ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Adaptionsbehandlung bestanden hat. Ein Abbruch der Maßnahme allein aufgrund fehlender Kostenzusage droht nach Verlassen der Einrichtung gerade nicht mehr und es ist auch nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass dem Antragsteller derzeit Kosten für die abgebrochene Adaptionsbehandlung entstehen. Eine Äußerung des Antragstellers nach Abbruch der Maßnahme ist im Beschwerdeverfahren nicht mehr erfolgt.
Nach alledem ist schon kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden, so dass auf die Beschwerde der Antragsgegnerin der Beschluss des SG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beschwerde der Antragsgegnerin zwar erfolgreich gewesen ist, der Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren aber obsiegt hat und bis zur Beendigung der Adaptionsbehandlung eine (vorläufige) Leistungspflicht der Antragsgegnerin zumindest nicht ausgeschlossen und auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sein dürfte, so dass die Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren zu tragen hat.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 2344/24 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 506/25 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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