Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim 26. Oktober 2023 aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für den Zeitraum 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2020 an R1 erbrachten Leistungen in Höhe von 630.361,08 Euro zu erstatten.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert des Verfahrens wird endgültig auf 630.361,08 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von an die Leistungsempfängerin R1 (im Folgenden R.) vom 01.01.2017 bis 31.12.2020 erbrachten Leistungen der Hilfe zur Pflege mit weiteren Assistenzleistungen bzw. ab Januar 2020 als Eingliederungshilfe erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt noch 630.361,08 Euro.
Die 1984 geborene R. leidet seit ihrer Geburt an einer rechtsbetonten Tetraspastik. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G, aG, B und H festgestellt (vgl. Schwerbehindertenausweis vom 22.04.2008, Bl. 205 der Verwaltungsakte der Klägerin [VerwA Kl.]). Sie war zunächst in Pflegestufe 3 (Bl. 41 Bd. I VerwA Kl.) und ist inzwischen in Pflegegrad 4 eingestuft. Sie ist in ihrer Mobilität, Motorik und Kraft eingeschränkt und auf dauerhafte, umfassende Hilfestellungen angewiesen. Während ihrer Berufsschulausbildung in einem Berufsbildungswerk hat sie sich von September 2001 bis März 2006 bei internatsmäßiger Unterbringung in N1, R2-Kreis, aufgehalten, lebte sodann bis einschließlich Januar 2007 in H1 (S1), also im Zuständigkeitsbereich des Beklagten, bei ihrer Mutter und zog, nachdem sie eine Arbeitsstelle in M1 gefunden hatte, im Februar 2007 in eine eigenen Wohnung nach H2, d.h. in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin, wobei sie zum November 2009 in eine andere Wohnung in H2 umgezogen ist. R. ging seitdem zunächst einer Erwerbstätigkeit als Bürokauffrau nach und bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg inzwischen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer (vgl. Bescheid vom 25.09.2017). Daneben arbeitet sie zeitweise geringfügig als Bürohilfe. R. wird im Rahmen einer Rund-um-die-Uhr-Versorgung von einem ambulanten Pflegedienst betreut. Hierbei werden neben den Verrichtungen nach Modulen gemäß den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs Elftes Buch (SGB XI) auch Assistenzleistungen erbracht.
R. bezog von der Klägerin (Bescheid vom 23.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2008 und des Abhilfebescheides vom 01.06.2010, Bl. 209 Bd. II VerwA Kl.) Leistungen der ambulanten Pflege nach den §§ 61 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Ausweislich der Bescheide vom 12.08.2008 und 01.06.2010 betrugen der pflegerische Bedarf inklusive Hauswirtschaft zwölf Stunden pro Tag, die Begleitdienste acht Stunden am Tag. Laut Bescheid vom 01.06.2010 gelte diese Leistungsbewilligung jeweils nur für einen Monat. Die Hilfe werde jedoch uneingeschränkt ohne Antrag weitergezahlt, solange sich in den persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnissen keine Änderung eintrete, die eine Neufestsetzung der Hilfen erforderlich machten.
Mit Schreiben vom 08.08.2016 (Bl. 1 der Verwaltungsakte des Beklagten [VerwA Bkl.]) forderte die Klägerin den Beklagten zur Fallübernahme und Kostenerstattung auf. R. befinde sich bei der Klägerin im Sozialhilfebezug. Nach neuester Rechtsprechung handle es sich hierbei um eine ambulant betreute Wohnform nach § 98 Abs. 5 SGB XII. Man melde daher fristwahrend Kostenerstattung nach § 105 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) an und bitte um Erstattung der Kosten und Fallübernahme. In einem weiteren Schreiben vom 15.09.2016 führte die Klägerin u.a. weiter aus, dass nach zwei neueren Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) eine ambulant betreute Wohnform vorliege, wenn pflegebedürftige Menschen einer Assistenz bedürften, um am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben und selbstbestimmt und selbständig eine eigene Wohnung bewohnten. Eine Verknüpfung der Wohnung mit der Betreuung müsse nicht bestehen, dies könne in jeder privat angemieteten Wohnung erfolgen. Ein solcher Fall liege bei der Klägerin vor, so dass sich die örtliche Zuständigkeit nach § 98 Abs. 5 SGB XII richte und damit der Träger örtlich zuständig sei, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig gewesen wäre. Die Klägerin habe vor Beginn des ambulant betreuten Wohnens in H2 am 01.02.2007 in H1 (S1) gewohnt, so dass das Sozialamt der Stadt H1 für die Leistungsgewährung zuständig sei. Man melde daher einen Kostenerstattungsanspruch nach § 105 SGB X an, habe auch gegenüber R. die Unzuständigkeit der Klägerin angezeigt und leiste daher bis zur Fallübernahme nur noch vorläufig.
Mit Bescheid vom 15.09.2016 (Bl. 42 VerwA Bkl.) hob die Klägerin den gegenüber R. erlassenen Bescheid vom 01.06.2010 über die Gewährung von ambulanter Hilfe zur Pflege ab dem 01.09.2016 auf und gewährte der Klägerin ab dem 01.09.2016 bis 31.08.2017 vorläufig Leistungen der Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII in einer ambulant betreuten Wohnung nach § 54 SGB XII i.V.m. § 55 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Nach zwei Urteilen des BSG liege eine ambulant betreute Wohnform vor, wenn pflegebedürftige Menschen einer Assistenz bedürften, um am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben und selbstbestimmt und selbständige eine eigene Wohnung bewohnten. Ein solcher Fall liege bei R. vor, da neben Leistungen nach Pflegemodulen auch acht Stunden pro Tag für Kommunikations- und Begleitdienste gewährt würden. Diese Assistenzleistungen seien für die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zur Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich erforderlich. Die örtliche Zuständigkeit richte sich daher nach § 98 Abs. 5 SGB XII und damit sei der Träger örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig gewesen wäre. R. habe vor Beginn des ambulant betreuten Wohnens in H2 am 01.02.2007 in H1 (S1) gewohnt, so dass das Sozialamt der Stadt H1 für die Leistungsgewährung zuständig sei. Daher erfolge die Leistungsgewährung durch die Klägerin nur noch vorläufig. Man habe zudem einen Erstattungsantrag sowie die Fallübernahme gegenüber diesem Sozialamt geltend gemacht.
Der Beklagte ist dem Erstattungsbegehren mit Schreiben vom 05.05.2017 entgegengetreten (Bl. 71 VerwA Bkl.). Vorliegend sei keine ambulant betreute Wohnform erkennbar, da überwiegend medizinische und pflegerische Leistungen erbracht würden. Eine ambulant betreute Wohnform liege aber nur vor, wenn das Hauptziel die Teilhabe am Leben und in der Gemeinschaft sei. Ferner habe R. vor ihrem Umzug bei ihrer Mutter gelebt. Hier sei eine ambulant betreute Wohnform nicht gegeben gewesen. Mit ihrem Umzug nach H2 habe R. dann dort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Die Klägerin habe zudem bereits mit Bescheid vom 23.01.2008 ihre Zuständigkeit anerkannt. Mit zwei weiteren Schreiben (vom 15.05.2027, Bl. 73, und vom 06.07.2017, Bl. 110 VerwA Bkl.) führte der Beklagte u.a. weiter aus, dass allein die Änderung der Rechtsprechung die Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung nicht rechtfertige. Es handle sich ja gerade nicht um eine gesetzliche Änderung. Man gehe daher davon aus, dass der Bescheid vom 15.09.2016 rechtswidrig sei.
Für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis 31.08.2018 erließ die Klägerin daraufhin drei Änderungsbescheide (vgl. Bescheide vom 03.02.2017, Bl. 241 Bd. III VerwA Kl., vom 24.08.2017, Bl. 91 Bd. Ia VerwA Kl. und vom 29.12.2017, Bl. 117 Bd. I a VerwA Kl.), da der erforderliche Hilfebedarf nach § 63a SGB XII nochmals neu überprüft und ermittelt wurde. Die Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 64b SGB XII sowie Assistenzleistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII in einer ambulant betreuten Wohnform nach § 54 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX wurden erneut nur vorläufig gewährt.
Mit Bescheid vom 05.09.2018 (Bl. 145 Bd. 1a VerwA Kl.) wurden R. dann von der Klägerin für den Zeitraum vom 01.09.2018 bis 31.08.2021 die Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 64b SGB XII sowie Assistenzleistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII in einer ambulant betreuten Wohnform nach § 54 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX vorläufig weitergewährt.
Aufgrund des Inkrafttretens der 3. Stufe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) zum 01.01.2020 wurden die gewährten Leistungen zunächst zum 31.12.2019 eingestellt (vgl. Bescheid vom 28.10.2019, Bl. 167 Bd. Ia VerwA Kl). Mit Bescheid vom 30.04.2020 (Bl. 255 Bd. IA VerwA Kl.) übernahm die Klägerin die Kosten für Assistenzleistungen zur Deckung des Eingliederungshilfe- und häuslichen Pflegebedarfs als Leistungen zur Sozialen Teilhabe nach §§ 113 i.V.m. 103 SGB IX im Umfang von bis zu 20 Stunden täglich weiterhin ab 01.01.2020 bis 31.12.2021 für R. vorläufig. Grundlage hierfür sei die Übergangsvereinbarung zur Umsetzung des BTHG in Baden-Württemberg. Die ab 01.01.2020 vereinbarte Leistung zur Teilhabe umfasse daher übergangsweise die bisherige Leistung zum Ambulant Betreuten Wohnen entsprechend der hierzu ergangenen Landesrahmenvereinbarung Baden-Württemberg.
Am 01.10.2021 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben und vom Beklagten die Erstattung der für den Zeitraum 01.09.2016 bis 31.12.2020 angefallenen Kosten für die an R. geleisteten Hilfen im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens in Höhe von zunächst 677.947,44 Euro begehrt. Mit dieser Klage hat die Klägerin ihr Begehren einer Kostenerstattung weiterverfolgt. Sie hat u.a. vorgetragen, dass die für die Leistungsberechtigte erbrachte Sozialhilfe schon seit 01.02.2007 als ambulant betreutes Wohnen zu qualifizieren sei und so eine ununterbrochene „Einrichtungskette" vorliege, die die durchgehende (und noch fortdauernde) örtliche Zuständigkeit des Beklagten zur Folge habe. Unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BSG (Urteil vom 30.06.2016, - B 8 SO 6/15 R -) sowie des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg (Urteil vom 16.03.2016, - L 2 SO 3461/13 ZVW -) hat sie dargelegt, dass die in den letzten Jahren gewandelte Rechtsprechung zu einer weiten Auslegung des Begriffes der ambulant betreuten Wohnform komme, die sich vorrangig am Zweck der Hilfen orientiere. Unter Berücksichtigung dessen seien die von der Klägerin erbrachten Leistungen als ambulant betreutes Wohnen einzuordnen und die örtliche Zuständigkeit richte sich nach § 98 Abs. 5 SGB XII. Wie in dem vom LSG Baden-Württemberg im Jahr 2016 zu beurteilenden Fall könne R. ihren Willen in jeder Hinsicht äußern, sei aufgrund ihrer Behinderung jedoch nicht in der Lage, diesen ohne Hilfe umzusetzen. R. sei durch die Leistungen ein selbständiges Leben ermöglicht worden und sie sei auch anfangs einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Die Hilfegewährung sei zum 01.09.2016 auf vorläufige Leistungen umgestellt worden. Daher ergebe sich der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin aus § 102 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 98 Abs. 5 SGB XII. Es sei auch keine Verjährung eingetreten, da seit Ablauf des Kalenderjahres 2017 noch keine vier Jahre vergangen seien.
Der Beklagte ist dem Begehren der Klägerin entgegengetreten (Bl. 39 SG-Akte) und hat u.a. ausgeführt, dass die für das Kalenderjahr 2016 geltend gemachten Ansprüche schon deshalb nicht anerkannt werden könnten, weil diese nach § 113 Abs. 1 SGB X mit Ablauf des 31.12.2020 verjährt seien. Auch für die fristgemäß geltend gemachte Forderung komme ein Anerkenntnis des Beklagten nicht in Betracht, weil dieser für die streitgegenständlichen Leistungen nicht zuständig sei. Die Klägerin erbringe seit dem 01.02.2007 Leistungen der Hilfe zur Pflege und habe ihre Zuständigkeit spätestens mit dem Bescheid vom 23.01.2008 anerkannt. Eine Weiterleitung des Antrags nach § 14 SGB IX sei nicht erfolgt. Auch habe die Klägerin die begehrte Leistung nicht vorläufig, sondern vielmehr endgültig geleistet. Des Weiteren sei die Klägerin mit Urteil des SG Mannheim vom 10.03.2010 (- S 10 SO 3024/08 -) verpflichtet worden, die streitgegenständlichen Leistungen ab 01.02.2007 selbst zu erbringen. Auch im Zuge dieses Verfahrens sei die eigene Zuständigkeit der Klägerin nicht bezweifelt worden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung beim SG am 26.10.2023 hat die Klägerin die Klage hinsichtlich des Zeitraums vom 01.09.2016 bis 31.12.2016 in Höhe von 47.586,36 Euro zurückgenommen und nur noch die Erstattung der in der Zeit vom 01.01.2017 bis 31.12.2020 für die Hilfen im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens aufgewendeten Leistungen für R. in Höhe von 629.911,08 Euro (muss richtigerweise wohl 630.361,08 Euro heißen, dazu s.u.) begehrt (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung am SG, Bl. 105 SG-Akte).
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26.10.2023 abgewiesen. Die Klägerin habe gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der für R. aufgewendeten Leistungen. Für die Leistungen nach dem SGB XII an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel (seit 01.01.2020: Siebtes und Achtes Kapitel) des SGB XII in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhielten, sei der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig gewesen sei oder gewesen wäre (§ 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII). Vor Inkrafttreten des SGB XII begründete Zuständigkeiten blieben hiervon unberührt (§ 98 Abs. 5 Satz 2 SGB XII). Bei Personen, die am 31.12.2019 Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII in der am 31.12.2019 geltenden Fassung bezogen hätten und auch ab dem 01.01.2020 Leistungen nach Teil 2 des SGB IX erhielten, sei der Träger der Eingliederungshilfe örtlich zuständig, dessen örtliche Zuständigkeit sich am 01.01.2020 im Einzelfall in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 5 SGB XII oder in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 107 SGB XII ergeben würde (§ 98 Abs. 5 Satz 1 SGB IX). § 98 Abs. 1 Satz 3 bis 5 SGB IX gelte entsprechend (§ 98 Abs. 5 Satz 2 SGB IX). Im Übrigen blieben die Absätze 2 bis 4 des § 98 SGB IX unberührt (§ 98 Abs. 5 Satz 3 SGB IX). Orientiert an den obigen Vorgaben habe die Klägerin gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der für R aufgewendeten Leistungen. Ungeachtet der Frage der Rechtmäßigkeit der klägerischerseits erfolgten Umstellung auf eine vorläufige Leistungsgewährung habe R. entsprechend den insoweit im Ergebnis zutreffenden Ausführungen der Klägerin selbst ab dem Februar 2007 in einem ambulant betreuten Wohnen i. S. d. § 98 Abs. 5 SGB XII gelebt und dort durch die Klägerin Leistungen der Sozial- bzw. Eingliederungshilfe bezogen. Denn das Ziel der Hilfe habe darin bestanden, der seit ihrer Geburt an einer rechtsbetonten Tetraspastik leidenden und in ihrer Mobilität, Motorik und Kraft eingeschränkten sowie auf dauerhafte, umfassende Hilfestellungen und durchgehend ihren Willen kund zu tun, diesen aber mechanisch umzusetzen nicht in der Lage gewesene R. bei der selbstständigen und selbstbestimmten Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich in Form einer kontinuierlichen Betreuung zu unterstützen und es ihr mit dem Hauptziel der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, sich an ihrem Wohnort zu verselbstständigen.
Im Weiteren gelte § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII nach § 98 Abs. 5 Satz 2 SGB XII erst für neue Leistungsfälle ab dem 01.01.2005, da vor Inkrafttreten des SGB XII am 01.01.2005 begründete Zuständigkeiten von § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII unberührt blieben. Auch unter Berücksichtigung der rechtsbetonten Tetraspastik seit der Geburt der R. 1984 und dass sie sich während ihrer Berufsschulausbildung in einem Berufsbildungswerk von September 2001 bis März 2006 bei internatsmäßiger Unterbringung in N1 aufgehalten habe, sodann bis einschließlich Januar 2007 in H1 (S1) bei ihrer Mutter und seit Februar 2007 in einer eigenen Wohnung in H2 lebe, handle es sich vorliegend um einen Leistungsfall, der vor dem 01.01.2005 eingetreten sei. Daher komme über § 98 Abs. 5 Satz 2 SGB XII vorliegend das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zur Anwendung. Dies sei deshalb von Bedeutung, weil das BSHG eine dem § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII entsprechende Regelung für ambulant betreute Wohnformen nicht enthalten habe, so dass der tatsächliche Aufenthaltsort die örtliche Zuständigkeit begründe. Folglich führe also bei einem vor dem 01.01.2005 eingetretenen Leistungsfall wegen der Anwendung von § 97 Abs. 1 BSHG trotz § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ein Umzug auch nach dem 31.12.2004 in den örtlichen Zuständigkeitsbereich eines anderen Trägers zu einem Wechsel der Zuständigkeit. Für den dann zuständigen Träger habe das die Konsequenz, dass sich zwar seine Zuständigkeit noch aufgrund des BSHG ergebe, er indes keinen Erstattungsanspruch geltend machen könne, wie es für die Zeit vor dem 01.01.2005 gemäß § 107 BSHG jedenfalls für zwei Jahre möglich gewesen sei. Denn die Fortgeltung des § 107 BSHG über den 31.12.2004 hinaus könne § 98 Abs. 5 Satz 2 SGB XII nicht entnommen werden. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber § 107 BSHG bewusst nicht in das SGB XII übernommen habe. Bei der Entscheidung darüber, ob ein Alt- oder Neufall vorliege, müsse die ambulante Betreuung und stationäre Betreuung als einheitlicher Bedarfsfall der Betreuung angesehen werden, sodass insofern einer Annahme eines Altfalls nicht entgegenstehe, dass sich ein Hilfeempfänger in der Zeit vor dem 01.01.2005 in stationärer Betreuung befunden habe. Für die Anwendung der Übergangsvorschrift sei zudem ohne Bedeutung, ob entsprechende Sozialhilfeleistungen bewilligt und gezahlt worden seien, zumal die Klägerin selbst zutreffend ausdrücklich von einem durchgehenden und einheitlichen, ununterbrochenen Bedarfsfall ausgehe, habe dies die Zuständigkeit der Klägerin zur Folge, weil es vor Inkrafttreten des SGB XII eine § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII entsprechende Zuständigkeitsregelung nicht gegeben habe. Vielmehr sei nach § 97 Abs. 1 BSHG für nichtstationäre (gemeint ist: stationär = vollstationär) Leistungen, damit auch für Leistungen des ambulant Betreuten Wohnens wie vorliegend, die örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers begründet, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufgehalten habe. Durch R.s Umzug nach H2 sei die Klägerin auf diese Weise selbst zuständig geworden und bleibe es danach mangels Wechsels eines tatsächlichen Aufenthalts, wobei sich im Weiteren auch kein anderes Ergebnis aus der klägerischerseits genannten Rechtsprechung ergebe. Im Weiteren gebe es zwar seit dem 01.01.2020 § 98 SGB IX, aber nach dessen Abs. 5 sei bei Personen, die wie vorliegend am 31.12.2019 Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII in der am 31.12.2019 geltenden Fassung bezogen hätten und auch ab dem 01.01.2020 Leistungen nach Teil 2 des SGB IX erhielten, der Träger der Eingliederungshilfe örtlich zuständig, dessen örtliche Zuständigkeit sich am 01.01.2020 im Einzelfall in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 5 SGB XII ergeben würde (§ 98 Abs. 5 Satz 1 SGB IX), sodass es auch danach bei obigem Ergebnis bleibe. Nachdem die Klägerin zuständig sei, folge im Übrigen ein Erstattungsanspruch auch nicht aus § 102 SGB X.
Gegen das ihr am 26.01.2024 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil (Bl. 117 SG-Akte) hat die Klägerin am 15.02.2024 Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhoben und ihr Begehren, den Beklagten zu verurteilen, ihr die für den Zeitraum 01.01.2017 bis 31.12.2020 geleisteten Hilfen im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens angefallenen Kosten in Höhe von 630.361,08 Euro zu erstatten, weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie zunächst auf den bisherigen Vortrag verwiesen und weiter ausgeführt (Bl. 34 LSG-Akte), dass entgegen den Ausführungen des SG Mannheim die sogenannte Altfallregelung vorliegend nicht von Relevanz sei. Zwar bestimme § 98 Abs. 5 S. 2 SGB XII, dass vor Inkrafttreten dieses Buches begründete Zuständigkeiten von der Regelung nach Satz 1 unberührt blieben. Diese Regelung greife allerdings nur bei Vorliegen eines einheitlichen Leistungsgeschehens, bzw. eines einheitlichen Bedarfsfalls. Ein solcher liege hier aber nicht vor. Bei dem bis März 2006 vorliegenden Aufenthalt der Leistungsberechtigten im S2-Internat in der Zeit von September 2001 bis März 2006 sei mangels Vorliegen eines einheitlichen Leistungsgeschehens bereits keine für den vorliegenden Leistungsfall relevante Zuständigkeit begründet worden, denn es habe sich damals um Leistungen der Hilfe zur angemessenen Schulbildung nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG, bzw. später § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII a.F. gehandelt. Diese Art der Leistungserbringung unterscheide sich folglich derart von der Leistungserbringung in dem späteren ambulant betreuten Wohnen mit dem Ziel der selbstbestimmten Lebensführung, sodass der für die Anwendung des § 98 Abs. 5 S. 2 SGB XII vorausgesetzte, einheitliche Bedarfsfall nicht angenommen werden könne.
Auch mit Blick auf die Rückkehr zur Mutter der Leistungsberechtigten von März 2006 bis 31.01.2007 ergebe sich, dass die Anwendung der sogenannten Altfallregelung ausgeschlossen sei. Selbst wenn man - was die Klägerin bestreite - annehmen würde, dass der Aufenthalt im S2-Internat für sich geeignet sei, zusammen mit dem späteren ambulant betreuten Wohnen ab 01.02.2007 einen einheitlichen Bedarfsfall zu begründen, wäre dieser vorliegend durch den Aufenthalt bei der Mutter unterbrochen worden. In dieser Zeit seien über einen Zeitraum von beinahe einem Jahr keinerlei Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht worden. Dies stelle eine Zäsur dar, sodass im Zeitpunkt des Zuzugs nach H2 am 01.02.2007 die Regelung des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII Anwendung finde.
Der Beklagte hat hierauf erwidert, dass man entgegen der Annahme der Klägerin von einem einheitlichen Bedarfsfall ausgehe. Es habe bei der Leistungsempfängerin bereits vor ihrem Umzug nach H1 ein ungebrochener, in seiner Zielrichtung einheitlicher Hilfebedarf zur Förderung und Unterstützung der selbstständigen und selbstbestimmten Wahrnehmung der Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich bestanden. Unstreitig habe sich R. von September 2001 bis März 2006 in N1 aufgehalten, sodass sich die Zuständigkeit hierfür bereits nach dem BSHG bestimmt habe. In Anwendung der Altfallregelung nach § 98 Abs. 5 SGB XII verbleibe es vielmehr bei der weiterführenden Anwendung der Zuständigkeitszuordnung nach dem BSHG. Weiterhin gehe der Beklagte davon aus, dass ein Erstattungsanspruch nach § 102 Abs. 1 SGB X nicht in Betracht komme, da die Klägerin die Leistung nicht nur vorläufig, sondern vielmehr endgültig bewilligt habe. Ein negativer Kompetenzkonflikt habe hier nicht vorgelegen und habe auch nicht durch eine rechtswidrige Aufhebung der endgültigen Leistungsbewilligung und nachträgliche Umstellung auf eine vorläufige Leistungsgewährung künstlich fingiert werden können.
Die Berichterstatterin hat mit den Beteiligten am 18.09.2024 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt. Wegen der weiteren Einzelgeiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen (Bl. 71 LSG-Akte) verwiesen.
Im Nachgang hat die Klägerin darauf hingewiesen (vgl. Schreiben vom 29.10.2024, Bl. 74 LSG-Akte), dass - wie bereits im Erörterungstermin angesprochen - dem SG Mannheim im angefochtenen Urteil ein Rechenfehler dahingehend unterlaufen sei, dass die Klägerin nach Rücknahme in Höhe von 47.586,36 Euro sodann noch eine Kostenerstattung in Höhe von 630.361,08 Euro anstatt nur von 629.911,08 Euro geltend mache. Ergänzend ist weiter ausgeführt worden (Bl. 75 ff. LSG-Akte), dass vorliegend der Bescheid sehr wohl nach § 48 SGB X habe aufgehoben werden können. Der Gesetzgeber habe für Fälle, in denen sich während eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung die rechtlichen Verhältnisse änderten, eine Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X geschaffen, nach welcher der Verwaltungsakt für die Zukunft aufgehoben werden könne, wenn die rechtlichen Verhältnisse sich änderten. Vorliegend sei genau dies erfolgt: Es sei die Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 01.06.2010 für die Zukunft unter Bezugnahme auf die Änderung in der Rechtsprechung erfolgt. Dass § 48 Abs. 2 SGB X lediglich Fallkonstellationen vorsehe, in denen sich die Rechtsänderung selbst zugunsten der Leistungsberechtigten auswirke, führe nicht zu einem Ausschluss der Anwendbarkeit von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hieraus ergebe sich, dass die vorliegenden Einwendungen keinerlei Relevanz für den vorliegend infrage stehenden Kostenerstattungsstreit haben könne: Die Frage zur Möglichkeit/Notwendigkeit/Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung betreffe nicht das Grundverhältnis und betreffe keine unverzichtbare materiell-rechtliche Grundvoraussetzung der Leistungsgewährung. Sie sei für den Kostenerstattungsstreit daher irrelevant. Die Klägerin sei somit im Außenverhältnis zuständig gewesen und habe die Leistungserbringung nicht einstellen können, wenn angenommen werde, dass eine Aufhebung nach § 48 SGB X nicht rechtmäßig habe erfolgen können. Folglich würde sich der Kostenerstattungsanspruch in dieser Variante lediglich auf Basis einer anderen Anspruchsgrundlage der §§ 103 ff. SGB X ergeben; er würde aber nicht entfallen.
Der Beklagte hat hierzu nochmals erwidert (Bl. 78 LSG-Akte) und dabei u.a. ausgeführt, dass man wie das SG nach wie vor davon ausgehe, dass es sich vorliegend um einen einheitlichen Bedarfsfall gehandelt habe und so zutreffend festgestellt worden sei, dass sich die örtliche Zuständigkeit auch nach dem Umzug nach H2 weiterhin nach § 97 Abs. 1 BSHG bestimme, wonach auf den tatsächlichen Aufenthaltsort der Leistungsberechtigten abgestellt werde.
Im Übrigen dürften entgegen der Auffassung der Klägerin auch die Voraussetzungen des § 48 SGB X für eine rechtmäßige Aufhebung nicht erfüllt sein. Man verweise hier nochmals darauf, dass eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 SGB X deshalb nicht in Betracht komme, da keine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten sei. Eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse liege nämlich nur vor, wenn sich nach dem Erlass eines Verwaltungsakts die ihm zu Grunde liegenden Rechtsnormen (Gesetze im materiellen Sinne), also Parlamentsgesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen, geändert hätten. Dies habe hier nicht vorgelegen, denn die Änderung der Rechtsauffassung der Klägerin infolge der Auswertung obergerichtlicher Rechtsprechung stelle keine Änderung der materiellen Rechtslage dar. Des Weiteren komme auch § 48 Abs. 2 SGB X nicht als Rechtsgrundlage in Betracht. Dieser setze u.a. anderem voraus, dass sich die neue Rechtsauslegung objektiv zu Gunsten des Berechtigten auswirken müsse. Sie müsse ihn - im Vergleich zur Auslegung, die noch dem Ausgangsbescheid zu Grunde gelegen habe- insgesamt besserstellen. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Vielmehr sei durch die vorgenommene Umstellung einer endgültigen auf eine lediglich vorläufige Leistungsgewährung sogar eine rechtliche Schlechterstellung der Leistungsberechtigten. Soweit die Klägerin nun ausführe, es komme auch ein Kostenerstattungsanspruch aufgrund anderer Normen als dem § 102 Abs. 1 SGB X in Betracht, sei zunächst zu beachten, dass ein Auswechseln der Rechtsgrundlage mit völlig anderen Voraussetzungen rechtswidrig sein dürfte, zumal mit Schriftsatz vom 31.10.2024 noch nicht einmal vorgetragen worden sei, welche Kostenerstattungsnorm einschlägig sein solle, Der Beklagte habe im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens in seinen Schriftsätzen vom 12.01.2023, 22.09.2023 bereits umfassend dargelegt, dass auch Kostenerstattungsansprüche nach den anderen Rechtsnormen, wie z.B. § 104 und § 105 SGB X, nicht einschlägig seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 26. Oktober 2023 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die für den Zeitraum 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2020 an R1 erbrachten Leistungen in Höhe von 630.361,08 Euro zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Akten der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie bedurfte auch nicht der Zulassung, da die Klägerin einen Erstattungsanspruch von 630.361,08 Euro und damit einen Betrag von mehr als 10.000,00 Euro (vgl.§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG) geltend macht.
Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Erstattung der an R. erbrachten Sozialhilfeaufwendungen für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.12.2020 in Höhe von insgesamt noch 630.361,08 Euro. Die ursprünglich im Klageverfahren daneben noch geltend gemachten Aufwendungen für die Zeit 01.09.2016 bis 31.12.2016 in Höhe von 47.586,36 Euro sind nicht mehr streitgegenständlich, da die Klägerin die Klage in dieser Höhe zurückgenommen hat und damit der Streitgegenstand wirksam begrenzt worden ist. Unschädlich ist dabei, dass im Antrag beim SG sodann lediglich die Erstattung von 629.911,08 Euro beantragt worden ist. Eine Bindung an den Antrag besteht hier ausnahmsweise nicht, da die darin genannte Summe mit dem Gewollten offensichtlich nicht übereinstimmt. Denn hierbei handelt es sich um einen offensichtlichen Rechenfehler, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang des Protokolls ergibt. Die Klägerin wollte die Klage eindeutig in Höhe von 47.586,36 Euro - nämlich hinsichtlich der für die Zeit vom 01.09.2016 bis 31.12.2016 an R. erbrachten Leistungen - zurücknehmen. Zieht man diese Summe von den ursprünglich geltend gemachten 677.947,44 Euro ab, verbleiben eben die noch geltend gemachten 630.361,08 Euro und nicht wie vom SG versehentlich angenommen 629.911,08 Euro.
Einer Beiladung der Leistungsempfängerin bedurfte es nicht. Gemäß § 75 Abs. 2 1. Alternative SGG sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derartig beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Im Erstattungsstreit zwischen zwei Leistungsträgern bedarf es der Beiladung des Leistungsempfängers nur, wenn sich die Erfüllungsfiktion nach § 107 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf weitere Rechte des Leistungsempfängers auswirkt (BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 1 KR 12/14 - juris, Rn. 9 m.w.N.). Hat der Berechtigte die Leistung aber bereits erhalten, kann er diese nicht noch einmal beanspruchen. Hat die Entscheidung über die Erstattungsforderung keine Auswirkung auf seine Rechtsposition, ist eine notwendige Beiladung nicht erforderlich. So liegt der Fall hier. Die Leistungsempfängerin hat vom Kläger bereits Sozialhilfeleistungen erhalten und kann diese Leistungen - unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Erstattungsrechtsstreits - weder nochmals von den hier Beteiligten beanspruchen noch kommt in Betracht, dass sie dem Kläger die erbrachten Leistungen erstatten müsste. Vorliegend geht es lediglich noch um die Verteilung leistungsrechtlicher Verpflichtungen zwischen Leistungsträgern (vgl. auch BSG, Urteil vom 25.04.2013 - B 8 SO 6/12 R - juris Rn. 10).
Die Berufung der Klägerin ist begründet. Das SG hat zu Unrecht die Klage abgewiesen.
Denn die auf die Erstattung der klägerseits an R. bewilligten Leistungen gerichtete Klage ist als (echte) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG zulässig und begründet. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Erstattung von Sozialhilfeaufwendungen für R. für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.12.2020 in Höhe von 630.361,08 Euro zu.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch ist vorliegend § 102 Abs. 1 SGB X. Nach dieser Norm ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen vor.
Der Beklagte war im streitigen Zeitraum der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger, denn nicht die Klägerin, sondern der Beklagte war nach Überzeugung des Senats für die Leistungserbringung grundsätzlich im Innen- und Außenverhältnis zuständig.
Die örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers bestimmt sich nach § 98 SGB XII. Nach § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist zunächst der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten. Sonderregelungen hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bestehen u. a. für Leistungen des ambulant betreuten Wohnens (§ 98 Abs. 5 SGB XII). Nach § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ist für Leistungen nach diesem Buch an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel in Form ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre. Diese besondere Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII bezieht sich auf alle Sozialhilfeleistungen, die während des betreuten Wohnens zu erbringen sind (BSG, Urteil vom 25.08.2011 - B 8 SO 7/10 R - juris Rn. 13). Der Begriff der betreuten Wohnmöglichkeiten, der gesetzlich nicht näher definiert wird, orientiert sich nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1514) zur ursprünglichen Normfassung an § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX a.F. Diese Vorschrift definiert nicht abschließend („insbesondere“) Leistungsbereiche von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und dabei in Abs. 2 Nr. 6 Hilfen zum selbstbestimmten Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten. Daraus hatte das BSG im Jahr 2011 zunächst geschlossen, dass es sich bei der Art der Betreuung um Leistungen zur Teilhabe an der Gemeinschaft handeln muss und nicht um vorwiegend medizinische oder pflegerische Betreuung (BSG, Urteil vom 25.08.2011 - B 8 SO 7/10 R - a.a.O.). In weiteren Entscheidungen aus den Jahren 2015 und 2016 hat das BSG dann weiter klargestellt, dass sämtliche Leistungen der ambulanten Betreuung nach dem Sechsten bis Achten Kapitel des SGB XII mit der Zielrichtung der Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich gleichgestellt sind. Der Gesetzgeber verstehe nämlich im Rahmen einer funktionsdifferenten Auslegung auch Leistungen der Hilfe zur Pflege normativ als ambulante Betreuung i.S. des § 98 Abs. 5 SGB XII und habe dabei also ein weites Begriffsverständnis zugrunde gelegt; auf die für die Leistungsansprüche erforderliche Unterscheidung zwischen Eingliederungshilfe und Pflegehilfe komme es daher nicht an (vgl. BSG, Urteil vom 30.06.2016 - B 8 SO 6/15 R -, BSGE 121, 293-297, SozR 4-3500 § 98 Nr. 4, Rn. 13) Die pflegerische Versorgung wird oftmals bei chronischen Erkrankungen in den Vordergrund rücken, hat aber nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) wie die Eingliederungshilfe eine möglichst selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung zum Ziel (BSG, Urteil vom 30.06.2016 - B 8 SO 6/15 R - juris Rn. 13, 14). Es ist daher systematisch nach der Rechtsprechung des BSG ausgeschlossen, § 98 Abs. 5 SGB XII nur für Eingliederungshilfeleistungen des betreuten Wohnens anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.06.2016 - B 8 SO 6/15 R - juris Rn. 13; a.a.O.).
Die Eingrenzung der von dieser Leistungsform umfassten Hilfen hat deshalb in erster Linie anhand des Zwecks der Hilfen zu erfolgen. Sinn der Betreuungsleistungen beim betreuten Wohnen ist nicht die gegenständliche Zurverfügungstellung der Wohnung, sondern die Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich in Form einer kontinuierlichen Betreuung. Es ist das Ziel des Gesetzgebers, durch die offene, der Auslegung fähige Begrifflichkeit der „ambulant betreuten Wohnmöglichkeiten“, die vielfältigen und unterschiedlichen Betreuungsleistungen entweder in der eigenen Wohnung, in Wohngruppen oder Wohngemeinschaften zu erfassen, wobei im Regelungszusammenhang des § 98 Abs. 5 SGB XII vollstationäre Erbringungsformen ausgeschlossen sind (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.2015 - B 8 SO 7/14 R - juris Rn. 14 ff.). Der Art nach darf es sich bei der Betreuung aber nicht um eine vorwiegend medizinische Betreuung handeln, sondern Hauptzielrichtung der Leistungen muss eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung sein (BSG, Urteil vom 30.06.2016 - B 8 SO 6/15 R - juris Rn. 14). Leistungen des ambulant betreuten Wohnens sind nicht auf unmittelbar wohnungsbezogene Hilfen, z.B. die Hilfe zum Sauberhalten der Wohnung, beschränkt. Vielmehr soll der behinderte Mensch dazu befähigt werden, alle wichtigen Alltagsverrichtungen in seinem Wohn- und Lebensbereich möglichst selbständig vorzunehmen (BSG, Urteil vom 30.06.2016 - B 8 SO 7/15 R - juris Rn. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.11.2024 - L 7 SO 3379/21 -, juris, Rn. 35 - 39).
In Anwendung dieser Maßstäbe wird R. nach Überzeugung des Senats seit dem 01.02.2007 im Rahmen einer ambulant betreuten Wohnform betreut. Die vorliegend erbrachten Sozialleistungen erfüllten vorwiegend nach Überzeugung des Senats den Zweck, R. in der selbstständigen und selbstbestimmten Wahrnehmung der Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich zu fördern und zu unterstützen. Die sie betreuenden Pflegehilfskräfte unterstützten R. im streitigen Zeitraum bei sämtlichen körperbezogenen Verrichtungen, wie kleine und große Toilette, Transfer/ An-/ Auskleiden, Hilfe bei Ausscheidungen, Lagerung und Mobilisation, Bereiten von Nahrung und Hilfe bei der Nahrungsaufnahme, Hilfe beim Verlassen der Wohnung, Haushaltstätigkeiten und Unterstützung beim Einkaufen (vgl. Bescheid vom 15.09.2016). Es erfolgten pflegerische und hauswirtschaftliche Dienste. Weiterhin waren die sie betreuenden Assistenten auch für die Freizeitgestaltung von R. eingesetzt. R. konnte damit ihre Freizeit selbst gestalten und wurde von den Assistenzen zu allen Ausflügen und Aktivitäten, wie den Besuch von Veranstaltungen, Kinobesuchen und Konzerten sowie privaten Terminen, wie Treffen mit Freunden und Familie begleitet. R. war daher in der Lage, ihren Tagesablauf, Freizeitaktivitäten sowie ihre Pflege selbst zu regeln. Sie war durchgehend in der Lage, ihren Willen kund zu tun, nur nicht, ihn mechanisch umzusetzen. In dieser Hinsicht war sie auf die Hilfe anderer Personen angewiesen, da ihr eine Vielzahl an Bewegungen nicht möglich ist, so ist z.B. kein Greifen möglich und die Feinmotorik ist eingeschränkt. R. ist zudem auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen (vgl. Bl. 147 Bd. III VerwA Kl.). Sie führt demnach ein selbstbestimmtes und eigenes Leben mit Ausnahme der hierfür notwendigen Assistenzen. Deshalb geht der Senat davon aus, dass der im Vordergrund stehende Zweck der an R. erbrachten Sozialhilfeleistungen nicht darin bestand, ihr eine medizinische oder pflegerische Betreuung zu Teil werden zu lassen, sondern eine selbstbestimmte Lebensweise außerhalb einer stationären Einrichtung zu ermöglichen.
Nach alledem richtet sich die örtliche Zuständigkeit vorliegend grundsätzlich nach § 98 Abs. 5 SGB XII.
Entgegen der Ausführungen des SG liegt nach Überzeugung des Senats auch kein Altfall vor. Ein "Altfall" im Sinne von § 98 Abs. 5 Satz 2 SGB XII liegt nämlich nur dann vor, wenn die Leistungserbringung in Form des ambulant betreuten Wohnens bereits vor dem Inkrafttreten des SGB XII am 01.01.2005 begonnen hat und ununterbrochen fortgeführt wurde. Ob sich die örtliche Zuständigkeit nach Satz 1 oder Satz 2 richtet, ist auf den (möglichen) Leistungsfall des „Betreuten-Wohnens“ bezogen zu beurteilen (BSG, Urteil vom 25.08.2011 - B 8 SO 7/10 R -; Urteil vom 25.04.2013 - B 8 SO 6/12 R -). Nur für diese Leistungsform hat der Gesetzgeber in § 98 Abs. 5 SGB XII eine spezielle Regelung geschaffen. Vom Zweck der Regelung her betrachtet kann die Auffassung des SGs daher nicht überzeugen. Vor dem 01.01.2005 sind an R. keine Leistungen des ambulant betreuten Wohnens erbracht worden. Sie erhielt zunächst von 2001 bis 2006 Leistungen der Hilfe zur angemessenen Schulbildung nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG, bzw. später § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII a.F., die letztlich ein anderes Ziel als die Leistungserbringung in dem späteren ambulant betreuten Wohnen mit dem Ziel der selbstbestimmten Lebensführung verfolgten. Dies kann der Senat aber letztlich offenlassen. Denn spätestens mit der Rückkehr der R. von März 2006 bis 31.01.2007 in die Wohnung ihrer Mutter in H1 (S1) ist eine Zäsur eingetreten. Denn in dieser Zeit sind über einen Zeitraum von beinahe einem Jahr keinerlei Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht worden. Die Klägerin hat in H1 (S1) auch einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, da sie sich zukunftsoffen „bis auf Weiteres“ an diesem Ort aufgehalten hat (BSG, Urteil vom 16.06.2015 - B 13 R 36/13 R - juris Rn. 25).
Weiter ist dann der Beklagte als überörtlicher Sozialhilfeträger nach §§ 1, 3 Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (AG SGB XII) des Landes Sachsen-Anhalt für die Leistungserbringung zuständig. Dies wird vom Beklagten auch nicht in Frage gestellt.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht für die Zeit nach dem 31.12.2019. Denn bei Personen, die wie hier am 31.12.2019 Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII in der am 31.12.2019 geltenden Fassung bezogen haben und auch ab dem 01.01.2020 Leistungen nach Teil 2 des SGB IX erhalten, ist der Träger der Eingliederungshilfe örtlich zuständig, dessen örtliche Zuständigkeit sich am 01.01.2020 im Einzelfall in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 5 SGB XII oder in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 107 SGB XII ergibt (§ 98 Abs. 5 Satz 1 SGB IX). § 98 Abs. 1 Satz 3 bis 5 SGB IX gilt entsprechend (§ 98 Abs. 5 Satz 2 SGB IX). Es verbleibt hier also bei der soeben dargestellten örtlichen Zuständigkeit der Beklagten.
Der Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X setzt weiter voraus, dass der Leistungsträger aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Eine vorläufige Leistungsgewährung setzt begrifflich voraus, dass der in Anspruch genommene Leistungsträger zwar zunächst zur Leistung verpflichtet ist, dabei aber entweder in Kenntnis von der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers und damit von der eigenen Unzuständigkeit leistet oder sich noch im Ungewissen darüber befindet, welcher andere Leistungsträger zuständig ist. Eine Vorleistung erfordert somit das Bestehen entweder eines Kompetenzkonfliktes oder einer sonstigen Unklarheit über die Zuständigkeit für die endgültige Leistungserbringung. Dabei muss der Wille des erstattungsbegehrenden Leistungsträgers, entweder für einen anderen oder im Hinblick auf die ungeklärte Zuständigkeit leisten zu wollen, nach außen erkennbar sein (BSG, Urteil vom 22.05.1985 - 1 RA 33/84 - SozR 1300 § 104 Nr. 7 Rn. 16). Eine vorläufige Leistungsgewährung liegt nicht vor, wenn ein Träger der Sozialhilfe nach außen erkennbar Leistungen als eigene gewährt. Vorliegend hat die Klägerin ihren Willen, die Leistungen vorläufig erbringen zu wollen, nach außen erkennbar erklärt. Die Klägerin hat im Bescheid vom 15.09.2016 - gerichtet an die Leistungsempfängerin R. - ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, dass ab dem 01.09.2016 die Leistungen der Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII in einer ambulant betreuten Wohnung nach § 54 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX nur noch vorläufig erbracht werden und sie einen Antrag auf Erstattung der Kosten beim ihrer Meinung nach zuständigen Leistungsträger, dem Beklagten, gestellt habe. Auch die für die folgenden Zeiträume erlassenen Bescheide enthalten jeweils lediglich eine vorläufige Leistungsgewährung.
§ 102 SGB X setzt weiter voraus, dass an den Leistungsberechtigten zu Recht geleistet worden ist. An dieser Stelle kann der zur Erstattung aufgeforderte Leistungserbringer die Einwände, die sich aus dem Sozialleistungsverhältnis zwischen dem erstattungsverpflichteten Träger und dem Sozialleistungsberechtigten ergeben, vorbringen. Dieses Rechtsverhältnis, das trotz der Eigenständigkeit der Erstattungsansprüche deshalb nicht außer Acht gelassen werden kann, weil der Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X einen „zur Leistung verpflichteten Leistungsträger“ voraussetzt und mit „Verpflichtung“ nicht die Erstattungspflicht, sondern die an sich gegebene Leistungsverpflichtung gegenüber dem Leistungsberechtigten meint. Damit kommen die für den erstattungspflichtigen Träger geltenden Rechtsvorschriften ins Blickfeld. Er kann nur zu Erstattung solcher Leistungen verpflichtet werden, die er selbst rechtmäßig hätte erbringen können (Grube in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 102 SGB X [Stand: 15.11.2023], Rn. 55).
Die vorläufige Leistungsgewährung an R. durch die Klägerin war hier - entgegen den Ausführungen des Beklagten - rechtmäßig.
Zwar bestehen hinsichtlich der Aufhebung der ursprünglich mit Bescheid vom 23.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2008 und des Abhilfebescheides vom 01.06.2010 endgültig und auf Dauer an R. gewährten Leistungen im Bescheid vom 15.09.2016 rechtliche Bedenken.
Denn eine Aufhebung der ursprünglich endgültig und auf Dauer mit Bescheid vom 23.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2008 und des Abhilfebescheides vom 01.06.2010 erfolgten Bewilligung der Leistungen an R. dürfte, unabhängig davon, dass die Klägerin im Bescheid vom 15.09.2016 keine Rechtsgrundlage für die von ihr verfügte Aufhebung genannt hat, wohl weder nach § 48 SGBX noch nach § 45 SGB X rechtmäßig aufgehoben worden sein.
Eine Aufhebung nach § 48 Absatz 1 SGB X könnte hier - wie vom Beklagten vorgebracht - bereits daran scheitern, dass - entgegen der Ansicht der Klägerin - keine Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse ist nämlich nur gegeben, wenn sich nach Erlass des Verwaltungsaktes in den ihm zugrundeliegenden gesetzlichen Vorschriften Änderungen ergeben, also eine Aufhebung oder Änderung der maßgebenden Rechtsvorschriften vorliegt, wobei „gesetzliche Regelung“ als Gesetz im materiellen Sinn zu verstehen ist (Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 48 SGB X [Stand: 15.11.2023], Rn. 64). Eine solche Änderung des materiellen Rechts dürfte hier aber gerade nicht vorliegen, denn die Aufhebung durch die Klägerin erfolgte allein aufgrund der Änderung ihrer Rechtsauffassung infolge der Auswertung obergerichtlicher Rechtsprechung.
Es spricht vorliegend auch einiges dafür, dass die Aufhebung wohl auch nicht nach § 48 Absatz 2 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben ist, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt, erfolgen konnte. § 48 Abs. 2 SGB X erfasst also die Sachverhalte, in denen - bei unverändert gebliebener materieller Gesetzeslage - die höchstrichterliche Rechtsprechung nachträglich von ihrer bisherigen Rechtsauffassung abweicht. Die Änderung der Rechtsprechung muss sich aber für den Betroffenen gegenüber der ursprünglichen Entscheidung begünstigend, das heißt, rechtlich vorteilhaft auswirken (BeckOK SozR/Heße, 75. Ed. 1.12.2024, SGB X § 48 Rn. 36, beck-online). Vorliegend war nach Überzeugung des Senats schon keine Änderung der Rechtsprechung gegeben, denn, auch wenn § 98 Abs. 5 SGB XII und hier insbesondere das Tatbestandmerkmal des „ambulant betreuten Wohnens“ von den Sozialleistungsträgern und den erst- und zweitinstanzlichen Gerichten zunächst enger ausgelegt worden war, stellt dies schon keine Änderung der Rechtsprechung des BSG dar, sondern das BSG hat nun erstmals dieses Tatbestandsmerkmal näher definiert. Darüber hinaus war diese (erstmalige) Rechtsprechung des BSG zur Frage der Auslegung der Norm über die örtliche Zuständigkeit für die Leistungsberechtigte auch nicht begünstigend. Sie müsste R. - im Vergleich zur Auslegung, die noch dem Ausgangsbescheid zu Grunde lag - insgesamt „per saldo“ besserstellen (vgl. hierzu Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 48 SGB X, Rn. 86, Stand: 01.12.2017; Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 45 SGB X [Stand: 24.09.2024], Rn. 36).). Dies ist aber mit der Änderung der örtlichen Zuständigkeit der Leistungserbringung und die daraufhin nur noch vorläufige Bewilligung der Leistungen an R. aber gerade nicht gegeben.
Vorliegend spricht daher einiges dafür, dass eine Aufhebung nur nach § 45 SGB X hätte erfolgen können. Fraglich ist jedoch, ob alle Voraussetzungen dieser Norm erfüllt sind. Es lag hier zwar ein Verwaltungsakt vor, der bereits zum Zeitpunkt des Erlasses rechtswidrig war. Denn auch wenn die Klägerin zunächst davon ausging, örtlich zuständig zu sein, war sie es von Anfang an nicht. Wie bereits ausgeführt, ist durch die Klarstellung in der Rechtsprechung des BSG zum Umfang des ambulant betreuten Wohnens bereits von Beginn an der Beklagte zuständiger Leistungsträger gewesen. Unabhängig von der Frage, ob hier überhaupt im Rahmen der Abwägung davon ausgegangen werden kann, dass kein Vertrauensschutz der Leistungsempfängerin in den Bestand der ursprünglichen Bewilligung bestanden hat - ein den Vertrauensschutz ausschließender Regeltatbestand nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ist vorliegend eindeutig nicht erfüllt - dürfte die Rücknahme des an R. erlassen Bescheid vom 01.06.2006 für den hier streitigen Zeitraum möglicherweise aus anderen Gründen scheitern. Denn ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach § 45 Absatz 3 Satz 1 SGB X nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Diese Frist war seit Erlass des (Abhilfe-) Bescheides vom 01.06.2010 schon längst verstrichen. Der Vertrauensschutz wird hier über die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 SGB X hinaus erweitert. Dahinter steht, dass der Begünstigte spätestens nach zwei Jahren dauernder Leistung nicht mehr mit der Rücknahme der Begünstigung rechnen muss (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 45 SGB X [Stand: 24.09.2024], Rn. 98). Unter den Voraussetzungen der folgenden Sätze gelten zwar unter Umständen längere Fristen. Aber auch diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Letztlich kann der Senat aber all dies offenlassen, denn es kommt im Rahmen des hier vorliegenden Erstattungsverhältnisses zwischen den Beteiligten nicht darauf an, ob der ursprüngliche Bewilligungsbescheid rechtmäßig aufgehoben werden konnte. Dies ist nach Überzeugung des Senats für die allein im Rahmen des § 102 SGB X zu prüfenden Frage, ob die vorläufige Leistungsgewährung rechtmäßig war, nämlich ohne Bedeutung.
Der Bescheid vom 15.09.2016 besteht hier aus zwei Teilen. Während in Teil 1 des Verfügungssatzes („1. Unser bisheriger Bescheid vom 01.06.2010 über die Gewährung von Hilfe zur Pflege wird ab 01.09.2016 aufgehoben“) lediglich die - allein im Verhältnis zu R. erlassene - bisherige Bewilligung aufgehoben wird, enthält Teil 2 („ Ab dem 01.09.2016 befristet bis 31.08.2017 werden Ihnen Leistungen der Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII in einer ambulant betreuten Wohnform nach § 54 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX vorläufig bewilligt und folgender Leistungsumfang als notwendig anerkannt: …) die nun vorgenommene vorläufige Bewilligung der Leistungen.
Nachdem Teil 1 des Verfügungssatzes bestandskräftig geworden ist - er wurde von R. akzeptiert und nicht angefochten - war es der Klägerin auch möglich, die Leistungen vorläufig zu gewähren. Entscheidend ist im Rahmen des § 102 Abs. 1 SGBX aber allein, ob die Leistungen zu Recht vorläufig und rechtmäßig bewilligt wurden. Das zuvor bestehende Rechtsverhältnis und damit ob die hier erfolgte Aufhebung rechtmäßig war, spielt hierfür - zumindest im Verhältnis der beiden Leistungsträger zueinander - keine Rolle. Es ist nämlich im Verhältnis der beiden Leistungsträger zueinander eine von dem gegenüber dem Leistungsberechtigten erlassenen Bescheid unabhängige Prüfung vorzunehmen, ob ein Anspruch auf eine Sozialleistung gegenüber dem erstattungspflichtigen Leistungsträger bestanden hätte (Grube in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 102 SGB X [Stand: 15.11.2023], Rn. 59).
Dies ergibt sich nach Überzeugung des Senats auch aus dem Schutzzweck dieses Tatbestandsmerkmals. Denn das Erfordernis der Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung soll sicherstellen, dass der vorläufig leistende Leistungsträger - seine Zuständigkeit unterstellt - die Leistung nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften dem Grunde und der Höhe nach zutreffend ermittelt hat (Peter Becker in: Hauck/Noftz SGB X, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 102 SGB 10, Rn. 36). Hiermit soll vor allem verhindert werden, dass ein Leistungsträger in Kenntnis der Tatsache, dass er für die Leistungsgewährung am Ende nicht zuständig sein wird, ordnungsgemäße und umfangreiche Ermittlungen hinsichtlich des Bedarfs des Leistungsempfängers unterlässt.
Eine solche rechtmäßige vorläufige Leistungsgewährung liegt hier aber vor, denn mit Teil 2 des Bescheides vom 15.09.2016 (sowie mit den für die Folgezeiträume erlassenen weiteren Bescheide) bewilligte die Klägerin der Leistungsempfängerin zu Recht vorläufig Leistungen der Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII in einer ambulant betreuten Wohnung nach § 54 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX. Dass dieser Anspruch dem Grunde nach bestand, ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig und es ist auch nicht ersichtlich, dass ein solcher Anspruch, auch in der von der Klägerin bewilligten Höhe nicht bestand.
Die Leistungsgewährung erfolgte hier auch zu Recht vorläufig. Eine vorläufige Leistungsgewährung setzt begrifflich voraus, dass der in Anspruch genommene Leistungsträger zwar zunächst zur Leistung verpflichtet ist, dabei aber entweder in Kenntnis von der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers und damit von der eigenen Unzuständigkeit leistet oder sich noch im ungewissen darüber befindet, welcher andere Leistungsträger zuständig ist. Eine Vorleistung erfordert somit das Bestehen entweder eines Kompetenzkonfliktes oder einer sonstigen Unklarheit über die Zuständigkeit für die endgültige Leistungserbringung. Dabei muss der Wille des erstattungsbegehrenden Leistungsträgers, entweder für einen anderen oder im Hinblick auf die ungeklärte Zuständigkeit leisten zu wollen, nach außen erkennbar sein (BSG, Urteil vom 22.05.1985 - 1 RA 33/84 - SozR 1300 § 104 Nr. 7 Rn. 16). Eine vorläufige Leistungsgewährung liegt nicht vor, wenn ein Träger der Sozialhilfe nach außen erkennbar Leistungen als eigene gewährt. Vorliegend hat die Klägerin ihren Willen, die Leistungen vorläufig erbringen zu wollen, nach außen erkennbar erklärt. Die Klägerin hat im Bescheid vom 15.09.2016 sowie den weiteren Bescheiden für die Folgezeiträume- gerichtet an die Leistungsempfängerin R. - ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, dass ab dem 01.09.2016 die Leistungen der Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII in einer ambulant betreuten Wohnung nach § 54 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX nur noch vorläufig erbracht werden und einen Antrag auf Erstattung der Kosten beim ihrer Meinung nach zuständigen Leistungsträger, dem Beklagten, erfolgt sei. Auch die für die folgenden Zeiträume erlassenen Bescheide enthalten jeweils lediglich eine vorläufige Leistungsgewährung.
Dies war der Klägerin ab dem hier streitigen Zeitraum auch nach § 43 SGB I möglich. Nach dieser Norm kann bei Bestehen eines Zuständigkeitskonfliktes der unter den möglicherweise zuständigen Trägern der zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen kann. Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Wie oben dargestellt war der Beklagte und nicht die Klägerin (örtlich) zuständiger Leistungsträger. Die Klägerin war zudem zuerst angegangener Träger, so dass diese in Vorleistung getreten ist, um eine nahtlose Versorgung der Leistungsempfängerin zu gewährleisten.
Nach alledem liegen die Voraussetzungen des § 102 SGB X vor und die Klägerin kann vom Beklagten die Erstattung der an R. erbrachten Leistungen für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.12.2020 verlangen. Der Erstattungsanspruch besteht auch in der vom Kläger geltend gemachten Höhe von 630.361,08 Euro. In dieser Höhe sind ihr Aufwendungen zugunsten der Leistungsberechtigten im hier streitigen Zeitraum entstanden. Einwände hiergegen hat der Beklagte nicht erhoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt das Obsiegen der Klägerin. Unerheblich ist hierbei, dass die Klägerin in erster Instanz zunächst weitere 47.586,36 Euro gefordert und diese auf den Zeitraum vom 01.09.2016 bis 31.12.2016 entfallenen Leistungen wegen Verjährung nun nicht mehr geltend macht, da es sich hier um ein weniger als 10%iges und damit in Anlehnung an § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO geringfügiges Unterliegen handelt (vgl. BSG, Urteil vom 14.07.2021 - B 6 KA 12/20 R -, juris, Rn. 57 mit Verweis auf Schulz in Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 92 Rn. 19; Gierl in Saenger, ZPO, 9. Auflage 2021, § 92 Rn. 15).
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Der Streitwert war entsprechend dem Erstattungsbegehren endgültig auf 630.361,08 Euro festzusetzen.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 SO 2383/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 510/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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