Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Juli 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt zuletzt noch die Zuerkennung der Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und „B“ (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson).
Der 1963 geborene Kläger ist mazedonischer Staatsangehöriger. Nach dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik H1 – Fachklinik für Orthopädie und Psychosomatik – vom 15. Januar 2016 über eine vierwöchige Rehabilitationsmaßnahme war er 1978 nach Deutschland gekommen und hier bis 2014 als Maurer, Kranführer und Maschinenarbeiter beschäftigt. In dem Bericht sind als Diagnosen ein cervicaler Bandscheibenschaden mit rezidivierenden Cervicobrachialgien rechts im Rahmen einer Wirbelsäulen(WS)-Fehlstatik und muskulären Dysbalancen mit rezidivierender Funktionsstörung im Bereich der Schulter-/Nackenregion bei entsprechend muskulären Dysbalancen aufgeführt. Daneben war eine depressive Episode (ICD-10 F32) bei emotional instabiler Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ (ICD-10 F 60.30) festgestellt worden.
Der Kläger hatte 2002 erstmals die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) beantragt. Eine Feststellung eines GdB von mindestens 20 wurde damals abgelehnt; der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos.
Er beantragte 2016 erneut die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB). Mit Bescheid vom 27. Mai 2016 stellte das Landratsamt (LRA) zunächst einen GdB von 30 fest, der mit Teilabhilfebescheid vom 14. November 2016 auf 40 erhöht wurde. Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG, Az. S 2 SB 339/17). Das SG ließ den Kläger durch B1 nervenärztlich begutachten. Mit Bescheid vom 13. Februar 2018 stellte das LRA entsprechend dem Anerkenntnis des Beklagten schließlich einen GdB von 60 fest.
Auf einen weiteren Neufeststellungsantrag aus Juli 2018 hin zog das LRA u.a. einen Befundschein bei dem behandelnden S1 bei. Dieser berichtete am 14. Dezember 2018 von einem Bandscheibenvorfall C5/6, C6/7 und C7/Th1, einer Einengung der Neuroforamina der Halswirbelsäule (HWS) mit radikulärer Symptomatik, ferner von unklaren Schmerzen an der rechten Hüfte, an beiden Füßen, an der rechten und linken Schulter und in der LWS. Daneben liege u.a. ein Zustand nach (Z.n.) Plantarfasziitis links bei kleinem Fersensporn sowie ein kleiner fokaler Knorpeldefekt am rechten Knie vor. Bezüglich der Hüft- bzw. Beckenschmerzen habe auch ein entsprechendes MRT keine Ursache aufzeigen können. Auch das MRT der Lendenwirbelsäule (LWS) habe keinen Hinweis auf einen Bandscheibenvorfall oder eine Spinalkanalstenose erbracht. Wegen Schmerzen im rechten Knie sei im Sommer 2018 ein MRT des rechten Kniegelenkes durchgeführt worden. Dabei habe sich ein kleiner, fokaler Knorpelschaden an der medialen Femurkondyle gezeigt, bei ansonsten altersentsprechendem Normalbefund.
Das LRA lehnte zunächst die Höherfeststellung des GdB wie auch der Feststellung der zugleich beantragten Merkzeichen „G“ und „B“ ab (Bescheid vom 8. Februar 2019), stellte auf den Widerspruch des auch hier anwaltlich vertretenen Klägers hin mit Teilabhilfebescheid vom 18. September 2019 aber einen GdB von 70 fest. Dies beruhte zum einen auf der versorgungsärztlichen Stellungnahme von W1 vom 4. Februar 2019, in der darauf hingewiesen wurde, dass sich in der neurologisch-psychiatrischen Begutachtung kein Hinweis auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit ergeben habe. Die WS-Beschwerden entsprächen im Wesentlichen einem HWS-Syndrom und wirkten sich damit nicht auf die Gehfähigkeit aus. Nach dem orthopädischen Befundbericht von Dezember 2018 lägen Hüft- bzw. Beckenschmerzen vor, für die im MRT keinen Grund habe gefunden werden können. Als Ursache für Knieschmerzen rechts habe sich ein umschriebener Knorpelschaden bei sonst altersentsprechendem Normalbefund gezeigt. Eine wesentliche Gehbehinderung wie bei einem Unterschenkelamputierten sei nicht beschrieben. Die zuletzt vorgenommene Erhöhung des GdB beruhte auf einer von K1 vorgenommenen versorgungsärztlichen Bewertung einer seelischen Störung einschließlich eines Kopfschmerzsyndroms mit einer am oberen Rand zu bemessenden mittleren sozialen Anpassungsstörung mit einem Teil-GdB von nunmehr 70. Der Umstand von häufigen aggressiven Impulsdurchbrüchen rechtfertige noch keinen GdB von 80 für das psychiatrische Leiden, die Voraussetzungen zur Feststellung der zugleich beantragten Merkzeichen „G“ und „B“ seien nicht erfüllt. Der Widerspruch wurde daraufhin zurückgenommen.
Der Kläger beantragte am 12. Februar 2022, vertreten durch seine Bevollmächtigte, neben einer weiteren Erhöhung des GdB erneut die – hier noch gegenständliche – Zuerkennung der Merkzeichen „G“ und „B“. Er wiederholte hierzu den Vortrag aus dem vorangegangenen Neufeststellungsantrag aus Juni 2018, wonach er aufgrund seiner seelischen Störung in seiner Orientierungsfähigkeit gestört sei. Er habe sich nicht im Griff und gerate auch mit fremden Menschen in Streit; hinzugekommen sei darüber hinaus ein Knieleiden rechts mit plötzlich auftretenden Blockaden.
Das LRA holte Befundscheine bei der B2 und bei dem T1 ein. Letzterer teilte am 16. Februar 2022 mit, dass es sich bei quartalsmäßiger Behandlung seit 2019 in diagnostischer Hinsicht um eine im Vordergrund stehende emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ (ICD-10 F60.0) sowie eine rezidivierende depressive Störung handele. Die vorberichtete aggressive Symptomatik sei nicht mehr so ausgeprägt. Der Patient gebe an, dass er den „Kopf kaputt" habe, von Kopfschmerzen sei nichts berichtet worden. Bei der letzten Vorstellung im Dezember 2021 habe er angegeben, dass es ihm ausreichend gut gehe, er sei so „in Frieden". Er müsse auf jeden Fall Quetiapin 400 mg zur Nacht einnehmen. Mitte September 2021 habe er berichtet, dass er in der Türkei für 6 Wochen gewesen sei, er sei dort spazieren gegangen. Er könne schlecht schlafen, müsse dreimal in der Nacht aufstehen, leide mittlerweile an einer Diabeteserkrankung. Bei der psychiatrischen Vorstellung sei er bewusstseinsklar und voll orientiert gewesen. Er sei konzentrativ gemindert und habe über Grübeln berichtet, es seien aber weder Sinnestäuschung noch eine Ich-Störung festzustellen gewesen. Er sei dysphorisch und habe innere Unruhe angegeben, sei gereizt, affektiv labilisiert und psychomotorisch unruhig gewesen. Er habe berichtet, dass es morgens schlechter gehe, dass er angespannt und aggressiv sei. Suizidalität habe nicht bestanden. Die Fremdaggressivität sei nach ärztlicher Einschätzung im Verlauf gemindert.
Der behandelnde S1 reagierte auf die Anfrage des LRA nicht. Der damalige Bevollmächtigte des Klägers legte seinerseits noch einen Arztbrief von S1 vom 29. Dezember 2022 über eine am 30. November 2022 bei im Dezember 2021 diagnostizierter Haglundexostose an der rechten Ferse erfolgte operative Abtragung derselben vor.
W1 führte am 8. März 2023 nach Auswertung der medizinischen Unterlagen versorgungsärztlich aus, dass die seelische Störung mit Kopfschmerzsyndrom weiterhin mit einem Teil-GdB von 70 zu bewerten sei, da sich nach dem fachpsychiatrischen Befundbericht kein Hinweis für eine wesentliche Verschlimmerung der bereits bekannten und anerkannten psychiatrischen Störungen ergebe. Insbesondere sei die vorberichtete aggressive Symptomatik nicht mehr so ausgeprägt, es gehe unter Medikation ausreichend gut. Ein WS-Leiden mit Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen unter Einbeziehung eines Schulter-Arm-Syndroms sowie eines chronischen Schmerzsyndroms werde aufgrund einer durch die Hausarztpraxis angegebenen Behandlung mit Tilidin nunmehr mit einem Teil-GdB von 30 bewertet. Das geltend gemachte Kniegelenksleiden rechts mit wesentlichen Funktionseinschränkungen sei nicht nachgewiesen. Hinsichtlich des Überbeins an der Ferse sei von einer folgenlosen Abheilung nach stattgehabter Operation auszugehen; ein Teil-GdB von mindestens 10 ergebe sich nicht. Es bestünden weiterhin keine Hinweise auf eine wesentliche Gehbehinderung oder die Notwendigkeit der Benutzung von Gehhilfen oder Einschränkungen bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch körperlich, geistige oder psychische Beeinträchtigungen. Ein vermehrter Betreuungsbedarf ergebe sich aufgrund der ärztlichen Befunde ebenfalls nicht. Die Zuerkennung der Merkzeichen „G“ und „B“ könne nicht empfohlen werden.
Mit Bescheid vom 8. März 2023 stellte das LRA dem folgend daraufhin einen GdB von 80 seit dem 12. Februar 2022 fest. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen „G“ und „B“ seien nicht erfüllt.
Der Kläger legte hiergegen, anwaltlich vertreten, Widerspruch ein und verwies erneut auf seine emotional instabile Persönlichkeitsstörung. Im beruflichen Bereich sei es öfters zu tätlichen Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten gekommen, die zu seiner Kündigung geführt hätten. Seine Ehefrau und die Kinder hätten es mit ihm nicht mehr ausgehalten und ihn deshalb verlassen. Er leide wie schon sein Vater unter Impulsen, die ihn dazu verleiteten, sich selbst Schwierigkeiten zu bereiten. Er benötige deshalb eine Begleitperson, die mäßigend auf ihn einwirke.
S2 nahm hierzu versorgungsärztlich dahingehend Stellung, dass bei unveränderter Bewertung des GdB die Voraussetzungen für die Merkzeichen fehlten, da eine Gang- oder Orientierungsstörung nicht bestehe und auch kein fehlendes Gefahrenbewusstsein vorliege. Eine ständige Begleitung sei nicht notwendig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2023 wies das Regierungspräsidium S3 daraufhin den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens G lägen beim Kläger nicht vor. Es sei keine Gesundheitsstörung belegt, welche sich auf das Gehvermögen in besonderem Maße auswirke. Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führten, seien nicht beschrieben. Ferner sei ein fehlendes Gefahrenbewusstsein nicht dokumentiert. Die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bedingten für sich allein keinen GdB von wenigstens 50. Da die Zuerkennung des Merkzeichens „B“ die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ voraussetze, sei auch das Merkzeichen „B“ nicht festzustellen.
Der Kläger hat hiergegen erneut am 14. Dezember 2023 Klage beim SG mit dem Begehren erhoben, bei ihm die beiden Merkzeichen anzuerkennen. Er leide an einer emotional instabilen Persönlichkeit. Seine Impulsivität gefährde Fremde wie auch ihn. Er habe sich nicht im Griff, habe Vorgesetzte geschlagen und dadurch seine Arbeit verloren. Seine Ehe sei gescheitert. Er selbst sei durch die Krankheit derart beeinflusst, dass er Anspruch auf die begehrten Merkzeichen habe.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.
Die S4 hat am 11. März 2024 mitgeteilt, dass der Kläger seit Juni 2015 bei ihrem Praxisvorgänger und seit September 2022 alle drei bis sechs Monate bei ihr in Behandlung sei. Diagnostisch bestünden eine erregbare Persönlichkeit (ICD-10 F60.30) sowie rezidivierende depressive Störungen, diese mindestens seit 2015.
Der S1 hat in seiner Aussage vom 23. April 2024 von einer 2014 bis 2015 durchgeführten konservativen Behandlung wegen eines linksseitigen plantaren Fersensporns und Achillessehnensyndroms berichtet. 2015 hätten Schmerzen an der rechten Achillessehne bestanden, die konservativ behandelt worden seien. 2021 hätten Hüftschmerzen ohne Nachweis einer wesentlichen Arthrose vorgelegen. 2021 sei wegen seit 4 Jahren bestehender Schmerzen an der rechten (Haglund-)Ferse eine Strahlentherapie durchgeführt worden. Bei Schmerzpersistenz sei am 30. November 2022 eine Operation der Ferse (Abtragung der Exostose) erfolgt. 2023 sei ein beginnendes Tarsaltunnelsyndrom rechts mit Krankengymnastik behandelt worden. 2024 seien erneut Schmerzen an der rechten Ferse nach dreimonatiger Schmerzfreiheit geklagt worden, so dass wiederum eine Bestrahlung erfolgt sei. Es lägen keine Behinderungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS vor, die für sich genommen einen GdB von 50 und mehr begründeten, auch keine Behinderungen der unteren Gliedmaßen mit einem GdB von 40. Es bestünden auch keine Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führten. Ebenso wenig liege eine Kombination aus Behinderungen vor, die die Bewegungsfähigkeit des Klägers in vergleichbarer Weise einschränkten. Die Gehstrecke sei durch die chronische Entzündung in der Ferse schmerzbedingt limitiert. Es sei glaubhaft, dass er zwei Kilometer fußläufig ebenerdig nicht am Stück schmerzfrei zurücklegen könne. Ein Rollstuhl oder Rollator sei jedoch nicht verordnet worden. Eine ständige Begleitperson sei aus seiner Sicht nicht nötig.
S1 hat u.a. den bereits in seinem Befundschein vom 14. Dezember 2018 erwähnten MRT-Befund der LWS vom 30. April 2015 vorgelegt, in dem T2 einen altersentsprechenden unauffälligen Befund der LWS, insbesondere ohne NPP-Nachweis, ohne Protrusionen, ohne neuroforaminale Wurzelaffektion oder spinale Enge erhoben hat. Eine diskrete Bandscheibendegeneration und eine geringe Spondylarthrose seien festzustellen gewesen. Er hat ferner den dort ebenfalls erwähnten MRT-Befund des rechten Knies vom 26. Juli 2018 zu den Akten gereicht, in dem S5 einen fokalen kleinen Knorpeldefekt der medialen Femurkondyle im gewichtstragenden Anteil ohne knöcherne Mitreaktion, eine mukoide Degeneration des IM-Hinterhomes ohne Rissbildung und eine im übrigen reizlose und unauffällige Darstellung des Kniegelenkes festgestellt hat. Er hat ferner einen MRT-Befund des rechten Fußes vom 4. Januar 2022 vorgelegt, in dem der B3 geringe Zeichen einer Ansatztendinopathie der Achillessehne sowie einer retrokalkatiearen Bursitis und einen unteren Fersensporn mit geringer ansatznaher Plantarfasziitis festgestellt hat. Zur Akte sind ferner zwei Berichte der V1-Kliniken K2 aus März und Juni 2022 über eine Ansatztendinopathie der rechten Achillessehne gelangt, die in zwei Serien mit antinflammatorischer Strahlentherapie behandelt worden war; ein leichter Schmerzrückgang ist danach berichtet worden. Nach dem Arztbrief der O1 vom 26. Januar 2023 ist bei anamnestisch seit einem Jahr bestehenden Schmerzen in der Ferse ein beginnendes Tarsaltunnelsyndrom rechts diagnostiziert worden. Ferner sind Ambulanzbriefe des RKH RadioOnkologicum MVZ L1 aus August und September 2023 vorgelegt worden, in denen bei Fersensporn rechts („ED 2023“) und Strahlentherapie 2022 sowie Operation am 30. November 2022 eine Indikation zur (erneuten) antiphlogistischen Bestrahlung der rechten Ferse bei hartnäckigen Schmerzen gesehen und diese Bestrahlung vorgenommen worden ist. Die Beschwerden hätten sich danach allenfalls leicht gebessert; mit einer weiteren Besserung in 6 bis 8 Wochen könne gerechnet werden.
B2 hat am 2. Mai 2024 von einer hausärztlichen Behandlung seit 2010 mit den Diagnosen einer Hypercholesterinämie, einer Adipositas, einer übermäßigen emotionalen Instabilität, rezidivierenden depressiven Episoden, einem chronischen Schmerz, einer benignen Hypertonie, einem rezidivierenden Hämorrhoidalleidens, einer Prostatahypertrophie, einem Diabetes mellitus Typ 2 und einem Fersensporn (ED März 2022) berichtet. Eine Kombination aus Behinderungen, die zu einer Einschränkung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führe, könne von ihr nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Ein Rollator sei von ihr nicht verordnet worden. Eine Begleitperson zur Bewegung im öffentlichen Raum oder im Verkehr oder zur Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels sei nach ihrem Kenntnisstand nicht erforderlich. Bei zufälligen Begegnungen mit dem Kläger außerhalb ihrer Praxis sei er immer selbständig zu Fuß unterwegs gewesen.
Mit Gerichtsbescheid vom 18. Juli 2024 hat das SG die Klage nach Anhörung zu dieser Verfahrensweise abgewiesen. Die erhobene Anfechtungsklage sei dahingehend auszulegen, dass sie sich lediglich gegen den ablehnenden Teil der Bescheide bezogen auf die Zuerkennung der Merkzeichen „G“ und „B“ richte, nicht aber gegen die (Höher-)Bewertung des GdB. Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides sei § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Eine entsprechende wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse bezogen auf die Feststellung der begehrten Merkzeichen sei nicht gegeben. Das Gehvermögen des Klägers sei nicht im Sinne der Vorschriften zum Merkzeichen „G“ eingeschränkt. Das SG hat sich insoweit der Begründung des Widerspruchsbescheides angeschlossen und ergänzend ausgeführt, dass eine gesundheitliche Störung mit Einfluss auf die Gehfähigkeit von hinreichendem Maß resultierend aus dem Stütz- und Bewegungsapparats nicht belegt sei. Insbesondere liege keine Störung der unteren Gliedmaßen oder/und der LWS vor, welche für sich genommen bereits einen GdB von wenigstens 50 begründe. Das operativ entfernte Überbein rechts an der Ferse mit einhergehenden Schmerzen und wiederholten Entzündungen sei nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) maximal mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Auch seitens der LWS bestehe keine Gesundheitsstörung die für sich bzw. unter Einbeziehung der Funktionsbehinderungen im Bereich der Beine gemeinsam betrachtet einen GdB von 50 rechtfertige. Der behandelnde S1 habe eine derart eingeschränkte Gehfähigkeit gerade nicht bestätigt. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger S1 über Schmerzen berichtet habe, welche dazu führten, dass die Gehstrecke von zwei Kilometern nur mit Unterbrechungen zurückgelegt werden könne. Ein Rollator oder ein Rollstuhl seien nicht verordnet. Auch seien keine inneren Leiden wie etwa ein Herz-Kreislaufstörung mit Einfluss auf die Gehfunktion dokumentiert. Der Kläger habe weder ein Anfallsleiden im Sinne einer hirnorganischen Störung, noch sei seine Orientierungsfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift gestört. Die Störung der Orientierungsfähigkeit bei geistig behinderten Menschen sei nur dann anzunehmen, wenn sie sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzten, nur schwer zurechtfinden könnten. Der Kläger sei auch nicht aufgrund von psychischen Störungen, die eine gleich schwere Auswirkung auf die Gehfunktion hätten, dem Personenkreis der in den VG genannten Regelbeispiele gleichzusetzen. Bei ihm sei unstreitig eine Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ sowie eine wiederkehrende depressive Störung mit Kopfschmerzsyndrom diagnostiziert worden. Diese Erkrankungen hätten allerdings nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen keinen Einfluss auf die Gehfähigkeit. Der Kläger trage selbst vielmehr vor, dass er aufgrund seiner Impulsstörung regelmäßig in Konfliktsituationen auch mit fremden Menschen in der Öffentlichkeit gerate. Darin sei keine Einschränkung des Vorgangs des Gehens zu erkennen. Eine direkte Auswirkung der psychischen Störung auf die Gangfähigkeit als solches sei auch seitens der angefragten schriftlichen sachverständigen Zeugen nicht bestätigt worden. Die Feststellung des Merkzeichens „B“ scheitere schon daran, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens „G“ nicht vorlägen, auch die Merkzeichen „Gl“ und „H“ nicht festgestellt seien. Die Begründung endet mit dem unvollständigen Satz „Gleichwohl wird auch hinsichtlich des Merkzeichens B“.
Der Kläger hat am 12. August 2024 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass der Gutachter B1 damals übersehen habe, dass er nicht nur unter einer seelischen Störung und einem Kopfschmerzsyndrom leide, sondern unter einer Persönlichkeitsveränderung, die genetisch bedingt sei. Bereits sein Vater sei eine Person gewesen, die durch die Familie und die Dorfgemeinschaft in Nordmazedonien eine besondere Behandlung erfahren habe. Dieser sei ein psychisch gestörter Mensch gewesen, der seinen Impulsen nachgegeben habe und diese nicht habe steuern können. Aus diesem Grunde sei er, wenn er gefährlich für sich und andere zu werden drohte, von den Familienangehörigen und von der Dorfgemeinschaft festgehalten und gefesselt worden. Diese Erscheinung bezeichne man als eine emotionale Instabilität. Er selbst habe deshalb auch seine Ehe nicht fortführen können, weil Frau und Kinder es mit ihm nicht aushielten. Durch sein ungezieltes Verhalten gefährde er nicht nur sich selbst, sondern auch Fremde. Er habe deshalb auch immer wieder Arbeitsstellen verloren, weil er sich nicht habe steuern können und Vorgesetzte niedergeschlagen habe. Diese Krankheit beeinflusse ihn derart massiv, dass er nicht nur Anspruch auf das Merkzeichen „G“, sondern auch auf das Merkzeichen „B“ habe, weil er ohne Begleitperson, die dämpfend und beschützend auf ihn einwirke, für sich und andere eine Gefahr darstelle. Er sei im Grunde genommen eine unglückliche Person, die anderen eigentlich nichts Böses wolle. Im Konfliktfall sei er aber nicht in der Lage, sich sozialverträglich zu verhalten.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Juli 2024 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 8. März 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2023 zu verpflichten, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen „G“ und „B“ seit dem 12. Februar 2022 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er verweist im Wesentlichen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Die Beteiligten habe sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid vom 18. Juli 2024, mit dem das SG die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen „G“ und „B“ und Abänderung des Bescheides vom 8. März 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2023 abgewiesen hat. Die Feststellung des GdB ist daneben nicht streitgegenständlich. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Antrag und dem Vorbringen des rechtskundig vertretenen Klägers im Klage- wie auch im Berufungsverfahren.
Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen bzw. bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung dieser Zeitpunkt (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2019 - B 9 SB 48/19 B – juris, Rz. 8 m.w.N.; Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, § 54 Rz. 34).
Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen „G“ und „B“. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Das SG hat die Klage damit zu Recht abgewiesen.
Die Feststellung von Merkzeichen richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Entgegen der Auffassung des SG liegt ein Fall des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht vor, da es sich bei dem Bescheid vom 8. Februar 2019, mit dem die Feststellung der Merkzeichen abgelehnt worden ist, um keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Ein solcher liegt nämlich nur dann vor, wenn sein Regelungsgehalt sich nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet oder inhaltlich verändert (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 1999 – B 2 U 32/98 R –, juris, Rz. 35).
Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1 (§ 152 Abs. 4 SGB IX). Nachteilsausgleiche sind nach der Legaldefinition in § 209 Abs. 1 SGB IX Hilfen für behinderte Menschen zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile oder Mehraufwendungen. Auf Antrag kann festgestellt werden, dass gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird (§ 152 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 SGB IX). Auf Antrag des Menschen mit Behinderung stellen die zuständigen Behörden gemäß § 152 Abs. 5 Satz 1 SGB IX aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über weitere gesundheitliche Merkmale aus.
Zu diesen Merkmalen gehört die erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (§ 229 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Der Nachweis kann bei Menschen mit Schwerbehinderung mit einem GdB von wenigstens 80 nur mit einem Ausweis mit halbseitigem orangefarbenem Flächenaufdruck und eingetragenem Merkzeichen „G” geführt werden, dessen Gültigkeit frühestens mit dem 1. April 1984 beginnt, oder auf dem ein entsprechender Änderungsvermerk eingetragen ist (§ 229 Abs. 1 Satz 2 SGB IX).
Menschen mit Schwerbehinderung, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden von Unternehmerinnen oder Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 152 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 230 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert (§ 228 Abs. 1 Halbsatz 1 SGB IX). Die unentgeltliche Beförderung verpflichtet zur Zahlung eines tarifmäßigen Zuschlages bei der Benutzung zuschlagpflichtiger Züge des Nahverkehrs (§ 228 Abs. 1 Halbsatz 1 SGB IX). Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist (§ 228 Abs. 1 Satz 2 SGB IX).
Nach § 153 Abs. 2 SGB IX wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des Grades der Behinderung, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Zur Anwendung kommt daher die Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) – „Versorgungsmedizinische Grundsätze“.
Bei der Prüfung der Frage, ob die in § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannten Voraussetzungen vorliegen, ist nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles abzustellen, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein, also altersunabhängig, von Menschen ohne Behinderung, noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometer, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (VG, Teil D, Nr. 1 b). Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, etwa bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie- oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, etwa chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen (VG, Teil D, Nr. 1 d). Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, sind bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 und bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt. Bei Menschen mit geistiger Behinderung sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn sie sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht (VG, Teil D, Nr. 1 f).
Bei dem Kläger liegen zur Überzeugung des Senats jedoch keine entsprechend ausgeprägten behinderungsbedingten orthopädischen, internistischen oder sonstigen Einschränkungen des Gehvermögens vor. Eine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung ist vielmehr nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu verneinen.
Bei ihm bestehen zunächst weder sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS, die für sich einen GdB von wenigstens 50 begründen, noch Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken würden, etwa bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie- oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40.
Bei dem Kläger ist schon nur eine Funktionsbehinderung am rechten Fuß gesichert. Er leidet an einem Fersensporn mit chronischer Entzündung der rechten Ferse und damit verbundenen Schmerzen, daneben geringen Zeichen einer Ansatztendinopathie der Achillessehne rechts wie einem beginnenden Tarsaltunnelsyndrom. Der Senat stützt sich dabei auf die sachverständige Zeugenaussage des behandelnden S1, gestützt durch den urkundsbeweislich verwertbaren MRT-Bericht von B3 aus Januar 2022 (§ 118 SGG i.V.m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]).
Die beschriebene Funktionsbehinderung, die seit der der orthopädischen Intervention 2022 allein konservativ behandelt wird, begründet auch unter Berücksichtigung der berichteten Schmerzen nach den Vorgaben in den VG Teil B Nr. 18.14, die für andere Fußdeformitäten als einen Klumpfuß je bei – hier nicht ersichtlicher – statischer Auswirkung stärkeren Grades einen GdB von 10 bis maximal 20 vorsehen, offensichtlich keinen GdB von mindestens 40 für eine Funktionseinschränkung der Beine.
Ein solcher GdB wird auch unter Berücksichtigung der Funktionsbehinderung des rechten Knies nicht erreicht. Denn insoweit liegen lediglich ein fokaler kleiner Knorpeldefekt der medialen Femurkondyle im gewichtstragenden Anteil ohne knöcherne Mitreaktion sowie eine mukoide Degeneration des Innenmeniskus (IM)-Hinterhorns ohne Rissbildung vor, bei einer im übrigen reizlosen und unauffälligen Darstellung des Kniegelenkes. Dies ergibt sich aus dem MRT-Befund von S5 aus Juli 2018. Die von dem Kläger für das Merkzeichen „G“ geltend gemachten Blockaden des Kniegelenks sind nicht gesichert, da sie von S1 ärztlich nicht berichtet wurden und sich auch nicht aus den übrigen Unterlagen ergeben. Damit sind weder eine Bewegungseinschränkung des Kniegelenks noch ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke mit anhaltenden Reizerscheinungen dokumentiert, die nach den VG Teil B Nr. 18.14 einen GdB von mindestens 10 begründen könnten.
Dazu passend hat S1 selbst keine entsprechend ausgeprägte Funktionseinschränkung der Beine mit einem GdB von 40 angenommen und bestätigt, dass weder ein Rollator noch ein Rollstuhl verordnet worden sind. Das ist zutreffend, weil die Behinderung des Klägers ganz offensichtlich nicht etwa mit einer Versteifung des Knie- oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung vergleichbar ist, die nach den VG Teil B Nr. 18.14 mit einem GdB von 40 bis 60 bzw. 40 zu bewerten wäre.
Auch unter Einbeziehung der LWS wird der erforderliche Teil-GdB von 50 nicht erreicht. Denn bei allein im Jahre 2015 subjektiv angegebenen Schmerzen ist keine überdauernde Funktionseinschränkung seitens der LWS gesichert. Nach dem von T2 im April 2015 erhobenen MRT-Befund der LWS bestand vielmehr ein altersentsprechend unauffälliger Befund der LWS bei nur diskreter Bandscheibendegeneration und geringer Spondylarthrose. Ein Bandscheibenvorfall (NPP), Protrusionen, eine neuroforaminale Wurzelaffektion oder spinale Enge waren nicht nachzuweisen. Für eine seither eingetretene Verschlechterung ist hier nichts ersichtlich, da auch der sachverständige Zeuge S1 in seiner Aussage von keiner Funktionseinschränkung der LWS berichtet hat. Dies folgt schon aus dessen Bericht aus 2018, in dem nur im WS-Abschnitt der HWS relevante Befunde geschildert wurden, nämlich Bandscheibenvorfälle der HWS und eine Einengung der Neuroforamina an der HWS mit radikulärer Symptomatik, die sich aber auf das Gehvermögen nicht auswirken.
Der Kläger leidet auch nach seinem Vorbringen nicht unter inneren Leiden wie Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades, die mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten wären (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 1/14 R –, juris, Rz. 17). Für derartige innere Leiden, die sich auf das Gehvermögen auswirken würden, ist nichts ersichtlich oder damit einhergehend gar ärztlich dokumentiert.
Schließlich wird eine Einschränkung des Gehvermögens nicht infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit begründet, denn die im Vordergrund stehende psychische Problematik wirkt sich nicht auf das Gehvermögen, sondern auf seine soziale Interaktion aus. Denn das Bedürfnis des Klägers nach emotionaler Unterstützung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel rechtfertigt noch nicht die Annahme einer erheblichen Einschränkung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2024 – L 8 SB 634/23 –, juris, Rz. 36). Der Kläger leidet unter einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ (ICD-10 F60.30) sowie unter rezidivierenden depressiven Störungen, was zuletzt die behandelnde S4 2024 bestätigt hat. Das hat ebenso der vorbehandelnde T1 im Februar 2022 so gesehen, der aber zugleich dargelegt hat, dass der Kläger bewusstseinsklar und voll orientiert war, also weder eine mit Anfällen einhergehende Erkrankung besteht, noch Störungen der Orientierungsfähigkeit. Soweit der Kläger zur Berufungsbegründung vorgetragen hat, dass der Gutachter B1 damals übersehen habe, dass er nicht nur unter einer seelischen Störung und einem Kopfschmerzsyndrom leide, sondern unter einer Persönlichkeitsveränderung, die genetisch bedingt sei, ist das deshalb ohne Belang, weil es auf die Ursächlichkeit der Einschränkungen nicht ankommt und nur hierauf das Berufungsvorbringen unter Verweis auf das Gutachten B1 abzielt.
Der versorgungsärztliche Dienst weist insoweit zu Recht darauf hin, dass die beim Kläger vorliegende Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ sowie die wiederkehrende depressive Störung keinen Einfluss auf die Gehfähigkeit haben. Denn psychische Störungen können das Vorliegen einer erheblichen Gehbehinderung nicht begründen, wenn sie sich nicht spezifisch auf das Gehvermögen selbst auswirken (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 1/14 R –, juris, Rz. 18; Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 229 SGB IX [Stand: 1. Oktober 2023], Rz. 21). Dass wird letztlich durch die S4 insofern bestätigt, als diese auf die ausdrückliche Nachfrage des SG zum Merkzeichen „G“ dargelegt hat „Kann ich als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie nicht beantworten.“ (Blatt 37 der SG-Akte), was durchaus als Hinweis darauf gesehen werden kann, dass psychische Gesundheitsstörungen das Merkzeichen „G“ nicht begründen. Dass der Kläger nicht gehen kann, behauptet er noch nicht einmal selbst, die mit der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung einhergehende besondere Aggressivität, die der Kläger als Begründung für das Merkzeichen zentral anführt, wirkt sich eine ganz offensichtlich nicht auf das Gehvermögen aus. Das gilt umso mehr, als die Fremdaggressivität nach der Einschätzung des behandelnden T1 im Februar 2022 im Verlauf bereits gemindert war. Die behauptete Notwendigkeit einer Begleitperson ist keine Voraussetzung für das Merkzeichen „G“.
Gehört der Kläger demnach nicht unter die in den VG Teil D. Nr. 1 a) bis f) genannten Fallgruppen, schließt das die Zuerkennung des Merkzeichens nicht aus, weil es sich nicht um eine abschließende Aufzählung, sondern um Regelbeispiele handelt. Der umfassende Behindertenbegriff im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gebietet nach der Rechtsprechung des BSG im Lichte des verfassungsrechtlichen als auch des unmittelbar anwendbaren UN-konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots (Art 3 Abs. 3 Satz 2 GG; Art 5 Abs. 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen. Anspruch auf Merkzeichen G hat deshalb auch ein schwerbehinderter Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen als den in den VG Teil D Nr. 1 d) bis f) genannten Regelfällen dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion gleichzustellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 1/14 R –, juris; BSG, Beschluss vom 22. November 2023 – B 9 SB 18/23 B –, juris, Rz. 8).
Derartige Auswirkungen auf die Gehfunktion bestehen hier jedoch nicht. Dass S1 angibt, dass der Kläger anamnestisch über Schmerzen berichtet hatte, welche dazu führten, dass die Gehstrecke von 2 Kilometern nur mit Unterbrechungen zurückgelegt werden könne, kann dies nicht begründen. Der Orthopäde hat das nur als glaubhaft bewertet, aber keine eigene Überprüfung des Gehvermögens vorgenommen, was auch nicht seine Aufgabe als behandelnder Arzt ist. Dass die klägerische Einschätzung nicht zutrifft, wird im Tatsächlichen schon dadurch bestätigt, dass der T1 im September 2021 davon berichtet hat, dass der Kläger für 6 Wochen in der Türkei gewesen und dort spazieren gegangen ist (!). Ebenso spricht dagegen, dass nach Angaben der B2 der Kläger bei zufälligen Begegnungen außerhalb ihrer Praxis immer selbständig zu Fuß unterwegs gewesen ist. Außerdem ist es dem Kläger ohne Weiteres möglich Ärzte in S3 oder L1 aufzusuchen, wohin er mit öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch zu Fuß gelangen muss, was der Senat den verschiedenen Arztberichten von dort entnimmt.
Der Kläger hat daneben auch keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „B“.
Nach § 229 Abs. 2 Satz 1, § 228 Abs. 6 Nr. 1, Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist eine Berechtigung für eine ständige Begleitung (Merkzeichen „B“) bei schwerbehinderten Menschen gegeben, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind (bei denen also die Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“, „H“ oder „Gl“ vorliegen) und die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Nach den VG (Teil D Nr. 2 b)) ist dementsprechend zu beachten, ob sie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen sind oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z.B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind. Die Berechtigung für eine ständige Begleitung ist anzunehmen bei Querschnittgelähmten, Ohnhändern, Blinden und Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist (VG Teil D Nr. 2 c)).
Der Kläger ist nicht bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge seiner Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen, da bei ihm keine behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen bestehen, die ihm das Ein- und Aussteigen oder die Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel erschweren. Die von ihm im Zusammenhang mit der bei ihm diagnostizierten impulsiven Persönlichkeitsstörung angeführte Aggressivität betrifft nur allgemein die soziale Interaktion mit anderen Menschen und nicht spezifisch die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 21. September 2022 – L 3 SB 96/19 –, juris, Rz. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2024 – L 8 SB 634/23 –, juris, Rz. 41). Die Erforderlichkeit einer Begleitperson ist im Übrigen von der behandelnden Hausärztin des Klägers wie auch von dem S1 verneint worden. Unabhängig davon sind die Voraussetzungen für das Merkzeichen „B“ aber schon deshalb nicht gegeben, weil der Kläger – wie bereits dargelegt – die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ nicht erfüllt und es daneben an einer Feststellung der Merkzeichen „H“ oder „Gl“ fehlt. Hierauf hat das SG selbständig tragend zu Recht abgestellt, sodass es nicht darauf ankommt, dass die wohl beabsichtigten Hilfserwägungen unterblieben sind.
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SB 2595/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2427/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
Saved