Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Karlsruhe vom 18. Juli 2023 und der Bescheid vom 23. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2021 werden aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 2. März 2021 auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen
Die Beklagte trägt 50 v.H. der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement.
Die 1977 geborene Klägerin hat nach Erreichen der mittleren Reife den Beruf der Lebensmittelverkäuferin erlernt, welchen sie bis 2003 ausübte. Im Weiteren war sie, neben Zeiten der Arbeitslosigkeit, als un- bzw. angelernte Hilfskraft, etwa als Produktions- oder Lagermitarbeiterin, tätig und führte von 2008 bis 2010 eine Umschulung zur Industriekauffrau durch, welche sie aus gesundheitlichen Gründen abbrach. Nachfolgend war sie wieder als Hilfsarbeiterin sowie in den Jahren 2013 und 2014 erneut als Verkäuferin beschäftigt.
Auf einen Antrag der Klägerin vom 7. April 2015 auf Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben stellte die Beklagte ihr zunächst mit Bescheid vom 17. Juni 2015 Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes in Form eines Eingliederungszuschusses an den Arbeitgeber in Aussicht. Mit Bescheid vom 30. Dezember 2015 bewilligte die Beklagte der Klägerin dann die Teilnahme an einem Reha-Vorbereitungslehrgang als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Berufsförderungswerk S1, welchen die Klägerin vom 21. März 2016 bis zum 3. Juli 2016 absolvierte (Abschlussbericht vom 22. Juni 2016). Seitens des Berufsförderungswerks S1 erfolgte die Mitteilung an die Beklagte, dass für die Klägerin eine Qualifizierungsmaßnahme als kaufmännische Sachbearbeiterin im Bereich Materialwirtschaft vorgesehen sei. Die Leistungen der Klägerin hätten sich während des Lehrgangs so dargestellt, dass auch eine Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement empfohlen werden könne (E-Mail vom 16. Juni 2016).
Mit Bescheid vom 20. Juli 2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine berufliche Anpassung zur kaufmännischen Sachbearbeiterin für Materialwirtschaft im Berufsförderungswerk S1, welche die Klägerin vom 11. Juli 2016 bis 7. April 2017 erfolgreich absolvierte (Zertifikat vom 7. April 2017) und während der sie ein Praktikum in der Buchhaltung eines Seniorenheims der Diakonie im Landkreis K1 durchführte. Nach einem Vermerk der Beklagten vom 13. November 2017 über eine Folgeberatung der Klägerin seien bislang alle Bewerbungsversuche erfolglos gewesen. Die Klägerin gehe davon aus, dass sie mit Buchführungskenntnissen bessere Arbeitsmarktchancen habe. Diesbezüglich ist seitens der Beklagten u. a. auf einen Rechenwesenlehrgang über die IHK und die Möglichkeit der Kostenübernahme nebst paralleler Unterstützung eines Arbeitsplatzes durch einen Eingliederungszuschuss hingewiesen worden.
Von November 2017 bis Juli 2018 und einwöchig im November 2018 ging die Klägerin in der vorgenannten Praktikumseinrichtung einer Beschäftigung in der Buchhaltung nach.
Am 2. April 2019 beantragte die Klägerin erneut, nun unter Angabe einer zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit als Sachbearbeiterin im Rechnungswesen, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, welche die Beklagte mit Bescheid vom 21. Mai 2019 ablehnte. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei nicht erheblich gefährdet oder gemindert, da sie in der Lage sei, eine Beschäftigung als Sachbearbeiterin Finanzbuchhaltung weiterhin auszuüben.
Von Dezember 2019 bis November 2020 nahm sie an einem Lehrgang der D1 Akademie in K1 teil, der einen Teil der Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement beinhaltete. Einen formellen Abschluss erlangte sie hierdurch nicht. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Erwerbsbiografie der Klägerin und der von ihr zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf der Beklagten vom 1. April 2021 und die Beschäftigungsübersicht in der sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahme des F1 vom 15. Mai 2019 für die Agentur für Arbeit K1 Bezug genommen.
Am 2. März 2021 beantragte die nunmehr im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch stehende Klägerin erneut Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Beklagten. Hierbei gab sie an, wegen gesundheitlichen Beschwerden in Gestalt von Nacken- und Kreuzschmerzen mit Kopfschmerzen nicht mehr als Verkäuferin und Produktionsmitarbeiterin arbeiten zu können. Es sei ihr nicht möglich, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, weil sie mit der Qualifizierungsmaßnahme keine Chance seitens der Arbeitgeber bekomme. Diese verlangten eine abgeschlossene Ausbildung. Deshalb wolle sie eine Umschulung als Kauffrau für Büromanagement im Berufsförderungswerk S1 absolvieren.
Die Beklagte zog ärztliche Behandlungs- und Untersuchungsberichte sowie insbesondere Befundberichte des H1 vom 20. März 2019 und 12. Februar 2021 und die sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahmen der R1 vom 9. Mai 2012 und des F1 vom 15. Mai 2019 bei. R1 und F1 erachteten die Klägerin dabei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen für vollschichtig leistungsfähig, F1 ausdrücklich auch für eine Bürotätigkeit, aber eine Tätigkeit als Verkäuferin insbesondere vor dem Hintergrund von belastungsabhängigen Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule nicht mehr als leidensgerecht. Die R2 ging in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte vom 22. März 2021 als Bezugsberuf der Klägerin von einer „Bürotätigkeit“ aus und verneinte ein Erfordernis für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, da deren Erwerbsfähigkeit nicht erheblich gefährdet oder gemindert sei.
Mit Bescheid vom 23. März 2021 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei nicht erheblich gefährdet oder gemindert, weil sie in der Lage sei, eine Beschäftigung als Kauffrau für Büromanagement weiterhin auszuüben.
Hiergegen legte die Klägerin am 30. März 2021 Widerspruch ein. Sie habe keine abgeschlossene Berufsausbildung als Kauffrau für Büromanagement, sondern sei in diesem Berufszweig lediglich für einen kurzen Zeitraum als sog. Anlernkraft als Ersatz für eine erkrankte Kollegin in der Buchhaltung tätig gewesen. Dies reiche keinesfalls aus, um auf dem freien Arbeitsmarkt mit ausgebildeten Kaufleuten konkurrieren zu können. Um diese Situation zu verbessern, würden ja gerade die beantragten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben begehrt.
Die Beklagte hielt darauf in einem internen Vermerk vom 8. November 2021 u.a. fest, dass der Wunsch der Klägerin nach einer Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement 2017 laut Vorakte wegen schwacher Leistungen in der vorangehenden Maßnahme abgelehnt worden sei. Nach der Qualifizierungsmaßnahme zur Sachbearbeiterin Materialwirtschaft habe die Klägerin lediglich vom 20. November 2017 bis 13. Juli 2018 und vom 12. November 2018 bis 16. November 2018 in diesem Bereich gearbeitet. Die Beschäftigung von November 2017 bis Juli 2018 sei von vornherein nur als Vertretung und damit befristet angelegt gewesen. Eine dauerhafte Ausübung einer leidensgerechten Beschäftigung im Bereich der Sachbearbeitung/Bürokauffrau, könne hiermit nicht begründet werden. Als Bezugsberuf sei daher der sich durch den Lebenslauf der Klägerin ziehende Beruf der Verkäuferin anzusetzen.
Die von der Beklagten erneut, diesmal hinsichtlich des Bezugsberufs Verkäuferin angefragte R2 verneinte wiederum eine Indikation für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, da eine Tätigkeit als Verkäuferin „weiter leidensgerecht“ sei (Freier Vermerk – Sozialmedizin vom 11. November 2021).
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2021 wies die Beklagte hierauf den Widerspruch zurück. Aus den medizinischen Unterlagen ergäben sich vor allem die Gesundheitsstörungen Rückenschmerzen, sonstiger Hörverlust, Hämorrhoiden und Perianalvenenthrombose sowie Kopfschmerz. Unter Berücksichtigung aller vorgebrachten Gesundheitsstörungen seien keine Krankheitsfolgen ersichtlich, durch die die Erwerbstätigkeit als Verkäuferin entscheidend beeinträchtigt werde. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei daher nicht gemindert und nicht erheblich gefährdet. Daher seien auch keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die gesetzliche Rentenversicherung erforderlich.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 27. Dezember 2021 bei dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und die Verurteilung der Beklagten zur Verschaffung einer Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement beantragt.
Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 18. Juli 2023 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung vom 11. Februar 2021 erbrächten die Träger der Rentenversicherung u.a. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, um (Nr. 1) den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und (Nr. 2) dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Leistungen nach Abs. 1 seien nach § 9 Abs. 2 SGB VI zu erbringen, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bestimme der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts des Versicherten im Sinne des § 8 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Entscheidung über die Voraussetzungen, das „ob“ der Leistung, unterlägen der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, wohingegen das „wie“ der Leistung im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten stehe. Eine Verpflichtung zum Erlass des beantragten Verwaltungsaktes komme in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege, d.h. das Ermessen nur in einem bestimmten Sinne ausgeübt werden könne und jede andere Entscheidung fehlerhaft wäre. Entsprechend dem Begehren der Klägerin stelle sich nicht die Frage, ob die Beklagte die Bewilligung der begehrten Umschulung zu Recht, insbesondere mit zutreffenden Ermessenserwägungen, abgelehnt habe. Denn eine fehlerhafte Ermessensausübung führe nur zur Pflicht des Leistungsträgers, über den Antrag erneut zu entscheiden, nicht aber zu einer Ermessensreduzierung auf Null mit der Pflicht zum Erlass des begehrten Verwaltungsaktes. Der geltend gemachte Anspruch auf Bewilligung einer Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement setze also voraus, dass die Beklagte zwingend eine solche Umschulung hätte bewilligen müssen und jede andere Entscheidung rechtswidrig gewesen wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall. Es liege keine Ermessensreduzierung auf Null dergestalt vor, dass für die Klägerin nur die von ihr begehrte Umschulung zur Kauffrau in Betracht komme. Unstreitig habe die Klägerin im Jahr 2010 eine Umschulung zur Industriekauffrau aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen und im Jahr 2016 sei eine Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement wegen zu schwacher Leistungen der Klägerin bestandskräftig abgelehnt worden. Vor diesem Hintergrund könne selbst unter Beachtung der Motivation der Klägerin und ihres Wunsch- und Wahlrechts schlechterdings nicht davon ausgegangen werden, dass sie dazu in der Lage sei, die begehrte Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement erfolgreich zu absolvieren.
Gegen diese ihr am 18. Juli 2023 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 26. Juli 2023 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Die Klägerin erfülle für die begehrten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Es sei der Beklagten nicht gelungen, eine Alternative ausfindig zu machen, die unter Beachtung der Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit der Klägerin, der Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und der Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie aller weiteren zu beachtenden Belange zumindest gleich geeignet wäre, wie die Gewährung einer Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass auf Grund der gesundheitlichen Einschränkungen und der persönlichen Eignung der Klägerin eine Vielzahl möglicher Berufsausbildungen für die Klägerin ausschieden bzw. als wenig geeignet erschienen. Die Ausübung des Berufes Kauffrau für Büromanagement sei der Klägerin aus heutiger Sicht ohne Einschränkungen möglich.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Karlsruhe vom 18. Juli 2023 sowie den Bescheid vom 23. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement im BFW S1 zu gewähren,
hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, über ihren Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bereits dem Grunde nach nicht bestehe, da die Erwerbsfähigkeit der Klägerin weder gemindert noch gefährdet sei.
Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten am 11. April 2024 einen Erörterungstermin durchgeführt, auf dessen Protokoll Bezug genommen wird.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze und hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts auf die Prozessakten sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft, weil die Berufungsausschlussgründe des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht entgegenstehen.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist – neben der erstinstanzlichen Entscheidung – der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2021 (§ 95 SGG), mit welchem die Beklagte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement abgelehnt hat. Gegen die Ablehnung wendet sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) und verfolgt ihr Umschulungsbegehren weiter. Daneben begehrt die Klägerin hilfsweise im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGG) in Form der Bescheidungsklage die Verpflichtung der Beklagten, über ihren Antrag erneut zu entscheiden (§ 131 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 SGG).
Die Berufung ist im Hauptantrag unbegründet, hat jedoch im Hilfsantrag Erfolg. Denn die Klägerin hat dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, das Auswahlermessen der Beklagten ist jedoch hinsichtlich des „wie“ der Leistung nicht auf Null reduziert.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erbringen die Träger der Rentenversicherung u.a. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, um (1.) den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten vorzubeugen, entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und (2.) dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Diese Leistungen sind nach § 9 Abs. 2 SGB VI zu erbringen, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, da die Klägerin die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt hat (vgl. § 11 Abs. 2 SGB VI). Zur Überzeugung des Senats erfüllt die Klägerin auch die persönlichen Voraussetzungen. Nach § 10 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe erfüllt, (1.) deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und (2.) bei denen voraussichtlich (a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann, (b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann, (c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (aa.) der bisherige Arbeitsplatz erhalten werden kann oder (bb.) ein anderer in Aussicht stehender Arbeitsplatz erlangt werden kann, wenn die Erhaltung des bisherigen Arbeitsplatzes nach Feststellung des Trägers der Rentenversicherung nicht möglich ist.
Bei der Klägerin besteht eine gesundheitlich bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit, welche voraussichtlich durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann. Der Begriff der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI bezieht sich dabei auf den bisherigen Beruf des Versicherten (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 1979 – 1 RA 43/78 –, BSGE 48, 74-79, SozR 2200 § 1237a Nr. 6, juris Rdnr. 20 m.w.N.). Die Erwerbsfähigkeit in diesem Sinne ist als Fähigkeit zu verstehen, seinen bisherigen Beruf oder eine seiner Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit angemessene Erwerbs- oder Berufstätigkeit dauernd auszuüben. Auf eine etwaige Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kommt es grundsätzlich nicht an. Bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit ist grundsätzlich auf den zuletzt ausgeübten Beruf abzustellen. Hierbei sind die beruflichen Tätigkeiten der letzten Jahre in die Betrachtung einzubeziehen (Luthe in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 10 SGB VI, Stand 1. April 2021, Rdnr. 31). Nicht maßgeblich sind aber Tätigkeiten, die nur verhältnismäßig kurze Zeit verrichtet oder nicht versicherungspflichtig ausgeübt worden sind (BSG, Urteil vom 12. März 2019 – B 13 R 27/17 R –, SozR 4-2600 § 10 Nr. 4, juris Rdnr. 20). Die „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ ist vom Begriff der „verminderten Erwerbsfähigkeit“ bzw. dem Begriff der Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI zu unterscheiden. Dieser beinhaltet für den Bezug einer entsprechenden Rente im Regelfall höhere Anforderungen an die Erwerbsminderung. Eine geminderte Erwerbsfähigkeit i.S.d. § 10 SGB VI liegt nicht nur vor, wenn die Bezugsvoraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente erfüllt sind, sondern bereits dann, wenn die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben nicht unwesentlich eingeschränkt ist und der Versicherte daher nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf normal auszuüben (Luthe, a.aO. Rdnr. 42).
Als bisheriger Beruf der Klägerin ist weiterhin derjenige der Verkäuferin, konkret im Lebensmittelhandel, anzusehen, wie auch die Beklagte selbst zuletzt im Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2021 angenommen hat. Denn diesen Beruf hat die Klägerin erlernt und im Laufe ihres Arbeitslebens überwiegend und insofern prägend ausgeübt. Dass die letzte Beschäftigung der Klägerin in diesem Bereich bei Antragstellung bereits ca. sieben Jahre zurück lag, steht dieser Wertung nicht entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 12. März 2019, a.a.O. Rdnr. 21 ff.). Auf die nach der Qualifikationsmaßnahme zur kaufmännischen Sachbearbeiterin ausgeübte Tätigkeit als Sachbearbeiterin im Rechnungswesen bzw. der Buchhaltung ist dagegen nicht abzustellen, da die Klägerin diese Beschäftigung lediglich über einen relativ kurzen Zeitraum von wenigen Monaten ausgeübt hat. Im Beruf der Verkäuferin ist die Klägerin aufgrund der bei ihr bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere der – für die Tätigkeiten wie Regaleinräumen über Schulterhöhe u.ä. relevanten – belastungsabhängigen Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule in Form eines Zervikalsyndroms im vorstehenden Sinne erwerbsgemindert, wie der Senat den Gutachten der R1 vom 9. Mai 2012 und des F1 vom 15. Mai 2019 sowie den Befundberichten des H1 vom 20. März 2019 und vom 12. Februar 2021 entnimmt. Soweit die R2 – im Widerspruch zu den früheren Bewilligungen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die Beklagte – in ihrer Stellungnahme vom 11. November 2021 eine Tätigkeit der Klägerin als Verkäuferin für „weiterhin leidensgerecht“ erachtet hat, hat sie dies mit der fehlenden Einnahme von Schmerzmitteln und einem unauffälligen MRT-Befund aus dem Jahr 2014 begründet. Hierbei hat sie unberücksichtigt gelassen, dass die Halswirbelsäulenschmerzen der Klägerin auf Grundlage einer konstitutionellen Fehlhaltung bestehen, wie H1 2019 dargestellt hat, das MRT des B1 vom 9. September 2014 – welches nicht wegen des Zervikalsyndroms, sondern zur Abklärung einer Schluckstörung eingeholt wurde – durchaus, wenngleich geringe Spondylarthroseveränderungen ergeben hat und die fehlende Schmerzmitteleinnahme von der Klägerin in der Begutachtung bei F1 im Kontext einer fehlenden Belastung berichtet worden ist.
Diese Minderung der Erwerbsfähigkeit kann auch voraussichtlich durch Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben i. S. d. § 10 Abs. 1 Nr. 2b SGB VI wesentlich gebessert werden, welche der Klägerin die Aufnahme einer leidensgerechten Tätigkeit – nach den übereinstimmenden Gutachten der R1 und des F1 insbesondere im Bürobereich – ermöglichen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der Erwerbsfähigkeit in § 10 Abs. 1 Nr. 2b SGB VI einen anderen Sinngehalt hat als derjenige des § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Während der Begriff der Erwerbsfähigkeit in § 10 Abs.1 Nr. 1 SGB VI eng mit der bisherigen Tätigkeit des Versicherten verknüpft ist, umfasst § 10 Abs. 1 Nr. 2b SGB VI auch andere Tätigkeiten. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben müssen daher nicht allein auf die Erhaltung, wesentliche Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten in seinem bisherigen Beruf oder seiner bisherigen Tätigkeit gerichtet sein (BSG, Urteil vom 11. Mai 2011 – B 5 R 54/10 R – juris Rdnr. 47 m. w. N.).
Dem mithin dem Grunde nach gegebenen Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben steht dabei nicht entgegen, dass die Beklagte ihr bereits eine im Weiteren erfolgreich abgeschlossene Qualifikationsmaßnahme zur kaufmännischen Sachbearbeiterin bewilligt hat, da hierdurch eine berufliche Wiedereingliederung nicht erreicht worden ist, wie die Klägerin substantiiert durch die Vorlage von Bewerbungsabsagen bereits im Widerspruchsverfahren dargelegt hat. Dass tatsächlich ausreichende Stellenangebote für eine Tätigkeit als kaufmännische Sachbearbeiterin im Umkreis des Wohnorts der Klägerin bis zur letzten Verwaltungsentscheidung vorgelegen hätten und daher von einer ausreichenden Wiedereingliederungsmöglichkeit in das Arbeitsleben auszugehen gewesen wäre (dazu etwa Urteil des Senats vom 16. November 2017 – L 7 R 3837/15 – juris Rdnr. 30), ist von der insoweit beweisbelasteten Beklagten nicht geprüft worden. Eine entsprechende aktuelle Abfrage der Internetjobbörse der Bundesagentur für Arbeit durch den Senat (https://www.arbeitsagentur.de/jobsuche/suche?angebotsart=1&was=Kaufm%C3%A4nnischer%20Sachbearbeiter%2Fin&wo=Ettlingen&umkreis=25) ergibt zwar eine Vielzahl an Stellenangeboten für kaufmännische Sachbearbeiter, in denen aber bei näherer Prüfung im Wesentlichen eine abgeschlossene kaufmännische Berufsausbildung – welche die Klägerin vorliegend erst erlangen will – gefordert wird.
Liegen – wie hier – die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vor, so bestimmt der Träger der Rentenversicherung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI im Einzelfall unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts des Versicherten im Sinne des § 8 SGB IX und der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung erbringen gemäß § 16 SGB VI die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben grundsätzlich nach den §§ 49 bis 54 SGB IX. Nach § 49 Abs. 1 SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Nach § 49 Abs. 3 SGB IX umfassen die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben insbesondere (1.) Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung, (2.) Berufsvorbereitung einschließlich einer wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung, (3.) individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung, (4.) berufliche Anpassung und Weiterbildung, auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen, (5.) berufliche Ausbildung, auch soweit die Leistungen in einem zeitlich nicht überwiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt werden, (6.) die Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch die Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 und (7.) sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um Menschen mit Behinderungen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten. Gemäß § 49 Abs. 4 Satz 1 SGB IX werden bei der Auswahl der Leistungen Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen berücksichtigt. Aus dieser letztgenannten Bestimmung ergibt sich, ebenso wie aus § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI keine Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers, unter allen Umständen die Wahl des Wunschberufes zu ermöglichen; sie gibt lediglich in dem rechtlich zulässigen Rahmen die Möglichkeit zur Berücksichtigung von Wünschen des Versicherten vor (vgl. Urteil des Senats vom 16. November 2017 – L 7 R 3837/15 – juris Rdnr. 28; Bayerisches LSG, Urteil vom 27. Juli 2010 – L 20 R 309/09 – juris Rdnr. 15).
Die Entscheidung über das „wie“ der Leistungserbringung, mithin über die Auswahl der Leistung, liegt vielmehr im pflichtgemäßen, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG; dazu statt vieler nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rn. 28 und 27 f. m.w.N. zur höchstrichterlichen Rspr.) Ermessen des Leistungsträgers, hier der Beklagten. Ein Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben besteht in einem solchen Fall mithin nur dann – wie das SG zutreffend ausgeführt hat –, wenn der Ermessensspielraum der Beklagten auf Grund der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls derart eingeschränkt ist, dass diese rechtmäßig nur eine einzige Entscheidung, nämlich vorliegend Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Form einer Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement, treffen dürfte (sog. Ermessensreduktion auf Null; dazu nur BSG, Urteil vom 15. Dezember 1994 – 4 RA 44/93 – juris Rdnr. 27; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rdnr. 29 m.w.N.). Der geltend gemachte Anspruch auf Bewilligung einer Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement – von der Klägerin weiter konkretisiert auf eine Durchführung im Berufsförderungswerk S1 – setzt also voraus, dass es sich hierbei um die einzige Maßnahme handelt, mit der eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung erreicht werden könnte.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegend nicht zu bejahen. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass es sich bei der Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement um die einzige Maßnahme handelt, mit der eine dauerhafte Wiedereingliederung erreicht werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin – wie dargestellt – eine Qualifizierung zur kaufmännischen Sachbearbeiterin für Materialwirtschaft absolviert hat. Die Klägerin hat diesbezüglich in der Folgeberatung vom 13. November 2017 selbst die Annahme vorgetragen, ihre Arbeitsmarktchancen durch eine Erweiterung ihrer Buchführungskenntnisse verbessern zu können, so dass gegebenenfalls auch eine Förderung in diesem Bereich, gegebenenfalls flankiert durch andere Maßnahmen wie einen von der Beklagten in der Vergangenheit bereits bewilligten Eingliederungszuschuss in Betracht kommen könnte oder im Hinblick auf die Verfügbarkeit der konkreten Umschulung auch andere, gleich geeignete Berufsbilder oder andere Leistungserbringer.
Dass hier nur eine Umschulung Kauffrau für Büromanagement dem Gesundheitsbild der Klägerin gerecht wird, ist nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen ebenfalls nicht nachgewiesen. Vielmehr ist insoweit von R1 und F1 jeweils allgemein eine Bürotätigkeit als leidensgerecht angesehen worden. Entgegenstehende, eine weitere Einschränkung zumindest nahelegende Umstände sind nicht ersichtlich.
Die Klägerin hat jedoch Anspruch auf eine erneute Bescheidung ihres Antrags auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 131 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 SGG), da der Bescheid vom 23. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2021 ermessensfehlerhaft ergangen ist.
Eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung erfordert nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), dass die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausübt und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält. Der von der Ermessensentscheidung Betroffene hat dementsprechend einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I). In diesem eingeschränkten Umfang unterliegt die Ermessensentscheidung der richterlichen Kontrolle (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Rechtswidrig können demnach Verwaltungsakte bei Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch sein. Ein Ermessensnichtgebrauch ist gegeben, wenn überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt werden und so gehandelt wird, als ob eine gebundene Entscheidung zu treffen ist. Eine Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn eine Rechtsfolge gesetzt wird, die in der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen ist. Ein Ermessensfehlgebrauch zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass sachfremde Erwägungen angestellt werden (BSG, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R – juris Rdnr. 36 f.; BSG, Urteil vom 18. März 2008 – B 2 U 1/07 R – juris Rdnr. 17 ff.). Sachfremde Erwägungen sind u. a. dann gegeben, wenn Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die den Zweck der Norm nicht beachten (BSG, Urteil vom 18. März 2008 – B 2 U 1/07 R – juris Rdnr. 19; BSG, Urteil vom 22. Februar 1995 – 4 RA 44/94 – juris Rdnr. 35). Ein Ermessensfehlgebrauch liegt auch vor, wenn nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen worden sind, so dass ein Abwägungsdefizit gegeben ist (BSG, Urteil vom 9. November 2010 – B 2 U 10/10 R – juris Rdnr. 15).
In der hiesigen Sache liegt ein Ermessensnichtgebrauch vor, da die Beklagte – von der Annahme fehlender persönlicher Voraussetzungen i. S. d. § 10 SGB VI ausgehend folgerichtig – keine Ermessenserwägungen angestellt hat. Dies wird die Beklagte nachzuholen und bei der neuerlichen Entscheidung über den Antrag vom 2. März 2021 insbesondere das Wunsch- und Wahlrecht der Klägerin zu berücksichtigen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 3553/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 2139/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
Saved