Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer stationären Behandlung zur Durchführung einer Mammareduktionsplastik streitig.
Die 1979 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin litt an einer Adipositas Grad III und erreichte nach einer im Jahr 2017 durchgeführten Magen-Bypass-Operation eine Gewichtsreduktion um 85 kg auf 90 kg (November 2021). Hierdurch kam es im Bereich der Brust, des Bauches und der Oberschenkel zu einer Hauterschlaffung.
Am 16. Dezember 2021 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für eine Hautstraffung und machte geltend, die überschüssige Haut beeinträchtige stark ihr normales Leben. Hierzu legte sie das Attest des W1 vom 15. November 2021 nebst Fotodokumentation vor. W1 führte aus, aufgrund der erhobenen Befunde (Ptosis Grad III beide Brüste mit JM-Abstand links 31 cm und rechts 33 cm, Erschlaffung des Bauchs am Ober- und Unterbauch mit Umschlagsfaltenbildung und starke Erschlaffung des Schamhügels, starke Erschlaffung der Oberschenkelinnenseiten beidseits) bestehe eine medizinische Indikation für eine Mammareduktionsplastik, eine Abdominoplastik und eine Oberschenkelstraffung.
Die Beklagte zog den Medizinischen Dienst Baden-Württemberg (MD) hinzu, wobei S1 ausweislich seines sozialmedizinischen Gutachtens vom 27. Dezember 2021 die Indikation für eine Abdominoplastik und eine Oberschenkelstraffung beidseits sah, nicht jedoch für eine Mammareduktionsplastik beidseits. Es liege eine Mammahypertrophie mit Ptosis II-III nach Regnault beidseits vor, jedoch keine ausgeprägte Mammahypertrophie oder Gigantomastie. Die Ptosis stelle per se keine medizinische Indikation für eine Operation dar. Die Brustlast werde aus gutachtlicher Sicht nicht als krankheitswertig angesehen. Hier stehe der kosmetische Aspekt im Vordergrund.
Mit Bescheid vom 3. Januar 2022 erklärte sich die Beklagte bereit, die Kosten für eine Abdominalplastik und eine Oberschenkelstraffung beidseits zu übernehmen. Die Übernahme der Kosten für eine Mammareduktionsplastik lehnte sie gestützt auf das Gutachten des MD ab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, ohne diesen zu begründen. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2022 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück.
Am 9. Mai 2022 erhob die Klägerin hiergegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage und machte geltend, bei der überschüssigen Haut mit Erschlaffung des Weichteilmantels durch die rasche und drastische Gewichtsreduktion handele es sich um einen pathologischen Befund. Bei ihrer Haut handele es sich nicht um ein gesundes Organ. Die nicht zurückgebildete Haut verursache funktionelle Einschränkungen, rezidivierende Entzündungen und Schmerzen in den betroffenen Arealen. Die einzig verfügbare kurative Therapie sei die chirurgische Entfernung der überschüssigen Haut. Konservativ lasse sich dies nicht erreichen. Die Ursache der Hauterschlaffung, nämlich die Gewichtsreduktion, sei aus fachärztlicher Sicht gewollt und dann aktiv und invasiv herbeigeführt worden. Dabei sei die Entstehung eines regelwidrigen Zustandes der Haut in Kauf genommen worden. Grundsätzlich sei eine ärztliche Behandlung darauf ausgerichtet, Patienten unter Erhaltung der körperlichen Integrität zu heilen. Werde durch eine Behandlung diese körperliche Integrität jedoch verletzt, so müsse der regelhafte Körperzustand wiederhergestellt werden, dies als Teil einer einheitlichen Heilbehandlung, hier der Adipositas. Dabei sei völlig unerheblich, ob diese Wiederherstellung an sich medizinisch notwendig sei (Hinweis auf Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 31. Mai 2018 – L 1 KR 249/16 –). Im Ergebnis sei die chirurgische Sanierung des Haut- und Weichteilmantelüberschusses integraler Bestandteil einer einheitlichen Behandlung der Adipositas. Diese Behandlung sei durch die Magen-Bypass-Operation begonnen worden und müsse nun durch den zweiten und letzten Schritt, die postbariatrische Wiederherstellung abgeschlossen werden. Der so skizzierte Behandlungspfad finde sich auch in der aktuellen „S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolische Erkrankungen“ („Jeder Patient nach adipositaschirurgischer oder metabolischer Operation, der nachhaltig an Gewicht verloren hat, soll die Möglichkeit bekommen, sich bei einem Facharzt für plastische Chirurgie mit entsprechend vorhandener Expertise auf dem Gebiet der Rekonstruktion der Körperform nach Gewichtsreduktion vorzustellen.“ „Bei Patientenwunsch und entsprechender medizinischer Indikation soll eine Straffungsoperation angeboten und durchgeführt werden. Sind mehrere Körperregionen betroffen, soll mehrzeitig operiert werden.“).
Die Beklagte trat der Klage unter Aufrechterhaltung ihres Standpunktes entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 17. Oktober 2022 wies das SG die Klage ab. Der geltend gemachte Behandlungsanspruch setze das Vorliegen einer Krankheit voraus, wobei es sich nicht bei jeder körperlichen Unregelmäßigkeit im rechtlichen Sinne um eine Krankheit handele. Erforderlich sei vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder dass eine Abweichung vom körperlichen Regelfall vorliege, die entstellend wirke. Gemessen hieran leide die Klägerin nicht an einer Krankheit, die eine Krankenhausbehandlung erforderlich mache. Die bei der Klägerin vorliegende Ptosis wirke weder entstellend noch beeinträchtige sie zwingend körperliche Funktionen. Das Attest des W1 enthalte keine Angaben zu etwaigen Beeinträchtigungen. Auch die Klägerin habe hierzu nichts vorgetragen. Im Klageverfahren habe die Klägerin ausschließlich Ausführungen dazu gemacht, dass und warum eine chirurgische Entfernung überschüssiger Haut, die sich nach der Gewichtsverringerung nicht zurückgebildete habe, erforderlich sei. Da es an jeglichem Vortrag, der das Begehren der Klägerin stützen könne, fehle, seien medizinische Ermittlungen nicht veranlasst.
Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24. Oktober 2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23. November 2022 beim SG Berufung eingelegt. Sie hat ausführliche Ausführungen dazu gemacht, dass und aus welchen Gründen das SG nicht durch Gerichtsbescheid hätte entscheiden dürfen und die Sache daher an das SG zurückzuverweisen sei. Im Übrigen hat sie ihre Ausführungen aus dem Klageverfahren wiederholt und die Auffassung vertreten, dass das SG gegen die Amtsermittlungspflicht verstoßen habe. Da medizinische Fragen streitig seien, hätte das SG ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Die Klägerin hat eine Fotodokumentation, den Arztbrief der C1, K1, vom 30. November 2022 sowie eine persönliche Darstellung ihrer Beschwerden vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. Oktober 2022 aufzuheben und die Rechtssache zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Karlsruhe zurückzuverweisen,
hilfsweise den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. Oktober 2022 und den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. April 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Mammareduktionsplastik beidseits als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Bei der Klägerin liege keine ausgeprägte Mammahypertrophie oder Gigantomastie vor. Die Brustlast sei nicht krankheitswertig. Auch überschüssige Haut stelle für sich genommen keinen krankhaften Befund dar. Vorliegend stehe der kosmetische Aspekt im Vordergrund. Eine wesentliche Funktionseinschränkung liege nicht vor, auch komme dem Erscheinungsbild keine entstellende Wirkung zu. Eine Mammareduktionsplastik sei auch kein Bestandteil einer einheitlichen Behandlung der Adipositas. Insbesondere sei eine bariatrische Operation nicht zwingend mit einer Wiederherstellungsoperation in Form einer Mammareduktionsplastik abzuschließen. Für beide Operationen seien jeweils gesondert Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen. Zudem benötige nicht jeder Patient, der Gewicht abgenommen habe, eine plastische-chirurgische Straffungsoperation. Damit komme der Leitlinie schon nach ihrem Selbstverständnis keinerlei rechtliche Bindungswirkung zu; sie habe einen auf den Einzelfall und die jeweilige medizinische Indikation abstellenden reinen Empfehlungscharakter.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten des SG und des Senats sowie die Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe
1. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) entscheidet, ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §§ 105, 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Denn mit dem Begehren der Klägerin auf Übernahme der Kosten für eine operative Behandlung wird der Beschwerdewert von mehr als 750,00 € zweifellos erreicht.
2. Gegenstand des Rechtsstreits ist das Begehren der Klägerin auf Gewährung einer stationären Behandlung zur Durchführung einer Mammareduktionsplastik beidseits als Sachleistung, wobei sie im Berufungsverfahren vorrangig eine Zurückverweisung an das SG zur Sachentscheidung begehrt. Streitbefangen ist die ursprüngliche Leistungsablehnung durch den Bescheid vom 3. Januar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. April 2022 (§ 95 SGG).
3. Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet, weder im Hinblick auf ihren Haupt- noch den Hilfsantrag. Die Voraussetzungen einer Zurückverweisung an das SG liegen nicht vor. Das SG hat die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässige Klage darüber hinaus auch zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. April 2022 ist insoweit rechtmäßig, als die Beklagte es – neben der Bewilligung der Abdominalplastik und der Oberschenkelstraffung beidseits – ablehnt hat, der Klägerin auch die beantragte Mammareduktionsplastik als Sachleistung zu gewähren. Insoweit verletzt der angefochtene Bescheid die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Sache war nicht an das SG zurückzuverweisen, da kein Fall vorliegt, in dem eine Zurückverweisung in Betracht kommt. Nach § 159 Abs. 1 SGG kann das LSG durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn (1.) dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, (2.) das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Das SG wies weder die Klage ab, ohne in der Sache selbst zu entscheiden (Nr. 1), noch leidet das Verfahren im Sinne der Nr. 2 an einem wesentlichen Mangel, wobei auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme unterblieb. Eine Beweisaufnahme ist nicht erforderlich, insbesondere ist die Einholung eines Gutachtens nicht notwendig. Auch lagen die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheids gemäß § 105 Abs. 1 SGG vor.
Nach dem Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung hat die Klägerin keinen Anspruch auf Durchführung der beanspruchten stationären Operation zu Lasten der Beklagten.
a) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V). Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre oder stationsäquivalente Behandlung durch ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf (stationäre) Behandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind, das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.
Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2023 - B 1 KR 7/22 R - juris, Rn. 24; Urteile vom 27. August 2019 - B 1 KR 37/18 R - juris, Rn. 8, und vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 30/15 R - juris, Rn. 22; Senatsurteile vom 9. November 2018 - L 4 KR 1540/17 - juris, Rn. 30, und vom 31. Mai 2017 - L 4 KR 4101/16 - juris, Rn. 29, jeweils m.w.N.). Nicht Gegenstand des Anspruchs auf Krankenbehandlung sind ästhetische Operationen, die weder auf einer Entstellung noch einem sonstigen kurativen Behandlungsgrund beruhen (BSG, Urteil vom 27. August 2019, a.a.O, Rn. 9).
b) In Anwendung dieser Maßstäbe liegt bei der Klägerin im Bereich der Brüste keine eine Operation rechtfertigende Krankheit im Rechtssinne vor.
Bei der Klägerin besteht nach einer Magenbypass-Anlage im Jahr 2017 und einem Gewichtsverlust von 85 kg eine Ptosis (Hängebrust) beidseits, die W1 und C1 mit dem Grad III und S1 mit dem Grad II-III qualifizierten. Dies entnimmt der Senat dem Attest des W1 vom 15. November 2021, dem Arztbrief der C1 vom 30. November 2022 und dem sozialmedizinischen Gutachten des S1 vom 27. Dezember 2021, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden konnte (vgl. etwa BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 29/13 R – juris, Rn. 19; BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51; zur Heranziehbarkeit als gerichtliche Entscheidungsgrundlage: BSG, Beschluss vom 22. Dezember 2021 – B 5 R 175/21 B – juris, Rn. 7; Urteil vom 12. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R – juris, Rn. 13), sowie der Fotodokumentation, die die Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegt hat.
c) Die bei der Klägerin festzustellende Gesundheitsstörung begründet keinen Anspruch auf eine Mammareduktionsplastik mit operativer Entfernung der überschüssigen Haut.
Überschüssige Haut, zum Beispiel an Oberschenkeln, Brüsten und Oberarmen nach einer bariatrischen Operation stellt für sich genommen keinen krankhaften Befund oder einen regelwidrigen Körperzustand dar (Bayerisches LSG, Urteil vom 13. August 2020 - L 4 KR 287/19 - juris, Rn. 34). Die erschlaffte und überschüssige Haut der Klägerin im Bereich der Brüste führt aufgrund ihrer konkreten Ausprägung zu keiner Beeinträchtigung von Körperfunktionen (hierzu aa), keiner orthopädischen (hierzu bb) und keiner therapieresistenten dermatologischen Erkrankung (hierzu cc). Sie entfaltet keine entstellende Wirkung (hierzu dd). Auch eine psychische Belastung aufgrund des Erscheinungsbildes der Brüste rechtfertigt keinen operativen Eingriff (hierzu ee). Eine behandlungsbedürftige Funktionsstörung kann schließlich auch nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass sich die Erschlaffung des Hautweichteilmantels und der Hautgewebeüberschuss als notwendige Folge der im Jahr 2017 zulasten der Beklagten durchgeführten Magenverkleinerung erweist (hierzu ff), ebenso wenig kann der geltend gemachte Anspruch aus der „S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolische Erkrankungen“ (hierzu gg) hergeleitet werden.
aa) Die Klägerin ist durch die erschlaffte und überschüssige Haut im Bereich der Brüste in ihrer Mobilität und Bewegungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Gegenteiliges lässt sich aus Art und Ausmaß der dokumentierten Hautveränderungen nicht herleiten und wurde von der Klägerin im Laufe des Verfahrens selbst auch nicht behauptet. Sie hat insbesondere auch in ihren im Berufungsverfahren vorgelegten (handschriftlichen) Darlegungen derartige Einschränkungen nicht beschrieben.
bb) Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet werden durch die erschlaffte und überschüssige Haut nicht verursacht. Entsprechende Beeinträchtigungen wurden weder von W1 in seinem Attest vom 15. November 2021 noch C1 in ihrem Arztbrief vom 30. November 2022 angegeben. Passend hierzu wies S1 in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 27. Dezember 2021 nachvollziehbar darauf hin, dass bei der Klägerin keine ausgeprägte Mammahypertrophie oder Gigantomastie vorliegt und die Brustlast nicht als krankheitswertig angesehen werden kann. Entsprechend ist auch nicht von einer mehrgewichtsbedingten Fehlhaltung oder Mehrbelastung der Wirbelsäule auszugehen. Soweit die Klägerin im Rahmen ihrer (handschriftlichen) Ausführungen über Verspannungen in Schultern und Nacken geklagt hat, ist somit schon nicht ersichtlich, dass diese ursächlich überhaupt auf die Hängebrüste zurückzuführen sind und andere Ursachen ausscheiden. Auch in Betracht kommende Behandlungsmöglichkeiten, wie Krankengymnastik hat die Klägerin – so die Ausführungen der Beklagten im Berufungsverfahren – nicht in Anspruch genommen. Eine relevante Bedeutung hat die Klägerin den Verspannungen damit offenbar selbst nicht beigemessen.
Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, die Brust schmerze „nach kurzer Zeit, weil es so nach unter zieht“, ist der Vortrag widersprüchlich zu ihren handschriftlichen Angaben, wonach sie 24 Stunden am Tag einen „Stütz-BH“ trägt. Im Übrigen dürfte dieser Situation durch einen gut sitzenden Büstenhalter begegnet werden können.
cc) Auf dermatologischem Fachgebiet liegen ebenfalls keine Einschränkungen vor, die die von der Klägerin beanspruchte stationäre Operation zur Behandlung der erschlafften und überschüssigen Haut im Bereich der Brüste erforderlich machen würden. Anhaltspunkte für eine therapieresistente Hauterkrankung liegen nicht vor. Entsprechende Beeinträchtigungen hat die Klägerin selbst auch nicht behauptet.
dd) Der erschlafften und überschüssigen Haut im Bereich der Brüste ist auch keine entstellende Wirkung beizumessen. Bei der Klägerin liegt weder im bekleideten noch im unbekleideten Zustand eine Entstellung vor.
Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Abnormität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit auslöst und damit zugleich erwarten lässt, dass Betroffene ständig viele Blicke auf sich ziehen, zum Objekt besonderer Beachtung anderer werden und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen drohen, sodass deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (BSG, Urteil vom 10. März 2022 - B 1 KR 3/21 R - juris, Rn. 16 m.w.N.; Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 35/15 R - juris, Rn. 13 m.w.N.). Ausgehend vom objektiven Krankheitsbegriff kommt es für die Bewertung der Entstellung nicht auf eine subjektive oder persönliche Einschätzung der Betroffenen an. Die Feststellung, dass im Einzelfall Versicherte wegen einer körperlichen Abnormität entstellt sind, ist anhand eines objektiven Maßstabes zu beurteilen und in erster Linie Tatfrage (BSG, Urteil vom 10. März 2022 - B 1 KR 3/21 R - juris, Rn. 16), sodass es einer medizinischen Begutachtung diesbezüglich nicht bedarf (Senatsurteil vom 22. Juli 2022 - L 4 KR 2076/21 - n.v.; Bayerisches LSG, Urteil vom 13. August 2020 - L 4 KR 287/19 - juris, Rn. 47).
Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein: Die körperliche Auffälligkeit muss in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi „im Vorbeigehen“ bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt (BSG, Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 35/15 R - juris, Rn. 14 m.w.N.; bestätigt durch Urteil vom 10. März 2022 - B 1 KR 3/21 R - juris, Rn. 17 f.). Maßgeblich für die Frage der Entstellung ist insoweit regelmäßig der bekleidete Zustand in alltäglichen Situationen (BSG, Urteil vom 10. März 2022 - B 1 KR 3/21 R - juris, Rn. 18; vgl. auch Bayerisches LSG, Urteil vom 13. August 2020 - L 4 KR 287/19 - juris, Rn. 45; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2019 - L 11 KR 1996/18 - juris, Rn. 25; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. April 2019 - L 11 KR 709/17 - juris, Rn. 25; Hessisches LSG, Urteile vom 9. Februar 2017 - L 1 KR 134/14 - juris, Rn. 25, und vom 15. April 2013 - L 1 KR 119/11 - juris, Rn. 22; LSG Hamburg, Urteil vom 17. Juli 2014 - L 1 KR 160/13 - juris, Rn. 25; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23. Mai 2014 - L 5 KR 46/14 B ER - juris, Rn. 7; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. November 2006 - L 4 KR 60/04 - juris, Rn. 24). Diese Rechtsprechung hat das BSG in seinem Urteil vom 10. März 2022 (a.a.O., Rn. 18) fortentwickelt: Eine Entstellung kann danach in eng begrenzten Ausnahmefällen auch an üblicherweise von Kleidung bedeckten Körperstellen möglich sein. Da die gesellschaftliche Teilhabe ganz überwiegend im bekleideten Zustand erfolgt, ist die Erheblichkeitsschwelle jedoch bei Auffälligkeiten im Gesichtsbereich deutlich eher überschritten, als an sonstigen, regelmäßig durch Kleidungsstücke verdeckten Bereichen des Körpers. In diesen Bereichen müssen die Auffälligkeiten deshalb besonders schwerwiegend sein. Erforderlich ist, dass selbst die Offenbarung im privaten Bereich die Teilhabe, etwa im Rahmen der Sexualität, nahezu ausschließen würde. Hierbei ist nicht das subjektive Empfinden der Betroffenen maßgeblich, sondern allein die objektiv zu erwartende Reaktion. Die Auffälligkeit muss evident abstoßend wirken. Diese Erheblichkeitsschwelle wurde in den bislang vom BSG ablehnend entschiedenen Fällen (vgl. die Aufzählung a.a.O.) nicht erreicht. In diesem Zusammenhang hat das BSG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Gleiches in aller Regel auch für Hautüberschüsse gilt, wie sie etwa nach einem erheblichen Gewichtsverlust infolge einer strengen Diät oder einer bariatrischen Operation verbleiben können (a.a.O., Rn. 18 m.w.N.).
In Anwendung dieser Maßstäbe entfaltet das überschüssige Hautgewebe bei der Klägerin keine entstellende Wirkung. Die Brüste sind üblicherweise durch Kleidung bedeckt und können durch das Tragen eines gut sitzenden Büstenhalters und geeignete Kleidung kaschiert werden. Nach Auswertung der Fotodokumentation sieht der Senat keinen Grund für die Annahme, dass dies bei der konkreten Ausprägung der Hautveränderungen der Klägerin nicht möglich sein sollte.
Auch unter Berücksichtigung der Fortentwicklung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10. März 2022 - B 1 KR 3/21 R - juris, Rn. 18) folgt nichts Anderes. Ein eng begrenzter Ausnahmefall, wonach eine Entstellung auch an üblicherweise von Kleidung bedeckten Körperstellen möglich sein kann, liegt nicht vor. In diesen Bereichen müssen die Auffälligkeiten besonders schwerwiegend sein, was vorliegend nicht der Fall ist. Eine evident abstoßend wirkende Auffälligkeit liegt nach der eingereichten Fotodokumentation nicht vor. Insofern geht der Senat unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung des BSG, wonach bei Hautüberschüssen, wie sie etwa nach einem erheblichen Gewichtsverlust infolge einer strengen Diät oder einer bariatrischen Operation verbleiben können, die Erheblichkeitsschwelle in aller Regel nicht überschritten ist, davon aus, dass vorliegend diese Grenze nicht überschritten ist und mithin kein Ausnahmefall vorliegt.
ee) Soweit ihr Aussehen für die Klägerin eine psychische Belastung darstellt, rechtfertigt auch dies keinen operativen Eingriff zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Psychische Leiden können einen Anspruch auf eine operative Straffung der Brüste grundsätzlich nicht begründen. Die Krankenkassen sind weder nach dem SGB V noch von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Selbst bei einer hochgradigen akuten Suizidgefahr kann ein Versicherter regelmäßig lediglich eine spezifische Behandlung mit den Mitteln der Psychiatrie beanspruchen, nicht aber Leistungen außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Operationen am - krankenversicherungsrechtlich gesehen - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, sind nicht als „Behandlung“ im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V zu werten, sondern vielmehr der Eigenverantwortung der Versicherten zugewiesen. Dies beruht in der Sache vor allem auf den Schwierigkeiten einer Vorhersage der psychischen Wirkungen von körperlichen Veränderungen und der deshalb grundsätzlich unsicheren Erfolgsprognose sowie darauf, dass Eingriffe in den gesunden Körper zur mittelbaren Beeinflussung eines psychischen Leidens mit Rücksicht auf die damit verbundenen Risiken einer besonderen Rechtfertigung bedürfen. Denn damit wird nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern es soll nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits erreicht werden (BSG, Urteil vom 10. März 2022 - B 1 KR 3/21 R - juris, Rn. 22 m.w.N.; Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 35/15 R - juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R - juris, Rn. 18; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R - juris, Rn. 17).
ff) Eine behandlungsbedürftige Funktionsstörung kann auch nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass sich die Erschlaffung des Hautweichteilmantels und der Hautgewebeüberschuss als notwendige Folge der im Jahr 2017 zulasten der Beklagten durchgeführten Magen-Bypass-Operation erweist, deren operative Beseitigung gleichermaßen von der Beklagten zu leisten wäre. Dem steht bereits entgegen, dass die überschüssige Haut aufgrund des Gewichtsverlustes nach der bariatrischen Operation für sich genommen keine Krankheit darstellen (so auch Bayerisches LSG, Urteile vom 13. August 2020 - L 4 KR 287/19 - und 4. Dezember 2018 - L 20 KR 406/18 -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. März 2017 - L 5 KR 3624/16 -; Hessisches LSG, Urteil vom 15. April 2013 - L 1 KR 119/11 -). Soweit das Sächsische LSG in seinem Urteil vom 31. Mai 2018 (a.a.O.) unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 8. März 2016 - B 1 KR 35/15 R - (zum Brustaufbau nach operativer Entfernung eines Mammakarzinoms) eine abweichende Auffassung vertreten hat, überzeugt dies den Senat nicht. Denn während in dem höchstrichterlich entschiedenen Fall gerade der Zustand des Körperteils, der durch einen operativen Eingriff deformiert worden ist, durch einen weiteren Eingriff wiederhergestellt werden sollte, betreffen im vorliegenden Fall der bariatrische Eingriff in den Magen und die begehrte Hautstraffung an den Brüsten völlig unterschiedliche Körperteile und Funktionssysteme. Ziel der im Jahr 2017 bei der Klägerin durchgeführten Magen-Bypass-Operation war die Herbeiführung eines Gewichtsverlusts zur Behandlung einer Adipositas. Die Wiederherstellung des körperlichen Zustandes vor dem Gewichtsverlust ist aber gerade nicht Ziel der von der Klägerin begehrten operativen Eingriffe in intaktes Hautgewebe (vgl. auch Senatsurteil vom 22. Juli 2022 - L 4 KR 2076/21 - n.v.; Hessisches LSG, Urteil vom 2. Mai 2024 – L 1 KR 247/22 –).
gg) Ein Anspruch auf die begehrte stationäre Behandlung zur Durchführung einer Mammareduktionsplastik lässt sich schließlich auch nicht aus der „S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolische Erkrankungen“ herleiten. Adressaten der Leitlinie sind Chirurgen, die adipositaschirurgische oder metabolische Eingriffe vornehmen, Ärzte mit Spezialisierung in der Behandlung der Adipositas und metabolischer Störungen (vor allem entsprechend spezialisierte Internisten) sowie assoziierte Berufsgruppen wie Ernährungsfachkräfte und Mental Health Professionals. Zudem soll die Leitlinie als Information für Diabetologen, Endokrinologen, Hausärzte oder Psychiater etc. dienen, aber auch interessierten Patienten oder Entscheidungsträgern bei Krankenkassen zur Verfügung stehen. Die Leitlinie soll ein Instrument zur Optimierung der Behandlung von Adipositas und metabolischen Erkrankungen (hier insbesondere Diabetes mellitus Typ 2) darstellen (vgl. „S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolische Erkrankungen“, AWMF Leitlinien-Register, Registernummer 008-001, Einleitung S. 9). Eine Bindungswirkung im Sinne einer rechtlichen Verpflichtung der Beklagten, im Einzelfall der Klägerin die begehrte Mamareduktionsplastik als Sachleistung zu gewähren, lässt sich hieraus nicht herleiten.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
6. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 1314/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3281/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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