L 5 KR 294/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 60 KR 658/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 294/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Übernimmt eine Apotheke aufgrund einer Vereinbarung mit dem verordnenden Arzt die Überlassung des Substitutionsmittels an den Patientin zum unmittelbaren Verbrauch (sogenannter Sichtbezug), kann die Gebühr nach § 7 Arzneimittelpreisverordnung nur einmal bei der Einlösung des Rezepts und nicht bei jeder Abgabe zum unmittelbaren Verbrauch abgerechnet werden.

 

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 10.06.2022 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist, ob die Klägerin die Gebühr aus § 7 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) im Fall der sog. Sichtvergabe eines Substitutionsmittels für jedes tatsächliche Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch in der Apotheke geltend machen darf oder ob die Gebühr nur einmal pro Verordnung geltend gemacht werden kann.

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer OHG eine Apotheke in A. Sie wird im Verfahren durch ihre Gesellschafter vertreten (§ 125 Handelsgesetzbuch). Sie übernimmt nach personenbezogener Vereinbarung mit einem Suchtmediziner gemäß § 5 Abs. 10 Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV), im Verfahren beispielhaft vorgelegt für den Zeitraum 08.03.2021 bis 12.03.2021, die tägliche Versorgung der Patienten mit Substitutionsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in dessen Auftrag und unter seiner Verantwortung. Die Vergabe an Sonn- und Feiertagen findet weiterhin in der Praxis statt.

Mit Schreiben vom 05.12.2018 informierte die Beklagte die Klägerin, dass die Abrechnung für den Monat April 2018 geprüft worden und zu berichtigen sei. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Gebühr nach § 7 AMPreisV (BtM-Gebühr) von jeweils 2,91 €, die von der Klägerin für jeden Sichtbezug abgerechnet worden ist. Entsprechende Beanstandungen erfolgten für den Mai 2018 und Juni 2018.

Die Klägerin legte gegen die Kürzung der BtM-Gebühr mit Schreiben vom 08.12.2018 Einspruch ein. Sowohl im Rahmen der Take-Home-Versorgung als auch beim Sichtbezug in der Apotheke vor Ort ergebe sich für jeden tatsächlichen Abgabevorgang eine Nachweispflicht, die das Recht zur Erhebung des BtM-Zuschlages nach sich ziehe. Im Falle einer Mischverordnung verhalte es sich entsprechend.

Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass die BtM-Gebühr lediglich einmal pro verordnetem Arzneimittel abgerechnet werden könne und dass damit alle mit der Abgabe verbundenen Dokumentationsverpflichtungen abgegolten seien.

Nachdem keine Einigung erzielt werden konnte, hat die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 28.02.2019 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Seit Oktober 2017 würden neue Regeln zur Substitution gelten und Substitutionspatienten könnten jetzt selbst mit einem BtM-Rezept für den Sichtbezug in die Apotheke kommen. Wenn eine Sichtvergabe vom Arzt verordnet sei, könnten die Substitutionspatienten das Substitutionsmittel unmittelbar in der Apotheke verbrauchen. Die Klägerin nehme an der Sichtvergabe von Substitutionsmitteln an den Patienten teil. Bei der Abrechnung gegenüber der Beklagten mache sie für jede Abgabe des Substitutionsmittels im Rahmen der Sichtvergabe in ihrer Apotheke die sogenannte BtM-Gebühr aus § 7 AMPreisV in Höhe von 2,91 € geltend, für die Abgabe für den Home-Bedarf jedoch nur einmalig. Dass dies rechtmäßig sei, werde bereits durch den Wortlaut von § 7 AMPreisV gestützt, der auf "die Abgabe eines Betäubungsmittels" und nicht auf die Verordnung abstelle. Dies sei im Übrigen nach Sinn und Zweck der Regelung auch logisch. Durch die neu eingeführte Sichtvergabe von Substitutionsmitteln direkt in der Apotheke sei den Apotheken ein Mehraufwand entstanden, da sie jede BtM-Vergabe in ihrer Apotheke dokumentieren und kontrollieren müssten. Genau hierfür gebe es die Gebühr aus § 7 AMPreisV. Da davon auszugehen sei, dass die Beklagte auch in Zukunft eine Retaxierung vornehmen werde, habe die Klägerin ein Interesse daran, dass auch für zukünftige Abrechnungen festgestellt werde, dass die Beklagte verpflichtet sei, für jede tatsächliche Abgabe eines Betäubungsmittels die BtM-Gebühr zu bezahlen.

Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass es sich bei der BtM-Gebühr, die mit dem Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken in § 7 AMPreisV auf 4,26 € angehoben worden sei, um einen pauschalen Abgeltungsbetrag für den speziellen Dokumentationsaufwand bei Zu- und Abgang eines Betäubungsmittels in der Betäubungsmittelkartei oder den Betäubungsmittelbüchern der Apotheke handle, der nur einmalig für jedes Rezept gezahlt werde. Auch wenn das verschriebene Präparat nur in Teilmengen an den Versicherten abgegeben werde und die jeweiligen Restmengen noch bis zur endgültigen Aushändigung in der Obhut der Apotheke verblieben, erfolge die Ausbuchung aus dem Bestand der Apotheke zum Zeitpunkt der Belieferung der ersten Teilmenge des Rezepts und die gesamte verordnete Arzneimittelmenge werde (auch räumlich vom Apothekenbestand getrennt) dem entsprechenden Patienten zugeordnet (§ 13 Abs. 1 Satz 1-3 BtMVV). Auf dem Betäubungsmittelrezept werde dann der erste Tag der Aushändigung im Feld "Abgabedatum" vermerkt. Im Fall des sog. Sichtbezugs erfolge die Abgabe des verordneten Substitutionsmittels von der Apotheke direkt an die Arztpraxis, die für die unmittelbare Überlassung des Substitutionsmittels an den Patienten und für die durch den Arzt durchzuführende Dokumentation eine Vergütung nach dem sog. Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) erhalte. Soweit nach § 5 Abs. 10 Satz 2 Nr. 2 BtMVV die Sichtvergabe vom Arzt auf die Apotheke delegiert werde, die statt des Arztes die Vor-Ort-Einnahme des Substitutionsmittels durch den Patienten überwache, erfolge die Abgabe des Substitutionsmittels trotzdem an den verordnenden Arzt, der rechtlich gesehen Verfügungsinhaber des Substitutionsmittels bleibe. Bei den damit verbundenen zusätzlichen Nachweispflichten in Form des patientenbezogenen Nachweises des Verbleibs (§ 13 Abs. 1 Satz 4 BtMVV) handle es sich um eine gesondert vertraglich zu vereinbarende Leistung des jeweiligen Apothekers, die ansonsten dem verabreichenden Arzt obliegen würde. Für diesen Dokumentationsaufwand habe die Apotheke sich vom Arzt honorieren zu lassen. Dazu diene auch der zuvor zwingend abzuschließende Vertrag mit dem Arzt. Andernfalls werde diese Dienstleistung mit der Krankenkasse mehrfach abgerechnet.

Die Klägerin hat in weiteren Schriftsätzen die Auffassung vertreten, dass die von der Beklagten aufgezeigte theoretische Möglichkeit einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Arzt und Apotheker, die tägliche Gabe von Substitutionsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch gegen Vergütung zu delegieren, praktisch nicht durchführbar sei. Kein Arzt werde von seiner Vergütung nach EBM an den Apotheker etwas abgeben. Es könne nicht von privatrechtlichen Vereinbarungen abhängen, ob der Apotheker seinen Dokumentationsaufwand vergütet bekomme oder nicht. Im Übrigen ändere die theoretische Möglichkeit einer Vereinbarung zwischen Arzt und Apotheker nichts am eindeutigen Wortlaut von § 7 AMPreisV, der auf den Dokumentationsaufwand abstelle, der vergütet werden müsse. Daher handle es sich auch nicht um eine Umwidmung.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.06.2022 hat das Sozialgericht nach Anhörung der Beteiligten die Klage abgewiesen. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei eröffnet, die Klage sei als Leistungsklage statthaft, soweit die Erfüllung eines Zahlungsanspruchs begehrt werde, im übrigen als Feststellungsklage. Die streitigen Retaxierungen seien zu Recht erfolgt, da die Klägerin im Rahmen der Sichtvergabe nicht für jedes Überlassen eines Substitutionsmittels zum unmittelbaren Verbrauch in der Apotheke eine Gebühr nach § 7 AMPreisV von der Beklagten verlangen dürfe. Auch bei der Sichtvergabe durch die Apotheke erfolge die Abgabe des Substitutionsmittels, also der verordneten Gesamtmenge, zumindest theoretisch an den substituierenden Arzt, der gemäß § 5 Abs. 10 Satz 5 BtMVV die benötigten Substitutionsmittel unter seiner Verantwortung in der Apotheke lagern könne. Dabei treffe die betäubungsmittelrechtliche Nachweispflicht nach § 13 Abs. 1 Satz 1-3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BtMVV unabhängig von der Art der Vergabe den Apotheker, die patientenindividuelle Nachweispflicht nach § 13 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BtMVV entweder den substituierenden Arzt oder nach Delegation die Apotheke. Dazu müssten die an den Patienten abgegebenen Teilmengen chronologisch notiert werden, wofür der Arzt eine Vergütung nach EBM erhalte. Die "Abgabe" und das "Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch" seien auch dann voneinander zu trennen, wenn die Sichtvergabe nach Delegation in der Apotheke erfolge, wobei die Gebühr nach § 7 AMPreisV für alle Arten der Abgabe von Substitutionsmitteln nur einmalig anfalle. Wie anschließend die Weitergabe an den Patienten erfolge, sei nicht relevant. Allerdings erhalte bei allen Fällen der Sichtvergabe der substituierende Arzt die Verfügungsgewalt über das Substitutionsmittel, auch wenn dieses nach Delegation bzw. in Verantwortung des substituierenden Arztes dem Apotheker überlassen werde. Würde man der Rechtsansicht der Klägerin folgen, so würde § 7 AMPreisV in unzulässiger Weise erweitert und der Apotheker würde für die durch den Arzt an ihn delegierte Aufgabe, für die dieser nicht nach der AMPreisV, sondern nach EBM eine Vergütung erhalte, zusätzliche Gebühren erhalten. Diesen Mehraufwand müsse der substituierende Arzt vergüten, der sich durch die Delegation an die Apotheke Zeit und Personalkosten spare. Der Gesetzgeber habe ebenfalls keine Vergütung dieses delegationsbedingten Mehraufwands über die BtM-Gebühr nach § 7 AMPreisV vorgesehen, was auch durch die Begründung zur "Dritten Verordnung zur Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung" gestützt werde.

Am 12.07.2022 hat die Klägerin Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt. Sie hat erneut auf den Wortlaut von § 7 AMPreisV hingewiesen, wonach der Betrag von 2,91 € bei der Abgabe des Betäubungsmittels und nicht bei der Verordnung anfalle, also auch, wenn eine ärztliche Verordnung die mehrfache Abgabe in der Apotheke vorsehe. Die Überlegungen zur Vergütung durch den delegierenden Arzt seien praxisfremd und berücksichtigten nicht die Tatsache, dass es nicht von privatrechtlichen Vereinbarungen abhänge, ob der Dokumentationsaufwand vergütet werde.

Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, die Klägerin unterscheide rechtsfehlerhaft nicht zwischen der Abgabe eines Arzneimittels und der Überlassung des Betäubungsmittels zum unmittelbaren Verbrauch in Anwesenheit von medizinischem, pharmazeutischem oder pflegerischem Personal ohne Erlangung der Verfügungsbefugnis. Die streitige Gebühr entlohne nicht das Abteilen von Teilmengen oder den Abgabevorgang an sich, sondern lediglich die Dokumentation des Verbleibs des Betäubungsmittels bei der Abgabe. Soweit die Ärzte bei der Delegation nicht auch die dafür vorgesehene Vergütung weitergeben, müsse nicht die Versichertengemeinschaft dafür aufkommen, dass sich die Apotheken hier nicht durchsetzten.

Auf Hinweis des Gerichts, dass die Feststellungsklage nicht als statthaft angesehen werde, weswegen angeregt werde, entweder alle streitigen Abrechnungen vorzulegen und den Antrag insgesamt zu beziffern oder das Verfahren auf das bisher bezifferte 2. Quartal 2018 zu begrenzen und die Klage im Übrigen abzutrennen und ruhend zu stellen, haben sich die Beteiligten mit letzterem Verfahren einverstanden erklärt.

Auf Anforderung des Gerichts ist von der Beklagten noch der für das Jahr 2018 maßgebende Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern (AV-Bay) 2016 vorgelegt worden, ferner der Vertrag über die Abrechnung des Sichtbezugs in Apotheken, der zum 01.10.2024 in Kraft getreten ist. Darin haben sich die Beteiligten, der Bayerische Apothekenverband e.V. und Landesverbände der Krankenkassen in Anlehnung an EBM-Ziffer 01950 auf eine Zahlung von derzeit 5,49 € je Einzeldosis geeinigt, wenn der substituierende Arzt/Ärztin seinerseits kein Honorar für den Sichtbezug geltend mache, was in der Vereinbarung zu regeln sei (§ 2 Abs. 2 Satz 3 und §§ 5,6 der Vereinbarung).

In der mündlichen Verfahren ist die auf Zahlung weiterer Gebühren ab 01.07.2018 gerichtete Klage abgetrennt worden.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 10.06.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 349,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber unbegründet, da es für die Zahlung weiterer Gebühren an die Klägerin in Höhe von 349,20 € im 2. Quartal 2018 an einer Rechtsgrundlage fehlt. Die Beklagte hat zu Recht in Höhe von 349,20 € eine Retaxierung vorgenommen.

1.
Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass die Beteiligten die Berufung in der mündlichen Verhandlung auf einen Betrag von 349,20 € nebst Zinsen und damit einen unterhalb des Berufungsstreitwerts liegenden Betrag begrenzt haben. Maßgebend für die Frage der Statthaftigkeit der Berufung ist die Beschwer im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung. Nachfolgende Abtrennungen oder das Ausklammern eines Teils des Streitgegenstandes sind für die Frage der Zulässigkeit unerheblich (BSG, Urteil vom 26.01.2006 - B 3 KR 4/05 -). Vorliegend hat das Sozialgericht über die seit 01.07.2018 noch streitigen Forderungen im Wege der Feststellungsklage entschieden und damit in der Sache über Abrechnungen bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und darüber hinaus. Die erforderliche klarstellende Nachholung der konkreten Bezifferung stellt eine jederzeit zulässige Klageänderung dar und kann auch im abgetrennten Verfahren noch erfolgen.

Die Klägerin macht die streitigen Vergütungsansprüche zulässig im Wege der allgemeinen Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG geltend (BSG in ständiger Rechtsprechung, zuletzt im Urteil vom 20.12.2018 - B 3 KR 6/17 R -, SozR 4-2500 § 129 Nr. 14). Danach führt die vom Gesetzgeber für die nichtärztlichen Leistungserbringer im Allgemeinen vorgesehene vertragliche Regelung der Rechtsverhältnisse zu den Krankenkassen im Kern zu einer Gleichordnung, die den Erlass von Verwaltungsakten und in prozessualer Hinsicht die Erhebung einer Anfechtungsklage ausschließt (Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 129 SGB V (Stand: 08.10.2024), Rn. 105). Die Versicherten sind zu einem zwischen Apotheke und Krankenkasse geführten Rechtsstreit über Vergütungsansprüche nicht nach § 75 Abs. 2 SGG notwendig beizuladen (BSG, Urteil vom 17.01.1996 - 3 RK 26/94 -, BSGE 77, 194-209, SozR 3-2500 § 129 Nr. 1).

2.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Denn die Beklagte durfte die Zahlungen in der geltend gemachten Höhe von den Rechnungen der Klägerin einbehalten bzw. retaxieren (BSG, Urteil vom 20.12.2018, a.a.O.). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Vergütung der Arzneilieferungen für die Monate April, Mai und Juni 2018 unter Ansatz einer Gebühr von 2,91 € für jede Abgabe von Substitutionsmitteln im Rahmen der täglichen Sichtvergabe in der Apotheke. Die Abgabegebühr gemäß § 7 AMPreisV kann für jede der eingereichten Verordnungen nur einmal in Ansatz gebracht werden. Insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG zunächst auf die Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen. Ergänzend wird ausgeführt:

2.1.
Der Apotheker übernimmt für die Krankenkassen die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln. Dafür steht ihm im Gegenzug ein Anspruch auf Vergütung zu. Dieser ergibt sich aus § 129 Abs. 1 SGB V i.V.m. dem nach § 129 Abs. 2 SGB V abzuschließenden Rahmenvertrag, hier in den Fassungen ab dem 30.09.2016, zuletzt in der Fassung vom 01.10.2021 mit weiteren Änderungen. Vorliegend gilt für die Beteiligten außerdem der ebenfalls auf der Grundlage von § 129 Abs. 2 SGB V landesrechtlich vereinbarte AV-Bay, hier in der Fassung vom 01.06.2016. Weitere für das Verfahren relevante vertragliche Regelungen bestehen bezogen auf den streitigen Zeitraum nicht.

Nach § 6 Abs. 1 des Rahmenvertrags nach § 129 Abs. 2 SGB V entsteht der Vergütungsanspruch des Apothekers durch die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht mit Belieferung einer ordnungsgemäßen gültigen vertragsärztlichen Verordnung. Neben der auf Verbandsangehörigkeit oder Beitritt des Apothekers beruhenden Geltung des Rahmenvertrags setzt der Vergütungsanspruch voraus, dass der Apotheker die für die Abgabe von Arzneimitteln allgemein geltenden Vorschriften (Apothekengesetz und Arzneimittelgesetz mit den auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen) ordnungsgemäß eingehalten hat.

Der Preis für ein Arzneimittel soll grundsätzlich auch den Aufwand des Apothekers für ergänzende Leistungen wie Beratung und Information der Versicherten abgelten, sofern nicht ausdrücklich eine gesonderte Vergütung vorgesehen ist, wie beispielsweise seit dem Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken vom 09.12.2020 in § 129 Abs. 5g SGB V für die Lieferung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an die Versicherten bzw. zuvor nach § 4 der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung vom 20.04.2020 (BAnz AT 21.04.2020 V1; damals noch 5 € je Lieferort und Tag). Auch die streitige BtM-Gebühr wurde damit auf 4,26 € angehoben. Für andere durch das Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken eingeführte ergänzende pharmazeutische Dienstleistungen gibt es - wie für den streitigen Sichtbezug - weiterhin keine Vergütungstatbestände, da der Gesetzgeber deren Einführung den Vertragspartnern nach § 129 Abs. 2 SGB V im Rahmen der Selbstverwaltung übertragen hat (BT-Drs. 19/21732, Seite 23). Allerdings enthält auch der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V keine entsprechende Regelung, weswegen eine andere Rechtsgrundlage als § 7 AMPreisV nicht in Betracht kommt.

2.2.
Die Höhe der von den Krankenkassen für Arzneimittel zu zahlenden Preise sind im Wesentlichen im Arzneimittelgesetz (AMG) und der auf der Grundlage von § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AMG ergangenen AMPreisV geregelt. Auch § 6 Abs. 3 Satz 1 des Rahmenvertrags verweist für die Höhe der Vergütung auf die gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen. Für verschreibungspflichtige Arzneimittel gilt das auf der Grundlage des Arzneimittelgesetzes erlassene Preisrecht unmittelbar, für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel kraft Verweises in § 129 Abs. 5a SGB V (zum ganzen Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 129 SGB V (Stand: 08.10.2024), Rn. 74ff.).

§ 1 AMPreisV differenziert außerdem zwischen der Festlegung von Preisspannen und Preisen für "Fertigarzneimittel" (Abs. 1) und für "in Apotheken hergestellte", apothekenpflichtige Arzneimittel (Abs. 2). Bei dem streitgegenständlichen Substitutionsmittel L-Polamidon handelt es sich um ein Arzneimittel im Sinne von § 1 Abs. 2 AMPreisV, das nur auf ärztliche Verordnung abgegeben wird (§ 43 Abs. 3 AMG) und das, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, unter Beifügung von Wasser "in der Apotheke hergestellt" wird, bei anderen Substitutionsmitteln (Methadon) dagegen um Fertigarzneimittel, die bereits im Voraus hergestellt werden und nicht erst individuell nach Vorlage der ärztlichen Verordnung. In beiden Fällen findet jedoch 7 AMPreisV Anwendung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 AMPreisV).

2.3.
Die Klägerin kann eine höhere Vergütung vorliegend allerdings nicht auf § 7 AMPreisV stützen, da die Regelung keine Vergütungsregelung für den streitigen Sichtbezug enthält, sondern sich lediglich auf die (einmalige) Abgabe des Betäubungsmittels bei der Einlösung der Verordnung bezieht.

Abrechnungsbestimmungen sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und allenfalls unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 22.02.2023 - B 3 KR 7/21 R - juris, Rn. 15; für Krankenhausabrechnungen BSG, Urteil vom 20.01.2021 - B 1 KR 31/20 R - juris, Rn. 21 und für den Arzneimittelbereich BSG, Urteil vom 03.08.2006 - B 3 KR 7/05 R - juris, Rn. 20). Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt.

§ 7 AMPreisV in der hier maßgebenden Fassung vom 04.05.2017 (BSG, Urteil vom 28.09.2010 - B 1 KR 3/10 R -, BSGE 106, 303-313, SozR 4-2500 § 129 Nr. 6) lautet:
"Bei der Abgabe eines Betäubungsmittels, dessen Verbleib nach § 1 Absatz 3 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung nachzuweisen ist, sowie bei der Abgabe von Arzneimitteln nach § 3a der Arzneimittelverschreibungsverordnung können die Apotheken einen zusätzlichen Betrag von 2,91 Euro einschließlich Umsatzsteuer berechnen."

Der Wortlaut nimmt damit auf Nachweis- und Dokumentationspflichten der Apotheke nur insofern Bezug, als er durch die Bezugnahme auf § 1 Abs. 3 BtMVV sowie § 3a AMVV definiert, welche Betäubungsmittel die Gebühr nach § 7 AMPreisV auslösen können. Eine weitere Bezugnahme dahingehend, welche Nachweispflichten die Vergütung auslösen, enthält die Regelung ebensowenig wie eine Regelung dahingehend, was unter einer "Abgabe" im Rechtssinn zu verstehen ist. Allerdings verwenden die Regelungen der BtMVV für die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Sichtbezug ausschließlich die Formulierung, dass dem Patienten das Substitutionsmittel zum unmittelbaren Verbrauch "zu überlassen" ist (vgl. insbesondere § 5 Abs. 10 BtMVV, aber auch § 13 Abs. 1 Satz 4 BtMVV). Das bedeutet, dass der Wortlaut zwischen einer Abgabe und dem Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch differenziert, was gegen die Annahme spricht, dass auch letzteres eine Abgabe im Sinne von § 7 AMPreisV darstellt.

Nichts anderes ergibt sich aus der Gesetzessystematik, wie das Sozialgericht ausführlich und zutreffend dargelegt hat. § 13 Abs. 1 und 2 BtMVV (hier in der vom 14.12.2017 bis 12.07.2018 geltenden Fassung) enthalten Verpflichtungen betreffend den Nachweis von Verbleib und Bestand der Betäubungsmittel in den in § 1 Abs. 3 BtMVV genannten Einrichtungen, darunter auch Apotheken. Diese betreffen zum einen den Verbleib und Bestand der Apotheke (§ 13 Abs. 1 Satz 1 bis 3 BtMVV), zum anderen den patientenbezogen nachzuweisenden Verbleib gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 BtMVV im Falle des Überlassens eines Substitutionsmittels zum unmittelbaren Verbrauch. Dabei richtet sich die Regelung in § 13 Abs. 1 Satz 4 BtMVV durch den Verweis auf § 5 Abs. 7 BtMVV zunächst an den verschreibenden Arzt bzw. an die danach zur unmittelbaren Überlassung befugte Stelle, wobei Apotheken nicht originär, sondern nur auf der Grundlage einer mit dem Arzt zu treffenden schriftlichen Vereinbarung befugt sind (§ 5 Abs. 10 Satz 2 Nr. 2 BtMVV). Diese Vereinbarung muss bestimmen, wie das eingesetzte Personal fachlich eingewiesen wird, mindestens eine verantwortliche Person in der jeweiligen Einrichtung benennen sowie Regelungen über die Kontrollmöglichkeiten durch den substituierenden Arzt enthalten. Der substituierende Arzt darf die benötigten Substitutionsmittel unter seiner Verantwortung in der Apotheke lagern und muss gemäß § 5 Abs. 11 BtMVV die Erfüllung seiner Verpflichtungen gemäß den von der Bundesärztekammer bestimmten Anforderungen dokumentieren. Auch nach der vorliegend beispielhaft vorgelegten Vereinbarung gemäß
§ 5 BtMVV erfolgt die Versorgung der Patienten durch die Klägerin im Auftrag des Arztes und unter seiner Verantwortung, wobei die Vergabe an den Wochenenden weiterhin in der Praxis erfolgt, sofern nicht die Versorgung mit einem sog. Z-Rezept erfolgt (Ziffer 1 Abs. 2 der Vereinbarung).

Diese Unterscheidung spricht dafür, dass nur die originär der Apotheke auferlegte Nachweispflicht gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 bis 3 BtMVV die Gebühr gemäß § 7 AMPreisV auslöst, während die nachfolgende patientenbezogene Nachweispflicht im Zusammenhang mit der Durchführung und Überwachung des Sichtbezugs (§ 13 Abs. 1 Satz 4 BtMVV), die als originär ärztliche Tätigkeit nach den Regelungen des EBM zu vergüten ist, auch im Falle der Delegation auf die Apotheke als zusätzliche Dienstleistung nicht von der Regelung in § 7 AMPreisV erfasst ist. Auch die weiteren zur Sichtvergabe zugelassenen Stellen sind darauf angewiesen, einen etwaigen Mehraufwand im Rahmen der für sie geltenden Vergütungsregelungen geltend zu machen.

Ein Anspruch darauf, dass jegliche Dienstleistung der Apotheke auch vergütet wird, besteht gerade nicht (vgl. auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 29.01.2024 - L 4 KR 3239/21 -, Rn. 26 - 41, juris).

Für diese Auslegung spricht insbesondere auch die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 222/17, Seite 14), die davon ausgeht, dass der zusätzliche Aufwand, der Einrichtungen entsteht, in denen bereits mit Betäubungsmitteln umgegangen wird und für die bereits Pflichten zur Nachweisführung bestehen, wie es bei Apotheken der Fall ist, allenfalls geringfügig und nicht quantifizierbar sei.

Die Vereinbarung über die Abrechnung des Sichtbezugs in Apotheken, die erst zum 01.10.2024 in Kraft getreten ist, findet auf den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum bereits keine Anwendung. Auch rückwirkend ergibt sich hieraus keine andere Auslegung.

Raum für eine die Abrechnungsvoraussetzungen über den Wortlaut hinaus erweiternde Auslegung besteht danach nicht.

Ob und in welcher Höhe der Arzt für seine Tätigkeit eine Vergütung entsprechend den Regelungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) erhält, ist für die vorliegende Entscheidung unerheblich.

Das bedeutet, dass, wie vom Sozialgericht zutreffend dargelegt, nur das Einlösen der Verordnung ("Abgabe") einmalig die Nachweispflichten gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 bis 3 BtMVV und damit die Gebühr gemäß § 7 AMPreisV auslöst, während die nachfolgenden patientenbezogenen Nachweispflichten im Zusammenhang mit der Durchführung und Überwachung des Sichtbezugs (§ 13 Abs. 1 Satz 4 BtMVV) als originär ärztliche Tätigkeit, die nach den Regelungen des EBM zu vergüten ist, auch im Falle der Delegation auf die Apotheke als zusätzliche Dienstleistung nicht von der Regelung in § 7 AMPreisV erfasst sind.

2.4.
Dass die Berechnung der beanstandeten Beträge fehlerhaft erfolgt wäre oder die Retaxierung aus anderen Gründen nicht hätte erfolgen dürfen, wird von der Klägerin nicht vorgetragen und ist auch nicht erkennbar. Insbesondere sind sowohl für die Retaxierung als auch für die Klageerhebung die Fristen des AV-Bay gewahrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Die die streitige Frage der Vergütung für einen Sichtbezug in den Apotheken weiterhin gesetzlich nicht geregelt ist und bisher nur punktuell Vereinbarungen auf Landesebene bestehen, wird eine grundsätzliche Bedeutung gesehen und im Interesse einer höchstrichterlichen Klärung die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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