L 4 R 975/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 49 R 332/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 R 975/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Es wird festgestellt, dass das als Urteil bezeichnete Schriftstück des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.07.2021 keine wirksame Entscheidung über die am 14.03.2019 erhobene und unter dem Aktenzeichen S 49 R 332/19 geführte Klage des Klägers ist.

 

Auf die Berufung des Klägers wird klarstellend das als Urteil bezeichnete Schriftstück des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.07.2021 aufgehoben.

 

Das Sozialgericht entscheidet auch über die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Der Kläger begehrt noch die Feststellung, dass das als Urteil bezeichnete Schriftstück des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.07.2021 keine wirksame Entscheidung über seine Klage ist, mit welcher er in der Sache weiterhin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) – über den 31.01.2017 verfolgt.

 

Der am 00.00.0000 in M. geborene Kläger folgte seinen in Deutschland arbeitenden Eltern im Jahr 0000 und besuchte die deutsche Hauptschule bis zur 9. Klasse. Anschließend machte er eine Ausbildung zum Elektroinstallateur. Er war bis 0000 versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt in Kurzarbeit. Er unterschrieb einen Aufhebungsvertrag und zog im Mai 1999 zurück nach M.. Dort machte er sich gemeinsam mit seiner Ehefrau im Februar 0000 selbstständig mit einem Betrieb für Schwimmbäder, Klimaanlagen und Elektroinstallation. Nach seinen Angaben war der Betrieb bis zum Jahr 0000 erfolgreich. Im November 0000 erkrankte er aufgrund von Vorhofflimmern und Schwindelanfällen. Ende Dezember 00000 stellt er den Betrieb wegen fehlender Wirtschaftlichkeit ein.

 

2011 bis 2013 bezog der Kläger eine Rente des M. Versicherungsträgers wegen Erwerbsunfähigkeit. Ebenso bezog er – ausgehend von einem vom Arzt J. auf dem Vordruck E213 der Europäischen Union erstellten Gutachten vom 24.05.2011 – von 2012 bis 31.01.2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Beklagten. Nach M. Vorschriften war ein Grad der Behinderung von 55 v.H. anerkannt.

 

Im November 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte veranlasste eine Untersuchung durch den M. Versicherungsträger. Der untersuchende Arzt O. bescheinigte dem Kläger am 16.06.2017 in seinem Gutachten (Vordruck E213) eine Erwerbsfähigkeit für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Vollzeit unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen. Dabei legte er die Diagnosen andauerndes Vorhofflimmern, chronisches Schmerzsyndrom, Fibromyalgie, Spondylarthrose, Diskushernie in Höhe D12/L1 ohne Myelopathie und noch nicht näher eingeordnete Thoraxschmerzen im Bereich der Rippen zu Grunde. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 04.09.2017 ab.

 

Den Widerspruch vom 08.01.2018 wies die Beklagte nach einem weiteren – durch den Arzt P. nach Untersuchung am 02.10.2017 erstellten – Gutachten durch Widerspruchsbescheid vom 07.08.2018 zurück.

 

Dagegen hat der Kläger am 14.03.2019 Klage erhoben. Den Widerspruchsbescheid habe er aufgrund einer neuen Anschrift erst am 14.12.2018 erhalten.           Zur Begründung hat er vorgetragen, seine Einschränkungen und Erkrankungen bestimmten, wie und wann er was erledige. Er sehe sich physisch und mental im Alltag sehr eingeschränkt. Die Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates erlaubten ihm nicht, über einen längeren Zeitraum zu stehen oder zu sitzen. Seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten seien verlangsamt. Er hat Arztberichte aus der Zeit vom 10.09.2009 bis 03.03.2019 sowie ein medizinisches Gutachten von T. vom 01.10.2018 vorgelegt, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Die gerichtlichen Sachverständigen hätten seine verschiedenen Krankheiten, die insbesondere auch zu mangelndem Schlaf führten, nicht ausreichend berücksichtigt. Er leide weiter unter Denkschwierigkeiten, nachlassendem Urteilsvermögen, Gedächtnisstörungen, Problemen bei Alltagstätigkeiten, Konzentrationsschwierigkeiten, verlangsamter Reaktionsfähigkeit, psychomotorischer Verlangsamung, Vergesslichkeit und Problemen im Kurz- und Langzeitgedächtnis.

 

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2018 zu verurteilen, ihm ab dem 01.02.2017 weiter Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat sich durch die gerichtlichen Gutachten bestätigt gesehen.

 

Das Sozialgericht (SG) hat von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholen eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Orthopädie L. vom 01.09.2020 nebst Zusatzgutachten (und ergänzender Stellungnahme vom 23.12.2020) der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie W. vom 26.08.2020 nebst. Diese hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 10.08.2020 die Diagnosen Angst und Depression gemischt, Somatisierungsstörung und bekanntes Schlafapnoesyndrom gestellt. Die Arbeitsgeschwindigkeit sei bei sehr guter Sorgfaltsleistung eingeschränkt. Es bestehe eine verminderte Toleranz gegenüber Stress und Zeitdruck sowie häufig wechselnden Anforderungen. Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortungsübernahme oder Anforderungen an besondere Übersicht, an laufenden Maschinen oder mit intensivem Publikumsverkehr seien nicht leidensgerecht. Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Einschränkungen könne der Kläger vollschichtig unter betriebsüblichen Bedingungen einfache Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten. Dies gelte für den gesamten Zeitraum ab Februar 2017.

 

L. hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 11.08.2020 auf orthopädischem Fachgebiet die Diagnosen chronisch-rezidivierende Lumboischialgie mit degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit Chondrose und Osteochondrose, ringförmigen Auswölbungen der Bandscheiben L1/2, L2/3, L4/5 und bekannter Bandscheibenvorfall D12/Lendenwirbelkörper (LWK)1 ohne radikuläre Beteiligung, Zustand nach Operation beider Kniegelenke wegen Meniskus- und Knorpelschäden bei radiologisch nachgewiesene Gonarthrose beidseits, abgerissene Abspreizsehne des rechten Daumens mit leicht-bis mittelgradigen verschleißbedingten Erkrankungen beider Handgelenke, Knick-Senkspreizfuß, Fußdeformität mit Hammerzehenbildung links, aktenkundig insulinpflichtiger Diabetes mellitus sowie Vorhofflimmern mit Einnahme von Blutgerinnungshemmern gestellt. Zusammenfassend könne der Kläger noch leichte Tätigkeiten im ständigen Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen in geschlossenen Räumen oder unter Witterungsschutz verrichten. Zu vermeiden seien Zeitdruck, häufiges Bücken oder Knien, Zwangshaltungen sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten oder mit besonderer Gebrauchsfähigkeit der Hände. Unter Berücksichtigung der qualitativen Einschränkungen könne der Kläger noch sechs Stunden täglich an fünf Tagen der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen tätig sein. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Dies gelte seit dem Jahr 2017.

 

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schreiben vom 19.02.2021 bzw. vom 20.03.2021).

 

Die Kammervorsitzende hat zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern erster Instanz am 09.07.2021 ohne mündliche Verhandlung in der Sache entschieden, die Klage abzuweisen (Protokoll über das Beratungsergebnis mit vollständigem, von allen Richtern unterschriebenen Urteilstenor). Anschließend hat die Kammervorsitzende unter Angabe des Aktenzeichens ein mit „Im Namen des Volkes Urteil“ überschriebenes Schriftstück ohne Angabe der Beteiligten mit dem Klammerzusatz „Bitte volles Rubrum einfügen“, dem Tenor, dem Tatbestand, den Entscheidungsgründen sowie dem Zusatz „RMB: Berufung“ handschriftlich – zwischen ihrem Namen und ihrer Amtsbezeichnung – unterschrieben. Im Anschluss an dieses Schriftstück ist in der Gerichtsakte ein zweites Dokument abgeheftet (Blatt 424 ff), das die vorstehend beschriebenen Elemente enthält, jedoch um das vollständige Rubrum des Verfahrens samt Landeswappen – statt „(Bitte volles Rubrum einfügen)“ – sowie den in der Sozialgerichtsbarkeit Nordrhein-Westfalen verwandten Rechtsmittelbelehrungstext für Auslandsberufungen – statt „RMB: Berufung“ – ergänzt wurde. Unter der Rechtsmittelbelehrung findet sich der Name der Kammervorsitzenden („Y.“), ihre Unterschrift findet sich nicht. Dem Kläger ist am 19.07.2021 – ebenso wie der Beklagten am 13.07.2021 – eine von der Geschäftsstelle erstellte und beglaubigte Abschrift des zweiten Dokuments zugestellt worden.

 

Am 18.10.2021 hat der Kläger Berufunggegen das Urteil vom 09.07.2021“ eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, er leide seit 2009 unter Erkrankungen auf verschiedenen medizinischen Fachgebieten und sei nicht mehr in der Lage, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Im Vordergrund stehe seine psychische Erkrankung, die seines Erachtens mit der kardiologischen Grunderkrankung im Zusammenhang stehe. Er hat eine Bescheinigung über durchgeführte Untersuchungen der B., V., vom 21.02.2023 sowie weitere Unterlagen auf M. vorgelegt, die der Senat hat übersetzen lassen und auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie W. vom 20.05.2024 eingeholt, ausweislich derer sich keine ausreichenden Hinweise auf eine maßgebliche Verschlechterung mit Auswirkungen auf die quantitative Leistungsfähigkeit fänden.

 

Sodann hat der Senat auf die fehlende Unterschrift der Kammervorsitzenden unter dem von der Geschäftsstelle erstellten und den Beteiligten in beglaubigter Abschrift zugestellten Dokument hingewiesen.

 

Daraufhin beantragen die Beteiligten übereinstimmend,

 

festzustellen, dass das als Urteil bezeichnete Schriftstück des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.07.2021 keine wirksame Entscheidung über die am 14.03.2019 erhobene Klage auf Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente über den 31.01.2017 hinaus gegen den Bescheid der Beklagten vom 04.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2018 ist.

 

In der Sache ergeben sich nach Auffassung der Beklagten aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen keine Hinweise auf rentenrelevante, quantitative Leistungsminderungen (sozialmedizinische Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Sozialmedizin K. vom 21.12.2023).

 

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schreiben vom 10.12.2024 und 16.12.2024 erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

 

Die Berufung des Klägers ist bzgl. des zuletzt – ebenfalls von der Beklagten – gestellten Antrags zulässig und begründet. Es ist festzustellen, dass das als Urteil bezeichnete Schriftstück des SG Düsseldorf vom 09.07.2021 keine wirksame Entscheidung über die am 14.03.2019 erhobene Klage darstellt.

 

Das Klageverfahren erster Instanz ist nicht abgeschlossen, denn es fehlt an einem das Verfahren abschließenden Urteil des SG. Die von der Kammervorsitzenden zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern am 09.07.2021 getroffene Entscheidung, die Klage abzuweisen, ist ohne mündliche Verhandlung ergangen und dementsprechend nicht verkündet worden (§ 132 Abs. 2 Satz 1 SGG).

 

Die Verkündung des Urteils ist auch nicht durch Zustellung ersetzt worden (§ 133 Satz 1 SGG). Zugestellt wird dabei grundsätzlich eine (beglaubigte) Abschrift des Urteils. Die Abschrift muss das Urteil vollständig und wortgetreu so wiedergeben, wie es gefällt ist, setzt also eine wirksame Entscheidung voraus. Solange das Urteil nicht unterschrieben ist, dürfen von ihm keine Abschriften erteilt werden (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 317 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung <ZPO>; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 137 Rn. 2; Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 18.05.2015 – B 9 V 73/14 B –, juris, Rn. 6).

 

Vorliegend ist den Beteiligten eine von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG beglaubigte Abschrift des „Urteils" vom 09.07.2021 zugestellt worden. Diese beglaubigte Abschrift entspricht nicht dem von der Kammervorsitzenden unterzeichneten Dokument, sondern ist um Rubrum und Rechtsmittelbelehrung durch die Geschäftsstelle ergänzt. Die Urschrift des Urteils verweist durch die Formulierung „Bitte volles Rubrum einfügen“ und „RMB: Berufung“ auf ein an anderer Stelle der Gerichtsakte vorhandenes Rubrum oder auf die zur Zeit der Erstellung der Abschrift in der Datenverwaltung für das betreffende Aktenzeichen hinterlegten Beteiligtendatensatz sowie auf einen Rechtsmittelbelehrungstext, mithin auf andere Aktenteile oder anderweitig hinterlegte Datensätze, die allerdings nicht genau gekennzeichnet sind. Diejenigen Aktenteile auf die verwiesen wird, sind aber nicht von der Unterschrift der Richterin gedeckt, so dass das Urteil formell fehlerhaft zustande gekommen ist (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht <OLG> Saarbrücken, Urteil vom 26.05.2023 – 1 U 44/22 –, juris, Rn. 26, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.04.2019 – II-3 UF 4/19 –, juris, Rn. 2). Die Anweisungen an eine nachgeordnete, zur Entscheidungsfindung nicht befugte Person (Geschäftsstelle), können die Angaben im Urteil selbst nicht ersetzen, denn diese später – durch die Geschäftsstelle eigenständig – ergänzten Teile werden nicht von der Unterschrift der Kammervorsitzenden gedeckt; die Befolgung bzw. die richtige Ausführung der Anweisung, was sich auch an der von der Geschäftsstelle getroffenen Auswahl eines Rechtsmittelbelehrungstextes für nicht vertretene Beteiligte mit Wohnsitz im Ausland zeigt, der zutreffend eine Dreimonatsfrist enthält, ist durch die Richterin hier nicht kontrolliert worden; die Richterin hat mangels Unterschrift unter dem – um Rubrum und Rechtsmittelbelehrung – ergänzten Schriftstück nicht selbst die Verantwortung übernommen, so dass das „Urteil“ wegen Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 Nr. 1 und 7 SGG formell fehlerhaft ist.

 

Die Fehlerhaftigkeit des „Urteils“ wurde nicht dadurch geheilt, dass seine Abschrift das Rubrum und die Rechtsmittelbelehrung enthalten. Denn deren Funktion beschränkt sich darauf, die Urschrift wortgetreu und richtig wiederzugeben. Da die Abschrift von der Geschäftsstelle veranlasst wird, enthält sie auch keine richterliche Bestätigung und ist folglich allgemein nicht geeignet, den formellen Mangel des „Urteils“ zu heilen (Landessozialgericht <LSG> Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.04.2024 – L 14 R 1046/22 –, juris, Rn. 40, zur Ausfertigung von Beschlüssen: Bundesgerichtshof <BGH>, Beschluss vom 27.06.2003 – IXa ZB 72/03 –, juris, Rn. 18)

 

Ergibt das „Urteil“ – wie hier – nicht, wer die Parteien des Rechtsstreits sind, ist es der materiellen Rechtskraft nicht fähig. In rechtlicher Konsequenz dessen ist das rubrumlose „Urteil“ nach den Grundsätzen des sogenannten Schein- oder Nichturteils wirkungslos und beendet die Instanz nicht (vgl. Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.05.2023 – 1 U 44/22 –, a.a.O., Rn. 27; OLG Hamm, Beschluss vom 04.04.2022 – II-4 UF 75/21 –, juris, Rn. 7; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.04.2019 – II-3 UF 4/19 –, a.a.O., Rn. 3; bei Kurzrubrum bzw. konkreter Bezugnahme vgl. ablehnend OLG Köln, Beschluss vom 23.06.2020 – II-10 UF 60/20 –, juris, Rn. 3; befürwortend BGH, Beschlüsse vom 27.06.2003 – IXa ZB 72/03 –, juris Rn. 21, und vom 16.10. 2007 – VI ZB 65/06 –, juris, Rn. 6; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.12.2023 – L 3 R 195/22 –, juris, Rn. 26).

 

Der Verfahrensmangel kann aufgrund des Zeitablaufs durch das SG auch nicht mehr durch Nachholung der Unterschrift der Kammervorsitzenden unter das von der Geschäftsstelle erstellte Dokument, von dem die beglaubigte Abschrift erstellt und den Beteiligten zugestellt worden ist, geheilt werden. Jedenfalls nach Ablauf von fünf Monaten seit Erlass eines Urteils ist eine Heilung durch Nachholung der Unterschrift nicht mehr möglich (BSG, Beschluss vom 17.12.2015 – B 2 U 150/15 B –, juris, Rn. 10, 11; zur Relevanz einer Fünf-Monatsfrist allerdings aus revisionsrechtlicher Perspektive: Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27.04.1993 – GmS-OGB 1/92 –, juris, Rn. 8: a.A. Steinwedel, jurisPR-SozR 4/2025 Anm. 3). Selbst bei Nachholung der Unterschrift unter dem von der Geschäftsstelle erstellten Dokument und erneuter Zustellung würde das unwirksame (Schein-)Urteil nicht rückwirkend existent, denn was nicht „erzeugt“ wurde, kann durch Heilung nicht „geboren“ werden; eine Rechtsgrundlage für die Einbeziehung des „neuen Urteils“ in das laufende – gegen das Scheinurteil gerichtete – Berufungsverfahren fehlt.

 

Die Nichtexistenz des erstinstanzlichen Urteils ist vom Senat durch die Feststellung der Unwirksamkeit und Aufhebung des den Beteiligten zugegangenen und als „Urteil“ bezeichneten Schriftstückes klarzustellen; das noch nicht abgeschlossene Klageverfahren ist vom SG fortzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 05.12.2005 – II ZB 2/05 –, juris; Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 26. 05.2023 – 1 U 44/22 –, a.a.O., Rn. 27; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.04.2024 – L 14 R 1046/22 –, juris, Rn. 46; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.08.2023 – L 3 R 370/22 –, juris, Rn. 43; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Mai 2012 – L 5 AS 1056/12 B PKH –, juris, Rn. 3).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG; sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Kläger mit seinem Begehren in der Hauptsache bisher nicht durchgedrungen ist und das SG auch über die Kosten noch zu entscheiden haben wird. Bei der erfolgten Feststellung des Vorliegens eines Nichturteils handelt es sich nur um ein unwesentliches Obsiegen, welches von der Beklagten nicht veranlasst worden ist, und daher keine (anteilige) Pflicht zur Kostentragung begründen kann (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 26.04.2024 – L 14 R 1046/22 –, juris, Rn. 49, und vom 09.08.2023 – L 3 R 370/22 –, juris, Rn. 45).

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

 

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