L 8 SF 49/25 AB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 52 R 124/23
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 SF 49/25 AB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Das Gesuch des Klägers, den Richter am Landessozialgericht U. wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Das Befangenheitsgesuch des Klägers, zu dem sich der abgelehnte Richter geäußert hat, er sehe keinen Grund für eine Besorgnis der Befangenheit, hat keinen Erfolg.

Gem. § 60 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Maßgebend ist, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger, objektiver Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Beschl. v. 05.10.2021 – B 12 R 1/21 BH – juris Rn. 7 m.w.N.; BVerfG Beschluss v. 26.02.2014 – 1 BvR 471/10 – juris Rn. 24 m.w.N.). Allein die subjektive Überzeugung oder Besorgnis des Antragstellers, der Richter sei befangen, berechtigt nicht zur Ablehnung. Ebenso unerheblich ist es, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder aber sich selbst für befangen hält (vgl. z.B. BVerfG Beschl. v. 12.01.2021 – 2 BvR 2006/15 – juris Rn. 21 m.w.N.).

 

Nach diesen Maßstäben rechtfertigt sich die Annahme einer Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters U. nicht.

 

Zur Begründung des Ablehnungsgesuchs macht der Kläger geltend, die Beweisanordnung vom 24.02.2024, mit der „der in diesem Gesamtverfahren tief involvierte Gutachter J.“ erneut im Rahmen des § 106 SGG beauftragt werden solle, begründe eine dringende Besorgnis an der Unparteilichkeit des Richters. Gerade jenen Gutachter im Rahmen des § 106 SGG zu beauftragen, der vor fast 10 Jahren das lange Verfahren durch unterlassene Laboruntersuchungen ausgelöst und erklärt habe, die Prognose für den Kläger sei so günstig, dass er in kürzester Zeit ohne Einschränkungen sei und den Z. in seinem Gutachten vom 31.07.2024 in massivster Weise angegriffen habe, mache einen objektiven Betrachter sprachlos. Wer bei der Beauftragung eines Gutachters so verfahre, könne niemandem glaubhaft machen, dass er im konkreten Fall an einer objektiven Sachaufklärung und unbefangenen Beurteilung durch einen neutralen Gutachter interessiert sei. Dies stelle sich als Verfahrensführung zu Lasten des Klägers dar. Es bestehe die weitere Besorgnis, dass durch die sicher zu erwartenden Relativierungen und Rechtfertigungen durch J. die Beweissituation des Klägers verschlechtert werde. Dies zeige sich auch besonders daran, dass trotz massiver substantiiert vorgetragener Bedenken des Z. hinsichtlich der schmerzmedizinischen Expertise des J. dieser einfach erneut beauftragt werde und angeblich zur objektiven Sachaufklärung beitragen solle. Er, der Kläger, weise schon jetzt darauf hin, dass er im Falle eines ablehnenden Beschlusses diese Vorgehensweise gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde als schweren Verfahrensfehler rügen und, sollte das Bundessozialgericht dem nicht folgen, Verfassungsbeschwerde erheben werde.

 

Das Vorbringen des antragstellenden Klägers ist nicht geeignet, an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu zweifeln. Die (alleinige) Rüge der (erneuten) Beauftragung des (schon zuvor im Verfahren tätigen) Sachverständigen genügt nicht, um eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen.

 

Richterliche Handlungen zur Sachverhaltsaufklärung, die – wie die hier erfolgte Beweisanordnung – auf der Untersuchungsmaxime nach § 103 SGG beruhen, sind grundsätzlich nicht geeignet, ein Ablehnungsgesuch zu rechtfertigen. Das Ablehnungsverfahren dient nicht dazu, die Richtigkeit der Verfahrensführung oder der Entscheidungen des zuständigen Richters zu überprüfen (vgl. z.B. LSG Nordrhein-Westfalen Beschl. v. 21.08.2017 – L 2 SF 310/17 AB – juris Rn. 8; BeckOGK/Jung, 01.02.2025, SGG § 60 Rn. 33) und stellt kein Instrument zur vorweggenommenen inhaltlichen Kontrolle richterlicher Maßnahmen wie der vorliegenden Entscheidung, in welcher Form Beweis erhoben werden soll, dar (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 16.03.2012 – L 13 SF 613/11 – juris Rn. 7). Ein Befangenheitsgesuch ist nicht das vorgesehene Mittel, Ermittlungen oder ein sonstiges erwünschtes prozessuales Vorgehen des Gerichts zu erzwingen (vgl. BSG Beschl. v. 08.01.2010 – B 1 KR 119/09 B – juris Rn. 8). Gleichermaßen können derartige Gesuche nicht dazu genutzt werden, vom Richter für erforderlich bzw. sinnvoll gehaltenen Beweiserhebungen auf diesem Weg entgegenzuwirken.

 

Eine Besorgnis der Befangenheit kommt bei der Rüge von etwaigen Rechts- bzw. Verfahrensfehlern lediglich dann in Betracht, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass das behauptete Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muss ohne Weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn der abgelehnte Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken missachtet und Grundrechte verletzt hat oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, dass sich bei dem Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (vgl. z.B. LSG Nordrhein-Westfalen Beschl. v. 29.08.2011 – L 11 SF 255/11 AB – juris Rn. 5 m.w.N.). Eine Besorgnis der Befangenheit kann insbesondere vorliegen, wenn die Umstände Anlass zur Sorge geben, dass ein Richter aus persönlichen oder anderen Gründen auf eine bestimmte Rechtsauffassung schon so festgelegt ist, dass er sich gedanklich nicht mehr lösen kann oder will und entsprechend für Gegenargumente nicht mehr offen ist (vgl. BVerfG Beschl. v. 20.07.2021 – 2 BvE 4/20 –juris Rn. 19)

 

Für eine derartige unsachliche Einstellung des abgelehnten Richters oder für Willkür bestehen vorliegend keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr zeigt der Umstand, dass sich der abgelehnte Richter nach dem klageabweisenden erstinstanzlichen Urteil zu weiteren Sachverhaltsermittlungen von Amts wegen veranlasst gesehen hat, im Gegenteil, dass er hinsichtlich des Beweisergebnisses gerade noch nicht festgelegt ist. Die – wie hier – erneute Befragung eines Sachverständigen, der bereits zuvor im Verfahren tätig war, entspricht gängiger sozialgerichtlicher Praxis und begründet daher grundsätzlich keinen Anlass für eine Voreingenommenheit des die Sache bearbeitenden Richters. Soweit der Kläger im Kern meint, der abgelehnte Berichterstatter habe J. wegen erheblicher Fehler des von diesem Sachverständigen zuvor erstatteten Gutachtens bzw. mangelnder schmerzmedizinischer Expertise nicht (erneut) beauftragen dürfen, verkennt er, dass die Wertung von Inhalt und Qualität der Gutachten sowie gutachterlichen Stellungnahmen allein im Rahmen der vom gesamten Senat durchzuführenden – späteren – Beweiswürdigung vorzunehmen ist. Sollte der Kläger an seiner Kritik auch nach Erhalt und Durchsicht des von J. zu erstattenden Gutachtens festhalten, bleibt es ihm unbenommen, diese dann zu wiederholen bzw. (auch) vor dem Hintergrund, dass J. über die Zusatzbezeichnung „Schmerztherapie“ verfügt, zu vertiefen.

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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