1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Es geht um Leistungen für den Zeitraum 01.10.2019 bis 31.03.2020.
Die Klägerin bezog gemeinsam mit ihrem Ehemann bis zum 30.09.2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten. Zum 14.09.2019 erreichte der Ehemann die Altersgrenze des § 7a SGB II.
Die selbstständig tätige Klägerin beantragte die Weiterbewilligung von Leistungen ab dem 01.10.2019.
Der Beklagte lehnte die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 29.10.2019 ab. Hiergegen legte die Klägerin am 14.11.2019 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2019 zurückwies. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die prognostizierten Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit als Berufsbetreuerin von der Klägerin für die Zeit von Juli 2019 bis Dezember 2019 monatlich 1.350 € betragen hätten, abzüglich der Betriebsausgaben i.H.v. 150 € mithin einem Gewinn von monatlich 1.200 € entspräche. Abzüglich der berücksichtigten Freibeträge des § 11b SGB II läge ein bereinigtes Erwerbseinkommen von 977,50 € vor, das nach vertikaler Verteilung bei der gemischten Bedarfsgemeinschaft den monatlichen grundsicherungsrechtlichen Bedarf der Klägerin i.H.v. 657,04 € überstiegen hätte, so dass eine Hilfebedürftigkeit nicht bestanden habe.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin unter dem 03.01.2020 die vorliegende Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben, und begründet die Klage wie folgt:
Das Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit sei mit einem Jahresdurchschnitt zu bestimmen gewesen, mithin für das gesamte Kalenderjahr 2019. Danach habe sich ein Jahreseinkommen der Klägerin von 2.001,21 € ergeben, mithin ein durchschnittliches monatliches Einkommen von lediglich 166,77 € (vgl. Schriftsatz vom 04.03.2020, Bl. 15 ff. der Gerichtsakte).
Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hat der Beklagte eine Berechnung des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit der Klägerin für die Zeiträume Oktober, November 2019 und Januar bis März 2020 aufgrund der von der Klägerin übermittelten Nachweise vorgenommen und ein monatliches durchschnittliches Einkommen für die Monate Oktober und November i.H.v. 343,67 € und für die Monate Januar bis März ein monatliches durchschnittliches Einkommen i.H.v. 2.191,57 € errechnet (vgl. Schriftsatz vom 22.05.2020, Bl. 21 der Gerichtsakte).
Nachdem zwischen den Beteiligten Unklarheiten über die Berechnung und den anzunehmenden Bewilligungszeitraum bestanden, hat das Gericht mit Verfügung vom 14.12.2020 darauf hingewiesen, dass Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens die Ablehnung von Leistungen durch Bescheid vom 29.10.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2019 für den Bewilligungszeitraum 01.10.2019 bis 31.03.2020 ist. Die Zeiten vor Oktober 2019 und nach März 2020 seien vom Beklagten nicht geprüft worden und mithin auch nicht Bestandteil der ablehnenden streitgegenständlichen Bescheide und des sozialgerichtlichen Verfahrens. Es sei für die Zeit vom 01.10.2019 bis 31.03.2020 für jeden Monat der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei Teilung des Gesamteinkommens in diesem Zeitraum durch die Anzahl der Monate in jedem Zeitraum ergeben habe.
Mit Schriftsatz vom 29.01.2021 hat die Klägerin vorgetragen, dass sie ab dem Januar 2020 keine Leistungen mehr geltend machen würde, da sie ihren Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen habe decken können. Der streitgegenständliche Zeitraum beschränke sich mithin auf die Monate Oktober bis Dezember 2019. Eine Durchschnittsberechnung des Einkommens nach § 41a SGB II scheide aus, da der Leistungsanspruch in mindestens einem Monat entfalle gemäß § 41a Abs. 4 Nr. 2 SGB II. Fraglich sei, ob die jährliche Betrachtungsweise - abweichend vom konkreten Bewilligungszeitraum - nach der Einführung des § 41a SGB II noch möglich sei. Das Einkommen von Selbstständigen habe der Gesetzgeber bei der Neuregelung offensichtlich nicht im Blick gehabt, da die Gesetzesbegründung in keiner Form Stellung zu der Frage nehme, wie das Einkommen von Selbstständigen zu berechnen sei. Dies sei eine planwidrige Gesetzeslücke, so dass der Rechtsgedanke des § 41a SGB II vorliegend in die Auslegung von § 3 der Arbeitslosengeld II-Verordnung / Alg II-VO einfließen müsse (Verweis auf u.a. LSG Berlin-Brandenburg vom 11.05.2020, L 18 AS 732/18).
Mit Schriftsatz vom 08.03.2021 (vgl. Bl. 124 der Gerichtsakte) hat der Beklagte ausgeführt, dass sich nach den vorgelegten Einkommensnachweisen und Einkommensberechnungen des Beklagten für die Zeit von Oktober 2019 bis März 2020 durchschnittliche Betriebseinnahmen in Höhe von monatlich 1.433,54 € und anerkannte durchschnittliche Betriebsausgaben in Höhe von monatlich 245,09 € ergeben würden, so dass sich ein durchschnittlicher Gewinn in Höhe von monatlich 1.188,45 € errechne, abzüglich des Freibetrags für Erwerbstätige ein anrechenbares Einkommen in Höhe von monatlich 889,60 € verbleibe. Aufgrund der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII für den Ehemann ab Dezember 2019 dürfte ein Leistungsanspruch der Klägerin dennoch ausgeschlossen sein.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 29.10.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2019 zu verpflichten, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Durchschnittseinkommens des gesamten Jahres 2019, hilfsweise unter Berücksichtigung eines Durchschnittseinkommens der Monate Oktober 2019 bis Dezember 2019 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die beigezogenen Verwaltungsakte sowie die Akte des Sozialgerichts Kassel.
Entscheidungsgründe
Eine Entscheidung nach § 105 SGG war möglich, da der Sachverhalt geklärt ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Streitgegenständlich war die Leistungsablehnung durch Bescheid vom 29.10.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2019. Der Beklagte hat zutreffend unter Berücksichtigung des von der Klägerin prognostizierten Einkommens Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum (zugleich Bewilligungszeitraum) abgelehnt.
Die Ablehnung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat den Bewilligungszeitraum richtig auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 Satz 2 Alg II-VO i.V.m. § 41 Abs. 3 SGB II bestimmt und ist von einem 6-Monatszeitraum ausgegangen, da im Sinne des § 41 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 41a SGB II vorläufig über den Leistungsanspruch zu entscheiden gewesen wäre, aufgrund prognostiziert schwankenden Einkommens der Klägerin.
Gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 Alg II-VO ist für jeden Monat der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der darin enthaltenen Monate ergibt. Die Klägerin hat die Erwerbstätigkeit auch während des gesamten Bewilligungszeitraums ausgeübt, lediglich Einnahmen in unterschiedlicher Höhe generiert, so dass § 3 Abs. 1 Satz 3 Alg II-VO nicht anzuwenden war.
Zur Überzeugung der Kammer konnte die Klägerin den 6-Monatszeitraum auch nicht durch eine „Abmeldung“ aus dem Leistungsbezug oder einen Verzicht verkürzen. Die gesetzlich vorgegebene Dauer des Bewilligungszeitraums von gemäß § 41 Abs. 1 SGB II regelmäßig 6 Monaten im Sinne eines Verteilzeitraums (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.2008, B 4 AS 29/07 R, juris, Rn. 28) steht nicht zur Disposition des Leistungsempfängers. Ebenso wenig wie sich dieser während eines laufenden Bewilligungszeitraums „abmelden“ kann, um eine zugeflossene Erbschaft zu geschütztem Vermögen (statt zu anrechenbaren Einkommen) werden zu lassen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.11.2010, L 18 AS 1826/08, juris Rn. 23) ist vorliegend eine „Abmeldung“ möglich, um eine Nichtberücksichtigung der im Januar und Februar erzielten (hohen) Einnahmen zu erreichen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.01.2021, L 14 AS 1933/17, juris Rn. 27).
Nach der Rechtsprechung des Vierten Senats des BSG (vgl. BSG vom 24.04.2015, B 4 AS 22/14 R, juris Rn. 21 ff.) steht die Antragstellung nachträglich nur dann zur Disposition, soweit einseitige Rechte und Vergünstigungen des Antragstellenden betroffen sind. Der rechtlich zulässigen Disposition des Antragstellers unterfällt hingegen nicht die nachträgliche Beschränkung des einmal gestellten Antrags, wenn dadurch die materiell-rechtlichen Leistungsvoraussetzungen innerhalb des Antragsmonats zu Gunsten des Antragstellers verändert werden sollen, also durch die Verschiebung der Antragstellung Einkommen in Vermögen umgewandelt werden soll. Hilfebedürftigkeit soll nicht erst durch eine rechtliche Disposition des Antragstellers geschaffen werden können, zumindest, wenn er sich mit dem Antrag als „Türöffner“ bereits innerlich in das Regime des SGB II begeben hat und eine Einnahme nach dem von ihm bestimmten Zeitpunkt des Leistungsbeginns zufließt. Dieser Rechtsgedanke ist auf die vorliegende Konstellation, dass der Antragsteller den Bewilligungsabschnitt von 6 bzw. 12 Monate deshalb verkürzen will, um eine Hilfebedürftigkeit für einzelne Teile zu schaffen. Nach den grundlegenden Wertungen des SGB II ist Hilfebedürftigkeit primär zu vermeiden und nicht herbeizuführen (vgl. Aubel in Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB II, 5. Aufl., § 37 (Stand: 24.01.2023), Rn. 39.
Unbeschadet der Tatsache, dass vorliegend streitgegenständlich eine (endgültige) Leistungsablehnung wegen übersteigenden Einkommens und nicht eine vorläufige Leistungsbewilligung gemäß § 41a SGB II ist, der Anwendungsbereich des § 41a SGB II also gar nicht eröffnet ist, geht die Kammer auch davon aus, dass § 3 Abs. 4 Alg II-VO nicht durch die Spezialausnahmevorschrift des § 41a Abs. 4 SGB II verdrängt wird. Als Rückausnahme vom der grundsätzlichen Bildung eines Durchschnittseinkommens im Sinne des § 41a Abs. 4 SGB II soll doch wieder die konkrete Berechnung in jedem Leistungsmonat erfolgen, soweit der Leistungsanspruch in mindestens einem Monat des Bewilligungszeitraums durch das zum Zeitpunkt der abschließenden Feststellung nachgewiesene zu berücksichtigende Einkommen entfallen würde.
Mit dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18.02.2021, L 7 AS 992/20, juris) geht die Kammer davon aus, § 3 Abs. 4 Alg II-VO bei selbstständig Tätigen vorrangig anzuwenden ist und kein Rückgriff auf § 41a Abs. 4 SGB II möglich ist. Denn ansonsten hätte die Vorschrift des § 3 Abs. 4 Alg II-VO keinen relevanten Anwendungsbereich mehr, da das Einkommen von Selbstständigen in aller Regel unvorhersehbaren Entwicklungen und Schwankungen unterliegt. Da das Einkommen von Selbstständigen regelmäßig Schwankungen unterliegt, hat eine Leistungsbewilligung in aller Regel vorläufig zu erfolgen. Bei einem Selbstständigen stehen sich typischerweise Einnahmen und Ausgaben in einem Monat nicht korrespondierend gegenüber. Es gehört zu den typischen Abläufen bei Selbstständigen, dass Investitionen getätigt werden müssen, Betriebsausgaben anfallen und sich Gewinne erst zeitlich verzögert realisieren lassen. Eine monatsweise Betrachtung der Einnahmen würde das wirtschaftliche Bild der Tätigkeit häufig zum Nachteil der Selbstständigen verzerren (vgl. LSG NRW, a.a.O., juris, Rn. 31 und 33).
Schließlich sind für das Gericht auch keine Gründe erkennbar, die vorliegend eine jährliche Betrachtungsweise wegen der Besonderheiten des Geschäftsbetriebes erkennen lassen. Die Klägerin hat keinen Saisonbetrieb wie Eisdielen, Skiliftunternehmen oder einen landwirtschaftlichen Betrieb ausgeübt. Dem stünde zudem entgegen, dass der Bewilligungszeitraum bis einschließlich September 2019 bereits abschließend festgestellt worden ist.
Die Kostenfolge beruht auf § 193 SGG.