L 4 R 3332/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 3774/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3332/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21. September 2021 und der Bescheid der Beklagten vom 4. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 2017 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Januar 2020 auf Dauer zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren und ein Zehntel der außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der am 20. August 1970 geborene Kläger war nach erfolgreichem Abschluss eines Studiums der Fahrzeugtechnik bei verschiedenen Arbeitgebern als Konstrukteur versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend übte er freiberuflich eine forstwirtschaftliche Dienstleistungstätigkeit aus. Ab dem 1. September 2012 bezog der Kläger Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Von 2011 bis Mai 2016 war er im Rahmen einer nicht versicherungspflichtigen geringfügigen Tätigkeit als Hausmeister beschäftigt. Anschließend übte er keine Beschäftigung mehr aus. Er bezog bis zum 31. Dezember 2021 und jedenfalls vom 1. bis 31. Dezember 2023 Leistungen nach dem SGB II. Wegen der Versicherungszeiten im Einzelnen wird auf den Versicherungsverlauf vom 23. Januar 2025 (Bl. 936 ff. der Senatsakte) Bezug genommen.

Einen ersten Rentenantrag des Klägers vom 20. Juni 2012 lehnte die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens bei der M1 vom 6. Dezember 2012 mit Bescheid vom 7. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. August 2013 ab. Im anschließenden Klageverfahren zog das Sozialgericht Ulm (SG, S 14 R 3015/13) ein im Rahmen eines familiengerichtlichen Verfahren erstattetes Gutachten der F1 vom 18. Dezember 2013 bei und holte das Gutachten der A1 vom 13. Oktober 2014 ein. Mit Gerichtsbescheid vom 13. März 2015 wies das SG die Klage ab, die Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 2 R 1473/15) wurde mit Urteil vom 16. Dezember 2015 zurückgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundessozialgericht (BSG, B 5 R 23/16 B) mit Beschluss vom 10. Mai 2016 zurück.

Vom 19. bis 29. Januar 2016 befand sich der Kläger aufgrund von Cervicobrachialgien und Cephalgien sowie einer Schmerzchronifizierung in akut-stationärer Behandlung in der F2 B1. Vom 25. Oktober bis 22. November 2016 gewährte die Beklagte dem Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der A2 in I1. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 2. Dezember 2016 wurde er mit den Diagnosen Osteochondrose der Wirbelsäule beim Erwachsenen, Zervikalbereich, Kreuzschmerz und rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, arbeitsunfähig entlassen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen eine Leistungsfähigkeit für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten täglich zwischen drei und unter sechs Stunden.

Am 23. Dezember 2016 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte den Befundbericht der M2, S1 Kliniken Landkreis B2, vom 21. August 2016 ein, die über Vorstellungen des Klägers in der Schmerzambulanz am 5. April und 9. Juni 2016 berichtete und die Diagnosen chronische Kopfschmerzen vom Spannungstyp, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, chronische Cervikobrachialgie und Lumbalgie mitteilte. Nach Einholung von Stellungnahmen bei den Beratenden Ärzten S2 und S3 vom 28. August 2017 lehnte die Beklagten den Antrag mit Bescheid vom 4. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 2017 ab. Die Einschränkungen, die sich aus den Krankheiten oder Behinderungen des Klägers ergäben, führten nicht zu einem Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, da er noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

Hiergegen erhob der Kläger am 14. Dezember 2017 Klage beim SG, zu deren Begründung er vortrug, die von der Beklagten angegebenen Diagnosen entsprächen nicht den Tatsachen. Er legte u.a. Befundberichte der Praxis für Radiologie und Nuklearmedizin W1 vom 11. Oktober 2018 und des E1 vom 18. Oktober 2018 sowie die ärztliche Bescheinigung der L1, ZfP S4, vom 15. September 2021 vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Im Rahmen der Beweisaufnahme zog das SG zunächst die im vor dem SG geführten Schwerbehindertenverfahren (S 14 SB 2612/17) eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen der M2 vom 2. März 2018 und der L1 vom 1. März 2018 und bei E1 die ihm vorliegenden Befundberichte (Bericht der S5-Klinik vom 24. Oktober 2017, Bericht des ZfP S4 vom 21. November 2017, Bericht der F2 -Klinik vom 3. Februar 2016, Bericht des E1 vom 2. Oktober 2015) und die von ihm ausgestellten Atteste (vom 6. April 2016 und 12. September 2017) bei. Ferner zog es die Berichte der O1 gGmbH R1 (Bericht vom 29. September 2017, Befundbericht Notaufnahme des Krankenhaus W2 vom 27. November 2017), des ZfP S4 vom 21. November 2017 und der S5-Klinik vom 24. Oktober 2016 (gemeint 2017) bei. Aktenkundig wurde ferner der Bericht der A3 Klinik O2 vom 9. April 2018 über die dortige stationäre psychotherapeutische Behandlung vom 31. Januar bis 14. März 2018.

Das SG veranlasste zunächst eine Begutachtung durch den P1, der nach Untersuchung am 14. Dezember 2018 in seinem Gutachten vom 4. März 2019 die Diagnosen Cervikobrachialgie bei Osteochondrose der Halswirbelsäule, Bewegungseinschränkungen beider Schultergelenke, Minderung der groben Kraft der linken Hand, Lumbalgie und Lumboischialgie bei muskulärer Dysbalance und Sehnenscheidenentzündung in Höhe des linken oberen und unteren Sprunggelenks erhob. Außer im Bereich des linken Fußes seien keine körperlichen organischen, auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet die Gesamtsituation erklärenden Veränderungen zu finden. Fachfremd diagnostizierte er eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, ohne psychotische Symptome, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine Agoraphobie, ein cervicobrachiales Syndrom, ein lumbales Syndrom und ein chronisches Kopfschmerzsyndrom. Seit der Antragstellung im Dezember 2016 bestehe aufgrund der psychologischen und psychiatrischen Situation ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich. Das SG holte sodann ein Gutachten bei dem B3 ein, der den Kläger am 23. September 2019 untersuchte und in seinem Gutachten vom 9. Oktober 2019 die Diagnosen chronischer Schmerz mit somatischen und psychischen Faktoren, Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion und Spannungskopfschmerzen stellte. Der Kläger sollte nach Einschätzung des Sachverständigen noch in der Lage sein, leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Aufgrund der eingeschränkten psychophysischen Belastbarkeit sollten Tätigkeiten mit kontinuierlichem Publikumsverkehr, unter Zeitdruck, Akkordarbeiten und Schichtdienst mit Nachtdienst vermieden werden. Arbeiten in Zwangshaltung, schwere körperliche Arbeiten und das Heben und Tragen von Gegenständen über 20 kg seien nicht mehr leidensgerecht.

Aktenkundig wurden in der Folge der Entlassungsbericht der Fachklinik E2 vom 22. Oktober 2019 über die stationäre Behandlung vom 16. bis 22. Oktober 2019, der Bericht der Praxis für Radiologie und Nuklearmedizin R2 vom 10. Oktober 2019, der Bericht des ZfP S4 vom 9. Januar 2020 über die stationäre Behandlung vom 27. November bis 4. Dezember 2019, der Bericht des B4 vom 25. November 2019 und der Bericht der S5-Klinik vom 2. Juni 2020 über den stationären Aufenthalt vom 10. Dezember 2019 bis 17. Januar 2020.

Mit Urteil vom 21. September 2021 wies das SG die Klage ab. Die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lägen nicht vor. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass die bei dem Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen lediglich qualitative Leistungseinschränkungen bedingten, so dass es ihm zumutbar sei, einer leidensgerechten Tätigkeit für sechs Stunden und mehr arbeitstäglich nachzugehen. Dies ergebe sich im Wesentlichen aus den Feststellungen in den Gutachten der A1 und des B3. Der Leistungseinschätzung der A2 und des P1 sei nicht zu folgen. Die durch die A2 erhobenen Befunde rechtfertigten die angenommene Leistungseinschränkung nicht. P1 begründe die von ihm angenommene Leistungsminderung fachfremd mit einem im Vordergrund stehenden Schmerz multifaktorieller Genese. Das Urteil wurde dem Klägervertreter am 4. Oktober 2021 zugestellt.

Hiergegen hat der Kläger am 27. Oktober 2021 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Entscheidung sei zu Unrecht mit dem völlig fehlerhaften und widersprüchlichen Gutachten von B3 begründet worden. Für die Beurteilung seines Leistungsvermögens ganz wichtige Krankenhausberichte seien überhaupt nicht berücksichtigt worden. Zur weiteren Begründung hat der Kläger umfangreich medizinische Unterlagen vorgelegt, darunter neben den bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen den Bericht des B4 vom 24. September 2020, der Fachklinik I2 vom 10. Dezember 2020 über die stationäre Behandlung vom 11. bis 26. November 2020, das im Rahmen des Schwerbehindertenverfahrens vor dem SG Ulm (S 14 SB 2612/17) eingeholte Gutachten des S6 vom 20. Dezember 2020 und die ärztlichen Bescheinigungen des ZfP S4 vom 11. März 2021, 15. Oktober 2021 und 13. Juni 2024, den Bericht der S5-Klinik gGmbH vom 2. Mai 2023 über die stationäre Behandlung vom 28. Februar bis 21. März 2023, den Bericht des ZfP S4 vom 20. März 2023 und den Bericht der Tagesklinik B2 vom 18. März 2024 über die teilstationäre Behandlung vom 5. bis 18. März 2024.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21. September 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 2017 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bezogen auf seinen Antrag vom 23. Dezember 2016 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat im Rahmen der Beweisaufnahme den W3 mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach ambulanter Untersuchung am 5. November 2024 hat der Sachverständige in seinem Gutachten vom 14. November 2024 ausgeführt, der Kläger leide auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet unter einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Schizophrenia simplex, DD: Schizotype Störung, Migräne mit Aura und anamnestisch unter Cluster-Kopfschmerz. Außerhalb seines Fachgebiets bestünden chronisch-rezidivierende Zervikozephalgien und Lumboischialgien ohne neurologische Defizite, Polyarthralgien und Tinnitus bds. Mittelschwere und schwere Tätigkeiten seien dauerhaft nicht möglich, Tätigkeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten oder überwiegendem Stehen und Gehen, Tätigkeiten in ungünstiger, vor allem gebückter Körperhaltung, Tätigkeiten mit Überkopfarbeiten und mit besonderem Anspruch an das Gehör seien aufgrund der orthopädischen Erkrankungen und des Tinnitus bds. nicht mehr zumutbar. Aufgrund der psychiatrischen Erkrankung bestehe eine erhebliche Einschränkung von Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit, Antrieb, Kognition und Durchhaltevermögen, so dass Tätigkeiten unter Zeitdruck wie Akkord- oder Fließbandarbeiten, Tätigkeiten im Schichtbetrieb, Tätigkeiten mit Anspruch an Aufmerksamkeit und Konzentration oder mit besonderer Verantwortung sowie Tätigkeiten mit Publikumsverkehr nicht mehr verrichtet werden könnten. Selbst unter Berücksichtigung dieser Leistungseinschränkungen sei es aber für den Sachverständigen in keiner Weise vorstellbar, dass der Kläger in der Lage wäre, angepasste leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts drei Stunden und mehr werktäglich zu verrichten. Aufgrund der psychiatrischen Erkrankung sei der Kläger auch nicht in der Lage, während der Hauptverkehrszeiten öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Er gehe davon aus, dass das beschriebene Leistungsbild spätestens ab 2020 vorgelegen habe. Eine Besserung des Gesundheitszustandes sei unwahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich.

Nach Vorlage des Gutachtens hat sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Januar 2025 bereit erklärt, dem Kläger im Wege eines Vergleichs, Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit aufgrund eines Leistungsfalls vom 28. Februar 2023 ab dem 1. September 2023 bis zum 31. August 2026 zu gewähren. Der Kläger hat das Vergleichsangebot nicht angenommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, da der Kläger laufende Rentenleistungen für mehr als ein Jahr begehrt.

2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bezogen auf seinen Antrag vom 23. Dezember 2016. Streitbefangen ist der Bescheid vom 4. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 2017 (§ 95 SGG). Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit macht der nach dem 1. Januar 1961 geborene Kläger zu Recht nicht geltend, da er von vornherein nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten dieser Rente gehört (§ 240 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch <SGB VI>).

3. Die Berufung des Klägers ist überwiegend begründet. Das SG hätte die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nicht vollständig abweisen dürfen. Denn der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI ab dem 1. Januar 2020 bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze. Der eine solche Rente ablehnende Bescheid der Beklagten vom 4. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 2017 erweist sich insoweit als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. In dem Zeitraum 1. Dezember 2016 (vgl. § 99 Abs. 1 SGB VI) bis 31. Dezember 2019 hatte der Kläger hingegen keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Auf nicht absehbare Zeit besteht eine Einschränkung, wenn sie sich voraussichtlich über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erstreckt (BSG, Urteil vom 23. März 1977 – 4 RJ 49/76 – juris, Rn. 15).

Über den Wortlaut des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI hinaus liegt eine volle Erwerbsminderung nicht erst dann vor, wenn das berufliche Leistungsvermögen auf weniger als drei Stunden täglich abgesunken ist, sondern bereits dann, wenn das Leistungsvermögen auf unter sechs Stunden abgesunken ist – so dass an sich nach § 43 Abs. 1 SGB VI nur eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt – und kein (leidensgerechter) Teilzeitarbeitsplatz gefunden werden kann (BSG, Urteil vom 5. Oktober 2005 – B 5 RJ 6/05 R – juris, Rn. 18; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. März 2019 – L 2 R 2276/18 – juris, Rn. 37).

Die Beurteilung des Leistungsvermögens bezieht sich dabei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Dieser umfasst jede nur denkbare Tätigkeit, für die es in nennenswertem Umfang Beschäftigungsverhältnisse gibt und damit auch ungelernte Tätigkeiten (vgl. BSG – Großer Senat – Beschluss vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 – juris). Bezugspunkte ist damit eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, nicht die zuletzt ausgeübte Beschäftigung, die etwa für die Frage der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung maßgeblich sein kann (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. März 2019 – L 2 R 2276/18 – juris, Rn. 38).

b) Nach diesen Maßstäben ist der Kläger zur Überzeugung des Senats seit Dezember 2019 voll erwerbsgemindert. Zu diesem Zeitpunkt erfüllte er die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente. Denn der Kläger legte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung zurück und erfüllte bis zum Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3, § 50 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Der Senat entnimmt dies dem von der Beklagten vorgelegten Versicherungsverlauf vom 23. Januar 2025. Danach legte der Kläger im Zeitraum von Dezember 2014 bis Dezember 2019 durchgehend Zeiten des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II zurück, die als Anrechnungszeiten gemäß § 43 Abs. 4 Ziff. 1 SGB VI i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 6 SGB VI den Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängern. In dem Verlängerungszeitraum Dezember 2009 bis Dezember 2014 ist der Zeitraum Mai 2010 bis August 2012 mit (28 Monate) mit Pflichtbeitragszeiten, der Zeitraum September 2012 bis November 2014 (27 Monate) mit Bezug von Arbeitslosengeld II belegt, der den zu berücksichtigten Zeitraum gemäß § 43 Abs. 4 Ziff. 1 SGB VI i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 6 SGB VI verlängert. In dem um 27 Monate verlängerten Zeitraum September 2007 bis November 2009 sind Pflichtbeitragszeiten wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld II (§ 3 Satz 1 Ziff. 3a SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) von September 2007 bis Dezember 2007 (4 Monate) und von Januar bis Mai 2009 (5 Monate) enthalten. In dem damit insgesamt zu berücksichtigenden Zeitraum September 2007 bis Dezember 2019 sind damit 37 Monate mit Pflichtbeitragszeiten enthalten und die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beanspruchte Rente steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit.

Aufgrund der im Gerichtsverfahren vor dem SG sowie im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen und die daraus resultierenden funktionellen Einschränkungen seine berufliche Leistungsfähigkeit seit Dezember 2019 in qualitativer und quantitativer Hinsicht mindern, weshalb ihm die Ausübung beruflicher Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter den dort herrschenden Bedingungen nicht mehr im Umfang von drei Stunden täglich zumutbar sind.

aa) Die für die Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers maßgeblichen Erkrankungen bestehen auf psychiatrischem Fachgebiet. Der Kläger leidet an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Schizophrenia simplex, Migräne mit Aura und Cluster-Kopfschmerzen. Darüber hinaus bestehen chronisch-rezidivierende Zervikozephalgien und Lumboischialgien ohne neurologische Defizite, Polyarthralgien und ein Tinnitus beidseits. Dies entnimmt der Senat im Wesentlichen dem Gutachten des W3 vom 14. November 2024.

bb) Die genannten Gesundheitsstörungen führen zu qualitativen Leistungseinschränkungen. Zu vermeiden sind dauerhaft schwere und mittelschwere Tätigkeiten, Tätigkeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten, Tätigkeiten in ungünstiger, vor allem gebückter Körperhaltung, Tätigkeiten mit Überkopfarbeiten, Tätigkeiten mit besonderem Anspruch an das Gehör. Es bestehen außerdem erhebliche Einschränkungen von Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit, Antrieb, Kognition, Durchhaltevermögen. Tätigkeiten unter Zeitdruck, wie Akkord- oder Fließbandarbeiten, Tätigkeiten im Schichtbetrieb, mit Anspruch an Aufmerksamkeit und Konzentration oder mit besonderer Verantwortung sowie Tätigkeiten mit Publikumsverkehr können nicht verrichtet werden. All dies entnimmt der Senat dem Gutachten des W3 vom 14. November 2024. Die von ihm angegebenen qualitativen Leistungseinschränkungen sind im Hinblick auf die von ihm erhobenen Befunde nachvollziehbar und schlüssig und berücksichtigen die bereits durch die behandelnden Ärzte und Kliniken sowie die Vorgutachter angegebenen Einschränkungen. Einwände gegen diese Einschätzung werden auch durch die Beklagte nicht vorgebracht.

cc) Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger wegen der genannten Gesundheitsstörungen nicht in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich mindestens drei Stunden unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen zu verrichten. Der Senat folgt auch insoweit der schlüssigen und nachvollziehbaren Leistungseinschätzung des W3.

Der Senat hält diese quantitative Leistungseinschränkung aufgrund der bei dem Kläger vorhandenen Gesundheitsstörungen mit den daraus resultierenden Beeinträchtigungen für nachvollziehbar und schlüssig. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass durch die bei dem Kläger vorliegende Störung dessen psychische Belastbarkeit erheblich reduziert ist, was zum einen zu den bereits dargelegten qualitativen Einschränkungen führt. Darüber hinaus ist der Kläger nach den Ausführungen von W3 völlig in dem bizarr anmutenden Verhalten und seinen Vorstellungen sowie Körperbeschwerden gefangen, so dass es nach Einschätzung des Sachverständigen nicht vorstellbar ist, dass er irgendwelche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes drei Stunden und mehr werktäglich verrichten kann. Einwendungen gegen das Gutachten, die geeignet wären, dessen Überzeugungskraft zu erschüttern, sind von der Beklagten nicht vorgebracht worden. Vielmehr hat deren beratungsärztlicher Dienst empfohlen, der Leistungseinschätzung des Sachverständigen W3 zu folgen.

dd) Der Senat ist davon überzeugt, dass der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung im Dezember 2019 eingetreten ist. Der Senat folgt auch insoweit der Einschätzung des Sachverständigen W3, der davon ausgeht, dass das von ihm beschriebene Leistungsbild spätestens ab 2020 vorlag. Der Sachverständige legt anhand der Krankheitsgeschichte des Klägers überzeugend dar, dass es sich um einen progredienten, sich verfestigenden und chronifizierenden Prozess handelt. Nach Auswertung der vorliegenden Befundberichte ist er zu der Auffassung gelangt, dass schwere anhaltende psychische Beeinträchtigungen erst ab etwa 2018 beschrieben sind. Die erfahrenen Gutachterinnen M1 und A1 konnten entsprechende Einschränkungen in ihren Gutachten vom 29. November 2012 und 13. Oktober 2014 noch nicht feststellen. Im Entlassungsbericht der A2 vom 1. Dezember 2016 wird zwar aufgrund der pathomorphologischen Veränderungen der Wirbelsäule, einer Schmerzchronifzierung und einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, von einem auf drei bis unter sechs Stunden täglich eingeschränkten Leistungsvermögen ausgegangen, für die weitere psychische Stabilisierung eine bewältigbare Tätigkeit aber prognostisch als sinnvoll angesehen. Die Entlassung erfolgte darüber hinaus als arbeitsfähig, so dass die angenommene Einschränkung hinsichtlich Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht nachvollziehbar ist. Ab Oktober 2017 wurde der Kläger dann regelmäßig in der Institutsambulanz des ZfP S4 behandelt (Bericht vom 21. November 2017 über erstmalige Vorstellung am 2. Oktober 2017 mit der Diagnose rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome), zum anderen erfolgte im Rahmen einer Vorstellung in der Schmerzambulanz der S1 Kliniken B2, in der sich der Kläger erstmals am 5. April 2016 vorstellte (Bericht vom 6. April 2016), am 17. November 2017 eine konsiliarische Beratung durch den R3, S5-Klinik, der in seinem Bericht vom 24. Oktober 2016 (gemeint wohl 24. November 2017, Bl. 24 der SG-Akte) über ein komplexes psychosomatisches Beschwerdebild mit chronischer Schmerzstörung, Hinweisen auf eine bestehende Angststörung sowie weitere begleitende Komorbiditäten sowie ausgeprägter psychosozialer Belastungssituation berichtete. Die stationäre Behandlung in der A3-Klinik O2 vom 13. Januar bis zum 14. März 2018 (Bericht vom 9. April 2018) erfolgte u.a. aufgrund der Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und Agoraphobie mit Panikstörung, die Entlassung erfolgte in Bezug auf die psychischen Diagnosen als arbeitsfähig. Zwar schätzte der P1 in seinem Gutachten vom 4. März 2019 das Leistungsvermögen des Klägers auf unter drei Stunden ein, begründete dies aber nicht mit den von ihm auf orthopädischem Fachgebiet erhobenen Diagnosen, sondern mit den fachfremden Diagnosen rezidivierende schwere depressive Störung mit somatischen und psychischen Faktoren und Agoraphobie (Panikstörung). Diese Einschätzung wurde durch das in engem zeitlichen Zusammenhang erstellte Gutachten des B3 vom 9. Oktober 2019 widerlegt, der aufgrund der von ihm erhobenen Befunde die von P1 angenommene schwere depressive Störung nicht bestätigen konnte, sondern vielmehr von einer Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion, Spannungskopfschmerzen und einem chronischen Schmerz mit somatischen und psychischen Faktoren ausging und das Leistungsvermögen auf über sechs Stunden arbeitstäglich einschätzte. Eine deutliche Chronifizierung der Beschwerdesymptomatik, die die von W3 angenommene Leistungseinschränkung begründet, ist zur Überzeugung des Senats aber ab Dezember 2019 festzustellen. Der Kläger war vom 27. November bis zum 4. Dezember 2019 wegen einer schweren depressiven Episode in stationärer Behandlung des ZfP S4 (Bericht vom 9. Januar 2020) und vom 10. Dezember 2019 bis 17. Januar 2020 wiederum wegen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome und anhaltender somatoformer Schmerzstörung in stationärer Behandlung der S5 A4 (Bericht vom 2. Juni 2020). Eine Besserung der Beschwerdesymptomatik ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr eingetreten. S8 bestätigt in seinem Gutachten für das SG vom 20. Dezember 2020 das Vorliegen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome und stellt darüber hinaus eine soziale Phobie mit Panikattacken sowie eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren fest. Die Gesundheitsstörungen auf seinem Fachgebiet ordnet er jeweils dem Schwererad „sicher schwer“ zu. Schließlich befand sich der Kläger vom 28. Februar bis zum 21. März 2023 in stationärer Behandlung der S5 A4 (Bericht vom 2. Mai 2023) und vom 5. bis 18. März 2024 in teilstationärer Behandlung der Tagesklinik B2 (Bericht vom 18. März 2024). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nicht erst ab der stationären psychiatrischen Aufnahme am 28. Februar 2023, sondern bereits ab der stationären psychiatrischen Aufnahme im Dezember 2019 – unabhängig von der jeweiligen konkreten diagnostischen Bewertung –  eine relevante Verschlechterung des Leistungsvermögens auf unter drei Stunden arbeitstäglich festzustellen. Unter Berücksichtigung des dargestellten Verlaufs vermochte sich der Senat hingegen nicht davon überzeugen, dass das Leistungsvermögen des Klägers bereits vor Dezember 2019 – jedenfalls nicht auf nicht absehbare Zeit (s.o. 3a) – auf einen zeitlichen Umfang von unter sechs Stunden täglich abgesunken war.

c) Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer. Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt längstens für drei Jahre nach Rentenbeginn (Satz 2). Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn (Satz 3). Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist (Satz 4). Renten, auf die ein Anspruch - wie hier - unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen (Satz 5).

Vorliegend ist es unwahrscheinlich, dass die teilweise Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers behoben werden kann. Hiervon ist auszugehen, wenn schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein (teilweises) aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Hiervon ist der Senat mit W3 überzeugt. Der Sachverständige hält eine Besserung des Gesundheitszustandes zwar nicht für unmöglich, aber für unwahrscheinlich. Die von ihm diagnostizierte Schizophrenia simplex oder die Differentialdiagnose schizotype Störung wurde, wie der Sachverständige ausführt, zu keinem Zeitpunkt behandelt, so dass eine Verstetigung eingetreten ist. Der Sachverständige zeigt auf, dass im Vordergrund an sich eine Behandlung mit Antipsychotika stehen sollte, gepaart mit einer Verhaltenstherapie zur Behandlung der sog. Negativsymptomatik (Apathie, Konzentrationsstörungen, Affektstörung). Darüber hinaus empfiehlt er soziotherapeutische Maßnahmen einschließlich Einrichtung einer Betreuung sowie die Eingliederung in eine Werkstatt für psychisch Kranke, ggf. im Rahmen einer betreuten Wohnform. Trotz dieser grundsätzlich bestehenden Therapieoptionen, die nach dessen Einschätzung einen mehrjährigen Therapieprozess erforderten, hält es der Sachverständige für unwahrscheinlich, dass eine rentenrechtlich relevante Besserung der Beschwerdesymptomatik eintritt. Die fehlende adäquate Behandlung hatte nach der fachlichen Beurteilung des Sachverständigen zur Folge, dass sich die Symptomatik über 10 Jahre zunehmend vertiefen, verfestigen und chronifizieren konnte. Vor diesem Hintergrund ist dessen Einschätzung, dass eine Besserung zwar nicht als unmöglich, aber als unwahrscheinlich anzusehen ist, überzeugend.

Da der Kläger die Rente am 23. Dezember 2016 beantragt hat, ist die Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Januar 2020 zu gewähren. Denn eine Rente aus eigener Versicherung wird gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI von dem Monat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird (Satz 2). Da vorliegend die Rente zum Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung bereits beantragt war, beginnt sie zu Beginn des Monats nach Eintritt der Erwerbsminderung und damit am 1. Januar 2020. Sie ist gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze zu gewähren.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1, 4 SGG und trägt dem Umstand Rechnung, dass – wie dargelegt – die volle Erwerbsminderung bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens eingetreten ist und der Kläger Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer hat. Der Senat hält es daher für gerechtfertigt, der Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens in vollem Umfang aufzuerlegen.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.


 

Rechtskraft
Aus
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