Abhängig von den Umständen des Einzelfalls kann ein Mensch mit einer seelischen Behinderung einen Anspruch auf Versorgung mit einem PTBS-Assistenzhund haben.
Besteht ein Anspruch auf einen PTBS-Assistenzhund als Leistung zur sozialen Teilhabe, umfasst der Anspruch auch die Kosten für den laufenden Unterhalt des Hundes.
Tenor: |
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Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf einen PTBS-Assistenzhund.
Die xx geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 28.3.2024 beantragte sie bei der Beigeladenen die Übernahme der Kosten für die Anschaffung, Ausbildung und laufende Versorgung eines PTBS-Assistenzhundes. Zur Begründung gab sie an, sie leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung. Seit 2016 habe es kein Jahr ohne stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus oder einer Reha-Einrichtung gegeben. Trotz der wiederholten stationären Behandlungen und der ambulanten Therapie sei noch keine nachhaltige Stabilisierung gelungen; vielmehr beständen die Symptome fort, vor allem starke Angst davor, angegriffen oder belästigt zu werden. Sie werde sehr leicht getriggert, z.B. durch Dunkelheit, Männer oder Betrunkene. Das mache im Alltag vieles schwierig bis unmöglich. So falle es ihr sehr schwer, im Dunkeln rauszugehen (was vor allem im Winter ein Problem sei) oder die Straßenbahn zu nutzen; einen Führerschein habe sie nicht. Aufgrund dessen sei ihre soziale Teilhabe deutlich eingeschränkt. In dieser Situation könnte ihr ein Assistenzhund eine große Hilfe sein: Allein durch seine Anwesenheit würde er ihr Sicherheit geben. Kämen ihr Fremde zu nahe, könnte er diese durch Knurren und Bellen auf Abstand halten. Außerdem würde er sie aus Dissoziationen zurückholen und sie beruhigen, wenn sie aufgrund eines Fehlers Flashbacks und Angst vor negativen Reaktionen habe. Sich um den Hund zu kümmern, würde ihr helfen, den Tag zu strukturieren. Außerdem wäre sie gezwungen, öfter nach draußen zu gehen. Dadurch würde ihren depressiven Episoden entgegengewirkt, die durch Rückzug und Vermeidungsverhalten geprägt seien.
Ihrem Antrag fügte die Klägerin Atteste der im N. Klinikum tätigen Oberärztin K. (vom 27.6.2023) und der Psychotherapeutin S. (vom 5.3.2024) sowie einen Kostenvoranschlag des Assistenzhundezentrums D. (vom 2.6.2023) bei.
Mit Schreiben vom 2.4.2024 leitete die Beigeladene den Antrag unter Hinweis auf § 14 Abs. 1 SGB IX an die Beklagte weiter. Zuständiger Rehabilitationsträger sei nicht sie, die Beigeladene, sondern die Beklagte. Die Klägerin begehre den PTBS-Assistenzhund aus medizinischen Gründen. Es gehe also um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation, so die Beigeladene.
Die Beklagte holte daraufhin Stellungnahmen der Beigeladenen (vom 23.4.2024) und der Bundesagentur für Arbeit (vom 30.4.2024) ein.
Anschließend lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7.5.2024 die beantragte Leistung ab. Zur Begründung gab sie an, soweit die Klägerin wegen ihrer psychischen Erkrankung draußen eine Begleitung benötige, um den Nahbereich zu erschließen, reiche hierfür auch ein Hund ohne spezielle Ausbildung. Ein ausgebildeter PTBS-Assistenzhund als Hilfsmittel nach § 33 SGB V sei nicht notwendig. Ebenso wenig stehe der Klägerin die beantragte Kostenübernahme als Leistung zur sozialen Teilhabe oder als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu.
Hiergegen legte die Klägerin am 28.5.2024 Widerspruch ein. Sie machte u.a. geltend, entgegen der Auffassung der Beklagten genüge ein einfacher Hund ohne Ausbildung nicht als Assistenzhund. Vielmehr benötige sie einen Hund, der speziell im Hinblick auf ihre Probleme trainiert sei. Ein solcher PTBS-Assistenzhund könne dazu beitragen, ihren Gesundheitszustand zu verbessern, und damit ihre Einschränkungen im sozialen Bereich und im Arbeitsleben ausgleichen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.7.2024 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, der beantragte PTBS-Assistenzhund diene weder dem Ausgleich einer Behinderung noch dazu, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Die Krankenkasse sei nicht dafür zuständig, jegliche Folgen einer Behinderung in sämtlichen Lebensbereichen auszugleichen.
Mit der am 9.8.2024 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie verweist im Wesentlichen auf ihren bisherigen Vortrag. Ergänzend trägt sie vor, sie benötige den PTBS-Assistenzhund zum einen für die Mobilität im Nahbereich, zum anderen für ihre soziale Teilhabe. Die Notwendigkeit ergebe sich auch aus einer weiteren Bescheinigung der Oberärztin K. (vom 19.2.2025).
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 7.5.2024 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.7.2024 zu verurteilen, sie mit einem PTBS-Assistenzhund zu versorgen und ihr eine monatliche Pauschale für Hundefutter, Tierarzt und Versicherung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Sie trägt ergänzend vor, eine Sicherung der Behandlung sei „nicht zutreffend“. Außerdem fehle eine Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit einem PTBS-Assistenzhund als Leistung zur medizinischen Rehabilitation: Der Hund solle nicht dazu dienen, einen Behandlungserfolg zu sichern; denn er sei kein Teil eines ärztlichen Behandlungsplans. Im Übrigen würde es sich dann um eine neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V handeln, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss noch nicht anerkannt sei. Der PTBS-Assistenzhund sei auch nicht für den Behinderungsausgleich im Sinne des § 33 SGB V erforderlich. Zwar würde der Klägerin die Mobilität im Nahbereich um ihre Wohnung bei Begleitung durch einen Hund wohl erleichtert; zwingend erforderlich sei ein Hund dafür aber nicht. Außerdem fehle ein Nachweis für die Eignung des Hundes. Ebenso wenig stehe der Klägerin ein PTBS-Assistenzhund als Leistung zur sozialen Teilhabe zu. Denn der Schwerpunkt ihres Bedarfs liege nicht im sozialen, sondern im medizinischen Bereich.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der sachverständigen Zeugen T. (Aussage vom 1.10.2024) und K. (Aussage vom 16.10.2024). Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1) Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Leistungen zur sozialen Teilhabe in Form der beantragten Versorgung mit einem PTBS-Assistenzhund zzgl. Übernahme der laufenden Unterhaltskosten.
a) Die Beklagte ist als gesetzliche Krankenkasse kein originärer Träger für Leistungen zur sozialen Teilhabe (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 SGB IX). Dennoch ist sie hier für diese Leistungen zuständig – und zwar deshalb, weil die Beigeladene den Antrag der Klägerin vom 28.3.2024 an die Beklagte weitergeleitet hat.
Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist (§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung insgesamt nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu und unterrichtet hierüber den Antragsteller (§ 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX). Der Träger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, stellt sodann den Rehabilitationsbedarf unverzüglich und umfassend fest und erbringt die Leistungen (§ 14 Abs. 2 S. 4 i.V.m. S. 1 SGB IX). Durch die Weiterleitung wird der sog. zweitangegangene Träger im Verhältnis zum Antragsteller grundsätzlich abschließend und umfassend zuständig. Seine Pflicht zur Leistung kann sich aus sämtlichen Rechtsgrundlagen ergeben, die in der Bedarfssituation überhaupt in Betracht kommen – also nicht nur aus jenen Rechtsgrundlagen, für deren Anwendung der Träger ansonsten im gegliederten System zuständig ist (Ulrich in: jurisPK-SGB IX, § 14 Rdnr. 89 und 91).
Die Klägerin hat am 28.3.2024 bei der Beigeladenen die Übernahme der Kosten für die Anschaffung, Ausbildung und laufende Versorgung eines PTBS-Assistenzhundes beantragt. Diesen Antrag hat die Beigeladene am 2.4.2024 an die Beklagte weitergeleitet, also innerhalb von zwei Wochen. Vor diesem Hintergrund ist die Beklagte nun im Verhältnis zur Klägerin auch für Leistungen zur sozialen Teilhabe zuständig.
b) Die Klägerin gehört zum Kreis derjenigen Personen, die einen Anspruch auf Eingliederungshilfe haben.
Eingliederungshilfe ist Personen nach § 2 Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB IX zu leisten, deren Beeinträchtigungen die Folge einer Schädigung der Körperfunktion und -struktur einschließlich der geistigen und seelischen Funktionen sind und die dadurch in Wechselwirkung mit den Barrieren in erheblichem Maße in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind (§ 99 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Menschen mit Behinderungen im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach dieser Vorschrift liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (§ 2 Abs. 1 S. 2 SGB IX).
So verhält es sich hier: Nach der übereinstimmenden Einschätzung der sachverständigen Zeugen T. und K., denen die Kammer folgt, besteht bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung und eine rezidivierende depressive Störung mit mittel- bis schwergradigen Episoden. Für die Kammer überzeugend diagnostiziert die Zeugin K. darüber hinaus eine ängstliche Persönlichkeitsstörung.
Bei Beginn einer stationären Behandlung im N. Klinikum vom 12.12.2023 – 3.4.2024 war die Klägerin sehr angespannt, unruhig, traurig und verzweifelt. Ihr Antrieb und ihre Konzentrationsfähigkeit waren vermindert. Sie litt an Ängsten, vor allem in sozialen Situationen. Wiederholt kam es zu regressiven Einbrüchen und dissoziativen Zuständen, in denen die Klägerin kaum noch in der Lage war, zu handeln und mit ihrer Umwelt zu interagieren (vgl. den Entlassungsbericht vom 3.4.2024).
Seither hat sich der Gesundheitszustand der Klägerin nicht wesentlich geändert. Bei einem Vorgespräch für eine erneute stationäre Aufnahme hatte der Diplom-Psychologe R. am 4.9.2024 einen ähnlichen Befund erhoben. In ihrer Aussage vom 16.10.2024 gibt die Zeugin K. an, bei der Klägerin komme es weiterhin zu dissoziativen Symptomen.
Die beschriebenen seelischen Beeinträchtigungen sind altersuntypisch. Sie liegen bei der Klägerin schon sehr viel länger als sechs Monate vor; in absehbarer Zeit ist mit keiner substantiellen Besserung zu rechnen. Durch die Beeinträchtigungen ist die Fähigkeit der Klägerin zur Teilhabe an der Gesellschaft deutlich eingeschränkt. Dies stellen wohl auch die Beklagte und die Beigeladene nicht infrage.
c) Leistungen zur sozialen Teilhabe werden nur erbracht, soweit sie nicht nach den Kapiteln 3 – 5 (medizinische Rehabilitation; Teilhabe am Arbeitsleben; Teilhabe an Bildung) erbracht werden (§ 113 Abs. 1 S. 1 SGB IX; so auch § 102 Abs. 2 SGB IX).
Die Klägerin hat keinen vorrangigen Anspruch auf die beantragte Versorgung mit einem PTBS-Assistenzhund zzgl. Übernahme der laufenden Unterhaltskosten als Leistung zur medizinischen Rehabilitation (dazu aa), als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder als Leistung zur Bildung (dazu bb).
aa) Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Kapitel 3 entsprechen den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 109 Abs. 2 SGB IX). Nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB V).
(1) Die Versorgung mit einem PTBS-Assistenzhund ist nicht erforderlich, um die Krankenbehandlung der Klägerin zu sichern.
Die 1. Alternative des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V setzt voraus, dass das Hilfsmittel in einem engen Zusammenhang mit einer ärztlichen oder ärztlich verordneten Therapie steht und spezifisch deren Zwecken dient (Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB V, § 33 Rdnr. 90).
Für eine solche Konstellation ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich: Zwar befindet sich die Klägerin wohl in regelmäßiger Behandlung beim sachverständigen Zeugen T., einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Es bestehen aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, Herr T. verfolge einen Therapieplan, zu dem ein PTBS-Assistenzhund gehört. Vielmehr hat er ihr nur Arzneimittel verschrieben und Krankenhausbehandlung verordnet (vgl. seine Antwort auf die Beweisfrage Ziff. 3).
Die Ärzte im N. Klinikum befürworteten zwar die Versorgung der Klägerin mit einem Assistenzhund (vgl. Seite 5 des Entlassungsberichts vom 3.4.2024) – aber nicht für die stationäre Behandlung, sondern für die Zeit danach. Der Hund sollte also nicht dazu dienen, den Erfolg der Krankenbehandlung im Krankenhaus zu sichern.
Hiermit übereinstimmend hat kein Arzt ein Hilfsmittel „PTBS-Assistenzhund“ verordnet.
(2) Die Versorgung mit einem PTBS-Assistenzhund ist auch nicht erforderlich, um die Behinderung der Klägerin auszugleichen.
Durch einen PTBS-Assistenzhund lässt sich die seelische Behinderung der Klägerin nicht beheben. Vielmehr soll der Hund dazu dienen, die Folgen der Behinderung zu kompensieren. Es geht also um einen sog. mittelbaren Behinderungsausgleich. Ein Hilfsmittel zu diesem Zweck ist nach § 33 SGB V nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert, also ein elementares Grundbedürfnis betrifft. Hierzu gehört die Möglichkeit, die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang an die frische Luft zu kommen oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind – nicht aber die Mobilität jenseits dieses Nahbereichs (BSG, Urteil vom 18.4.2024, B 3 KR 13/22 R, Rdnr. 19 und 26 – nach Juris). Auch die soziale Teilhabe wird nicht von § 33 SGB V erfasst, soweit sie über Grundbedürfnisse wie z.B. Sehen und Hören hinausgeht (Sächsisches LSG, Urteil vom 23.9.2020, L 1 KR 384/17, Rdnr. 29 – nach Juris).
Die Kammer ist nicht davon überzeugt, die Klägerin sei ohne einen PTBS-Assistenzhund außerstande, sich im Nahbereich rund um ihre Wohnung zu bewegen: Zwar sind die psychisch bedingten Einschränkungen der Klägerin durchaus erheblich (vgl. b). Der Kammer erscheint auch glaubhaft, dass es der Klägerin aufgrund ihrer Angst vor fremden Menschen schwerfällt, sich aus ihrer Wohnung nach draußen zu begeben, und dass sie derartige Gänge möglichst vermeidet (so ihre Darstellung in der selbst verfassten Stellungnahme, die sie in der mündlichen Verhandlung übergeben hat; ebenso die Bescheinigung der Oberärztin K. vom 19.2.2025). Dennoch ist die Klägerin dazu offenbar grundsätzlich in der Lage, wenn auch ggf. mit Mühe. Andernfalls könnte sich die Klägerin in ihrem häuslichen Umfeld gar nicht selbst versorgen. Jedenfalls zum Einkaufen geht sie wohl hin und wieder allein aus dem Haus.
bb) Die Klägerin hat auch keinen vorrangigen Anspruch auf die beantragte Versorgung mit einem PTBS-Assistenzhund zzgl. Übernahme der laufenden Unterhaltskosten als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder als Leistung zur Bildung.
In diesen Bereichen hat die Klägerin selbst keinen Bedarf geltend gemacht. Auch die Bundesagentur für Arbeit hat in ihrer Stellungnahme vom 30.4.2024 einen Bedarf an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben verneint. Dem schließt sich die Kammer an.
d) Bestehen somit keine vorrangigen Ansprüche auf Eingliederungshilfe nach den Kapiteln 3 – 5, kann die Klägerin die beantragten Leistungen als Leistungen zur sozialen Teilhabe beanspruchen.
Leistungen zur sozialen Teilhabe werden erbracht, um eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Hierzu gehört, Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen (§ 113 Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB IX). Die Leistungen umfassen u.a. Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen (§ 113 Abs. 2 Nr. 8, Abs. 3 i.V.m. § 84 Abs. 1 S. 1 SGB IX).
Bei dem beantragten PTBS-Assistenzhund handelt es sich um ein Hilfsmittel zur sozialen Teilhabe (dazu aa), das für diesen Zweck geeignet (dazu bb) und notwendig (dazu cc) ist. Die Leistungen umfassen auch die Kosten für die laufende Versorgung des Hundes (dazu dd).
aa) Obwohl ein Lebewesen, ist ein PTBS-Assistenzhund rechtlich gesehen ein Hilfsmittel, allerdings nicht zwingend immer ein medizinisches Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V (so aber wohl LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2024, L 4 KR 1714/21, Rdnr. 48 f. – nach Juris). Letzteres ergibt sich mittelbar aus § 12e Abs. 6 BGG: Abschnitt 2b des BGG enthält zahlreiche Regelungen zu Assistenzhunden. Gemäß § 12e Abs. 6 BGG finden einige dieser Regelungen keine Anwendung auf Assistenzhunde, die als Hilfsmittel „im Sinne des § 33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch“ gewährt werden. Im Rückschluss folgt daraus, dass es auch Assistenzhunde gibt, die kein medizinisches Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V sind, sondern anderen Zwecken dienen – z.B. der sozialen Teilhabe. Andernfalls hätte es den einschränkenden Zusatz („im Sinne des § 33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch“) nicht bedurft.
Ein Hilfsmittel kann durchaus mehreren Zwecken dienen, etwa der medizinischen Rehabilitation einerseits, der sozialen Rehabilitation andererseits (Sächsisches LSG, Urteil vom 15.9.2020, L 8 SO 30/19, Rdnr. 28 – nach Juris). Die soziale Rehabilitation hat dabei eine Komplementärfunktion: Während die medizinische Rehabilitation dem Betroffenen nur die Erschließung seines Nahbereichs ermöglichen soll, zielt die soziale Rehabilitation darüber hinaus – räumlich gesehen, aber auch inhaltlich (Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 23.2.2021, L 10 KR 8/17, Rdnr. 51 – nach Juris). Für die Abgrenzung ist maßgeblich, welcher Bedarf im konkreten Fall mit dem Hilfsmittel befriedigt werden soll (Sächsisches LSG, a.a.O.; Joussen in: LPK-SGB IX, 6. Aufl., § 84 Rdnr. 3). Kommt es zu Überschneidungen, ist § 2 Abs. 2 SGB I zu beachten: Nach dieser Vorschrift ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Dem widerspräche es, ein Hilfsmittel, das mehreren gleichwertigen Zwecken dient, gerade demjenigen Leistungsbereich zuzuordnen, in dem ein Anspruch ausgeschlossen ist.
Wie oben ausgeführt, erhofft sich die Klägerin, dass ein PTBS-Assistenzhund ihr die Mobilität im Nahbereich erleichtert. Allerdings ist das nicht ihr einziges Ziel. In ihrer Stellungnahme, die sie in der mündlichen Verhandlung übergeben hat, stellt die Klägerin anschaulich dar, dass sie sich mit Hilfe des Hundes vermehrt unter Menschen begeben und am Gemeinschaftsleben teilnehmen möchte, anstatt sich zu Hause zu „vergraben“. Auch die Psychotherapeutin S. hatte in ihrem Attest vom 5.3.2024 ausgeführt, ein PTBS-Assistenzhund könnte dazu beitragen, der Klägerin eine bessere Teilhabe am Leben zu ermöglichen, z.B. Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Den Aspekt der sozialen Rehabilitation betont zudem die Ärztin K. in ihrer Bescheinigung vom 19.2.2025: Ihrer Ansicht nach ist der Hund notwendig, damit die Klägerin wieder am sozialen und gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Vor diesem Hintergrund geht die Kammer davon aus, dass das Hilfsmittel „PTBS-Assistenzhund“ hier nicht nur der medizinischen Rehabilitation dienen soll, sondern – tendenziell sogar vorrangig – auch der sozialen Rehabilitation.
bb) Nach Überzeugung der Kammer ist ein PTBS-Assistenzhund geeignet, um der Klägerin eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern.
Wie erwähnt, leidet die Klägerin an Ängsten, vor allem in sozialen Situationen. Zudem treten bei ihr dissoziative Zustände auf, in denen die Klägerin kaum noch in der Lage ist, zu handeln und mit ihrer Umwelt zu interagieren. Zwar kann ein PTBS-Assistenzhund diese Erkrankungen nicht heilen. Er kann aber dazu beitragen, die sozialen Folgen der Behinderung zu reduzieren:
Ein ausgebildeter Assistenzhund für Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigungen ist u.a. in der Lage, dem Menschen durch seine Nähe oder Berührung an verschiedenen Orten Sicherheit zu geben; auf Signal stellt er sich zwischen seinen und einen anderen Menschen, um Distanz zu schaffen (Ziff. 2 e) Abschnitt H 1 der Anlage 4 zur AHundV). Der Hund kann in Notsituationen Hilfe leisten, z.B. dadurch, dass er bei erlernten Anzeichen Dissoziationen durch taktile Stimulation unterbricht und den Menschen anschließend bei Bedarf beruhigt (Ziff. 2 e) Abschnitt H 2 der Anlage 4 zur AHundV). Er ist auch in der Lage, den Menschen auf Signal durch eine Menschenmenge zu führen, etwa eine Menge in der Innenstadt (Ziff. 2 e) Abschnitt H 13 der Anlage 4 zur AHundV).
All dies sind Hilfestellungen, die es der Klägerin ermöglichen würden, am öffentlichen Leben teilzunehmen, insbesondere in persönlichen Kontakt mit Menschen zu treten. Bei Begleitung durch einen PTBS-Assistenzhund hätte die Klägerin wohl weniger Angst, angegriffen oder belästigt zu werden; sie könnte daher auch Orte aufsuchen, die sie derzeit wegen der Anwesenheit vieler fremder Menschen meidet, etwa öffentliche Verkehrsmittel. Außerdem könnte der Hund sie bei einer Panikattacke oder Dissoziation beruhigen. Die Gewissheit, dass im Notfall Hilfe bereitsteht, würde die Klägerin mental in die Lage versetzen, sich in einem weiteren sozialen Umfeld zu bewegen, als sie dies aktuell tun kann.
cc) Hierfür ist ein PTBS-Assistenzhund nicht nur geeignet, sondern auch notwendig. Ein Hund ohne spezielle Ausbildung reicht hierfür nicht – entgegen der Ansicht der Beklagten.
Je nach Körpergröße und Wesensart würde vielleicht auch ein Hund ohne Ausbildung die Klägerin gegen Fremde verteidigen und ihr so in manchen Situationen ein höheres Gefühl der Sicherheit vermitteln. Allerdings soll ein Assistenzhund Sicherheit durch das Herstellen von Distanz geben, nicht durch aggressives Verhalten gegenüber Dritten (Ziff. 2 e) Abschnitt H 1 der Anlage 4 zur AHundV) – wie es wohl seinem natürlichen Instinkt entspräche. Denn würde der Hund fremde Menschen grundsätzlich anknurren oder wegbellen, erschwerte dies eher die Interaktion der Klägerin mit Anderen.
Darüber hinaus – und vor allem – wäre ein Hund ohne einschlägige Ausbildung nicht in der Lage, der Klägerin im Falle einer Dissoziation zu helfen. Zu Recht hat die Klägerin in der Stellungnahme, die sie in der mündlichen Verhandlung übergeben hat, auf diesen Umstand besonders nachdrücklich hingewiesen.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass Menschen mit Behinderung einen Anspruch auf Mitnahme ihres Hundes in öffentliche oder private Einrichtungen nur haben, wenn es sich um einen ausgebildeten Assistenzhund handelt (vgl. § 12e Abs. 1 S. 1 BGG). Gerade Gemeinschaftsveranstaltungen (z.B. Kultur, Bildung, Sport, Unterhaltung, Religion) finden oft nicht „auf der Straße“ statt, sondern in öffentlichen oder privaten Einrichtungen. Mit einem Hund ohne Ausbildung blieben der Klägerin daher viele Veranstaltungen weiterhin verschlossen.
dd) Die Klägerin hat einen Anspruch nicht nur auf einen PTBS-Assistenzhund selbst, sondern zusätzlich auf Übernahme der Kosten für dessen laufenden Unterhalt (dazu (1)) – allerdings nicht in Form einer festen Pauschale, wie von ihr beantragt (dazu (2)).
(1) Der Anspruch auf ein Hilfsmittel umfasst auch dessen notwendige Instandhaltung (§ 84 Abs. 2 SGB IX). Dazu gehören sämtliche Maßnahmen, die das Hilfsmittel in einem funktionsfähigen Zustand halten (Nellisen in: jurisPK-SGB IX, § 47 Rdnr. 85). Das sind in vor allem die Betriebskosten, aber z.B. auch die Kosten für eine vorgeschriebene Versicherung (Jabben/Westphal in: Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Westphal/Krohne, SGB IX, 15. Aufl., § 47 Rdnr. 14; Luik in: LPK-SGB IX, 6. Aufl., § 47 Rdnr. 19). Diese Grundsätze gelten nicht nur für technische Geräte, sondern auch für Hunde als Hilfsmittel (so schon BSG, Urteil vom 25.2.1981, 5a/5 RKn 35/78, Rdnr. 23 – nach Juris).
Gemessen hieran muss die Beklagte die erforderlichen Kosten für Hundefutter und Tierarzt übernehmen, aber auch für eine Versicherung. Denn für einen Assistenzhund ist zwingend eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch ihn verursachten Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden abzuschließen und aufrechtzuerhalten (§ 12e Abs. 5 BGG).
(2) Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden als Sach-, Geld- oder Dienstleistung erbracht (§ 105 Abs. 1 SGB IX). Leistungen zur sozialen Teilhabe können mit Zustimmung der Leistungsberechtigten auch in Form einer pauschalen Geldleistung erbracht werden, soweit es Teil 2 des SGB IX vorsieht (§ 105 Abs. 3 S. 1 SGB IX). Die vorgesehenen Konstellationen sind in § 116 Abs. 1 S. 1 SGB IX aufgelistet; diese Liste ist abschließend (Gutzler in: Hauck/Noftz, SGB IX, § 105 Rdnr. 13).
§ 116 Abs. 1 S. 1 SGB IX sieht keine pauschale Geldleistung zur Abgeltung der Kosten für die Instandhaltung eines Hilfsmittels vor. Angesichts dessen hat die Klägerin keinen (einklagbaren) Anspruch auf Übernahme der Kosten in der Form einer Pauschale.
Dies schließt indes nicht aus, dass sich die Klägerin aus Gründen der Praktikabilität mit der Beklagten auf eine Pauschale für die regelmäßig anfallenden Kosten verständigt (insbesondere für Futter und Versicherung) und z.B. nur unregelmäßige Kosten für den Tierarzt einzeln abrechnet. Im Versorgungsrecht – das hier nicht unmittelbar gilt – ist für Blindenhunde eine derartige Pauschale in § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und S. 2 SGB XIV i.V.m. § 14 BVG a.F. normiert.
e) Die Klägerin muss keinen Kostenbeitrag leisten.
Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe ist nach Maßgabe des Teils 2 Kapitel 9 des SGB IX grundsätzlich ein Kostenbeitrag zu leisten (§ 92 SGB IX). Nach den dortigen Vorschriften ist ein Kostenbeitrag aber nicht aufzubringen bei gleichzeitiger Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II (§ 138 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX).
So verhält es sich hier: Die Klägerin bezieht Bürgergeld.
2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 i.V.m. § 194 S. 2 SGG.