1. Ein Gutachten ist insgesamt unbrauchbar und deshalb nicht zu vergüten, wenn es aufgrund inhaltlicher, objektiv feststellbarer Mängel nicht verwertbar ist, deshalb vom Gericht nicht als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden kann und tatsächlich nicht herangezogen wird.
2. Ein Gutachten muss so gestaltet sein, dass es für den Auftraggeber eine im Allgemeinen und in den Einzelheiten nachvollziehbare und überprüfbare Grundlage für die Entscheidung abgibt, die der Auftraggeber zu treffen hat.
3. Für medizinische Sachverständigengutachten ist zu fordern, dass die Beweisfragen und die Gutachtengrundlage wiedergegeben werden, der medizinische Sachverhalt einschließlich der vom Sachverständigen erhobenen Befunde geschildert wird und nach wissenschaftlicher Beurteilung des festgestellten Sachverhalts die Beweisfragen beantwortet werden.
Die Vergütung des Antragstellers für das schriftliche Sachverständigengutachten im Verfahren L 7 R 45/22 wird auf 0,00 EUR festgesetzt.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Vergütung für ein psychiatrisches Sachverständigengutachten, das in einem rentenrechtlichen Berufungsverfahren erstattet worden ist.
Der Antragsteller ist mit Beweisanordnung vom 19. Januar 2024 zum Sachverständigen bestimmt worden im Berufungsverfahren zum Az. L 7 R 45/22, das die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente zum Gegenstand gehabt hat.
Unter dem 10. Juni 2024, eingegangen bei Gericht am 24. Juni 2024, hat er ein sechsseitiges Gutachten vorgelegt und mit Rechnung vom selben Tag einen Vergütungsanspruch von 1.095,99 EUR geltend gemacht. Dabei hat er für die Sichtung und Wertung der Akte 3 Stunden, für die Befragung des Begutachteten 1,5 Stunden, für das Abfassen des Gutachtens 4,5 Stunden, insgesamt damit 9 Stunden zu einem Stundenhonorar von 120,00 EUR (Honorargruppe M3) geltend gemacht zzgl. Schreibgebühr und Porto.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat den Vergütungsanspruch des Antragstellers am 15. Oktober 2024 in Höhe von 780,99 EUR festgestellt und dabei insgesamt 8,5 Stunden zu einem Stundenhonorar von 90,00 EUR (Honorargruppe M2) berücksichtigt.
Am 18. November 2024 hat der Antragsteller richterliche Festsetzung beantragt und geltend gemacht, dass das Gutachten eine besondere Herausforderung dargestellt habe, da unterschiedliche Auffassungen kritisch hätten gewürdigt werden müssen. Dafür befrage und untersuche er den Betroffenen und gleiche seine Ergebnisse mit den Vorbefunden ebenso ab wie mit den ihm verfügbaren und bekannten wissenschaftlichen Grundlagen. Dies sei alles andere als trivial. Einige Fragen beträfen auch Ursachenzusammenhänge, wie die Frage 5 („Aus welchen Gesundheitsstörungen folgen die Einschränkungen jeweils?“) und die Frage 11 („Sollte Ihre Beurteilung von den bisher eingeholten Gutachten bzw. den Diagnosen/Bewertungen der behandelnden Ärzte abweichen, wird um Begründung gebeten.“). Dies gehe über die „Beschreibung des Ist-Zustandes“ hinaus und lasse sich nicht „nach standardisiertem Schema“ bearbeiten. Insofern halte er den Schwierigkeitsgrad für überdurchschnittlich.
Er beantragt,
seine Vergütung antragsgemäß auf 1.095,99 EUR festzusetzen.
Der Antragsgegner hat am 5. Dezember 2025 ebenfalls richterliche Festsetzung beantragt zunächst mit dem Antrag,
die Vergütung des Antragstellers auf 645,99 EUR festzusetzen.
Er ist angesichts der Textmenge für die Abfassung des Gutachtens von einem Zeitaufwand von lediglich 1,5 Stunden ausgegangen. Insgesamt sei ein Zeitaufwand von aufgerundet 7,0 Stunden anzuerkennen. Bei dem Gutachten handele es sich um ein typisches in der Sozialgerichtsbarkeit eingeholtes Rentengutachten. Es sei nicht zu erkennen, dass die Schwelle zu einem nach der Honorargruppe M3 zu vergütenden Gutachten überschritten sei.
Der Einzelrichter hat die Beteiligten mit Vergütung vom 10. Februar 2025 dazu angehört, die Vergütung abweichend von den bis dahin gestellten Anträgen auf 0,00 EUR festzusetzen.
Daraufhin hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 17. Februar 2025 beantragt,
die Vergütung des Antragstellers auf 0,00 EUR festzusetzen.
Der Antragsteller hat sich zur Verfügung vom 10. Februar 2025 innerhalb der ihm gesetzten Frist zur Stellungnahme nicht geäußert.
II.
Der Senat entscheidet gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) durch den Einzelrichter.
Die Anträge des Antragstellers und des Antragsgegners auf richterliche Festsetzung der Vergütung ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die Vergütung des Antragstellers ist auf Null festzusetzen, weil das Gutachten in vollem Umfang unverwertbar gewesen ist. Auf die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen, ob das Gutachten nach der Honorargruppe M3 zu vergüten wäre – es handelt sich bei dem vorliegenden Rentengutachten offensichtlich um eine beschreibende Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge zur Erwerbsminderung in Verfahren nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch, die nach Teil 2 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 Satz 1 JVEG regelhaft der Honorargruppe M2 zuzuordnen ist – und welcher Stundenaufwand für die Abfassung des Gutachtens erforderlich gewesen ist, kommt es deshalb nicht entscheidend an.
Nach § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG erhält der Berechtigte die Vergütung nur insoweit, als seine Leistung bestimmungsgemäß verwertbar ist, wenn er eine mangelhafte Leistung erbracht hat und er die Mängel nicht in einer von der heranziehenden Stelle gesetzten angemessenen Frist beseitigt; die Einräumung einer Frist zur Mängelbeseitigung ist entbehrlich, wenn die Leistung grundlegende Mängel aufweist oder wenn offensichtlich ist, dass eine Mängelbeseitigung nicht erfolgen kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Antragsteller hat eine grundlegend mangelbehaftete Leistung abgeliefert, die im Rechtsstreit zum Az. L 7 R 45/22 nicht bestimmungsgemäß hat verwertet werden können und die auch nicht bestimmungsgemäß verwertet worden ist.
Das erstellte Gutachten ist nach Überzeugung des Gerichts unbrauchbar. Unbrauchbar ist ein Sachverständigengutachten nicht schon dann, wenn es ihm an Überzeugungskraft mangelt. Entscheidend ist, dass das Gutachten aufgrund inhaltlicher, objektiv feststellbarer Mängel nicht verwertbar ist und es deshalb von dem Gericht nicht als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden kann (Schneider, JVEG, 4. Aufl. 2021, § 8a Rn. 10 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten weist in Aufbau, Form und Inhalt so gravierende Schwächen auf, dass es vom Gericht zur Begründung einer Entscheidung nicht hat herangezogen werden können.
Welche Anforderungen im Einzelnen an ein Gutachten im Allgemeinen bzw. an ein medizinisches Gutachten im Besonderen zu stellen sind, ist weder abstrakt geregelt noch generell definierbar. Allgemein muss ein Gutachten so gestaltet sein, dass es für den Auftraggeber eine im Allgemeinen und in den Einzelheiten nachvollziehbare und überprüfbare Grundlage für die Entscheidung, die der Auftraggeber zu treffen hat, abgibt. Das wird im Bereich der medizinischen Sachverständigengutachten am besten und am ehesten erreicht, wenn die wissenschaftlichen Gebote des jeweiligen ärztlichen Faches eingehalten werden und wenn der Text für nicht medizinisch ausgebildete Rezipienten verständlich gefasst wird (Schmidt-Recla in: Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 124 Rn. 1). Allgemein ist für medizinische Sachverständigengutachten zu fordern, dass nach den zu beantwortenden Beweisfragen die Gutachtengrundlage aufgelistet, d.h. welche Akten übersandt wurden, welche Befunde, Behandlungsberichte, Vorgutachten, etc. dem Sachverständigen bereits vorlagen. Anschließend ist der medizinische Sachverhalt zu schildern und sind die Befunde, die der Sachverständige erhoben hat, darzustellen. Daraufhin folgt der Hauptteil des Gutachtens, nämlich die wissenschaftliche Beurteilung des festgestellten Sachverhalts und die Beantwortung der Beweisfragen (Schmidt-Recla, a.a.O., Rn. 2 ff.).
Speziell für die psychiatrische Begutachtung kommt Leitlinien der Fachgesellschaften eine besondere Bedeutung zu. Relevant ist hier etwa die von der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. (DGPM), der Deutschen Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung e.V. (DGNB) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN) herausgegebene S2k-Leitlinie Begutachtung bei psychischen und psychosomatischen Störungen (online im Internet unter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/051-029, recherchiert am 7. Februar 2025). Danach ist die Aufarbeitung der Aktenlage und die sorgfältige Einbeziehung der Anknüpfungstatsachen „notwendige Voraussetzung“ für die qualifizierte Begutachtung (S. 2). Als „wesentliche Bestandteile“ der Exploration werden die biografische Anamnese, die systemische Exploration und die freie Exploration angesehen (S. 3). Bei Fragestellungen zum beruflichen Leistungsvermögen kommt der Sozial- und Berufsanamnese „besondere“ und der Anamnese des Tagesablaufs „wesentliche Bedeutung“ zu (S. 3 f.). Bei der klinischen Befunderhebung ist neben dem psychischen Querschnittsbefind (dazu S. 6 f.) stets auch ein körperlicher Befund zu erheben (S. 7). Die Medikation ist zu dokumentieren und ggf. ein Medikamentenspiegel zu erheben (S. 7). Testpsychologische Diagnostik wird als eine substanzielle Ergänzung der durch klinische Untersuchung, Labordiagnostik, elektrophysiologische und bildgebende Verfahren sowie Exploration und Verhaltensbeobachtung erhobenen Informationen angesehen und nimmt in der Leitlinie breiten Raum ein (S. 8-10). Als „wesentlicher Bestandteil jeder Begutachtung“ wird sodann die Beschwerdevalidierung einschließlich der abschließenden Plausibilitätsprüfung angesehen (S. 10-12).
Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei dem vorliegenden Gutachten um eine in weiten Teilen erheblich mängelbehaftete und damit für die gerichtliche Verwertung gänzlich unbrauchbare Leistung. So fehlt nicht nur die Wiedergabe der Beweisfragen, sondern auch die Darstellung des zugrundeliegenden Akteninhalts und der vorgefundenen Vorbefunde vollständig. Der Hinweis des Antragstellers auf Seite 2/6 des Gutachtens, dass „die Vorgeschichte (…) in der Akte hinreichend dargelegt“ sei, ist in keiner Weise ausreichend, weil völlig unklar bleibt, welche Vorbefunde der Antragsteller überhaupt zur Kenntnis genommen und so seiner gutachterlichen Einschätzung zugrunde gelegt hat. Dass eine Exploration stattgefunden hat, ist aus einem immerhin zwei Seiten langen unstrukturierten Fließtext zwar dem Grunde nach zu entnehmen. Eine sinnvolle Abgrenzung zwischen Sozial-, Berufs-, Familienanamnese und Anamnese des Tagesablaufs findet jedoch nicht statt. Offenbar ist weder ein klinischer Querschnittsbefund noch ein körperlicher Befund erhoben worden; zumindest ist dergleichen nicht im Gutachten dokumentiert. Die für die psychiatrische Begutachtung durchaus wichtige Frage der eingenommenen Medikamente bleibt offen. Erwähnung findet lediglich „eine Medikation mit 30mg Mirtazapin“, wobei offenbleibt, ob diese noch aktuell gewesen ist. In dem später eingeholten Gutachten eines anderen Sachverständigen hat jener anamnestisch immerhin auch noch die Einnahme von Metoprolol 200 mg morgens, Ramipril 10 mg morgens und Amlodipin 5 mg morgens wegen Bluthochdrucks, sowie von Simvastatin 20 mg als Gefäßschutz abends und zur Blutverdünnung ASS 100 morgens erhoben. Ebenso wenig hat der Antragsteller offenbar auf testpsychologische Verfahren zurückgegriffen oder erklärt, warum er davon abgesehen hat. Nahezu folgerichtig findet eine Beschwerdevalidierung einschließlich der Plausibilisierung der Angaben des Begutachteten nicht statt, so dass der Antragsteller die wesentliche, die Erwerbsminderung betreffende Beweisfrage 2 lediglich mit Hinweis auf die vom Begutachteten „glaubhaft vorgetragenen Beeinträchtigungen“ beantwortet. Dies ist in keiner Weise ausreichend.
Das Gutachten ist auch nicht deshalb zu vergüten, weil es nach § 8a Abs. 2 Satz 2 JVEG trotz seiner Mängel als verwertbar gelten würden. Denn das wäre nur dann der Fall, wenn das Gericht die Leistung berücksichtigt hätte. Dies ist hier offensichtlich nicht der Fall. Denn der erkennende 7. Senat hat nach Eingang des Gutachtens des Antragstellers am 24. Juni 2024 unverzüglich unter dem 16. Juli 2024 einen neuen Gutachtenauftrag an einen anderen psychiatrischen Sachverständigen erteilt. Während der Antragsteller noch zu einem unterdreistündigen Leistungsvermögen des Begutachteten gelangt war, ist der neue Sachverständige zu einem vollschichtigen Leistungsvermögen gelangt, woraufhin der Begutachtete im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. November 2024 seine Berufung gegen die klagabweisende Entscheidung des Sozialgerichts zurückgenommen hat. Dies zeigt, dass das Gutachten des Antragstellers auf den Ausgang des Verfahrens keinerlei Einfluss gehabt hat und vom Senat nicht berücksichtigt worden ist.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 4 Abs. 8 JVEG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 2 und 3 JVEG, § 177 SGG).