Wenn die Krankenkasse eine nach EBM-Ä abrechenbare Leistung (hier: Upright-MRT) nicht bei einem vertragsärztlichen Leistungserbringer zur Verfügung stellen kann und hierfür auch keinen vertraglichen Leistungserbringer benennen kann, da die vertraglichen Praxen nicht über eine für die Leistung notwendige Geräteausstattung verfügen, kann sich der Versicherte diese Leistung auf Kosten der Krankenkasse in einer Privatpraxis ohne Kassenzulassung verschaffen, da dann ein Fall des Systemversagens nach § 13 Abs 3 SGB 5 vorliegt.
Gericht: |
Sozialgericht Heilbronn |
Datum: |
12.02.2025 |
Aktenzeichen: |
Entscheidungsart: |
Urteil |
Normenkette: |
Titelzeile: |
Erstattungsanspruch der Kosten für ein Upright-MRT durch die Krankenkasse aufgrund Systemversagens |
Leitsatz: |
Wenn die Krankenkasse eine nach EBM-Ä abrechenbare Leistung (hier: Upright-MRT) nicht bei einem vertragsärztlichen Leistungserbringer zur Verfügung stellen kann und hierfür auch keinen vertraglichen Leistungserbringer benennen kann, da die vertraglichen Praxen nicht über eine für die Leistung notwendige Geräteausstattung verfügen, kann sich der Versicherte diese Leistung auf Kosten der Krankenkasse in einer Privatpraxis ohne Kassenzulassung verschaffen, da dann ein Fall des Systemversagens nach § 13 Abs 3 SGB 5 vorliegt. |
Tenor: |
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Der Bescheid der Beklagten vom 07.11.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2024 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für 2 Upright-MRT Untersuchungen in Höhe von insgesamt 1.869,92 € zu erstatten.
Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für zwei durchgeführte Magnetresonanztomographie in aufrechter Körperposition (Upright-MRT).
Die am XX.XX.2003 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
Am 18.10.2023 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für Upright-MRT Untersuchungen. Dem Antrag lag eine ärztliche Bescheinigung des Orthopäden Dr. H. bei, welcher ausführte, dass die Klägerin höchstwahrscheinlich von einem Ehlers-Danlos-Syndrom vom hypermobilen Subtyp betroffen sei und es für die Verifizierung und Sicherung der Diagnose sinnvoll sei, eine geeignete Upright MRT Untersuchungen durchzuführen. Außerdem lag dem Antrag ein Überweisungsbeschein vom 15.09.2023 des Allgemeinmediziners Dr. M. bei und zusätzlich ein Begründungsschreiben von Dr. M., in dem dieser mitteilte, dass die Klägerin ein Upright-MRT zur medizinischen Abklärung ihrer Beschwerdesymptomatik benötige. Die Klägerin leide unter stark ausgeprägten Nackenschmerzen, Knack- und Knirschgeräuschen bei Bewegung, Ausstrahlenden Schmerzen in die Schulterregion, und migräneartigen Kopfschmerzen. Das Upright-MRT ermögliche es, dass Patienten im Sitzen, Stehen oder Liegen untersucht werden könnten und somit könnten dann Veränderungen der Halswirbelsäule oder Kopfgelenke unter der natürlichen Gewichtsbelastung beurteilt werden, was vorliegend sinnvoll sei, da die Klägerin deutliche Beschwerden im Sitzen, Stehen und bei Bewegung habe. Dem Antrag lag weiter ein Kostenvoranschlag der Privatpraxis für Upright-Kernspintomographie XXX von Dr. F. für die Durchführung von zwei Upright-MRTs zum Preis von jeweils 934,96 € bei.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten bei dem Medizinischen Dienst (MD) ein. Der MD teilte in seinem Gutachten vom 02.11.2023 mit, dass das beantragte Upright-MRT eine Vertragsleistung sei. Es bestünden noch Alternativen wie eine Röntgenuntersuchung und eine Computertomographie. Inwiefern eine Upright-MRT Untersuchung weitere Informationen zu den offensichtlich schon erfolgten und unauffälligen MRT bringen solle, sei nicht ersichtlich. Es sei auch unklar, ob die Untersuchung konkrete therapeutische Konsequenzen für die weitere Behandlung der Klägerin habe. Außerdem machte der MD Ausführungen zu der Frage, ob es sich bei dem Upright MRT um eine neue Behandlungsmethode handele.
Mit Bescheid vom 07.11.2023 lehnte die Beklagte dann den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, dass die von ihre gewählte Praxis keine Kassenzulassung habe und die Kosten daher nicht übernommen werden könnten, obwohl festzustellen sei, dass das Upright MRT eine Vertragsleistung sei.
Am 26.11.2023 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch. Zur Begründung machte sie geltend, dass es nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg im Bundesgebiet keine alternative Praxis mit Kassenzulassung gebe, die ein solches Upright MRT durchführen könne. Sie könne daher nur eine Privatpraxis in Anspruch nehmen und der in Betracht kommende Arzt Dr. F. habe Erfahrungen mit der seltenen Erkrankung des Ehlers-Danlos-Syndroms.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.02.2024 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass Patienten nur zugelassene Vertragsärzte in Anspruch nehmen dürften und wenn sie sich freiwillig in privatärztliche Behandlung begeben würden, die Beklagte sich nicht an den Kosten beteiligen dürfe. Es handele sich hier auch nicht um eine Notfallbehandlung und die Behandlung in einer privaten Einrichtung sei daher nicht gerechtfertigt. Weiter schließe man sich den Ausführungen des MD an.
Am 19.02.2024 und am 20.02.2024 führte die Klägerin die zwei Upright-MRT Untersuchung bei Dr. F. in XXX auf eigne Kosten durch und zahlte hierfür 1.896,92 € und Hotelübernachtungskosten in Höhe von 166,00 €.
Die Klägerin hat am 26.02.2024 Klage zum Sozialgericht Heilbronn erhoben. Sie macht geltend, dass unter Verweis auf die Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 25.06.2019, Az.: L 11 KR 4517/18 eine Kostenübernahme auch bei Durchführung der notwendigen Untersuchung in einer Privatpraxis in Fragen kommen dürfte, vor allem wenn es offensichtlich in Deutschland keine Praxis mit Kassenzulassung gebe, die Upright-MRT-Untersuchungen durchführen könnten. Die Beklagte habe hierzu auch keine Alternative benannt. Die begehrte Untersuchung sei medizinisch notwendig, die vom MD angesprochene Alternative des Röntgens oder der CT-Untersuchungen seien nicht anwendbar, da es hier um die Untersuchung von Weichteilen und nicht von knöchernen Strukturen gehe. Durch die durchgeführte Upright-MRT Untersuchung hätten sich Instabilitäten der oberen Kopfgelenke und Bandscheiben-Protrusionen unter Belastung nachweisen lassen, weshalb nunmehr körperstützende Orthesen angeschafft wurden und eine Anpassung der Physiotherapie erfolgt sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 07.11.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2024 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für 2 Upright-MRT-Untersuchungen in Höhe von insgesamt 1.869,92 € zu erstatten
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte führt aus, dass es sich bei Upright-MRT um eine Leistung der Regelversorgung handele, daher sei sie grundsätzlich über eGK abrechenbar. Eine Abrechnung über eGK sei auf Grund fehlender zugelassener Geräte aber nicht möglich. Die Notwendigkeit der Untersuchung habe vom MD nicht bestätigt werden können.
Das Gericht hat am 24.04.2024 einen richterlichen Hinweis zu den bestehenden Erfolgsaussichten der Klage an die Beklagte erteilt und gebeten, dass die Beklagte ihre Rechtsauffassung überdenken solle und prüfen solle, ob sie ein Anerkenntnis abgeben könne.
Die Beklagte hat daraufhin ohne weitere Rücksprache mit dem Gericht oder dem mandatierten Klägervertreter direkt bei der Klägerin weitere medizinische Unterlagen angefordert und den MD mit einem weiteren Gutachten beauftragt. Dieser hat in seinem zweiten Gutachten vom 04.10.2024 mitgeteilt, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Eine unaufschiebbare Leistung sei nicht zu erkennen und die Klägerin hätte eine MRT-Untersuchung der Halswirbelsäule im Liegen vornehmen lassen sollen.
Das Gericht hat am 12.02.2025 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Auf das Protokoll vom 12.02.2025 wird insoweit verwiesen. Die Klägerin hat den ursprünglichen Klageantrag hinsichtlich der Erstattung der Hotelkosten in der mündlichen Verhandlung auf Hinweis der Vorsitzenden zurückgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der ihr entstandenen Kosten für die Durchführung von zwei Upright-MRT Untersuchungen am 19.02.2024 und 20.02.2024 in Höhe von insgesamt 1.869,92 €.
Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Erstattung der Kosten für die selbst beschaffte Behandlung ist § 13 Abs. 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Danach besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung, wenn die Krankenkasse eine notwendige und unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (§ 13 Abs. 3 Satz 1 1. Variante SGB V) oder eine notwendige Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind (§ 13 Abs. 3 Satz 1 2. Variante SGB V). Aufgrund eines bestehenden Primäranspruchs auf Kostenübernahme für die durchgeführten Upright-MRT, hat die Klägerin einen Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Var. SGB V auf Erstattung der bereits entstandenen Kosten. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.
Vorliegend lag zwar keine unaufschiebbare Leistung im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit vor, jedoch liegen die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V vor. Die ablehnende Auffassung der Beklagten kann die Kammer vorliegend nicht überzeugen. Die Beklagte stützt sich vorliegend auf die Ausführungen in den Gutachten des MD, welche widersprüchlich und unzutreffend sind.
Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Ablehnung der Leistung durch die Beklagte und der Selbstbeschaffung besteht, denn die Klägerin hat sich die Leistung erst nach Ablehnung durch die Beklagte selbst verschafft. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass – unabhängig davon, wie eine Entscheidung der Krankenkasse ausfällt – die Klägerin etwa von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung bei einem nicht zugelassenen Leistungserbringer festgelegt gewesen wäre. Die bloße Vorlage der Kostenvoranschläge der Privatklinik reichen hierfür nach der Überzeugung der Kammer nicht aus. Hätte die Beklagte einen vertragsärztlichen Leistungserbringer für die Durchführung der Upright-MRT benennen können, wären die Untersuchungen dort möglich gewesen und die Klägerseite nach Überzeugung der Kammer auch bereit gewesen, die Untersuchung dort wahrzunehmen. Allerdings hat die Beklagte weder im Verwaltungsverfahren, noch im Gerichtsverfahren und auch nicht auf Nachfrage der Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung einen vertragsärztlichen Leistungserbringer für ein Upright-MRT benennen können.
Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung des BSG 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 8; BSG 27.03.2007, B 1 KR 17/06 R, juris). Die streitgegenständlichen Untersuchungen durch Upright-MRT gehört grundsätzlich zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen. Es handelt sich nicht um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Die Ausführungen des MD zu den Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V sind bereits deshalb unerheblich.
Vorliegend liegt ein Fall des sogenannten Systemversagens (§ 13 Abs. 3 SGB V) vor. Bei Upright-MRT handelt es sich um nach dem EBM-Ä abrechenbare Leistungen. Davon geht auch die Beklagte zutreffend aus. Die Problematik besteht allein darin, dass es in Deutschland bislang noch nicht viele Praxen mit einer entsprechenden Geräteausstattung gibt; es handelt sich dabei in der Regel um Privatpraxen ohne vertragsärztliche Zulassung. Versicherte, denen ihre Krankenkasse rechtswidrig Leistungen verwehrt, sind jedoch nicht prinzipiell auf die Selbstbeschaffung der Leistungen bei zugelassenen Leistungserbringern verwiesen. Sie müssen sich nur eine der vorenthaltenen Naturalleistung entsprechende Leistung verschaffen, dies aber von vornherein privatärztlich außerhalb des Leistungssystems (BSG 11.09.2012, B 1 KR 3712 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 23). Erst recht gilt dies, wenn die Krankenkasse sich außerstande sieht, die streitige Leistung innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen. Gerade derartige Fälle des Systemversagens hat § 13 Abs 3 SGB V vor Augen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Juni 2019 – L 11 KR 4517/18 –, Rn. 23 - 27, juris).
Die streitigen MRT waren zur weiteren Diagnostik und Therapieplanung erforderlich und damit notwendig iSv § 27 SGB V. Die widersprüchliche Argumentation des MD, welcher auf der einen Seite im Gutachten vom 02.11.2023 in Zweifel zieht, welchen Mehrwert ein Upright-MRT bringen solle, nachdem die durchgeführten MRTs in liegender Position ohne Erkenntnisgewinn für die Beschwerden der Klägerin geblieben waren und auf der anderen Seite im Gutachten vom 04.10.2024 ausführt, die Klägerin solle ein weiteres MRT der Halswirbelsäule im Liegen durchführen, überzeugt die Kammer nicht. Die Kammer schließt sich stattdessen den Ausführungen von Dr. H. und Dr. M. an, dass das streitgegenständliche Upright-MRT zur Abklärung und Verifizierung der Beschwerden der Klägerin erforderlich und notwendig war, da somit die Veränderung der Wirbelsäule und der Gelenke unter der natürlichen Gewichtsbelastung beurteilt werden konnten. Mit den Ausführungen der behandelnden Ärzte hat sich weder die Beklagte noch der MD nachvollziehbar auseinandergesetzt. Zur Überzeugung der Kammer war die Klägerin nicht auf weitere MRT Untersuchungen im Liegen oder Röntgenuntersuchungen zu verweisen, da diese nicht vergleichbare Ergebnisse erwarten ließen.
Damit hat die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der entstandenen Kosten für die Upright-MRT am 19.02.2024 und 20.02.2024.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG. Dem Gericht steht bei einer Entscheidung nach § 193 SGG ein sachgemäßes bzw. pflichtgemäßes Ermessen unter Einbeziehung aller wertungsrelevanten Gesichtspunkte (Vorverfahren, Klageverfahren, Beweisaufnahme, Verhalten der Behörde, des Klägers etc.) zu. Unter Beachtung dieser Umstände des vorliegenden Einzelfalls hält es das Gericht in Ausübung seines billigen Ermessens für angebracht, eine vollständige Kostenerstattung durch die Beklagte anzuordnen, obwohl die Klägerseite den ursprünglich gestellten Kostenerstattungsantrag in Höhe der Hotelübernachtungskosten von 166,00 € zurückgenommen hat. Diese fallen im Vergleich zu den entstanden Behandlungskosten in Höhe von 1.896,92 € für die Kammer nicht relevant ins Gewicht und die Kammer berücksichtigt darüber hinaus auch, dass die Beklagte trotz des gerichtlichen Hinweises vom 24.04.2024 und in der mündlichen Verhandlung am 12.02.2025 kein Anerkenntnis abgegeben hat.