1. Der Anspruch aus § 305 Abs. 1 Satz 1 SGB V steht nur Versicherten selbst zu und kann nicht auch von einem Elternteil eines minderjährigen Versicherten im eigenen Namen geltend gemacht werden.
2. Eine verfassungskonform erweiternde Auslegung ist nicht geboten, da das Familienrecht Konfliktlösungsmechanismen für den Fall bereithält, dass sich die Eltern als gesetzliche Vertreter über die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs nicht einigen können.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 4. Juli 2024 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge endgültig auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf die Erteilung elektronischer Patientenquittungen für ihre beiden minderjährigen Kinder.
Die Kinder der Klägerin, J, geb. 2013 und Y, geb. 2015, sind über die Klägerin bei der Beklagten familienversichert. Die Klägerin lebt seit November 2020 vom Vater der Kinder getrennt. Das Umgangsrecht ist konfliktbehaftet. Die Kinder sind überwiegend in der Obhut des Kindesvaters, teils aber auch in der Obhut der Klägerin. Es besteht grundsätzlich ein gemeinsames Sorgerecht. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten ist mit Beschluss des Amtsgerichts Schleswig vom 15. September 2022 auf den Kindesvater übertragen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss (Bl. 21 ff. der Gerichtsakte LSG) Bezug genommen.
Am 2. Juni 2022 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erteilung einer elektronischen Patientenquittung für beiden Kinder. Mit Bescheid vom 12. September 2022 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 116 f. der Leistungsakte Bezug genommen.
Den hiergegen unter dem 20. September 2022 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2023, zugestellt am 17. Februar 2023, als unbegründet zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 148 ff. der Leistungsakte Bezug genommen.
Dagegen hat die Klägerin am 15. März 2022 Klage beim Sozialgericht Schleswig erhoben.
Die Klägerin hat geltend gemacht, sie habe nach §§ 25 und 83 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO EU) das Recht auf Akteneinsicht und damit auch das Recht auf Einsicht in die Patientenquittungen ihrer Kinder als gesetzliche Vertreterin, da diese zu ihrer Akte gehörten. Diese Rechte seien unabdingbar. Sie könne weder auf diese Rechte verzichten noch dürften ihr diese Rechte vorenthalten werden. Sie habe ein Elterninformationsrecht. Der Vater kommuniziere nicht mit ihr und verweigere ihr Informationen über den Gesundheitszustand der Kinder, was sich sehr gefährlich auf die Kinder auswirken könne, während sie sich in ihrer Obhut befänden.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 12. September 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Februar 2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine elektronische Patientenquittung für ihre Kinder: J, geboren 2013 und Y, geboren 2015 zu erteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug genommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2024 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
„Die Klage ist bereits unzulässig.
Die Klägerin verfolgt mit der im eigenen Namen erhobenen Klage einen Anspruch auf Auskunft (§ 305 Abs. 1 SGB V) und auf Erteilung einer Patientenquittung (§ 305 Abs. 2 SGB V) ihre beiden Kinder J, geb. 2013, und Y, geb. 2015, betreffend.
Die Klage, welche von dem damaligen Bevollmächtigten der Klägerin, Herrn Rechtsanwalt M, mit Klageschrift vom 15.03.2023 beim Sozialgericht Schleswig am 16.03.2023 erhoben wurde, weist allein die Klägerin als Aktivpartei aus.
Die Kinder der Klägerin haben als Familienversicherte einen eigenen Auskunftsanspruch nach § 305 SGB V (vgl. Scholz in: BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching; Stand: 01.09.2023, § 305 SGB V, Rn. 2 m. w. Nws.). Da sie minderjährig sind, und aufgrund des Alters (10 Jahre und 9 Jahre) auch noch nicht der Regelung des § 36 Abs. 1 SGB I unterfallen, werden sie bei der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs bzw. des Anspruchs auf Erteilung einer Patientenquittung von den Sorgeberechtigten vertreten. Entsprechendes gilt im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Ansprüchen der minderjährigen Kinder, welche auf die Datenschutz-Grundverordnung (DGSVO) gestützt werden.
Unabhängig davon, dass die Klägerin ihre Sorgeberechtigung - an der es aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Schleswig vom 30.06.2022 durchaus Zweifel gibt - weder dargelegt noch nachgewiesen hat, ist festzustellen, dass die Klage im Namen der Klägerin und nicht namens und in Vertretung der minderjährigen Kinder erhoben wurde. Die Klägerin kann jedoch nicht in eigenem Namen Ansprüche ihrer Kinder klagweise geltend machen.
Soweit die Klägerin ihr Auskunftsverlangen auf § 25 SGB X stützt, fehlt es bereits an einem Verwaltungsverfahren, in dessen Rahmen Akteneinsicht begehrt werden könnte. Die begehrten Auskünfte betreffen Gesundheitsdaten der Kinder Klägerin, also erfolgte Behandlungen etc. Dabei handelt es sich nicht um Verwaltungsverfahren. Erst nach Antragstellung am 02.06.2022 wurde ein Verwaltungsverfahren bezüglich der Auskunftsansprüche in Gang gesetzt. Hier mag die Klägerin auch Anspruch auf Akteneinsicht gehabt haben, allerdings umfasst dieser Anspruch lediglich die Akteneinsicht in die das Auskunftsverfahren betreffenden Akten, nicht in die Abrechnungsdaten der zu Lasten der Beklagten erfolgten Behandlungen der Kinder. Die begehrte Auskunft kann die Klägerin über § 25 SGB X nicht erlangen, eine Aktivlegitimation über diese Norm ist ausgeschlossen.
Auch mit ihrem Hinweis auf ein Auskunftsrecht auf Grundlage von § 83 SGB X dringt die Klägerin nicht durch. Bevor die Klägerin einen im eigenen Namen geltend gemachten und auf die DGSVO gestützten Anspruch gerichtlich verfolgen können, müsste zunächst ein Antrag beim Verantwortlichen im Sinne der DGSVO gestellt worden sein. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin einen solchen Antrag bei der Beklagten gestellt hat. Insoweit fehlt der Klage insoweit auch das Rechtsschutzinteresse als allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage, da die Klägerin ihr Ziel auf einfacherem Wege verfolgen kann.
Angesichts dieser Sachlage war die Klage als unzulässig abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Im Hinblick auf den geltend gemachten Auskunftsanspruch wurde der Auffangstreitwert angenommen (§ 52 Abs. 2 GKG).“
Gegen den ihr am 6. Juli 2024 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 18. Juli 2024 Berufung beim Sozialgericht Schleswig erhoben, das die Berufungsschrift an das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht weitergeleitet hat.
Zur Begründung der Berufung vertieft die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen. Die Klage sei zulässig, weil ihr ein eigener Anspruch auf Elterninformation zustehe. Das angefochtene Urteil sei deshalb verfahrensfehlerhaft und materiell unrichtig. Es verletze sie in ihren Rechten zur Wahrnehmung ihrer aus Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) folgenden Elternpflicht, für die Gesundheit ihrer Kinder zu sorgen. Es gebe keine gesetzliche Grundlage für die Verweigerung ihres Zugangs zu den Gesundheitsinformationen über ihre Kinder. Diese Informationen seien aber zur Wahrnehmung der elterlichen Sorge unabdingbar und der Zugang zu ihnen müsse für jeden Elternteil auch jeweils einzeln gewährleistet sein, gerade wenn die gemeinsame Sorge konfliktbelastet sei. Um Entscheidungen im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts richtig treffen zu können, sei sie – die sonst nicht die alltägliche Wahrnehmung ihrer Kinder habe – auf die begehrten Gesundheitsdaten angewiesen. Erst Recht gelte dies, wenn es um nicht alltägliche Entscheidungen wie ärztliche Eingriffe, fortlaufende Medikation, Krankenhausaufenthalte etc. gehe und ihr der andere Elternteil die benötigten Informationen vorenthalte. Bei verfassungskonformer Auslegung des § 305 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) müsse ihr als Elternteil deshalb ein eigener Auskunftsanspruch zustehen.
Sie beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 4. Juli 2024 und den Bescheid der Beklagten vom 12. September 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Februar 2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr elektronische Patientenquittungen für ihre Kinder J, geboren 2013 und Y, geboren 2015 zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 4. bzw. 10. Dezember 2024 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Dem Senat haben die Leistungsakten der Beklagten vorgelegen. Auf diese Akten und auf die Gerichtsakten wird wegen des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung entscheidet gemäß § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Berichterstatter, weil die Beteiligten mit Prozesserklärungen vom 4. und 10. Dezember 2024 zu dieser Verfahrensweise ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGG). Sie ist zulassungsfrei statthaft, weil die Beteiligten nicht über eine quantifizierbare Geld-, Dienst- oder Sachleistung streiten und damit die Beschränkungen des § 144 Abs. 1 SGG nicht greifen.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) der Klägerin mangels eigener Beschwer als unzulässig abgewiesen. Der Berichterstatter weist die Berufung deshalb nach eigener Sachprüfung und Überzeugungsbildung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht von einer eigenständigen Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Der Senat geht wie das Sozialgericht davon aus, dass der Anspruch aus § 305 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur Versicherten selbst zusteht und nicht auch von einem Elternteil im eigenen Namen geltend gemacht werden kann. Zur Begründung sei auf den ablehnenden PKH-Beschluss vom 4. September 2024 verwiesen. Entgegen dem Berufungsvorbringen ist es auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen – insbesondere wegen der aus Art. 6 Abs. 2 Satz GG folgenden Elternrechte und -pflichten – geboten, einem Elternteil einen eigenen Auskunftsanspruch einzuräumen. Zwar kann der Auskunftsanspruch des minderjährigen Kindes im Falle der gemeinsamen elterlichen Sorge im Regelfall nur von beiden Eltern gemeinsam durchgesetzt werden (vgl. § 1629 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Das Familienrecht hält aber Konfliktlösungsmechanismen für den Fall fehlenden Einvernehmens der gesetzlichen Vertreter bereit. Insbesondere kann das Familiengericht auf Antrag nach § 1628 BGB die Entscheidung in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten einem Elternteil übertragen, wenn sich die Eltern nicht einigen können. Dieses Instrumentarium ist auch zur Durchsetzung sozialrechtlicher Ansprüche zu nutzen (BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 54/08 R – BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2, juris Rn. 27).
Dass die familienrechtlichen Konfliktlösungsmechanismen als nicht hinreichend effektiv wahrgenommen werden bzw. nicht die erwünschten Ergebnisse zeitigen, führt nicht dazu, dass darauf mit der extensiven Auslegung sozialrechtlicher Anspruchsgrundlagen reagiert werden müsste. Dabei vermag der Berichterstatter die geltend gemachten Defizite ohnehin nicht zu erkennen. Denn die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass das noch beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht anhängige familiengerichtliche Verfahren darauf abziele, ihr nach § 1671 BGB die alleinige elterliche Sorge für den Bereich der Gesundheitssorge zu übertragen. Dies lässt darauf schließen, dass sie den wesentlich aussichtsreicheren Antrag, ihr nach § 1628 Satz 1 BGB die Entscheidung über die Anforderung elektronischer Patientenquittungen gegenüber der Beklagten zu übertragen, bisher noch gar nicht gestellt hat.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Es handelt sich um ein dem Grunde nach gerichtskostenpflichtiges Verfahren, weil die Klägerin zwar Versicherte der Beklagten ist, aber nicht i.S. des § 183 Satz 1 SGG in dieser Eigenschaft klagt, sondern einen aus dem Elternrecht abgeleiteten eigenen Auskunftsanspruch über Patientendaten ihrer Kinder geltend macht.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) gibt es nicht.
Die Entscheidung über den Streitwert ergeht gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei holt der Berichterstatter die seitens des Sozialgerichts irrtümlich unterbliebene Streitwertwertfestsetzung, die ausweislich der Bezugnahme auf § 52 Abs. 2 GKG am Ende der Entscheidungsgründe offenbar ebenfalls in Höhe des Auffangstreitwerts hätte erfolgen sollen, in entsprechender Anwendung des § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG nach (vgl. dazu Jäcke in: BeckOK-KostenR, 48. Edition, Stand: 1. Februar 2025, § 63 GKG Rn. 16a m.w.N.).