Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Nach § 193 Abs. 1 S. 3 SGG entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben die am 15.06.2023 erhobene Untätigkeitsklage mit Schriftsatz vom 19.09.2023 (Bl. 73 der GA) für erledigt erklärt und einen entsprechenden Kostenantrag gestellt.
Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Beteiligten bei Erledigung des Verfahrens ohne Urteil einander Kosten zu erstatten haben, erfolgt nach sachgemäßem bzw. billigem Ermessen. Dabei steht der nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung zu beurteilende Verfahrenserfolg im Vordergrund (BSG Beschl. v. 18.12.2008 – B 5 R 20/08 R, BeckRS 2010, 65807 Rn. 10, beck-online). Danach ist es in der Regel billig, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt bzw. - im Falle einer Erledigungserklärung - dessen Rechtsstreit auch vor Wegfall eines Rechtsschutzbedürfnisses unter Berücksichtigung des bis dahin vorliegenden Sach- und Streitstandes voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (BSG Beschl. v. 13.12.2016 – B 4 AS 14/15 R, BeckRS 2016, 113290 Rn. 7, beck-online). Daneben können auch die Gründe für die Antragserhebung und die Erledigung des Rechtsstreits zu berücksichtigen sein (BSG Beschl. v. 12.9.2011 – B 14 AS 25/11 B, BeckRS 2011, 77222 Rn. 2, beck-online). Im Hinblick auf den vorliegenden Fall der Erledigung einer Untätigkeitsklage gilt, dass sich die Kostenerstattung ausschließlich nach den Vorgaben des Prozessrechts richtet und die materiellen Erfolgsaussichten in der Sache keine Rolle spielen (Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/B. Schmidt, 14. Aufl. 2023, SGG § 193 Rn. 13c, beck-online). Danach fallen die Kosten der Behörde zur Last, wenn der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/B. Schmidt, aaO.). Daran fehlt es in der Regel, wenn Klage vor Ablauf der Sperrfrist erhoben wurde und der Verwaltungsakt rechtzeitig ergeht (Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/B. Schmidt, aaO.). Ist eine Untätigkeitsklage nach Sperrfristablauf erhoben, muss der Beklagte in der Regel die außergerichtlichen Kosten des Klägers erstatten, wobei eine Kostenerstattung nicht stattfindet, wenn die Behörde einen zureichenden Grund für die Untätigkeit hatte und diesen Grund dem Kläger mitgeteilt hat oder er ihm bekannt war (Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/B. Schmidt, 14. Aufl. 2023, aaO.)
Unter Beachtung dieses Maßstabes ist die Kammer in Ausübung ihres Ermessens der Ansicht, dass der Beklagte dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat.
Gegenstand der vorliegenden Untätigkeitsklage war der Anspruch des Klägers auf Bescheidung seines am 28.11.2022 gestellten Antrags auf Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.11.2022. Nachdem die am 15.06.2023 erhobene Untätigkeitsklage dem Beklagten mit gerichtlichem Schreiben vom 19.06.2023 übersandt wurde, teilte der Beklagte mit Schriftsatz vom 19.07.2023 mit, dass eine „förmliche“ Bescheidung des klägerischen Antrags durchgeführt werde. Mit Schriftsatz vom 21.07.2023 übersandte der Beklagte dann dem Gericht einen Bewilligungsbescheid vom 19.07.2023 und einen Änderungsbescheid vom 19.07.2023. Insoweit hat der Beklagte den Antrag des Klägers erst nach Ablauf der Sperrfrist des § 88 Abs. 1 S. 1 SGG beschieden.
Unabhängig von der Frage, ob § 88 Abs. 1 S. 1 SGG dem Antragsteller einen Anspruch auf (schriftliche) Bescheidung („nicht beschieden“) oder „nur“ auf eine Entscheidung gibt, folgt die Kammer nicht der Ansicht des Beklagten, dass bereits durch die unstreitig zuvor im Mai 2023 auf das Konto des Klägers ausgezahlten Leistungen ein konkludenter Verwaltungsakt im Sinne des § 33 Abs. 2 S. 1 Alt. 3 SGB X erlassen wurde.
Richtig ist zwar, dass in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass konkludente Verwaltungsakte, insbesondere durch Auszahlung oder Erbringung einer Leistung erfolgen können (Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 33 SGB X (Stand: 12.04.2024), Rn. 93). Allerdings ist aus Sicht der Kammer schon zweifelhaft, ob diese Rechtsprechung auf den Bereich des SGB II übertragbar ist.
Die Zweifel begründen sich zunächst damit, dass § 41 Abs. 3 S. 4 SGB II vorsieht, dass sofern mit dem Bescheid [Hervorhebung durch das Gericht] über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Abs. 2, 4, 6 und 7 entschieden wird, die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid [Hervorhebung durch das Gericht] über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen ist, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Abs. 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt. Insofern scheint jedenfalls die Regelung des § 41 Abs. 3 S. 4 SGB II grundsätzlich vorauszusetzen, dass im Hinblick auf die Entscheidung über einen SGB II- Antrag ein Bescheid – d.h. aus Sicht der Kammer ein schriftlicher Verwaltungsakt – zu erteilen ist.
Weiterhin erscheint es fraglich, wie eine hinreichende Bestimmtheit im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X erreicht werden soll, wenn die Behörde im Bereich des SGB II Leistungen ohne Bescheid konkludent durch Auszahlung bewilligt. Nach § 33 Abs. 1 SGB X muss der Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein. Er muss also klar erkennen lassen, wer gegenüber wem, was regelt (Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 33 SGB X (Stand: 12.04.2024), Rn. 10). Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen muss, sein Verhalten daran auszurichten (BSG Urt. v. 17.12.2009 – B 4 AS 20/09 R, BeckRS 2010, 67740 Rn. 13, beck-online). Mithin muss aus dem Verfügungssatz für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will (BSG aaO.). Die Frage der hinreichenden Bestimmtheit stellt sich im Bereich des SGB II in jedem Fall bei Bedarfsgemeinschaften, wenn auf ein Konto ein Gesamtbetrag überwiesen wird, ohne dass erkennbar ist, für welches Mitglied der Bedarfsgemeinschaft welche Leistungen nach dem SGB II „bewilligt“ wurden. Aus Sicht der Kammer stellt sich diese Frage aber auch, wenn nur ein Leistungsempfänger vorhanden ist, wenn wie vorliegend Leistungen in einer Gesamtsumme erbracht werden, da aus der bloßen Überweisungsgutschrift nicht erkennbar ist, welche Leistungen für welchen Monat erbracht bzw. „bewilligt“ wurden.
Die Annahme, die Auszahlung einer Geldleistung könne einen Verwaltungsakt darstellen, führt letztendlich auch zu Folgeproblemen (vgl. zu diesem Aspekt: SG Hildesheim, Gerichtsbescheid vom 20. November 2007 – S 12 SF 76/06 –, Rn. 24, juris). Wollte man in der Auszahlung einen „in anderer Weise“ erlassenen Verwaltungsakt sehen, so hätte der Leistungsempfänger keinen Anspruch auf schriftliche Bestätigung dieses Verwaltungsakts, da § 33 Abs. 2 S. 2 SGB X nur in den Fällen mündlicher Verwaltungsakte einen Anspruch auf schriftliche oder elektronische Bestätigung vorsieht (SG Hildesheim, aaO.). Auch eine Untätigkeitsklage wäre nicht geeignet, eine schriftliche Bestätigung zu erlangen, da die Untätigkeitsklage (jedenfalls) auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet ist, eine Bestätigung jedoch mangels eigenständiger rechtlicher Regelung lediglich schlichtes Verwaltungshandeln darstellt (SG Hildesheim, aaO).
Die Frage der Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf den Bereich des SGB II kann jedoch dahinstehen. Denn Voraussetzung für die Annahme eines konkludenten Verwaltungsaktes im Sinne des § 33 Abs. 2 S. 1 Alt. 3 SGB X ist, dass der Rechtshandlungswille der Behörde hervortritt, dass sie die Voraussetzungen der Leistung geprüft hat und eine Entscheidung getroffen hat (Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 33 SGB X (Stand: 12.04.2024), Rn. 93). Mit den unstreitig erfolgten Auszahlungen der Leistungen im Mai 2023 durch Überweisung auf das Konto des Klägers wurde der Antrag des Klägers vom 22. November 2022 jedenfalls nicht vollständig beschieden, so dass auch keine vollständige Entscheidung über den Leistungsantrag durch den Beklagten getroffen wurde. Denn nach § 41 Abs. 3 S. 1 SGB II ist über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden. Fehlt es an einer ausdrücklichen zeitlichen Begrenzung des Leistungsantrages, ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Antrag auf die Gewährung von Leistungen in rechtmäßiger Weise gerichtet ist und damit auf die Gewährung von Leistungen für den Regelbewilligungszeitraum von einem Jahr (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 41 (Stand: 16.09.2024), Rn. 66). Insofern kann aus der erfolgten tatsächlichen Auszahlung von Leistungen nach dem SGB II durch die Behörde jedenfalls kein Rechtshandlungswille im Hinblick auf Entscheidung über den Bewilligungszeitraum gesehen werden. Denn aus einer bloßen Auszahlung – gegebenenfalls mit der Auszahlung von Nachzahlungsbeträgen – tritt kein Rechtshandlungswille der Behörde hervor, für welchen Zeitraum letztendlich die Leistungsbewilligung erfolgt.
Diese Betrachtung wird vorliegend dadurch bestätigt, dass der Beklagte nach Erhebung der Untätigkeitsklage die beiden Bescheide vom 19.07.2023 erlassen hat. Sofern aus Sicht der Beklagten bereits durch die erfolgten Überweisungen im Mai 2023 eine aus Sicht des Beklagten konkludente Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II sowohl im Hinblick auf die Leistungshöhe und die Leistungsdauer erfolgt wäre, würde es sich bei den beiden Bescheiden vom 19.07.2023 um „wiederholende Verfügungen“ handeln. Insofern wäre zu erwarten gewesen, dass der Beklagte in den beiden Bescheiden zumindest auf diesen Umstand hinweist und zu erkennen gibt, dass – aus seiner Sicht – über den Antrag des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II aus dem November 2022 – sowohl im Hinblick auf die Leistungsdauer als auch im Hinblick auf die Leistungshöhe – schon durch Auszahlungen der Leistungen im Mai 2023 entschieden wurde. Dies ist jedoch nicht erfolgt. Im Übrigen wurden beide Bescheide vom 19.07.2023 auch noch mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, was unverständlich ist, wenn es sich um eine bloße wiederholende Verfügung handeln würde.
Darüber hinaus weist die Kammer darauf hin, dass das Gericht den Beklagten mit Eingangsverfügung vom 19.06.2023 unter Fristsetzung von einem Monat explizit um Stellungnahme gebeten hat, mitzuteilen, ob der Antrag des Klägers aus dem November 2022 zwischenzeitlich beschieden wurde und wenn nein, warum nicht. Der Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 19.07.2023 mitgeteilt hat, dass die „förmliche“ Bescheidung des klägerischen Antrags auf Leistungen nach dem SGB II durchgeführt wird und mit der Erstellung des Bescheides im Laufe der Woche gerechnet werden könne und die Leistungen für den Monat Juli 2023 mit dem nächsten Zahlungslauf erfolgen würden. Weiter heißt es, dass sich das Klageverfahren „damit“ erledigt haben dürfte. Insoweit ist auch nicht verständlich, warum der Beklagte nicht bereits in der Klageerwiderung darauf hingewiesen hat, dass aus seiner Sicht bereits eine Entscheidung über den Antrag des Klägers aus dem November 2022 durch konkludente Auszahlung erfolgt sei. Sofern – aus Sicht der Beklagten – bereits eine Bescheidung durch Auszahlung erfolgt wäre, wäre damit zu rechnen gewesen, dass darauf schon in der Klageerwiderung hingewiesen wird.
Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte einen zureichenden Grund für eine Nichtbescheidung des Antrages vom 28.11.2022 innerhalb der 6-Monatsfrist hatte, sind nicht ersichtlich.
Insofern hält die Kammer in Ausübung ihres Ermessens eine Kostenübernahme durch den Beklagten für sachgerecht.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen § 172 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).