B 8 SO 5/23 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 10 SO 71/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SO 231/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 5/23 R
Datum
Kategorie
Urteil

 

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts NordrheinWestfalen vom 25. Januar 2023 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

G r ü n d e :

I

1
Der Kläger wendet sich gegen ein Auskunftsverlangen des beklagten Sozialhilfeträgers.

2
Der Beklagte bewilligte dem Vater des Klägers (im Folgenden Leistungsempfänger), der seit 2014 in einer stationären Pflegeeinrichtung lebte, ab dem 1.12.2018 laufend Hilfe zur Pflege nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Form der Übernahme der ungedeckten Heimpflegekosten (Bescheid vom 15.10.2019). Der Leistungsempfänger ist geschieden; im Ehevertrag war 2003 ein Unterhaltsverzicht vereinbart. Er hat neben dem Kläger einen weiteren Sohn, der finanziell nicht leistungsfähig ist.

3
Der Beklagte teilte dem Kläger mit, für den Leistungsempfänger monatlich rund 1700 Euro aufzuwenden; bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen sei ein etwaiger Unterhaltsanspruch zusammen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch auf ihn übergegangen. Er verlangte vom Kläger Auskünfte zu dessen Einkommens- und Vermögensverhältnissen ab November 2019 (Bescheid vom 16.1.2020) und ermittelte auf dessen Widerspruch hin im Wege einer Internetrecherche ua die berufliche Tätigkeit des Klägers auf der Geschäftsleitungsebene einer Unternehmensberatungsgesellschaft mit einer dreistelligen Zahl an Mitarbeitenden, einem siebenstelligen Honorarumsatz, mehreren Zweigniederlassungen in Deutschland sowie verschiedener Referenzkunden, was für eine erhebliche Marktbedeutung des Unternehmens spreche. Damit bestünden hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der für den Auskunftsanspruch maßgeblichen Jahreseinkommensgrenze in Höhe von 100 000 Euro (Widerspruchsbescheid des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung vom 22.1.2021).

4
Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.3.2022). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) NordrheinWestfalen das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid aufgehoben (Urteil vom 25.1.2023). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, zwar komme der Kläger als Unterhaltspflichtiger in Betracht, ein überleitbarer Anspruch sei dem Grunde nach gegeben und hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Jahreseinkommensgrenze von 100 000 Euro brutto überschreite, lägen vor. Es sei aber nur ein gestuftes Auskunftsverlangen vorgesehen und die Auskunftspflicht in einem ersten Schritt auf Fragen zu den Einkommensverhältnissen des potenziell Unterhaltspflichtigen begrenzt. Der Beklagte habe dies nicht beachtet, indem er sogleich auch die Vermögensverhältnisse des Klägers erfragt habe. Eine geltungserhaltende Reduktion des Auskunftsverlangens scheide aus. Das fehlerhafte Auskunftsverlangen bewirke die Rechtswidrigkeit des gesamten Auskunftsverwaltungsakts.

5
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 94 Abs 1a SGB XII iVm § 117 SGB XII. Das vom LSG angenommene gestufte Auskunftsverfahren finde im Gesetz keine Stütze. Sobald hinreichende Anhaltspunkte für die Überschreitung der 100 000 Euro-Jahreseinkommensgrenze vorlägen, sei der Sozialhilfeträger auf Grundlage von § 117 SGB XII berechtigt, diejenigen Informationen einzuholen, die für die Konkretisierung des Unterhaltsanspruchs von Bedeutung sein könnten.

6
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts NordrheinWestfalen vom 25. Januar 2023 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23. März 2022 zurückzuweisen.

7
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8
Er hält die angegriffene Entscheidung des LSG im Ergebnis für zutreffend.


II

9
Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Zu Recht hat das LSG entschieden, dass eine Pflicht zur Auskunft nicht im vom Beklagten geforderten Umfang bestand und den angefochtenen Bescheid insgesamt aufgehoben.

10
Die Revision ist zulässig. Ausgehend von der Zustellung des Urteils des Berufungsgerichts am 20.3.2023 war die Einlegung der Revision am 20.4.2023 und damit am letzten Tag der Frist mittels unterzeichnetem Telefax ausnahmsweise als sogenannte Ersatzeinreichung (dazu nur Bundesgerichtshof <BGH> vom 25.7.2023 - X ZR 51/23 - NJW 2023, 3367 RdNr 28) frist- und formgerecht. Zwar besteht seit dem 1.1.2022 ua für Behörden die Pflicht zu einer Übermittlung der Revision mittels elektronischem Dokument (§ 164 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 65d Satz 1 SGG in der Normfassung des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013, BGBl I 3786). Die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften war hier aber ausnahmsweise zulässig (vgl § 65d Satz 3 SGG). Zum Zeitpunkt der versuchten Übersendung mittels elektronischem Dokument war wegen einer Großstörung des Dienstleisters, die ua am 20.4.2023 ganztägig bis zum 21.4.2023, 21.20 Uhr bestand, der Empfang über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) ua des Bundessozialgerichts (BSG) nicht möglich. Der Beklagte hat die tatsächlichen Abläufe im Einzelnen nachvollziehbar dargestellt und mittels eines Screenshots belegt und damit glaubhaft gemacht, dass die Unmöglichkeit der Übermittlung auf technischen Gründen beruhte (§ 65d Satz 4 Halbsatz 1 SGG; dazu BGH vom 17.1.2024 - XII ZB 88/23 - NJW 2024, 901 RdNr 8 mwN). Ohnehin dürfte es sich bei einer bundesweit bekannten Störung, die über mehrere Tage anhält und einen großen Teil der Gerichte betrifft, um eine offenkundige Tatsache handeln, die keines Beweises bedurfte (vgl § 202 SGG iVm § 291 Zivilprozessordnung <ZPO> und dazu BGH vom 10.10.2023 - XI ZB 1/23 - NJW 2023, 3799 RdNr 18 mwN; für eine ausnahmslose Pflicht zur Glaubhaftmachung aber Bundesarbeitsgericht <BAG> vom 25.8.2022 - 6 AZR 499/21 - BAGE 178, 343 = NJW 2023, 623, RdNr 39).

11
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 16.1.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.1.2021 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte, nunmehr begrenzt auf den Zeitraum ab dem 1.1.2020, Auskunft über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse verlangt. Zutreffend wendet sich der Kläger hiergegen mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG), die sich gegen den beteiligtenfähigen Landrat (§ 70 Nr 3 SGG iVm § 2 des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes <AGSGG>, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.12.2004 <GVBl S 581>) richtet.

12
Über den weiteren Auskunftsverwaltungsakt ebenfalls betreffend den Zeitraum ab dem 1.1.2020, den der Beklagte während des Revisionsverfahrens gegenüber dem Kläger erlassen hat, hat der Senat nicht zu entscheiden; er gilt als vor dem SG angefochten (§ 171 SGG).

13
Weitere Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung des Gerichts nicht entgegen. Insbesondere war der Leistungsempfänger nicht notwendig beizuladen (vgl § 75 Abs 2 Alt 1 SGG), weil im Auskunftsrechtsstreit zwischen den Beteiligten keine Entscheidung getroffen wird, die Auswirkungen auf Rechte des Leistungsempfängers erwarten ließe (vgl BSG vom 23.6.2016 - B 14 AS 4/15 R - SozR 44200 § 60 Nr 4 RdNr 8).

14
Die Revision hat keinen Erfolg. Der Bescheid ist zwar formell rechtmäßig ergangen, insbesondere ist er - anders als der Kläger meint - nicht schon deshalb aufzuheben, weil er nicht hinreichend bestimmt ist. Das Auskunftsverlangen des Beklagten ist aber in der Sache rechtswidrig. Die Auskunftspflicht, die § 94 Abs 1a Satz 5 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe <Angehörigen-Entlastungsgesetz> vom 10.12.2019, BGBl I 2135) mit einem Rechtsfolgenverweis auf § 117 SGB XII begründet, ist auf die Einholung von Auskünften zu den Einkommensarten beschränkt, die für abschließende Prüfung der seit dem 1.1.2020 geltenden Jahreseinkommensgrenze von 100 000 Euro maßgeblich sind; denn nur an diese Grenze ist in Fällen wie dem vorliegenden nach Inkrafttreten des AngehörigenEntlastungsgesetzes überhaupt noch ein Anspruchsübergang geknüpft. Zu Recht hat das LSG auch entschieden, dass eine geltungserhaltende Reduktion hinsichtlich des Auskunftsverlangens im Übrigen ausscheidet.

15
Die Zuständigkeit für das Auskunftsverlangen folgt der Zuständigkeit für die Leistungserbringung (§ 94 Abs 1a Satz 4 iVm Abs 1 Satz 1 SGB XII). Nach den Feststellungen des LSG zum Landesrecht war der Beklagte als örtlicher Träger der Sozialhilfe für die von ihm geleistete Hilfe zur Pflege auch sachlich zuständig (§ 97 Abs 3 Nr 2 SGB XII; § 2 Abs 2 Nr 2 rheinland-pfälzisches Landesgesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch <AGSGB XII> vom 22.12.2004 <GVBl S 571>, zuletzt geändert durch Art 2 des Gesetzes vom 19.12.2018 <GVBl S 463> iVm § 4 Satz 1 AGSGB XII; § 1 Abs 1 Satz 1 der Ersten Landesverordnung zur Durchführung des Landesgesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 26.4.1967 <GVBl S 149>, zuletzt geändert durch Art 3 des Gesetzes vom 19.12.2018 <GVBl S 463>).

16
Nach § 33 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Die Bestimmtheit bezieht sich auf den Entscheidungsausspruch, also den Verfügungssatz der Entscheidung (BSG vom 3.7.2020 - B 8 SO 2/19 R - BSGE 130, 258 = SozR 43500 § 103 Nr 1, RdNr 15 mwN). Dies bedeutet, dass der Adressat des Verwaltungsakts unter Berücksichtigung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen, objektiven Erklärungsempfängers - unter Berücksichtigung der Begründung des Bescheids und auch der Begründung im Widerspruchsbescheid, die zur Auslegung herangezogen werden kann - in der Lage sein muss, das von ihm Geforderte zu erkennen und sein Verhalten danach auszurichten (vgl BSG vom 3.7.2020 - B 8 SO 2/19 R - BSGE 130, 258 = SozR 43500 § 103 Nr 1, RdNr 15; BSG vom 23.3.2010 - B 8 SO 2/09 R - SozR 45910 § 92c Nr 1 RdNr 11). Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (BSG vom 3.7.2020 - B 8 SO 2/19 R - BSGE 130, 258 = SozR 43500 § 103 Nr 1, RdNr 15), hier also nach § 94 Abs 1a SGB XII iVm § 117 SGB XII.

17
Nach den Feststellungen des LSG sind dem angefochtenen Bescheid als Anlage Vordrucke mit konkreten Fragen beigefügt gewesen, auf die im Bescheid Bezug genommen worden ist. Anlagen und Bescheid bilden insoweit eine rechtliche Einheit (vgl BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 41500 § 54 Nr 21, RdNr 19 mwN); die Bezugnahme auf die Anlagen genügt (vgl Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> vom 27.4.2005 - 8 C 8.04 - NVwZ 2005, 1085, juris RdNr 13). Die Auslegung eines Verwaltungsakts kann nicht nur anhand der Begründung des Verwaltungsakts, sondern auch mittels ihm beigefügter Anlagen erfolgen (vgl Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 33 RdNr 16 mwN). Damit ist das Auskunftsverlangen näher konturiert und eingegrenzt worden und es ist dem Verfügungssatz des angefochtenen Bescheids hinreichend bestimmt zu entnehmen, dass der Kläger als potentiell Unterhaltsverpflichteter Auskunft über sein Einkommen und Vermögen wegen eines möglichen Unterhaltsanspruchs für die letzten zwölf Monate zu geben habe. Ob die Reichweite der Fragen im beigefügten Fragebogen mit der Ermächtigungsgrundlage vereinbar ist, ist keine Frage der Bestimmtheit des Verwaltungsakts, sondern seiner materiellen Rechtmäßigkeit.

18
Die materielle Rechtmäßigkeit des auf die Erteilung konkreter Auskünfte und Nachweiserbringung gerichteten Verlangens beurteilt sich nach § 94 Abs 1a Satz 5 SGB XII iVm § 117 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453).

19
Mit dem Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes zum 1.1.2020 ist der Übergang von Ansprüchen gegen einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen - die hier allein im Raum stehen - in bestimmten Fällen beschränkt worden und zugleich ein veränderter normativer Rahmen für ein Auskunftsverlangen gegenüber Kindern und Eltern einer leistungsberechtigten Person geschaffen worden. Im Grundsatz bestimmt § 94 Abs 1 Satz 1 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 3022) zwar, dass bürgerlich-rechtliche Unterhaltsansprüche einer leistungsberechtigten Person gegen ihre Eltern und ihre volljährigen Kinder mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch für die Zeit, für die Sozialhilfeleistungen erbracht werden, bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Träger der Sozialhilfe übergehen. Weiter einschränkend sind aber nach § 94 Abs 1a Satz 1 und 2 SGB XII Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern (von der in § 94 Abs 1a Satz 6 SGB XII normierten, hier nicht einschlägigen Rückausnahme abgesehen) nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen iS des § 16 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) beträgt jeweils mehr als 100 000 Euro (Jahreseinkommensgrenze); insoweit ist der Übergang von Ansprüchen der Leistungsberechtigten ausgeschlossen. Dabei wird im Ausgangspunkt (gesetzlich) vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen diese Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet (§ 94 Abs 1a Satz 3 SGB XII). § 94 Abs 1a Satz 4 SGB XII bestimmt, dass zur Widerlegung dieser Vermutung der zuständige Träger von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen kann, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen zulassen (§ 94 Abs 1a Satz 4 SGB XII). Schließlich normiert § 94 Abs 1a Satz 5 SGB XII wegen der Auskunftspflicht des Unterhaltspflichtigen wörtlich: "Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, so ist § 117 [SGB XII] anzuwenden".

20
Der Kläger ist als Sohn des Leistungsempfängers diesem im Grundsatz unterhaltspflichtig (§ 1601 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>; § 94 Abs 1 Satz 3 Halbsatz 2 SGB XII in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 3022). Ein Fall der sogenannten Negativevidenz (dazu nur BVerwG vom 21.1.1993 - 5 C 22.90 - BVerwGE 91, 375NJW 1993, 2762 = juris RdNr 8; BSG vom 20.12.2012 - B 8 SO 75/12 B - SozR 43500 § 117 Nr 2 RdNr 7, jeweils mwN) liegt nicht vor und wird vom Kläger auch nicht behauptet.

21
Im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung lagen auf Grundlage der Feststellungen des LSG auch "hinreichende Anhaltspunkte" iS des § 94 Abs 1a Satz 5 SGB XII dafür vor, dass die maßgebliche Jahreseinkommensgrenze des § 94 Abs 1a Satz 1 SGB XII überschritten ist. Dies begründet über den Verweis auf § 117 SGB XII die Pflicht des Klägers zur Auskunft. Der Beklagte hat solche Anhaltspunkte auf das Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze, die sich aus der beruflichen Stellung des Klägers ergeben (im Einzelnen sogleich), im Wege der Amtsermittlung (vgl § 20 SGB X) zulässigerweise durch eine Internetrecherche erlangt. Der Sozialhilfeträger ist zur Widerlegung der in § 94 Abs 1a Satz 3 SGB XII aufgestellten gesetzlichen Vermutung nicht auf Auskünfte des Leistungsberechtigten beschränkt. § 94 Abs 1a Satz 4 SGB XII legt lediglich (auch) eine Auskunftsverpflichtung des Leistungsberechtigten fest. Zur Widerlegung der Vermutung sind vielmehr auf Grundlage der allgemeinen Regelung in § 21 Abs 2 SGB X alle Beweismittel zulässig; es gilt der Freibeweis (vgl Luthe in jurisPKSGB X, 3. Aufl 2023, § 21 RdNr 7). Der Beklagte kann sich die Informationen auch aus öffentlich zugänglichen Quellen - wie etwa Presseberichten oder dem Internet - beschaffen (vgl Conradis in LPKSGB XII, 13. Aufl 2024, § 94 RdNr 45; Hauß, FamRB 2020, 76, 80).

22
Wann Anhaltspunkte als "hinreichend" anzusehen sind, bestimmt das Gesetz nicht. Auch die Gesetzesbegründung zu § 94 Abs 1a SGB XII (vgl den Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe <Angehörigen-Entlastungsgesetz>, BT-Drucks 19/13399 S 33) wie schon die Gesetzesmaterialien zu den gleichlautenden Vorläufervorschiften in § 2 Abs 2 Satz 3 des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG; vgl Art 12 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens <Altersvermögensgesetz - AVmG> vom 26.6.2001, BGBl I 1310, 1335; vgl BTDrucks 14/5970) und § 43 Abs 5 SGB XII aF (BTDrucks 15/2260 S 5; BTDrucks 18/6284 S 27) geben keinen Auslegungsmaßstab für diesen unbestimmten Rechtsbegriff vor.

23
Das vom Gesetzgeber verwendete Begriffspaar "hinreichende Anhaltspunkte" erschließt sich aber aus dem Regelungsgefüge des § 94 Abs 1a SGB XII. Schon aus dem Begriff der "Anhaltspunkte" verstanden als Synonym zu ua "Fingerzeig, Hinweis, Indiz" (vgl https://www.duden.de/rechtschreibung/Anhaltspunkt) wird deutlich, dass jedenfalls nicht "Gewissheit" gemeint ist, sondern nur die Möglichkeit. "Hinreichend" beschreibt ergänzend einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Es ist weder der Vollbeweis noch die überwiegende Wahrscheinlichkeit im Sinne der Glaubhaftmachung (vgl dazu Hauck in Zeihe, SGG, § 128 RdNr 5c; Groth in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap III RdNr 157) erforderlich. Der mit der gesetzlichen Vermutung in § 94 Abs 1a Satz 3 SGB XII und den folgenden Regelungen zu ihrer Widerlegung verfolgte Schutz (auch) der Angehörigen (im Einzelnen dazu später) lässt nicht schon jede entfernt liegende Möglichkeit genügen, die es dem Sozialhilfeträger erlaubt, detaillierte Nachfragen an den Unterhaltspflichtigen zu stellen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass das Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze keine nur entfernte Möglichkeit ist, sondern nach den bisher erkennbaren Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat (vgl zum Maßstab der hinreichenden Erfolgsaussicht im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe etwa Bundesverfassungsgericht <BVerfG> vom 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 ua - BVerfGE 81, 347, juris RdNr 26; BSG vom 17.2.1998 - B 13 RJ 83/97 R - SozR 31500 § 62 Nr 19, juris RdNr 26 und Bundesfinanzhof <BFH> vom 16.12.1986 - VIII B 115/86 - BFHE 148, 215 = DB 1987, 568; BAG vom 5.7.2016 - 8 AZB 1/16 - JurBüro 2016, 592, juris RdNr 17; BGH vom 14.12.1993 - VI ZR 235/92 - NJW 1994, 1160, juris RdNr 5). Diesen Maßstab hat das LSG auch zugrunde gelegt, wenn es für die hinreichenden Anhaltspunkte eine nicht fernliegende Möglichkeit fordert, ohne dass gesicherte Annahmen notwendig wären. Die Schlussfolgerungen, die das LSG aus den ermittelten Umständen, nämlich der langjährigen Tätigkeit im Unternehmen, dem Aufstieg des Klägers in eine Führungsposition sowie dem Umsatz und der Mitarbeiteranzahl des Unternehmens, gezogen hat, sind im Übrigen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

24
Liegen hinreichende Anhaltspunkte für das Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, ist die Auskunftspflicht, die § 94 Abs 1a Satz 5 SGB XII mit dem Verweis auf § 117 SGB XII normiert, zunächst auf die Einkommensverhältnisse beschränkt, die für das Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze von 100 000 Euro, also das jährliche Gesamteinkommen iS von § 16 SGB IV, maßgeblich sind (ebenso Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 94 RdNr 182, Stand 1/2022; Schweitzer in BeckOGK SGB XII § 94 RdNr 397 Stand 1.3.2025; Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider/Busse, SGB XII, 21. Aufl 2023, § 94 RdNr 99; Conradis in LPKSGB XII, 13. Aufl 2024, § 94 RdNr 45; zweifelnd Adams in BeckOK SozR, 75. Ed 1.12.2024, SGB XII § 94 RdNr 24b; anders wohl Giere in Grube/Wahrendorf/Flint, 8. Aufl 2024, § 94 RdNr 43; Armbruster in jurisPKSGB XII, 4. Aufl 2024, § 94 RdNr 188, die beide von einer umfassenden Anwendbarkeit des § 117 SGB XII ausgehen).

25
Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist im Gesetz ein gestuftes Verfahren angelegt. Zwar ist der Wortlaut von § 94 Abs 1a Satz 5 SGB XII mit dem Verweis auf § 117 SGB XII für sich genommen nicht eindeutig. Aus Sinn und Zweck der Norm, wie er sich insbesondere aus der Gesetzeshistorie ersehen lässt, ergibt sich aber, dass der Verweis auf § 117 SGB XII nicht die Ermächtigung zur umfassenden Einholung von Auskünften "über Einkommens- und Vermögensverhältnisse" eröffnet, sondern es sich um eine Rechtsfolgenverweisung handelt, die zunächst auf die Einkommensverhältnisse beschränkt ist. Dieses Ergebnis stimmt mit der Binnensystematik der Regelung des § 117 SGB XII überein, weil auch die Auskunftspflicht in § 117 SGB XII nur so weit geht, wie die Durchführung dieses Buches es erfordert - also je nach den im Einzelfall verfolgten Zielen. Wie nach den Vorläuferregelungen ist die Einholung von Auskünften im Rahmen des § 94 Abs 1a SGB XII - auf der ersten Stufe - nur erforderlich, soweit es um die Feststellung eines Jahreseinkommens von mehr als 100 000 Euro geht. Steht nicht fest, dass die Jahreseinkommensgrenze mit den im Gesetz genannten Einkommensarten überschritten wird, ist ein Unterhaltsanspruch ungeachtet der sonstigen (Einkommens- und) Vermögensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen nicht zu berücksichtigen. Erst bei Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze nach § 94 Abs 1a Satz 1 SGB XII kommt es zum Anspruchsübergang nach § 94 Abs 1 SGB XII und es können im weiteren Verfahren - auf der nächsten Stufe - Ermittlungen auf Grundlage der unmittelbaren Anwendung von § 117 SGB XII (oder im Wege der Durchsetzung des zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs nach § 1605 BGB), insbesondere zum Vermögen oder weiteren, von § 16 SGB IV nicht erfassten Einkommensquellen erforderlich sein.

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Schon § 2 Abs 2 GSiG, der erstmals die Jahreseinkommensgrenze von 100 000 Euro einführte, verpflichtete Kinder oder Eltern von leistungsbeziehenden Personen nur zur Auskunftserteilung über ihre Einkommensverhältnisse, soweit die Durchführung des Gesetzes es erforderte. Im Gesetzgebungsverfahren war zunächst vorgesehen, bei Leistungen der Grundsicherung einen Verzicht auf die Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen zu regeln (BTDrucks 14/4595 S 30 und 72, jeweils zu § 91 Bundessozialhilfegesetz <BSHG>). Der Verzicht auf die Inanspruchnahme Unterhaltspflichtiger wurde erst im Vermittlungsausschuss dadurch eingeschränkt, dass beim Einkommen der Eltern bzw Kinder von über 100 000 Euro kein Anspruch auf Grundsicherung bestehen sollte; damit sollten hohe Einkommen nicht vom Unterhaltsrückgriff befreit werden (vgl BSG vom 25.4.2013 - B 8 SO 21/11 R - SozR 43500 § 43 Nr 3 RdNr 23 unter Hinweis auf Plenarprotokoll 14/168, S 16430). Die Regelung des § 2 Abs 2 GSiG wurde mit dem Inkrafttreten des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch im Jahr 2005 (Art 1 des Gesetzes vom 27.12.2003, BGBl I 3022) in § 43 Abs 2 SGB XII, sodann mWv 1.1.2013 nach § 43 Abs 3 SGB XII (Gesetz vom 20.12.2012, BGBl I 2783), schließlich mWv 1.1.2016 nach § 43 Abs 5 SGB XII überführt (Art 1 Nr 13 d des Gesetzes vom 21.12.2015, BGBl I 2557).

27
In ihrem Anwendungsbereich hat die Auskunftspflicht auf Grundlage von § 43 Abs 5 SGB XII als lex specialis den allgemeinen Auskunftsanspruch des § 117 SGB XII verdrängt (vgl BGH vom 8.7.2015 - XII ZB 56/14 - BGHZ 206, 177NJW 2015, 2655 RdNr 24; vgl auch LSG NiedersachsenBremen vom 29.7.2014 - L 8 SO 126/11 - juris RdNr 15). Der Träger der Grundsicherung sollte über die in § 16 SGB IV iVm § 2 Abs 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) genannten Einkommensarten hinaus (vgl dazu BSG vom 25.4.2013 - B 8 SO 21/11 R - SozR 43500 § 43 Nr 3 RdNr 20) keine weitergehenden Informationen zu den sonstigen wirtschaftlichen Verhältnissen des Unterhaltspflichtigen erlangen, auch wenn diese für die Beurteilung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit unmittelbar von Bedeutung sind. Diese Wertungswidersprüche zum Unterhaltsrecht hat schon der Gesetzgeber der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bewusst hingenommen (vgl BGH vom 8.7.2015 - XII ZB 56/14 - BGHZ 206, 177NJW 2015, 2655 RdNr 23 f; BGH vom 23.10.2024 - XII ZB 6/24 - NJW 2025, 362 RdNr 22; vgl auch Günther, FPR 2005, 461, 463; Hußmann, FPR 2004, 534, 540). Die Gründe dafür liegen zum einen in der informationellen Selbstbestimmung der leistungsberechtigten Person und ihrer engsten Angehörigen, zum anderen wollte der Gesetzgeber vermeiden, dass Leistungsberechtigte aus Furcht vor umfassender behördlicher Ausforschung der wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer unterhaltspflichtigen Eltern und Kinder von der Beantragung der Grundsicherung Abstand nehmen (vgl BGH vom 8.7.2015 - XII ZB 56/14 - BGHZ 206, 177NJW 2015, 2655, RdNr 24 mwN; BGH vom 23.10.2024 - XII ZB 6/24 - NJW 2025, 362 RdNr 18; siehe bereits BTDrucks 15/4595 S 72 zu § 91 BSHG) und es sollte die Einheit der Familie gestärkt werden (vgl BSG vom 25.4.2013 - B 8 SO 21/11 R - SozR 43500 § 43 Nr 3 RdNr 24; BSG vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/06 R - BSGE 98, 121SozR 43500 § 41 Nr 1, RdNr 29).

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Damit hat der Gesetzgeber die Entlastung von Angehörigen und ihren Familienmitgliedern von Beginn an in den Vordergrund gestellt und mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz noch verstärkt (vgl BTDrucks 19/13399 S 1, 18; BSG vom 8.12.2022 - B 8 SO 4/21 R - BSGE 135, 189 = SozR 43500 § 43 Nr 5, RdNr 24; BGH vom 23.10.2024 - XII ZB 6/24 - NJW 2025, 362 RdNr 19). Der Gesetzgeber hat die zuvor nur für Leistungen nach dem Vierten Kapitel geltenden Grundsätze auf die gesamte Sozialhilfe ausgeweitet und damit insbesondere auch solche Sozialhilfeleistungen erfasst, die an pflegebedürftige Personen in stationären Einrichtungen erbracht werden. Damit wird der Schutz von Angehörigen gerade im Hinblick auf die kostenintensiveren Leistung der Hilfe zur Pflege gestärkt. Eine gleichzeitige Ausweitung der Auskunftspflichten auf das Vermögen, wie der Beklagte es meint, ließe sich mit der Zielsetzung des Gesetzes nicht vereinbaren. Der nunmehr in § 94 Abs 1a Satz 5 SGB XII enthaltene Verweis auf § 117 SGB XII erfolgte nach den Materialien lediglich aus Klarstellungsgesichtspunkten (Verschlankung der Norm), inhaltliche Änderungen zur bisher bestehenden Rechtslage sollten sich daraus jedoch nicht ergeben (vgl BTDrucks 19/13399 S 33).

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Besteht damit keine Auskunftspflicht über das Vermögen, kann der Auskunftsverwaltungsakt im Übrigen nicht im Wege der geltungserhaltenden Reduktion erhalten bleiben. Zwar geht das Sozialverwaltungsrecht grundsätzlich von einer Teilbarkeit von Verwaltungsakten aus. Das zeigen exemplarisch schon die Vorschrift über die Teilnichtigkeit in § 40 Abs 4 SGB X (vgl Roos/Blüggel in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 40 RdNr 23) und die Bestimmung über die Wirksamkeit in § 39 Abs 2 SGB X mit der dortigen Wendung "solange und soweit" (vgl Roos/Blüggel in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 39 RdNr 16). Wann und unter welchen Voraussetzungen eine Teilbarkeit eines Verwaltungsakts zulässig ist, richtet sich nach dem zugrunde liegenden materiellen Recht und der Auslegung des angegriffenen Bescheids (vgl BSG vom 16.12.2021 - B 9 SB 6/19 R - SozR 41300 § 48 Nr 40 RdNr 26). Auskunftsverlangen sind regelmäßig als einheitliche Verwaltungsakte anzusehen, weswegen eine Teilrechtswidrigkeit grundsätzlich ausscheidet (BVerwG vom 21.1.1993 - 5 C 22.90 - BVerwGE 91, 375NJW 1993, 2762 = juris RdNr 19; BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 44200 § 60 Nr 1, RdNr 23). Der Beklagte hat vorliegend - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht aufgezeigt, dass nur die Einkommensangaben Pflichtangaben sein könnten. Schon deshalb stellt sich das geltend gemachte Auskunftsverlangen des Beklagten aus der Sicht des Empfängers als nicht teilbar dar. Dies führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids insgesamt.

30
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

31
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 47 Abs 1 Satz 1, § 52 Abs 2, § 63 Abs 2 Gerichtskostengesetz (GKG).

 

Rechtskraft
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