Sozialgerichtliches Verfahren - Auslagenvergütung - Fahrtkostenersatz - Vorliegen besonderer Umstände iS von § 5 Abs. 3 JVEG - Verteuerung der Anreise durch besondere Umstände - keine Anzeige- oder Mitteilungspflicht - Risiko der Kostentragung - Tagegeld
1. "Besondere Umstände" iS von § 5 Abs. 3 JVEG können zum Beispiel Eilfälle, ungewöhnlich schlechte Verkehrsverhältnisse, erhebliche körperliche Beeinträchtigungen (Mobilitätseinschränkungen) sein, wobei jedoch immer eine entsprechende Notwendigkeit gegeben sein muss.
2. § 5 Abs. 3 JVEG normiert bei einer Verteuerung der Anreise keine Mitteilungspflicht/Anzeigepflicht des Berechtigten. Teilt der Berechtigte die besonderen Umstände, die die Anreise verteuern, nicht mit, trägt er das Risiko, dass das Gericht später bei der Entschädigung solche Umstände nicht anerkennt und er die Kosten endgültig selbst zu tragen hat.
Die Entschädigung der Erinnerungsführerin anlässlich der Begutachtung am 6. August 2024 wird auf 126,00 € festgesetzt.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
Die Entschädigung anlässlich der Begutachtung vom 6. August 2024 wird auf 126,00 € festgesetzt.
Nach § 4 Abs. 1 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) erfolgt die Festsetzung der Entschädigung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte - wie hier - oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt (Satz 1). Zuständig ist das Gericht, von dem der Berechtigte herangezogen worden ist (Satz 2 Nr. 1); dieses entscheidet durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter (Absatz 7 S. 1). Nach der internen Geschäftsverteilung des 1. Senats ist der Berichterstatter für die Bearbeitung der Verfahren nach § 4 JVEG zuständig.
Nach § 191 Halbs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werden einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet. Zeugen erhalten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 JVEG als Entschädigung Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG), Entschädigung für sonstige Aufwendungen (§ 7 JVEG), Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG), Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 21 JVEG) sowie Entschädigung für Verdienstausfall (§ 22 JVEG). Soweit die Entschädigung nach Stunden zu bemessen ist, wird sie nach § 19 Abs. 2 JVEG für die gesamte Zeit der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten, jedoch nicht mehr als zehn Stunden je Tag gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet (Satz 2).
Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist das Gericht weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder an die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder den Antrag der Beteiligten gebunden; es kann nur nicht mehr festsetzen, als beantragt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 26. September 2018 – L 1 JVEG 59/18, Rn. 1 m.w.N., zitiert nach Juris). Das Verbot der „reformatio in peius“ gilt nicht.
Danach errechnet sich die Entschädigung wie folgt:
Fahrtkosten sind in Höhe von 112,00 € (320 km x 0,35 €) zu erstatten.
Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für das Taxi in Höhe von 1.022,78 € besteht hingegen nicht.
Einen Anspruch auf volle Erstattung von Taxi- oder Fahrdienstkosten haben Verfahrensbeteiligte grundsätzlich nicht. Es ist Verfahrensbeteiligten, die kein eigenes oder ihnen zur unentgeltlichen Nutzung überlassenes Kraftfahrzeug verwenden, grundsätzlich zuzumuten, für notwendige Fahrten zum Gerichts- oder Begutachtungsort regelmäßig verkehrende öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen; die hierfür aufgewendeten Kosten sind nach § 5 Abs.1 JVEG zu ersetzen. Höhere als die in § 5 Abs. 1 oder Absatz 2 JVEG bezeichneten Fahrkosten werden nur dann ersetzt, soweit dadurch Mehrbeträge an Vergütung oder Entschädigung erspart werden oder höhere Fahrtkosten wegen besonderer Umstände notwendig sind (§ 5 Abs. 3 JVEG). „Besondere Umstände“ in diesem Sinne können zum Beispiel Eilfälle, ungewöhnlich schlechte Verkehrsverhältnisse, erhebliche körperliche Beeinträchtigungen (Mobilitätseinschränkungen) sein, wobei jedoch immer eine entsprechende Notwendigkeit gegeben sein muss (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2023 – L 1 JVEG 80/23 –, juris). Das Fehlen einer vorherigen Mitteilung der Erinnerungsführerin an das Gericht, dass sie mit einem Taxi zum Begutachtungstermin zu reisen beabsichtige, steht einer Kostenerstattung nicht grundsätzlich entgegen. Hierin ist nur die Verletzung einer Nebenpflicht (Obliegenheit), das Gericht vorher über die Möglichkeit des Entstehens höherer Kosten zu informieren, zu sehen. Dem JVEG lässt sich eine Rechtsgrundlage für einen Anspruchsverlust bei Verletzung dieser Nebenpflicht nicht entnehmen. § 5 Abs. 3 JVEG enthält gerade keine Mitteilungspflicht für den Fall, dass die Anreise nicht mit einem öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Verkehrsmittel oder dem eigenen Kfz erfolgt (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2023 – L 1 JVEG 80/23 –, juris). Teilt der Berechtigte die besonderen Umstände, die die Anreise verteuern, nicht mit, trägt er das Risiko, dass das Gericht später bei der Entschädigung solche Umstände nicht anerkennt und er die Kosten endgültig selbst trägt.
Weder die vorgelegte Verordnung einer Krankenbeförderung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für die Fahrt zum Gutachter durch die Fachärztin für Psychiatrie G vom 5. August 2024 noch der vorliegende Pflegegrad 3 machen eine Prüfung in der Sache entbehrlich. Beidem kommt weder eine irgendwie geartete Bindungswirkung noch eine Präjudizwirkung für die Entscheidung des erkennenden Senats zu. Die Ausstellung der Verordnung durch G konnte auch keinen Vertrauenstatbestand begründen. Ein Vertrauenstatbestand in dem Sinne setzt voraus, dass das Gericht oder eine ihm zurechenbare Person bei der Erinnerungsführerin ein entsprechendes Vertrauen geschaffen hat. In Betracht kommt hier insbesondere die vor der Reise ausgesprochene Zustimmung durch den in der Hauptsache zuständigen Richter. Der Erinnerungsführerin hätte es vielmehr oblegen, vorher bei der Geschäftsstelle des Thüringer Landessozialgerichts Erkundigungen einzuziehen.
Der Senat konnte sich im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung nicht die erforderliche Überzeugung davon verschaffen, dass die Erinnerungsführerin eine Anreise mit einem der in § 5 Abs. 1 und 2 JVEG genannten Verkehrsmittel (öffentliches, regelmäßig verkehrendes Verkehrsmittel oder eigenes bzw. zur Nutzung überlassenes Kraftfahrzeug) überhaupt nicht möglich oder zumutbar war. Dass die Erinnerungsführerin die Fahrt zu dem Gutachter in B am 6. August 2024 mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem eigenen Pkw hätte antreten können, ergibt sich zunächst aus der Bescheinigung des Sachverständigen K vom 6. August 2024, in welchem dieser die Notwendigkeit eines besonderen Beförderungsmittels verneinte. Maßgebliche Bedeutung für die Bejahung der Möglichkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, kommt darüber hinaus den Ausführungen des Sachverständigen K in seinem Gutachten vom 28. Oktober 2024 zu. Dort führt er ausdrücklich aus, dass aus seiner Sicht eine Begleitperson sicherlich notwendig war. Zugleich macht er aber deutlich, dass mit der Begleitperson die Erinnerungsführerin ohne weiteres mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte anreisen können. Daher gelangt er zu dem Schluss, dass eine Anfahrt mit dem Taxi aus medizinischen Gründen nicht erforderlich war. Seine entsprechenden Schlussfolgerungen werden durch die Angaben der Erinnerungsführerin im Rahmen der Begutachtung unterstützt. Dort hat sie ausdrücklich ausgeführt, dass sie noch im Sommer 2023 mit Freunden an der Ostsee gewesen und die Strecke allein mit Pausen gefahren sei. Bei 700 Kilometer Fahrstrecke habe sie zwei Pausen benötigt. Ihr Sohn habe als Beifahrer fungiert. Darüber hinaus hat sie dem Sachverständigen davon berichtet, dass sie noch reiten gehe. Die Erinnerungsführerin war nach den Feststellungen des Sachverständigen K in der Lage, die komplexen Untersuchungen in Begutachtungsinstitut im Zeitraum 11:30 Uhr bis 16:35 Uhr gut zu bewältigen. Der Sachverständige gelangt daher nachvollziehbar zu dem Schluss, dass die Erinnerungsführerin in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr keinesfalls erheblich beeinträchtigt ist und deshalb die Voraussetzungen des Merkzeichens G nicht gegeben sind. Er verneint darüber hinaus ein Angewiesen sein auf regelmäßige fremde Hilfe bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Ausdrücklich stellt der Sachverständige fest, dass die Erinnerungsführerin nicht in einen vitalbedrohlichen Zustand gerät, wenn sie ohne Begleitung am Straßenverkehr teilnimmt. Fazit des Gutachtens ist, dass die Bewegungsfähigkeit der Erinnerungsführerin im Straßenverkehr nicht wesentlich eingeschränkt ist. Soweit die Erinnerungsführerin diese Ausführungen nicht für überzeugend hält, vermag ihr entsprechender Vortrag nicht zu überzeugen. Der Sachverständige K hat in Ansehung der von ihm gestellten Diagnosen die Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr unter Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln uneingeschränkt bejaht. Soweit sie seine Neutralität in Zweifel zieht, bestehen hierfür ebenfalls keine Anhaltspunkte. Im Gegensatz zum Vorbringen der Erinnerungsführerin ist es auch nicht widersprüchlich, wenn der Sachverständige auf der einen Seite eine Angstsymptomatik diagnostiziert und auf der anderen Seite die Möglichkeit zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmitteln bejaht. Der Sachverständige K ist zu seiner Einschätzung nach einer ausführlichen Begutachtung der Erinnerungsführerin gelangt. Angesichts der bei der Erinnerungsführerin zweifellos vorhandenen gesundheitlichen Einschränkungen war die Begleitung durch eine Begleitperson ausreichend. Kosten für eine Begleitperson hat die Erinnerungsführerin nicht geltend gemacht.
Als Entschädigung für Aufwand ist nach § 6 Abs. 1 JVEG ein pauschaliertes Tagegeld i. H. v. 14 € bei einer Abwesenheit von mehr als acht Stunden vom Wohnort – (davon ist bei einer Begutachtungsdauer von etwas mehr als fünf Stunden und einer Fahrzeit von ca. vier Stunden für Hin- und Rückfahrt auszugehen) - zu gewähren. Mit dem Tagegeld sind die weiteren Kosten pauschal abgedeckt, die infolge einer längeren Abwesenheitszeit vom Wohnort oder der Arbeitsstelle entstehen. Davon umfasst sind insbesondere die Kosten für Verpflegung. Zehr- oder Verpflegungskosten sind als allgemeiner Aufwand im Sinne von § 6 Abs. 1 JVEG erstattungsfähig, wenn sie infolge des gerichtlich angesetzten Termins objektiv notwendig sind. Aus dem Verweis in § 6 Abs. 1 letzter Halbsatz JVEG auf das Tagegeld im Sinne von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 i.V. m. § 9 Abs. 4a Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) wird deutlich, wann und in welcher Höhe Verpflegungskosten in Form einer Zehrkostenpauschale als notwendiger allgemeiner Aufwand zu erstatten sind. Bei einer Abwesenheit von mehr als acht bis unter 24 Stunden am Kalendertag ist ein Pauschalbetrag von 14 € anzusetzen (§ 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 3 EStG). Auf die tatsächlich entstandenen Kosten des Berechtigten kommt es aufgrund der vom Gesetzgeber gewählten Regelung nicht an. Denn es werden pauschaliert die weiteren Kosten abgedeckt, die infolge einer längeren Abwesenheitszeit vom Wohnort oder der Arbeitsstelle entstehen (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2018 - L 1 JVEG 71/17, zitiert nach Juris). Das Tagegeld soll den Aufwand außer den durch eine notwendige Übernachtung entstehenden Kosten abgelten. Eine Nachweispflicht ist im Übrigen schon deshalb entbehrlich, weil es sich um eine pauschale Erstattung handelt. Dass die Erinnerungsführerin ein Tagegeld nicht ausdrücklich beantragt hat, ist unschädlich. Denn nach ständiger Rechtsprechung ist der Senat bei der Festsetzung der Entschädigung weder an die Höhe der Einzelansätze oder an die Höhe der Vergütung im Antrag gebunden, er kann nur nicht mehr festsetzen, als beantragt ist. Dabei ist jedoch nicht auf die einzelnen Positionen, sondern nur auf den Gesamtbetrag abzustellen. Eine Bindung an einzelne Berechnungselemente des Antrags, die letztlich nur der Begründung des Antrags zuzurechnen sind, besteht nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Juli 2023 – L 1 JVEG 219/22 –, juris; Schneider, JVEG, 4. Auflage 2021, § 4 Rn. 48).
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).