Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - haftungsbegründende Kausalität - Kreuzbandruptur - Innenbandläsion – geeignetes Anpralltrauma – Restfaserläsion- Gelegenheitsursache
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen eine Restfaserläsion des vorderen Kreuzbandes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf ein Unfallereignis zurückgeführt werden kann.
2. Als geeigneter Verletzungsmechanismus für eine Gefährdung der Strukturen des vorderen Kreuzbandes kommt, wenn indirekte Mechanismen im Sinne von sogenannten Drehverwindungstraumen oder Rotationsbewegungen ausscheiden, nur ein direktes Trauma in Form eines geeigneten Anpralls in Betracht.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 16. September 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob als weitere Folge eines als Arbeitsunfall anerkannten Unfallereignisses vom 23. Juni 2017 eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes rechts anzuerkennen ist und der Kläger deshalb Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung beanspruchen kann.
Der 1960 geborene Kläger belieferte am 23. Juni 2017 als Tankwagenfahrer die S Tankstelle, D Straße in E. Beim Verlassen des Tankstellengebäudes gegen 18:35 Uhr wollte er an einem Pkw vorbeigehen, als dieser anfuhr, wodurch es nach den Angaben des Klägers, zu einer Einwirkung auf das rechten Kniegelenk gekommen ist. Der Durchgangsarzt wurde am nächsten Tag, den 24. Juni 2017, um 08:24 Uhr aufgesucht und diagnostizierte eine Kniekontusion beidseits. Aus der Röntgenaufnahme des Kniegelenks ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine Fraktur. Der Ergänzungsbericht Knie wurde ausgefüllt. Der Durchgangsarzt veranlasste die Erstellung einer Kernspintomografie des rechten Kniegelenks. Ausweislich der MRT-Untersuchung vom 4. Juli 2017 ergab sich eine Ruptur des vorderen rechten Kreuzbandes. Deswegen beantragte die Sportklinik E mit Schreiben vom 7. August 2017 die Kostenübernahme für kurzstationäre Behandlung bei der Beklagten. Diese teilte mit Schreiben vom 17. August 2017 mit, dass einer Operation in der Sportklinik E nicht zugestimmt werden könne, weil diese nicht am Verletzungsartenverfahren teilnehme. Es werde gebeten, den Versicherten beispielsweise an das H Klinikum in E zu verweisen. Nach Vorstellung im H Klinikum E am 25. August 2017 erhob dieses gegen eine operative Versorgung in der Sportklinik E keine Bedenken. Daraufhin erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 28. August 2017 gegenüber der Sportklinik E die Kostenübernahme. Am 30. August 2017 erfolgte in der Sportklinik E eine arthroskopische vordere Kreuzbandersatzplastik mit Patellarsehnendrittel mit Titanschraube, eine partielle Meniskektomie und eine Glättung der instabilen Knorpelanteile. Vom 9. Oktober bis 8. Dezember 2017 erfolgte die Durchführung einer ambulanten Reha-Maßnahme in der Sportreha in E. Im Auftrag der Beklagten erstellte nach Anhörung des Klägers der Unfallchirurg K am 18. Juni 2018 ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage. Darin führte er aus, dass als Unfallfolge ein Zustand nach Kontusion des rechten Kniegelenks anzuerkennen sei. Der Verletzungshergang sei grundsätzlich geeignet, das vordere Kreuzband und den Innenmeniskus zu gefährden. Ein Ursachenzusammenhang zwischen einer Kontinuitätsunterbrechung des vorderen Kreuzbandes und dem Ereignis könne aus dem MRT-Befund vom 4. Juli 2017 nicht abgeleitet werden. In der MRT sei ein intaktes Innenband zu erkennen. Ein bone bruise im Bereich des femoralen Ansatzes des vorderen Kreuzbandes liege nicht vor. Das festgestellte Knochenmarködem am lateralen Tibiakopf sei Folge des direkten Traumas auf das rechte Kniegelenk. Auch der intraoperative Befund vom 30. August 2017 spreche gegen einen Zusammenhang zwischen Ruptur des vorderen Kreuzbandes und Unfallereignis. Insgesamt sei ein Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Ruptur des vorderen Kreuzbandes rechts nicht wahrscheinlich. Auch eine Verschlimmerung eines Vorschadens sei nicht zu erkennen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aufgrund der Kontusion des rechten Kniegelenkes liege ersichtlich nicht vor. Daraufhin erließ die Beklagte am 7. August 2018 einen Bescheid des Inhalts, dass Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bis einschließlich 31. Juli 2017 gewährt werden. Am Unfalltag hätten bereits umfangreiche vorbestehende Gesundheitsstörungen im rechten Kniegelenk bestanden. Unter Berücksichtigung des Unfallhergangs sowie der medizinischen Befunde lasse sich der Riss des rechten vorderen Kreuzbandes nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückführen. Der Unfall habe zu einer Prellung des rechten Kniegelenks mit einer Flüssigkeitsansammlung im Bereich des äußeren rückwärtigen Schienbeinkopfes und unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis einschließlich 31. Juli 2017 geführt. Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Widerspruch ein und legte eine Stellungnahme der Sportklinik E vom 3. Januar 2019 vor. Darin führt diese aus, dass das Unfallereignis, also der Anstoß eines Pkw gegen ein Kniegelenk, durchaus geeignet sei, eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes herbeizuführen. Es sei nicht zwingend erforderlich, dass dabei das Innenband geschädigt sein müsse. Eine Vorschädigung habe keinen Einfluss auf die Ruptur des vorderen rechten Kreuzbandes gehabt. Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes, des Chirurgen N, vom 20. April 2019 ein. Dieser führte aus, dass keine adäquaten Bewegungsabläufe stattgefunden hätten, die zu einer traumatischen vorderen Kreuzbandruptur hätten führen können. Unfallbedingt sei es nur zu einer Knieprellung rechts mit bone bruise am Tibiakopf gekommen. Gestützt hierauf wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2019 zurück.
Hiergegen hat der Kläger fristgerecht vor dem Sozialgericht Nordhausen Klage erhoben. Im Klageverfahren legte er einen Datenträger mit Aufzeichnungen der Überwachungskamera des Tankstellengeländes am Unfalltag zur Kenntnis bei. Nach Vorlage der Aufnahmen der Überwachungskamera führte der Beratungsarzt der Beklagten N in einer Stellungnahme vom 1. Dezember 2019 aus, dass ein Anprall vom gerade vorsichtig losfahrenden Auto an das rechte Kniegelenk außenseitig mit nahezu zeitgleicher Bremsung vom Autofahrer und kurzem Halt des Klägers zu erkennen sei. Der Kläger habe keine Ausweichbewegung gemacht und sei nicht gestürzt. Ein solches Ereignis sei nicht geeignet, eine traumatische vordere Kreuzbandruptur herbeizuführen. Das Sozialgericht hat ein Zusammenhangsgutachten bei R beauftragt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 22. Mai 2020 aus, das per Video dokumentierte Ereignis vom 23. Juni 2017 sei als Ursache für die vordere Kreuzbandruptur möglich. Nach mehrmaliger Ansicht des Videos der Überwachungskamera der Tankstelle liege ein inadäquates Trauma vor. Der Kläger sei maximal leicht touchiert worden. Eine wesentliche Reaktion auf das Trauma sei nicht erfolgt. Der Kaffeebecher in der Hand habe keinen Schaden erlitten und der Kläger habe mit gleichem Gangbild seinen Weg fortgesetzt. Das Gangbild beim Verlassen der Tankstelle sei leicht hinkend rechts. Dies könne auf die vorbestehende ältere Sprunggelenksverletzung zurückgeführt werden. Das posttraumatische Verhalten des Klägers könne nicht in Zusammenhang gebracht werden mit einer akuten Ruptur des vorderen Kreuzbandes. Das Knochenödem (bone bruise) sei ein klassisches Zeichen für eine Krafteinwirkung der traumatischen Ruptur des vorderen Kreuzbandes. Für den Zeitpunkt der Ruptur bestehe aber Beweislosigkeit. Bei fehlendem Unfallmechanismus und der Situation der Beweislosigkeit für den Zeitpunkt der vorderen Kreuzbandruptur könne eine Kausalität zwischen Unfallereignis am 23. Juni 2017 und der vorderen Kreuzbandruptur nicht bestätigt werden.
Daraufhin hat das Sozialgericht durch Urteil vom 16. September 2022 die Klage abgewiesen. Nach dem Sachverständigengutachten von R lasse sich ein Zusammenhang zwischen der vorderen Kreuzbandruptur rechts und dem Unfallereignis vom 23. Juni 2017 nicht wahrscheinlich machen. Ein Zusammenhang sei danach allenfalls möglich. Die Inaugenscheinnahme des Videos vom Unfalltag sei für das Gericht unergiebig gewesen. Es sei bereits nicht erkennbar gewesen, ob es überhaupt zu einem Zusammenstoß mit dem Pkw gekommen sei. Selbst wenn man von einem Anprall ausgehe, sei dieser nicht so schwer gewesen, dass er eine vordere Kreuzbandruptur hätte hervorrufen können. Darüber hinaus bestehe auch eine Situation der Beweislosigkeit für den Zeitpunkt der vorderen Kreuzbandruptur. Die Kreuzbandruptur rechts hätte auch bereits vorbestehen können.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das Urteil leide unter erheblichen Mängeln. Die Ausführungen des Sachverständigen R in seinem Gutachten seien teilweise in sich widersprüchlich. Ausführungen zur Beweislosigkeit fielen nicht in seinen Aufgabenbereich. Der Sachverständige nehme auf Ereignisse im Fußballsport Bezug und schildere, dass man dort jahrelang unentdeckt mit einer Kreuzbandruptur hätte Profifußball spielen können. Dies stehe aber nicht im Zusammenhang mit dem vorliegenden Fall. Gleichwohl verneine der Sachverständige R anschließend ein adäquates Trauma in Widerspruch zu seinen vorherigen Ausführungen. Daher bestünde noch erheblicher Aufklärungsbedarf.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 16. September 2022 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2019 abzuändern und als weitere Folge des Unfallereignisses vom 23. Juni 2017 einen Riss des vorderen Kreuzbandes rechts, eine Seitenbandläsion und einen Innenmeniskusriss im rechten Knie anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Eine bloße Möglichkeit reiche für die Bejahung des erforderlichen Ursachenzusammenhangs nicht aus.
Der Senat hat den Unfallchirurgen und Orthopäden N1 und den Radiologen B mit einem Sachverständigengutachten beauftragt. Der Radiologe B führt in seinem Gutachten vom 29. Februar 2024 aus, dass dem MRT-Befund vom 4. und 10. Juli 2017 Hinweise auf eine minimale Restfaserläsion des vorderen Kreuzbandes zu entnehmen seien. Ein Knochenödem am lateralen Tibia-Plateau und am lateralen Femurkondylus sei ebenfalls gesichert. Die Kniebinnenläsionen seien degenerativ alt. Vorbestehend sei bereits acht Jahre vor dem Unfallereignis eine deutliche Varus-Gonarthrose im Stadium Kellgren II nach dem Röntgenbefund vom 24. Juni 2009 gesichert. Hinweise auf ein Anpralltrauma fänden sich nicht. Das Knochenödem sei traumatischer Natur. Ob ein zeitlicher Bezug zum Unfalltag bestehe, könne nach dem MRT zwei Wochen nach dem Unfall nicht mehr vollbeweislich entschieden werden. N1 führt in seinem Gutachten vom 6. März 2024 aus, dass unfallabhängig eine Distorsion des rechten Kniegelenks mit Restfaserläsion des vorderen Kreuzbandes und Verletzung einer Schleimhautfalte und daraus resultierend einem Ersatz des vorderen Kreuzbandes durch die körpereigene Kniescheibensehne mit Restinstabilität des rechten Kniegelenks und belastungsabhängiger Schwellneigung desselben sei. Unfallunabhängig sei eine vorbestehende, weitgehende Kontinuitätstrennung des vorderen Kreuzbandes rechts und degenerative Außen- und Innenmeniskusschäden. Nach den Aufnahmen der Überwachungskamera liege eine biomechanische Einwirkung auf das rechte Kniegelenk am 23. Juni 2017 vor. Das vor dem Anprall beim Kläger zu sehende leicht rechtshinkende Gangbild beruhe auf der älteren Sprunggelenksverletzung, weshalb eine Rentenzahlung durch die Berufsgenossenschaft erfolge. Anhand des Unfallmechanismus lasse sich eine unphysiologische Dehnungsbelastung des vorderen Kreuzbandes mit Knochenödem belegen. Da zum Unfallzeitpunkt bereits eine weitgehende Kontinuitätstrennung des vorderen Kreuzbandes gegeben gewesen sei, habe der eher unspektakuläre Anprall ausgereicht, um eine vollständige Kontinuitätstrennung herbeizuführen. Die beim Kläger durch die MRT-Befunde vom 4. und 10. Juli 2017 belegte Verteilung eines Knochenödems sei hinweisend für eine inadäquate Zugbelastung des vorderen Kreuzbandes. Es finde sich zudem eine frische Verletzung bei einem gedehnten inneren Zügelband. Der Operationsbericht beschreibe frische komplette Rupturzeichen des vorderen Kreuzbandes. Bei einer acht Wochen später erfolgten Operation sei eine solche Beschreibung immer mit Vorsicht zu genießen. Da fachradiologisch keine Blutbeimengungen beschrieben seien, seien Blutbeimengungen anlässlich der Operation auch gar nicht zu erwarten. Hinweisend für ein traumatisches Geschehen sei der Nachweis von Hämosiderophagen in der Histologie, welcher bis ca. drei Monate nach dem Unfall möglich sei. In der beschriebenen Situation angesichts der erheblichen degenerativen Vorschäden stelle sich die Frage nach einer Gelegenheitsursache. Aus seiner Sicht sei das nicht der Fall, auch wenn es sich um ein geringfügiges Trauma gehandelt habe. Es sei nicht zu begründen, dass ein derartiger Zustand durch jedes alltägliche Ereignis innerhalb etwa eines Jahres hätte ausgelöst werden können. An Unfallfolgen bestehe eine Restinstabilität des vorderen Kreuzbandes, die muskulär kompensiert sei. Die MdE sei mit 10 v. H. zu beziffern. Bezüglich des Gutachtens von K sei auszuführen, dass ein Unfallmechanismus mit einem Valgusstress in der Aktenlage nicht dokumentiert sei. R diskutiere in seinem Gutachten überwiegend das inadäquate Trauma. Bezüglich des Knochenödems werde verkannt, dass es sich bei einem Ödem zwischen Ober- und Unterschenkel um eine sogenannte Relativbewegung handele.
Der Kläger hat sich den Ausführungen des Sachverständigen N1 angeschlossen. Die Beklagte ist diesen entgegengetreten. Nach dem radiologischen Gutachten des B seien traumatisch bedingte Kniebinnenschäden ausgeschlossen. Vorgelegt wurde des Weiteren eine beratungsärztliche Stellungnahme des N vom 14. April 2024. Die Bilder der Überwachungskamera belegten, dass der Anprall noch nicht einmal zu einem Wanken und schon gar nicht zu einem Sturz geführt habe. N1 bestätige die vorbestehenden schon deutlichen verschleißbedingten Veränderungen am rechten Kniegelenk im Sinne einer retropatellaren und Varus-Gonarthrose. Dies gefährde die Kreuzbandstrukturen im Sinne eines Aufbrauchens aber erheblich. Aus der Verteilung der Knochenmarködeme könne nicht ohne Weiteres auf einen erheblichen Anprall geschlussfolgert werden.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Aufzeichnung der Überwachungskamera in Augenschein genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg (§§ 143, 151 SGG). Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, als es die Anerkennung weiterer Unfallfolgen abgelehnt hat.
Der Bescheid der Beklagten vom 7. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung weiterer gesundheitlicher Beeinträchtigungen im Bereich des rechten Kniegelenks aufgrund des Ereignisses vom 23. Juni 2017.
1. Richtige Klageart für die Feststellung weiterer Unfallfolgen ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG.
In der Unfallversicherung gilt:
Die als Gesundheitserstschaden, d. h. als unmittelbar durch das Unfallereignis verursacht, geltend gemachte Gesundheitsstörung muss im Vollbeweis, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Diese liegt vor, wenn kein vernünftiger die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt. Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung u.a. für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 27/06 R, nach juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteile vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R und 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, nach juris). Es gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheits(erst-)schaden bzw. dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge voraus und in einem zweiten wertenden Schritt, dass das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.
Die auf der 2. Prüfungsstufe der Kausalität zu prüfende Wesentlichkeit einer Bedingung ist eine reine Rechtsfrage (vgl. zur Theorie der wesentlichen Bedingung BSG, Urteil vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R - nach juris Rn. 23 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung und Literatur). Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung der Erkrankung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs vom Rechtsanwender (Juristen) wertend entschieden werden und beantwortet sich nach dem Schutzzweck der jeweiligen Norm (grundlegend P. Becker, MED SACH 2007, 92; Spellbrink, MED SACH 2017, 51, 55). In die Bewertung fließt ein, ob die auf der ersten Stufe abschließend festgestellte faktische Mitverursachung des Gesundheitsschadens durch die versicherte Verrichtung/versicherte Einwirkung überhaupt ein versichertes Risiko der gesetzlichen Unfallversicherung verwirklicht hat. Ggf. hängt die Rechterheblichkeit davon ab, ob unversicherte Mitursachen und ihr Mitwirkungsanteil nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweiligen Versicherung in einer Gesamtabwägung dieser Umstände des Einzelfalls die Schadensverursachung derart prägen, dass dieser nicht mehr dem Schutzbereich der Versicherung, sondern dem allgemeinen Lebensrisiko unterfällt (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012, B 2 U 9/11 R, nach juris). Wesentlich ist dabei nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist vorliegend in dem Unfallereignis keine wesentliche Bedingung für die Ruptur des vorderen Kreuzbandes rechts zu sehen. Mit dem Ereignis am 23. Juni 2017 hat sich ein vom Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung umfasstes Risiko nicht verwirklicht. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Ereignis die Entstehung der Ruptur des vorderen Kreuzbandes rechts derart geprägt hat, dass die im Fall des Klägers vorhandenen anlagebedingten Veränderungen als unwesentlich erscheinen.
In Auswertung aller Sachverständigengutachten, insbesondere des radiologischen Gutachtens von B und des unfallchirurgischen von N1, könnte es bei dem Ereignis am 23. Juni 2017 nur zu einer Restfaserläsion des vorderen Kreuzbandes mit Verletzung einer Schleimhautfalte (Plica medio-patellaris) gekommen sein. Ist diese Restfaserläsion des vorderen Kreuzbandes bereits nicht Unfallfolge, dann ist auch der Ersatz des vorderen Kreuzbandes durch die körpereigene Kniescheibensehne und die verbleibende Restinstabilität und Schwellneigung keine Unfallfolge. Vorliegend bestehen aber bereits an der vollbeweislichen Sicherung einer Restfaserläsion des vorderen Kreuzbandes und einer Verletzung der Schleimhautfalte am Unfalltag erhebliche Zweifel. Der Radiologe B beschreibt in seinem Gutachten vom 29. Februar 2024, dass sich allenfalls eine geringgradige Restfaserläsion bei fortbestehender weitgehender vorderer Kreuzbandläsion und eine Partialläsion einer Schleimhautfalte den bildgebenden Befunden entnehmen lässt. In Auswertung des MRT-Befundes vom 4. Juli 2017 befundet er allenfalls eine frische geringgradige Restfaserläsion. Dem MRT-Befund vom 10. Juli 2017 entnimmt er dann nur einen Hinweis auf eine minimale Restfaserläsion des vorderen Kreuzbandes. Wörtlich führt er aus, dass eine geringgradige Restfaserläsion des vorderen Kreuzbandes möglich sei. Bezüglich der Begleitläsion der Schleimhautfalte führt er ebenfalls ausdrücklich aus, dass ein solcher Befund möglich ist und bewertet den Befund als sehr diskret. Im Vordergrund stehen die medial degenerative Meniskus-, Hinterhorn- und die mediale Knorpelläsion bei vorbestehender deutlicher Pangonarthrose. Insofern ist bereits der Ausgangspunkt der Prüfung durch N1, wonach im vorliegenden Fall von einer Restfaserläsion auszugehen ist, mit deutlichen Fragezeichen zu versehen. Da auch die Partialläsion einer Schleimhautfalte letztlich vollbeweislich nicht gesichert ist, kann sie in der Kausalitätsbeurteilung als frische Verletzung keine Berücksichtigung finden.
Bezüglich des Unfallhergangs am 23. Juni 2017 ist es ebenfalls fraglich, ob ein für eine Schädigung des vorderen Kreuzbandes potentiell geeigneter Verletzungsmechanismus vorgelegen hat. Dies gilt unter Zugrundelegung der Ausführungen im wissenschaftlichen Standardwerk zur medizinischen Unfallbegutachtung (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024 S. 636ff.). Danach ist bezüglich der pathomechanischen Erkenntnisse zum Kreuzbandschaden hinsichtlich des vorderen Kreuzbandes zu unterscheiden zwischen direkten und indirekten Mechanismen. Indirekte Mechanismen im Sinne von sogenannten Drehverwindungstraumen bzw. bestimmter Rotationsbewegungen im Rahmen einer indirekten Krafteinwirkung scheiden vorliegend aus. Damit verbleibt als geeigneter Verletzungsmechanismus nur ein direktes Trauma in Form eines geeigneten Anpralls. Eine Verletzung des vorderen Kreuzbandes ist im Rahmen einer direkten Gewalteinwirkung eine Rarität, kann jedoch bei unphysiologischer, anteriorer Translation des Tibiakopfes, z. B. durch ein dorsales Anpralltrauma am Schienbeinkopf, auftreten (Gille u. a., Begutachtung der vorderen Kreuzbandruptur, Unfallchirurg 2013, S. 238–245). Nach Auswertung des Videomaterials vom Unfalltag am 23. Juni 2017 verbleiben auf Seiten des Senats deutliche Zweifel, ob hier ein geeigneter Anprall für eine Gefährdung der Strukturen des vorderen Kreuzbandes überhaupt vorgelegen hat. Nach der Videoaufzeichnung erscheint es nur als möglich, dass es zu einem solchen Anprall an das rechte Kniegelenk gekommen ist. Fest steht jedenfalls, dass der Kläger weder das Gleichgewicht verloren hat, noch gar gestürzt ist. Er ist beim Herumgehen um den Pkw nach dessen Anfahren lediglich stehen geblieben, hat seinen Blick Richtung Fahrer gerichtet und ist dann nach kurzer Zeit bereits weitergegangen. Dies deutet nicht auf eine erhebliche Krafteinwirkung auf das rechte vordere Kniegelenk hin. Der klinische Erstbefund ist zwar mit einer traumatischen Kreuzbandruptur vereinbar insoweit, als eine Schwellung des rechten Kniegelenks festgestellt worden ist. Insoweit verweist aber der Beratungsarzt der Beklagten N zu Recht darauf, dass die Schwellung des rechten Kniegelenks vielfältige Ursachen sowohl unfallbedingt als auch degenerativ haben kann. Dem hat auch N1 in seinem Sachverständigengutachten zugestimmt. Soweit N1 in Auswertung des Knochenödems am äußeren Schienbeinkopfplateau eine pathologische Verschiebung zwischen dem Schienbeinkopf und dem Oberschenkelknochen als nachvollziehbar ansieht, spricht dies zwar für einen typischen Verletzungsmechanismus, der zur Zerreißung des vorderen Kreuzbandes führen kann. Nach den geschilderten Erfahrungswerten ist ein typischer Verletzungsmechanismus die Sublokation zwischen Oberschenkelkondylen und Schienbeinkopf. Allerdings sind die dabei wirksam werdenden Kräfte indirekter Natur. Dies würde daher nach den Erfahrungswerten ein indirektes Trauma beispielsweise in Form einer Hyperflexion des Kniegelenks voraussetzen. Ein solches liegt aber ersichtlich nicht vor. Insoweit führt auch N1 aus, dass die vorgefundene Verteilung des Knochenödems hinweisend für eine inadäquate Zugbelastung des vorderen Kreuzbandes im Sinne einer unphysiologischen Überdehnung desselben sein soll. Dies setzt aber eine indirekte Krafteinwirkung voraus, die gerade nicht vorliegt. Soweit N1 auf das Ergebnis der histologischen Untersuchung verweist, wonach diese für ein traumatisches Schadensbild spricht, ist zu beachten, dass die Bedeutung der histologischen Untersuchung hinsichtlich der Abgrenzung von konkurrierenden Ursachen häufig überschätzt wird. Vorschäden können im Kreuzband ungleichmäßig verteilt sein. Der Operationsbericht vom 30. August 2017 belegt das Vorliegen erheblicher degenerativer Verbrauchserscheinungen im Bereich des Knorpels und der Menisken. Eine partielle Entfernung im Außen- und Innenmeniskus erfolgte. Knorpel- und Meniskusverkalkungen wurden festgestellt. Kristalleinlagerungen als Zeichen eines degenerativen Prozesses wurden gesichert. Daher hat auch die Sportklinik E in ihrer Stellungnahme vom 12. Januar 2018 für den Prozessbevollmächtigten des Klägers die beschriebenen Knorpelschäden und Kristalleinlagerungen sowie die Außen- und Innenmeniskusläsion als wahrscheinlich eher degenerativer Natur eingestuft. Darüber hinaus ist die Argumentation des Beratungsarztes der Beklagten N nachvollziehbar, wonach es auch durch die beim Kläger gesichert vorliegende Arthrose zu einem degenerativen Aufbrauchen der Kreuzbänder in aller Regel kommt.
Damit bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass der Riss des vorderen Kreuzbandes rechts, die Seitenbandläsion und der Innenmeniskusriss rechts im Fall des Klägers schicksalhafter Natur sind. Ein Zusammenhang mit dem Ereignis vom 23. Juni 2017 kann daher nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Es verbleibt daher bei der durch Bescheid vom 7. August 2018 durch die Beklagte festgestellten Unfallfolge einer Prellung des rechten Kniegelenks mit einer Flüssigkeitsansammlung im Bereich des äußeren rückwärtigen Schienbeinkopfes.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).