L 6 U 168/22

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Braunschweig (NSB)
Aktenzeichen
S 62 U 5/17
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 6 U 168/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 26. August 2022 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer - zwischen den Beteiligten streitigen - Hilfeleistung nach einem Verkehrsunfall als Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der 1996 geborene Kläger befand sich im September 2014 im zweiten Ausbildungsjahr seiner Berufsausbildung zum Modellbauer. Am 18. September 2014 war er Mitfahrer auf der gegen 21.25 Uhr mit dem mit insgesamt vier Personen besetzten Pkw Honda Civic angetretenen privaten Fahrt von einem Schnellimbissrestaurant in I. nach J.. Das Fahrzeug wurde von dem 1993 geborenen Nick K. gelenkt, Beifahrer war der 1993 geborene Sven L., hinter dem Fahrer saß die 1997 geborene Freundin des Klägers, Julia M., hinter dem Beifahrer der Kläger. Auf der Landstraße N. zwischen O. und P. verlor K. gegen 21.35 Uhr in einer langgezogenen Linkskurve bei einer Geschwindigkeit von ca 120 km/h die Kontrolle über das Fahrzeug. Er geriet über die Fahrbahnmitte in den Bereich der Gegenspur, lenkte nach rechts gegen und geriet in der Folge auf den rechten Seitenstreifen. Das Fahrzeug setzte mit seiner Unterseite auf der Betonverschalung eines unterhalb des Straßenniveaus befindlichen Brückenbauwerks auf, wodurch der Benzintank aufgerissen wurde und geriet in den Straßengraben. Es überschlug sich, blieb auf der linken Fahrzeugseite liegen und geriet durch ausgetretenes Benzin in Brand. L. und der Kläger konnten in der Folge das Fahrzeug verlassen; L. durch die Öffnung für die beim Unfall zerborstene Frontscheibe, der Kläger entweder durch die Schiebedach- oder die Frontscheibenöffnung. K. versuchte hingegen erfolglos, das Fahrzeug durch die Schiebedachöffnung zu verlassen und verstarb ebenso wie die im Fahrzeug verbliebene M..

In der Gegenrichtung fuhren Marnie Q. und Michel R. jeweils in einem Auto, als sie die Verpuffung des Benzins und den beginnenden Fahrzeugbrand bemerkten. An der Unfallstelle angekommen, sah Q. zwei Männer aus dem brennenden Auto kommen und bemerkte, dass einer von ihnen – der Kläger – am Rücken brannte. Sie hielt an und rief ihm zu, dass er sich auf dem Boden wälzen solle. R. setzte mit seinem Mobiltelefon einen Notruf ab, holte eine Decke aus seinem Auto, lief zu dem inzwischen am Boden liegenden Kläger und legte die Decke auf ihn, wodurch die Flammen am Rücken erstickt wurden. Der Kläger forderte R. auf, er solle ihm bei der Rettung seiner Freundin helfen. R. sah jedoch keine Möglichkeit, jemanden aus dem brennenden Auto zu retten und unternahm keinen Rettungsversuch. Er brachte den Kläger und L. noch etwa fünf Meter vom brennenden Auto weg. Q. hinderte den Kläger unter Einsatz von Körperkraft daran, zum brennenden Auto zurückzukehren. Der ca 300 Meter vom Unfallort wohnende Juriy S. hörte einen Knall und bemerkte einen Feuerschein und traf etwa zwei Minuten nach dem Unfall mit seinem Auto am Unfallort ein. Auch S. hinderte den Kläger mit erheblicher Kraftausübung daran, zum brennenden Auto zurückzukehren. Kurz danach traf der Arzt Dr Hauke T. an der Unfallstelle ein, der telefonisch von S. s Ehefrau informiert worden war, und übernahm die Erstversorgung des Klägers.

Der Kläger erlitt bei dem Unfall schwere Brandverletzungen der Hüfte, des linken Beines, am Rücken und Gesäß, Kopf und Hals von insgesamt 51% der Körperoberfläche sowie multiple Knochenfrakturen. Im Zuge der anfänglich intensivmedizinischen Behandlung mit Abtragungen und Transplantationen der Haut ergaben sich wiederholt Komplikationen (Infektionen, Abstoßungsreaktionen, Wundheilungsstörungen, Leberschädigung). Nachfolgend traten beim zeitweise pflegebedürftigen Kläger psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen auf. Er musste sich in der Folgezeit zahlreichen Operationen insbesondere zur Narbenbehandlung unterziehen.

Nach einer Ende Januar 2015 erfolgten Pflegebegutachtung, bei der die Mutter des Klägers angegeben hatte, dass der Kläger bei dem Unfall versucht habe, seine Freundin zu retten, meldete die Barmer GEK einen Erstattungsanspruch beim Gemeinde-Unfallversicherungsverband U. an, der diesen an den Beklagten weiterleitete. Dieser lehnte gegenüber der Barmer GEK eine Erstattung ab (Schreiben des Beklagten vom 14. April und 24. November 2015).

Im Februar 2016 wandte sich der Kläger unmittelbar an den Beklagten (Schreiben des Klägers vom 12. Februar und 23. Juni 2016): Er habe nach dem Verlassen des Fahrzeugs wiederholt versucht, den Fahrer und seine Freundin zu retten. Dies ergebe sich aus den Aussagen R. s und Q. s bei der Polizei, aber auch aus den bei ihm vorliegenden Verletzungen.

Der Beklagte lehnte die Feststellung eines Versicherungsfalls ab (Bescheid vom 7. September 2016; Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2016).

Auf die am 10. Januar 2017 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Braunschweig den Kläger angehört sowie L., T. und S. als Zeugen vernommen (Sitzungsprotokoll vom 23. April 2018). Es hat sodann festgestellt, dass der Kläger am 18. September 2014 gemäß § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB VII versichert gewesen sei, als er nach dem Verlassen des brennenden Unfallfahrzeuges zu diesem zurückgerannt sei und versucht habe, die Türen auf der Fahrerseite zu öffnen, um die im Fahrzeug befindlichen Personen zu retten (Zwischenurteil vom 23. April 2018).

Nachfolgend hat das SG das dermatologische Gutachten des Prof Dr V. vom 9. Juli 2019 eingeholt. Bei der Anamneseerhebung durch den Sachverständigen hat der Kläger angegeben, er sei zum Auto zurückgelaufen und habe an den Türen der Fahrerseite gerüttelt, diese aber nicht öffnen können. Er habe durch die zerstörte Scheibe in das Fahrzeuginnere gegriffen und erfolglos versucht, den Fahrer aus dem Auto herauszuziehen. Er sei dann von zwei Helfern vom Auto weggezogen und auf den Boden gedrückt worden. Der Sachverständige ist – unter Zugrundelegung einer Rettungshandlung – zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verbrennungsnarben im Bereich des Gesichts, des Halses, des vorderen Brustbereichs, am linken Arm und an beiden Händen Folgen der Rettungshandlung gewesen seien. Hierauf hat der Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr W. vom 16. September 2019 eingereicht, der dem Gutachten entgegengetreten ist.

Nachdem das SG die Beweisaufnahme als abgeschlossen angesehen und die Einholung des von beiden Beteiligten angeregten brandanalytischen Gutachtens abgelehnt hat (Verfügung vom 6. Februar 2021), hat der Kläger außergerichtlich das brandanalytische Gutachten des Prof Dr X. vom 29. November 2021 eingeholt und in das Verfahren eingeführt. Dieser hat auf Grundlage der getätigten Zeugenaussagen und der örtlichen Verhältnisse ua ausgeführt, dass Q. und R. zwischen 40 und 70 Sekunden bzw zwischen 55 und 95 Sekunden nach der Kollision am Unfallort eingetroffen seien. Die Explosion des ausgetretenen Benzins sei wahrscheinlich ohne zeitliche Verzögerung unmittelbar nach der Kollision erfolgt. Der Kläger habe innerhalb von etwa 55 Sekunden das brennende Fahrzeug nach der Kollision verlassen, sich aufgerichtet und sodann unmittelbar den – von Prof Dr X. als gegeben unterstellten – Rettungsversuch unternommen.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Endurteil vom 26. August 2022). Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar habe es mit Zwischenurteil festgestellt, dass der Kläger im Anschluss an den Verkehrsunfall am 18. September 2014 gemäß § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB VII kraft Gesetzes versichert gewesen sei. Es habe jedoch nicht auch festgestellt, dass der Kläger während seiner Hilfeleistung – was hier die versicherte Tätigkeit darstelle – einen „Unfall“ im Sinne des § 8 Abs 1 SGB VII erlitten habe. Keiner der Zeugen habe gesehen, dass der Kläger Rettungshandlungen vorgenommen habe. Den Versicherungsschutz habe die Kammer angenommen, weil bereits der Weg zu einer Rettungshandlung zur versicherten Tätigkeit selbst gehöre. Insofern sei die Bejahung des Tatbestandsmerkmal „Unfallereignis“ nicht notwendige Voraussetzung für die Bejahung des Versicherungsschutzes. Bindend sei das Zwischenurteil nur insoweit, als dass der Kläger ab Verlassen des Unfallfahrzeugs aufgrund einer beabsichtigten Hilfeleistung gesetzlich versichert gewesen sei. Die Kammer habe auch heute keinen Zweifel daran, dass der Kläger seine Freundin und den Fahrer habe retten wollen. Indes lasse sich auch nach Ausschöpfung weiterer Ermittlungen kein valider Geschehensablauf rekonstruieren. Ohne ein nachvollziehbares, tatsächliches Hilfeleistungsgeschehen sei der Nachweis eines Unfallereignisses, das der Kläger während dieses Geschehens zusätzlich zum nicht versicherten Verkehrsunfall erlitten haben solle, aber nicht möglich. Ein Verlauf, dass der Kläger das Unfallauto zunächst verlassen, danach dahin zurückgekehrt, an den Türen der Fahrerseite gezogen und sich dabei die Verbrennungen an den Händen sowie an der Vorderseite seines Körpers zugezogen habe, sei zweifelhaft. Der Pkw habe auf der Fahrerseite gelegen, weshalb es für den Kläger ausgeschlossen gewesen sei, die Türen zu erreichen. Bei dieser Fahrzeuglage habe er auch die Türen auf der Beifahrerseite nicht öffnen können. Der vom Sachverständigen Prof Dr X. angenommene, von den Aussagen der Zeugen und des Klägers abweichende Verlauf, der Kläger sei in der brennenden Fahrzeugkabine zunächst über den verletzten Fahrer hinweg gekrochen, ins Freie gelangt und habe sich dann aufgerichtet, um dem ihm nachfolgenden Fahrer bei dessen Entkommen durch das Schiebedach zu helfen, erscheine zwar möglich, aber nicht bewiesen. Es handele sich um einen allein aus brandanalytischer Sicht plausiblen Ablauf, wobei Prof Dr X. von vornherein unterstellt habe, dass eine Rettungshandlung stattgefunden habe. Von dieser – nach wie vor unbewiesenen – Tatsache ausgehend, habe er auf der Grundlage seiner ansonsten überzeugenden Analyse einen plausiblen Geschehensablauf nachgezeichnet. Eine tatsächlich vorgenommene Rettungshandlung sei aber gerade nicht bewiesen. Der Geschehensablauf lasse sich nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit rekonstruieren. Entgegen der Ansicht des Klägers ließen auch die Verbrennungsverletzungen keinen Rückschluss auf tatsächlich erfolgte Rettungshandlungen zu. Für sämtliche Verbrennungen gebe es eine sehr naheliegende andere Verursachungsmöglichkeit, nämlich den Verkehrsunfall selbst. Soweit etwa der Kläger vortrage, die schweren Brandverletzungen an der Innenseite seiner Hände könnten nur auf seine Rettungshandlung zurück zu führen sein, so könne er sich die Hände auch beim Lösen des Gurtes oder bei dem Versuch, innerhalb des Pkw eine der Türen zu öffnen verletzt haben. Auch bei dem von Prof Dr X. angenommenen Kriechen des Klägers über den Fahrer könnten die Hände und Arme mit dem stark entfachten Feuer in Berührung gekommen sein. Naheliegend sei auch, dass der Kläger die Arme und Hände verwandt habe, um sein Gesicht vor den Flammen zu schützen.

Gegen das dem Kläger am 24. Oktober 2022 zugestellte Endurteil richtet sich seine am 7. November 2022 eingelegte Berufung, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er hält die Begründung des SG für teilweise widersprüchlich. Auch habe das SG bei der Anwendung der Beweislastregelungen der Ausnahmesituation nicht genügend Rechnung getragen. Gerade die Kombination der Gutachten der Prof Dres V. und X. stütze seine Darstellung.

Der Kläger beantragt,

  1. das Endurteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 26. August 2022 und den Bescheid des Beklagten vom 7. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2016 aufzuheben,
  1. den Beklagten zu verpflichten,
  1. die Rettungshandlungen des Klägers am 18. September 2014 als Versicherungsfall festzustellen,
  2. die Gesundheitsbeeinträchtigungen an der oberen vorderen Körperseite an Kopf, Hals, vorderem Rumpf, Armen und Händen als Folge des Versicherungsfalls festzustellen,
  3. den Beklagten zu verpflichten, ihm Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Eine objektiv wahrnehmbare Rettungshandlung sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

  1. Die nach §§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG statthafte Berufung ist nach § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
    1. Der Antrag zu 2. b. ist unzulässig.

Zwar kann gemäß § 55 Abs 1 Nr 3 Var 1 und Var 3 SGG mit der Klage die Feststellung begehrt werden, ob eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist. Der anwaltlich vertretene Kläger übersieht jedoch – trotz mehrfacher Hinweise des Senats, mit denen er sich letztlich nicht auseinandergesetzt hat , dass eine isolierte Feststellungsklage nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig ist. Vielmehr ist die Feststellungsklage grundsätzlich mit einer Anfechtungsklage zu verbinden (stRspr, siehe BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 77/06 R – mwN; zuletzt BSG, Beschluss vom 15. Dezember 2020 – B 2 U 142/20 B –, Rn 8; Keller in: Meyer-Ladewig ua, SGG, 13. Aufl. 2020, § 55 Rn. 3b, 13; Senger in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 55 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn 51; Böttiger in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 55 Rn 9). Aus dieser notwendigen Verbindung mit der Anfechtungsklage ergibt sich wiederum, dass der Versicherte vor Erhebung einer Feststellungsklage einen entsprechenden (Feststellungs-)Antrag an den Versicherungsträger gerichtet habe und sodann ein ablehnender Verwaltungsakt ergangen sein muss. Dies folgt schon aus Gründen der Prozessökonomie sowie dem für eine Feststellungsklage erforderlichen Feststellungsinteresse; letzteres fehlt, wenn der Versicherte nicht zunächst durch einen Antrag bei dem Versicherungsträger versuchte zu klären, ob das Rechtsverhältnis besteht oder nicht (BSG, jeweils aaO). Hier liegt jedoch kein ablehnender Verwaltungsakt vor, der die Feststellung der Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers als Folgen des Versicherungsfalls zum Gegenstand hat.

Soweit der Kläger sich auf die von ihm als Feststellung eingeordnete Begründung des Beklagten im angefochtenen Verwaltungsakt beruft, dass "sämtliche Verletzungen Ihres Mandanten“ ursächlich auf das schwere Verkehrsgeschehen zurückzuführen seien, stellt dies keine anfechtbare Feststellung im Rechtssinne dar. Der Beklagte hat die Verletzungen des Klägers nicht näher bezeichnet. Für eine rechtswirksame Feststellung hätte er konkrete Gesundheitsbeeinträchtigungen – idR unter Nennung eines allgemein anerkannten medizinischen Diagnoseschlüssels – benennen müssen. Hierzu bestand aber angesichts des Umstandes, dass der Beklagte bereits die Feststellung eines Versicherungsfalls abgelehnt hat („Ein Versicherungsfall […] hat nicht vorgelegen.“), überhaupt kein Anlass. Der Beklagte hat mit der Bezugnahme auf die nicht näher bezeichneten Verletzungen lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er eine Rettungshandlung nicht als nachgewiesen angesehen und schon deshalb kein für die Feststellung eines Arbeitsunfalls erforderlicher Gesundheits(erst)schaden vorgelegen hat. Da der Beklagte bereits die Feststellung eines Versicherungsfalls abgelehnt hat, stand ihm auch ein sachlicher Grund zur Seite, nicht über die durch einen Versicherungsfall entstandenen Gesundheitsbeeinträchtigungen zu entscheiden. Damit fehlt es sowohl an einem Feststellungsinteresse iS des § 55 Abs 1 Hs 2 SGG als auch an der gemäß § 78 Abs 1 Satz 1 SGG notwendigen Überprüfung in einem Widerspruchsverfahren.

    1. Der Antrag zu 2. c. ist ebenfalls unzulässig.

Er ist nicht iS des § 92 Abs 1 Satz 3 SGG hinreichend bestimmt. Letztlich begehrt der Kläger ein Grundurteil über nicht näher bezeichnete „Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung“. Ein Grundurteil (§ 130 SGG) kommt jedoch nur in Betracht, wenn eine ihrer Art nach feststehende Geldleistung begehrt wird und lediglich die Höhe offengelassen werden soll, nicht aber bei der Gewährung von Sachleistungen (BSG, Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 35/03 R -, juris Rn 12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Dezember 2016 – L 6 U 1099/16 –, juris Rn 38). Im Übrigen fehlt es aber auch insoweit an einem anfechtbaren Verwaltungsakt. Insbesondere hat der Beklagte nicht mit der im Ausgangsbescheid enthaltenen Formulierung „Leistungen können nicht erbracht werden.“ alle denkbar in Betracht kommenden Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung pauschal abgelehnt und damit nicht eine unbestimmte Anzahl eigenständiger Regelungen in einer unbestimmten Vielzahl konkreter Verwaltungsakte iS des § 31 SGB X erlassen, die jeder für sich eigenständig mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage angreifbar wären und angefochten werden müssten, um den Eintritt der Bestandskraft (§ 77 SGG) für jede einzelne dieser Regelungen zu verhindern. Vielmehr handelt es sich um eine regelungslose Begleitfloskel, mit der der Beklagte den Kläger lediglich auf die zukünftig im Falle der Unanfechtbarkeit der Ablehnung eintretenden Folgen hinweisen wollte (hierzu BSG, Urteil vom 16. März 2021 – B 2 U 17/19 R –, Rn 22).

    1. Die Anträge zu 1. und 2. a. haben in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die Klage mit seinem Endurteil vom 26. August 2022 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 7. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat den Unfall des Klägers am 18. September 2014 zu Recht nicht als Versicherungsfall festgestellt.

§ 7 Abs 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) definiert als Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Ein Arbeitsunfall setzt danach – soweit hier relevant – Folgendes voraus: Eine Verrichtung des Verletzten unmittelbar vor einem Unfall muss den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Diese Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dieses Unfallereignis muss einen Gesundheits(erst)schaden wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; BSG, Urteil vom 27. März 2012 – B 2 U 7/11 R –, Rn. 9 mwN).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Kläger war den im Zuge des Fahrzeugbrandes entstehenden Einwirkungen, insbesondere der dabei entstehenden Hitze und Rauchs, nicht als Retter iS von § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a Var 2 SGB VII ausgesetzt, so dass seine durch die Einwirkungen entstandenen schweren Brandverletzungen weder ganz noch teilweise Folge eines Versicherungsfalls sind. Eine Rettungshandlung (hierzu aa.) ist nach Überzeugung des Senats nicht hinreichend belegt (hierzu bb.).

  1. Nach § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a Var 2 SGB VII sind in der Unfallversicherung kraft Gesetzes Personen versichert, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten. Die Vorschrift entspricht - lediglich sprachlich überarbeitet - dem bis zum Inkrafttreten des SGB VII geltenden § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO (vgl BT-Drucks 13/2204 S 75) und steht in sachlichem Zusammenhang mit dem Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (vgl § 323c Abs 1 Strafgesetzbuch).

Für die vom Kläger geltend gemachte(n) Handlung(en) zugunsten des Fahrers des Unfallfahrzeugs, Nick K., und/oder der Mitfahrerin und Freundin, Julia M., kommt allein ein Versicherungsschutz als Retter in Betracht. Das Retten setzt den Einsatz zugunsten einer oder mehrerer anderer Personen voraus. Sie muss darauf gerichtet sein, eine erhebliche aktuelle Gefahr für die Gesundheit eines anderen zu beseitigen (BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 – B 2 U 12/09 R –, Rn 17; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. August 2016 – L 10 U 245/16 –, juris Rn 48; Bieresborn in: jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 2 SGB VII (Stand: 27.03.2023), Rn 429). Demgegenüber ist das Hilfeleisten eine Unterstützungshandlung, die dem Zweck dienen soll, einen Unglücksfall, eine gemeine Gefahr oder eine gemeine Not zu beseitigen oder abzuwenden (ebd). Aktivitäten des Klägers in diesem Sinne – etwa zur Bekämpfung des Brandes – stehen jedoch nicht im Raum.

Das Retten erfasst auch den (gefährlichen) Weg in den und aus dem Gefahrenbereich, der zumindest mit Rettungsabsicht zurückgelegt wird. Sie beginnt daher mit dem Eintritt und endet mit dem Verlassen dieses Gefahrenbereichs. Der darin zurückgelegte Weg zum und vom Ort der unmittelbaren Gefahr sowie die Rettungshandlungen selbst bilden einen einheitlichen Lebensvorgang (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2006 – B 2 U 39/05 R –, juris Rn 19; vgl auch BSG, Urteil vom 27. März 2012 – B 2 U 7/11 R –, Rn 17 mwN).

  1. Eine Rettungshandlung im soeben dargestellten Sinne ist aber nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit belegt.
  1. Der Senat ist an die Feststellungen des SG im Zwischenurteil vom 23. April 2018 nicht gebunden, sondern hat das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen – hier ua der Rettungshandlung – eigenständig zu prüfen. Das Gericht ist gemäß § 202 S 1 Hs 1 iVm § 318 ZPO lediglich an die Entscheidung, die in den „von ihm“ erlassenen End- und Zwischenurteilen enthalten ist, gebunden (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16. November 2017 – L 10 VE 68/14  – , juris Rn 38; Giesbert in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 130 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn 43).
  2. Eine Rettungshandlung wäre zu bejahen, wenn eine konkrete, objektiv beobachtbare Verrichtung vorläge, die subjektiv mit dem Willen der Verrichtung versicherter Tätigkeit – der Rettung selbst oder des Zurücklegens eines hierzu notwendigen Weges durchgeführt worden wäre (sog objektivierte Handlungstendenz; stRspr des BSG, zuletzt Urteile vom 28. Juni 2022 – B 2 U 16/20 R –, Rn 13; vom 8. Dezember 2021 – B 2 U 4/21 R –, Rn 20, jeweils mwN). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Der Kläger hat im Verwaltungs- und erstinstanzlichen Klageverfahren geltend gemacht, er habe „wiederholt“ versucht, seine Freundin und den Fahrer zu retten. Die von ihm vorgenommenen Handlungen hat er jedoch im Einzelnen nicht konkret bezeichnet (Klagebegründung vom 2. Juni 2017). Im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Klageverfahrens hat er Bezug auf die gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten erfolgte Mitteilung des L. genommen und angegeben, er sei zu dem brennenden Auto „zurückgelaufen“ (Seite 3 des Schriftsatzes vom 9. Oktober 2017). Im Rahmen seiner Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 23. April 2018 hat er sodann angegeben, er sei zum Auto „zurückgerannt“ und habe versucht, etwas zu machen, aber nichts geschafft. Er sei zur Fahrerseite gelaufen und habe an den Türen gezogen (Sitzungsprotokoll vom 23. April 2018). Im Berufungsverfahren macht er ebenfalls geltend, er sei zu dem Unfallfahrzeug zurückgerannt (Schriftsatz vom 14. März 2023), stützt sich aber zugleich auf das Gutachten des Prof Dr X., der davon ausgegangen ist, der Kläger habe unmittelbar nach dem Verlassen des Autos Rettungshandlungen – die im Einzelnen von ihm ebenfalls nicht bezeichnet worden sind – vorgenommen.

Der Senat hält zwar nach Ausschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten einen festen Rettungswillen des Klägers für belegt. Objektiv als Rettungshandlungen wahrnehmbare Verrichtungen des Klägers – einschließlich eines mit dieser Intuition zurückgelegten Weges – fehlen jedoch.

  1. Einen Rettungsversuch des Klägers durch das Ziehen an den auf der Fahrerseite des brennenden Pkw befindlichen Türen hält der Senat für widerlegt. Solche Handlungen waren objektiv nicht möglich, weil das Fahrzeug mit der linken Seite auf dem Boden auflag.
  2. Ein Rettungsversuch nach dem Eintreffen von Q. und R. ist ebenfalls auszuschließen. Keiner der bereits nach kurzer Zeit – rund eine Minute – nach dem Unfall hinzukommenden Personen bemerkte eine Körperbewegung des Klägers, die als solche interpretiert werden könnte.

Nachdem Q. den Kläger im Hinblick auf seinen brennenden Rücken aufgefordert hatte, sich auf den Boden zu legen, erstickte R. die Flammen mit einer herbeigeholten Decke und brachte ihn noch etwas weiter vom brennenden Auto weg. Der Senat übersieht nicht, dass der Kläger nach Aussagen aller befragten Zeugen erneut zum Auto gelangen wollte. Hierin kann – ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger dabei keine Brandverletzungen erleiden konnte – keine objektiv als Rettungsversuch einzuordnende Handlung des Klägers gesehen werden, weil der Kläger von Q. und S. physisch an seinem Vorhaben gehindert wurde.

  1. Angesichts der zeitlichen Rahmenbedingungen erscheint dem Senat ein noch vor dem Eintreffen von Q., R. und S. zumindest begonnener Rettungsversuch nicht mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit belegt.

Dem Kläger hätten für einen von den Helfern unbeobachteten Rettungsversuch weniger als 30 Sekunden zur Verfügung gestanden. Prof Dr X., dessen Gutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, ist zu dem im Hinblick auf deren übereinstimmenden Aussagen bei der Polizei plausiblen und überzeugend begründeten Ergebnis gelangt, dass Q. und R. zwischen 40 und 70 Sekunden nach der Kollision bzw zwischen 15 und 25 Sekunden später (= zwischen 55 und 95 Sekunden nach der Kollision) am Unfallort eintrafen. Beide nahmen den vor dem brennenden Auto stehenden Kläger und L. wahr. Die Richtigkeit ihrer Angaben steht für den Senat aufgrund dieser unmittelbar nach dem Unfall getätigten Aussagen bei der Polizei fest. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass sie unrichtig oder unvollständig sein könnten.

Selbst eine Zeitspanne von 70 Sekunden bis zum Eintreffen Q. s unterstellt, wären dem Kläger im Anschluss an die laut Prof Dr X. etwa 55 Sekunden dauernde Eigenrettung lediglich 15 Sekunden für eine von Q., R. und S. unbeobachtete Rettungshandlung verblieben. Selbst bei einer nur 40 Sekunden dauernden Eigenrettung – was angesichts des Umstandes fernliegend erscheint, da der Kläger sich nach dem Unfall auf dem rechten hinteren Sitz des auf der linken Fahrerseite liegenden, brennenden Fahrzeugs befand und multiple Knochenfrakturen einschließlich einer Trümmerfraktur am Oberarm erlitten hatte – wären ihm selbst dann höchstens 30 Sekunden verblieben, bei einer Zeitspanne von 40 Sekunden bis zum Eintreffen der Helfer sogar nur etwa 10 Sekunden.

Gegen einen vor dem Eintreffen der Helfer begonnenen Rettungsversuch spricht jedoch auch die Aussage des L.. Auf den „ersten Blick“ scheint sie zwar die Angabe des Klägers zu stützen, er habe an den Türen der Fahrerseite gerüttelt. Bei genauerer Betrachtung bestätigt sie jedoch die Aussagen der Zeugen Q., R. und S.. L. erklärte bei seiner Vernehmung durch das SG „Ich denke, er hat versucht die Tür aufzumachen. Ich habe gesehen, dass er vor dem Fahrzeug stand. Ich stand auf der Straße und habe mich umgesehen, ob Hilfe kommt.“ Hieraus wird deutlich, dass der Schwerpunkt seiner Aufmerksamkeit nicht beim Kläger lag. L. hat seine eingeschränkten Wahrnehmungen aber auch in diesem Sinne zum Ausdruck gebracht, in dem er vorangestellt hat, er „denke“, der Kläger habe versucht die Türen zu öffnen. Damit hat er hinlänglich verdeutlicht, dass es sich lediglich um seine Vermutung zum tatsächlichen Geschehensablauf handelte, nicht hingegen um eine persönliche Wahrnehmung. Zugleich hat er aber klargestellt, dass er den Kläger lediglich vor dem brennenden Auto stehend gesehen, also eine Rettungshandlung – und sei es nur ein begonnener Weg – gerade nicht bemerkt hatte.

  1. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof Dr V. in seinem Gutachten vom 9. Juli 2019 steht für den Senat auch fest, dass aus der Art und/oder Intensität der Verletzungen des Klägers nicht auf einen bestimmten Verlauf, insbesondere nicht auf eine zumindest begonnene Rettungshandlung rückgeschlossen werden kann. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass er eine Rettungshandlung aufgrund der Vorgabe des SG unterstelle. Ausdrücklich nur unter dieser Prämisse ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verbrennungsnarben im Bereich des Gesichts, des Halses, des vorderen Brustbereichs, am linken Arm und an beiden Händen Folgen der Rettungshandlung gewesen seien. Die Betonung der Prämisse wäre aber gänzlich überflüssig, wenn der Sachverständige bereits aus den Verletzungen auf eine Rettungshandlung hätte schließen können. Damit hat er für den Senat hinlänglich zum Ausdruck gebracht, dass der vom Kläger gezogene Umkehrschluss nicht möglich ist.
  1. Da es an objektiven Anknüpfungspunkten für eine zumindest begonnene Rettungshandlung des Klägers fehlt – einschließlich eines zurückgelegten Weges zu einer solchen –, kann dahingestellt bleiben, ob das – zu keiner Zeit vom Kläger vorgetragene, sondern einzig von Prof Dr X. als wahrscheinlicher bezeichnete – Verlassen des brennenden Fahrzeugs durch die Schiebedachöffnung überhaupt möglich war. Ebenso kann auf sich beruhen, zu welchem Zeitpunkt der Kläger welche Verletzungen im Einzelnen erlitt.
  1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
  1. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.

 

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