S 8 KR 468/24

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 8 KR 468/24
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze


1. Eine ambulant durchzuführende Mamillenpigmentierung gehört nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Es handelt sich um eine neue Behandlungsmethode, für die der Gemeinsame Bundesausschuss noch keine Empfehlungen gegeben hat.

2. Es liegt kein Systemversagen vor, wenn eine Behandlungsmethode im stationären Bereich erlaubt ist, während sie im ambulanten Bereich verboten ist.


Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

Bei der Antragstellerin wurde ein retromamilläres invasiv-duktales Mammakarzinom festgestellt. Im Januar 2023 unterzog sie sich einer subkutanen Mastektomie rechts unter MAK-Entfernung mit ausgedehnter Pexie, Corium flap und subpectoraler Prothesenrekonstruktion, SLN-Biopsie rechts und seitenangleichender Mammareduktion mit Pexie und MAK-Entfernung links. Am 18.03.2024 wurde ihr ärztlicherseits empfohlen, eine Nachpigmentierung der Mamillae beidseitig durch Tätowierung durchzuführen. Es würde um den ästhetischen Abschluss handeln. Die Antragstellerin stellte am 23.03.2024 einen Antrag auf Übernahme der Rekonstruktion der Brustwarzen inklusive Vorhof durch Tätowierung. Der Kostenvoranschlag belief sich dazu auf Kosten i. H. v. 1.963,50 €. Im Antrag gab die Klägerin an, dass sie wieder ihr seelisches Gleichgewicht wiedererlangen wolle. Die Antragsgegnerin schaltete den Medizinischen Dienst ein, welcher in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 30.04.2024 zu dem Ergebnis kam, dass die fehlende Pigmentierung der Areolakomplexes nicht als lebensbedrohliche Erkrankung anzusehen sei. Zudem würde es sich um eine außervertragliche Leistung handeln. Die Wiederherstellung der Farbe durch Tätowierung könne im vertragsärztlichen Rahmen nicht gesondert abgerechnet werden. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 03.05.2024 ab, da es sich bei der Kostenübernahme der Pigmentierung / Tätowierung der Haut um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handeln würde. Es würden allerdings vertragliche Alternativen bestehen. Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2024 zurückwies. Bei dem Tätowierer würde es sich nicht um einen zugelassenen Leistungsträger handeln. Die beantragte Mamillenpigmentierung mittels Tätowierung könne nicht als Vertragsleistung im Rahmen des EBM mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden, sodass es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt.


II.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt voraus, dass der Antragsteller nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, das Begehren hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint §§ 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG)-, 114 Zivilprozessordnung (ZPO).

Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen daher die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden, so dass es ausreichend ist, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R - SozR 3-1500 § 62 Nr. 19). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKH-Beantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 73a Rn. 7). Es muss also auf Grund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringen wird (Geimer in Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, § 114 ZPO, Rn. 19). Ein Rechtsschutzbegehren hat zudem dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, Az.: 2 BvR 94/88). Es ist zudem zu beachten, dass die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu führen darf, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.10.2017, Az.: 2 BvR 1352/17 – juris – Rn. 13). Auch klärungsbedürftige Tatsachenfragen dürfen nicht im Verfahren der Prozesskostenhilfe zu Lasten des Antragstellers entschieden werden (BVerfG, Beschluss vom 18.10.2017, Az.: 2 BvR 1352/17).

Bei der hier streitgegenständlichen Rekonstruktion der Brustwarzen inklusive Vorhof durch Tätowierung fehlt es sowohl an der medizinischen Notwendigkeit als auch an einer anerkannten Behandlungsmethode.

1. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V umfasst die Krankenbehandlung dabei auch die ärztliche Behandlung. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V gehört zur ärztlichen Behandlung auch die Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet und von ihm zu verantworten ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist unter Krankheit ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand zu verstehen, der ärztlicher Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (BSG, Urteil vom 30. September 1999, Az.: B 8 KN 9/98 KR R – juris – Rn. 14).

Der Körperzustand der Klägerin mag von dem Leitbild eines gesunden Menschen abweichen. Bei ihr wurde die rechte Brust entfernt und durch eine Prothese ersetzt. Damit einher ging auch eine Entfernung der Brustwarze. Das Gericht kann nicht erkennen, dass die (nun entfernte) Brustwarze ärztlicher Behandlung bedarf. Die Klägerin selbst hat in ihrem Antrag angegeben, dass die Behandlung ihr seelisches Gleichgewicht wiederherstellen soll. Nach ständiger Rechtsprechung rechtfertig ein psychisches Leiden keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach der ständigen Rechtsprechung können psychische Leiden einen Anspruch auf eine Operation zum Brustaufbau nicht begründen (vgl. BSG, Urteil vom 8. März 2016, Az.: B 1 KR 35/15 R – juris – Rn. 16). Vor diesem Hintergrund liegt bereits keine behandlungsbedürftige Erkrankung vor, sodass der Anspruch schon vor diesem Hintergrund ausgeschlossen ist.

2. Der Anspruch ist zudem wegen des Vorliegens einer neuen Behandlungsmethode nach § 135 SGB V ausgeschlossen. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1, einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen abgegeben hat über
1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,
2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und
3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung.

§ 135 SGB V konstituiert für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Gleichzeitig konkretisiert der G-BA durch seine Entscheidung den Umfang der den Versicherten von ihrer Krankenkasse geschuldeten medizinischen Leistungen und damit deren Sachleistungsanspruch; regelmäßig bedient er sich dazu den Erlass von Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i. V. m. § 135 Abs. 1 SGB V. Dies hat zur Folge, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nur dann zu Lasten der GKV erbracht werden dürfen, wenn der G-BA eine positive Empfehlung abgegeben hat. Ansonsten kommen eine Leistungserbringung und damit auch eine Abrechnungsfähigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung nicht in Betracht. Diese Sperrwirkung des Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt erfasst jede Maßnahme im Rahmen einer bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewendeten Methode. Der Begriff der Behandlungsmethode beschreibt eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (BSG, Urteil vom 08.07.2015, Az.: B 3 KR 5/14 R – juris – Rn. 32). Neu ist eine Behandlungsmethode, wenn sie bislang nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (BSG, aaO).

Vorliegend findet sich keine abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen. Es handelt sich vor diesem Hintergrund um eine neue Behandlungsmethode, welche durch die Ärzte nicht abgerechnet werden darf.

3. Das Gericht schließt sich auch nicht der Auffassung an, dass ein Systemversagen des Gesetzgebers vorliegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts München hat der Gesetzgeber den Fall der nachfolgenden ambulanten Pigmentierung nach operativen Brustaufbau nicht übersehen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass bei der detaillierten Regelung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes äußerst unwahrscheinlich ist, dass der Gesetzgeber den OPS 5-882.5 und 5-882.7 aufnimmt, aber die Aufnahme des OPS 5-882.6 versehentlich unterlässt. Das überzeugt das Gericht nicht (so SG München, Urteil vom 17. März 2022, Az.: S 15 KR 927/21). Das Sozialgericht München hat insbesondere keine Nachweise genannt, welche für ein Systemversagen sprechen könnten. Die bloße Annahme ohne Belege, dass ein Systemversagen gegeben sei, überzeugt das erkennende Gericht nicht. Der Hinweis des Sozialgerichts München auf die Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27.02.2020, Az.: L 20 KR 306/19, überzeugt ebenfalls nicht. Der dort zugesprochene Kostenerstattungsanspruch beruht ausschließlich auf der dort eingetretenen Genehmigungsfiktion. Eine Aussage, ob die Rekonstruktion der Brustwarzen inklusive Vorhof durch Tätowierung zum Leistungskatalog gehört, ergibt sich daraus nicht.

4. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist vor diesem Hintergrund kein Anspruch auf Kostenübernahme für eine ambulante Durchführung einer Tätowierung der Brustwarzen inklusive Vorhof gegeben. Damit erscheint die Möglichkeit des Obsiegens der Antragstellerin nicht genauso wahrscheinlich wie die Möglichkeit ihres Unterliegens.

Dies gilt auch vor dem Hintergrund der anderslautenden Entscheidung des Sozialgerichts München. Das erkennende Gericht sieht sich trotz dieser Entscheidung berechtigt, die streitige Rechtsfrage ausnahmsweise bereits schon im PKH-Verfahren zu entscheiden. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich nicht um eine ungeklärte Rechtsfrage, sondern sie lässt sich unter Rückgriff auf das Gesetz sowie den Einheitlichen Bewertungsmaßstab beantworten. Die Entscheidung des Sozialgerichts München berücksichtigt nicht ausreichend die Unterschiede zwischen der Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im ambulanten und im stationären Rahmen. Während nämlich für den Bereich der ambulanten Versorgung bezüglich neuer Behandlungsmethoden gemäß § 135 SGB V ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt gilt, ist die rechtliche Konstruktion für den stationären Bereich durch § 137c SGB V so ausgestaltet, dass neuartige Behandlungsverfahren im Rahmen einer Krankenhausbehandlung umgekehrt keiner besonderen Zulassung bedürfen und nur dann ausgeschlossen sind, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss dazu eine negative Stellungnahme abgegeben hatte. 

Rechtskraft
Aus
Saved