1. Auch bei der Nachbesetzung eines nach § 95 Abs. 9b SGB V umgewandelten Angestellten-Arztsitzes eines MVZ kommt es für die Beurteilung der grundsätzlichen Befähigung der Bewerber zur Fortführung der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V auf das Praxisprofil des konkret abzugebenden Vertragsarztsitzes an.
2. Ein vormals von einem Facharzt für Chirurgie besetzter Vertragsarztsitz kann mangels chirurgischer Qualifikation nicht von einer Fachärztin für Orthopädie fortgeführt werden.
3. Die Zulassungsgremien sind im Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V an die vorgeschaltete Entscheidung über die Durchführung der Nachbesetzung gemäß § 103 Abs. 3a SGB V und damit auch an die Entscheidung, dass ein fortführungsfähiges Praxissubstrat vorhanden ist, gebunden.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2022 und der Beschluss des Beklagten vom 24. Februar 2021 (schriftliche Ausfertigung vom 21. April 2021) aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, über die Bewerbung des Klägers im Nachbesetzungsverfahren zur Ausschreibung 294/07/20 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Beklagte und die Beigeladene zu 7. für beide Instanzen jeweils zur Hälfte; ihre außergerichtlichen Kosten tragen der Beklagte und sämtliche Beigeladenen für beide Instanzen jeweils selbst.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Nachbesetzung eines hälftigen Vertragsarztsitzes für die Arztgruppe Chirurgie/Orthopädie.
Der im Jahr geborene Kläger ist seit 1988 approbiert. Er ist seit 1995 Facharzt für Chirurgie und seit 2007 Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Seit dem 1. Februar 2008 war er in einer eigenen Praxis am Praxissitz G-Str., Berlin, Verwaltungsbezirk Tempelhof-Schöneberg als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Schwerpunkt Manuelle Therapie/Chirotherapie, Sportmedizin, ambulante Operationen und Röntgen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Zum Quartal IV/2020 gab er seine kassenärztliche Tätigkeit aus persönlichen Gründen auf und praktizierte an seinem Praxisstandort zunächst als Privatarzt weiter. Seit dem 1. Januar 2023 verfügt der Kläger wieder über eine hälftige Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung. Der Kläger ist seit dem 24. April 2006 in die Warteliste für das Fachgebiet Chirurgie und seit dem 24. Oktober 2017 in die Warteliste für das Fachgebiet Orthopädie und Unfallchirurgie eingetragen.
Die Beigeladene zu 7) ist eine örtliche Berufsausübungsgemeinschaft, welche aus den Fachärzten für Orthopädie und Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. B und Dr. M besteht. Sie betreibt u.a. eine Praxis für Orthopädie, Unfallchirurgie und Allgemeinmedizin am P Berlin, Verwaltungsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Im einheitlichen Planungsbereich Berlin – Bundeshauptstadt – hat der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen für die Arztgruppe der Chirurgen und Orthopäden Überversorgung festgestellt und eine Zulassungssperre angeordnet. Unter dem 9. Oktober 2013 beschloss das gemeinsame Landesgremium nach § 90a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), den zwischen der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales Berlin sowie den Beigeladenen zu 1) bis 6) vereinbarten „Letter of Intent: Versorgungssteuerung auf Ebene der zwölf Berliner Verwaltungsbezirke im Rahmen der Bedarfsplanung auf Landesebene auf der Grundlage des Bedarfsplans 2013“ (nachfolgend LOI) zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Nach Anlage 1.1 des fortgeschriebenen LOI betrug der Versorgungsgrad in der Arztgruppe der Chirurgen und Orthopäden im Planungsbereich Berlin zum Stand Januar 2020 in Berlin gesamt 128,4 Prozent, im Verwaltungsbezirk Tempelhof-Schöneberg 147,1 Prozent und im Verwaltungsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg 106,4 Prozent.
Der Beigeladene zu 8) verfügte unter der Adresse R Berlin, Verwaltungsbezirk Tempelhof-Schöneberg, über einen hälftigen Angestellten-Arztsitz der Arztgruppe Chirurgie/Orthopädie, welcher mit zwei Fachärzten für Chirurgie im Umfang von je 0,25 besetzt und sodann vakant war. Am 11. März 2020 beantragte der Beigeladene zu 8) die Umwandung der genehmigten hälftigen Anstellung in eine hälftige Zulassung und deren entsprechende Ausschreibung. Der Zulassungsausschuss stimmte in seiner Sitzung vom 6. Mai 2020 der Umwandlung der genehmigten Anstellung im Umfang eines halben Versorgungsauftrages in eine hälftige Zulassung mit Verzicht auf die Möglichkeit der Nachbesetzung im MVZ im Falle der erfolgreichen Nachbesetzung des auszuschreibenden Arztsitzes zu.
Die Beigeladene zu 1) veröffentlichte im Juli 2020 auf ihrer Homepage die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes unter der Kennziffer 294/07/20 wie folgt:
„294/07/20 Chir./Orth. (Chirurgie-Orthopädie);
Facharzt für Allgemeine Chirurgie, halber VA:
Kontaktdaten des Beigeladenen zu 8)Planungsbereich: Marzahn-Hellersdorf, Neukölln, Spandau.“
Die Bewerbungsfrist begann am 1. Juli 2020 und endete am 13. Juli 2020. Die Ausschreibungsfrist endete am 27. Juli 2020. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 1 Teil 3 der Verwaltungsakte verwiesen.
Auf den ausgeschriebenen Vertragsarztsitz bewarb sich der Kläger am 13. Juli 2020. Die Bewerbung der Beigeladenen zu 7) ging über den abgebenden Beigeladenen zu 8) am 14. Juli 2020 bei der Beigeladenen zu 1) ein. Zudem bewarb sich der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. W.
Der Kläger gab im Rahmen seiner Bewerbung an, dass er zwar seine kassenärztliche Tätigkeit an seinem Praxisstandort zum Quartal IV/2020 aus persönlichen Gründen aufgegeben habe, jedoch mit hälftigem Versorgungsauftrag in seinen bereits vorhandenen Praxisräumen weiter kassenärztlich tätig sein möchte.
Die Beigeladene zu 7) teilte mit, dass sie beabsichtige, den ausgeschriebenen Sitz mit einer angestellten Ärztin (Frau Dr. A) an ihrem Praxissitz in Berlin Friedrichshain fortzuführen. Frau Dr. A ist im Jahr 1957 geboren und seit dem Jahr 1982 approbiert. Seit 1986 ist sie Fachärztin für Orthopädie. Sie war zuvor mit eigener vertragsärztlicher Praxis in Berlin-Hohenschönhausen tätig und verfügt nicht über einen Wartelisteneintrag. Am 20. August 2020 haben die Beigeladene zu 7) und Frau Dr. A einen Arbeitsvertrag als angestellte Ärztin mit Wirkung ab dem 1. Januar 2021 unter der aufschiebenden Bedingung der Genehmigung des Vertrages durch den Zulassungsausschuss abgeschlossen. Seit dem 1. Januar 2021 ist Frau Dr. A in der Praxis der Beigeladenen zu 7) privatärztlich tätig.
Mit Beschluss vom 7. Oktober 2020 (schriftliche Ausfertigung vom 16. Oktober 2020) übertrug der Zulassungsausschuss den hälftigen Vertragsarztsitz des Beigeladenen zu 8) gemäß § 103 Abs. 4b SGB V an die Beigeladene zu 7) zum Zwecke der Anstellung einer Ärztin mit Wirkung zum 1. Januar 2021 und stimmte dem Antrag der Beigeladenen zu 7) auf Genehmigung der Anstellung von Frau Dr. A im Umfang von 13 Stunden in der Woche zu. Den Antrag des Klägers lehnte der Zulassungsausschuss ab. Zur Begründung teilte der Zulassungsausschuss mit, dass er nach pflichtgemäßem Ermessen und Einbeziehung aller ihm vorliegenden Informationen festgestellt habe, dass der ausgeschriebene Sitz bereits seit längerem unbesetzt sei, keine Patienten vorhanden seien und daher eine Weiterversorgung nicht notwendig sei. Maßgebliches Auswahlkriterium seien die aktuellen LOI Werte. Friedrichshain-Kreuzberg sei deutlich schlechter versorgt als Tempelhof-Schöneberg. Die Beigeladene zu 7) erfülle mit der Anstellung von Frau Dr. A alle Voraussetzungen für die Zulassung zur Teilnahme an der ärztlichen Versorgung. Der Antrag des Klägers sei daher abzulehnen.
Hiergegen erhob der Kläger am 24. Oktober 2020 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus: Die Auswahlentscheidung sei rechtswidrig, da nicht zu erkennen sei, worauf der Zulassungsausschuss letztlich seine Entscheidung gestützt habe. Es liege ein Begründungsmangel vor. Der Praxissitz habe im Rahmen der Nachbesetzung nicht an eine Praxis in einem anderen Verwaltungsbezirk gegeben werden dürfen. Er habe seinen Praxissitz im gleichen Bezirk wie der abgebende Beigeladene zu 8) und beabsichtige, den Vertragsarztsitz an seinem Praxissitz unter Weiterbehandlung der bisherigen Patienten fortzuführen. Dass ein Patientenstamm vorhanden sei, folge bereits aus den Voraussetzungen eines Nachbesetzungsverfahrens. Der Zulassungsausschuss habe nicht dargelegt, wie die Patienten den Praxisstandort des ausgewählten Bewerbers erreichen sollen; der Fortführung des Vertragsarztsitzes im selben Verwaltungsbezirk sei der Vorrang einzuräumen. Überdies sei einer freiberuflichen Nachbesetzung der Vorrang zu geben gegenüber einer Nachbesetzung durch angestellte Ärzte.
Mit Beschluss vom 24. Februar 2021 (schriftliche Ausfertigung vom 21. April 2021) wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück, übertrug den hälftigen Vertragsarztsitz des Beigeladenen zu 8) gemäß § 103 Abs. 4b SGB V an die Beigeladene zu 7) zum Zwecke der Anstellung einer Ärztin mit Wirkung zum 1. April 2021 und stimmte dem Antrag der Beigeladenen zu 7) auf Genehmigung der Anstellung von Frau Dr. A im Umfang von 13 Stunden in der Woche mit Wirkung zum 1. April 2021 zu. Zur Begründung führte er aus: Unter Ausübung des ihm nach § 103 Abs. 4 SGB V zustehenden Ermessens sei die Zulassung der Beigeladenen zu 7) zum Zwecke der Anstellung von Frau Dr. A zu erteilen. Beide Bewerber seien für den ausgeschriebenen Vertragsarztsitz der Arztgruppe Chirurgie/Orthopädie gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 Bedarfsplanungsrichtlinie (BedarfsplRL) beruflich gleich geeignet. Mit der Reform der Musterweiterbildungsordnung von 2003 seien die zuvor getrennten Gebiete Orthopädie und Chirurgie zusammengefasst worden. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 BedarfsplRL fielen unter die Arztgruppe der Orthopäden und Chirurgen unter anderem die Fachärzte für Orthopädie, die Fachärzte für Chirurgie und die Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie, so dass hinsichtlich der beruflichen Eignung kein Unterschied zwischen den Bewerbern bestehe. Überdies liege auch kein zu berücksichtigender Vorteil aufgrund des Approbationsalters und der Dauer der ärztlichen Tätigkeit vor. Der Wartelisteneintrag werde nur dann als entscheidungsrelevantes Kriterium herangezogen, wenn die Bewerber ansonsten als gleich geeignet anzusehen seien. Unter dem Gesichtspunkt der bestmöglichen Versorgung der Versicherten sei bei der Auswahl auch die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes zu berücksichtigen. Entsprechend des LOI sei das Ziel der gleichmäßigen Verteilung der ärztlichen Leistungserbringer zu berücksichtigen. Nach den aktuellen Zahlen sei die Versorgungslage in Friedrichshain-Kreuzberg mit 106,4 Prozent schlechter als in Tempelhof-Schöneberg mit 147,1 Prozent. Im Hinblick auf den Versorgungsgrad sei der Fortführung des Vertragsarztsitzes im Verwaltungsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg der Vorrang zu gewähren. Dadurch werde nicht der Grundsatz der Versorgungskontinuität verletzt. Die Praxissitze des Klägers und der Beigeladenen zu 7) seien ungefähr gleich weit von dem abgebenden Praxissitz entfernt; bei einer Entfernung von 12,6 km könne eine Weiterbehandlung des alten Praxisstammes – sofern ein solcher noch existiere – auch am Praxissitz in Friedrichshain-Kreuzberg erfolgen. Maßgeblich sei für die Entscheidung die schlechte Versorgungslage in Friedrichshain-Kreuzberg, da im Hinblick auf die übrigen Kriterien kein entscheidender Unterschied zwischen den Bewerbern bestehe.
Gegen den ihm am 23. April 2021 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 19. Mai 2021 Klage erhoben. Die Auswahlentscheidung sei fehlerhaft ergangen. Der Kläger sei der geeignetere Bewerber, da er zugleich Facharzt für Chirurgie und Orthopädie sei, Frau Dr. A hingegen nur Fachärztin für Orthopädie. Es sei daher nicht zu erwarten, dass sie die Patienten des abgebenden Beigeladenen zu 8) weiter behandeln könne. Die Beschränkung der Ausschreibung auf unterversorgte Bezirke sei rechtswidrig, da es aufgrund der längeren Vakanz des Vertragsarztsitzes keinen Patientenstamm mehr gebe.
Mit Urteil vom 22. Juni 2022 hat das Sozialgericht Berlin die Klage des Klägers abgewiesen. Die Klage sei als offensive Konkurrentenklage in Form der Anfechtungs- und Neubescheidungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet. Der Beschluss des Beklagten vom 24. Februar 2021 sei rechtmäßig. Die gemäß § 103 Abs. 4 SGB V getroffene Auswahlentscheidung sei nicht zu beanstanden. Zu Recht habe der Beklagte die Bewerbung der Beigeladenen zu 7) trotz Ablaufs der gesetzten Bewerbungsfrist berücksichtigt, da es sich nicht um eine Ausschlussfrist, sondern lediglich um eine Mindestfrist, bis zu deren Ablauf eine Entscheidung nicht erfolgen dürfe, handele. Da beide Bewerber hinsichtlich ihrer beruflichen Qualifikation für den maßgeblichen Versorgungsbedarf in der Arztgruppe Chirurgie/Orthopädie gleich geeignet seien, habe der Beklagte zu Recht maßgeblich auf den Versorgungsaspekt abgestellt. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits entschieden, dass der LOI in Auswahlverfahren heranzuziehen sei, weil die gleichmäßige räumliche Verteilung der Leistungserbringer ein legitimes Ziel der vertragsärztlichen Versorgung darstelle (Hinweis auf BSG, Urteil vom 3. August 2016, B 6 KA 31/15 R). Der Beklagte sei insoweit auch der Ausschreibung gefolgt, die auf drei unterversorgte Bezirke verwiesen habe, und habe die Versorgungswerte der maßgeblichen Bezirke der Bewerber verglichen. Der Verwaltungsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg weise einen geringeren Versorgungsgrad als der Verwaltungsbezirk Tempelhof-Schöneberg auf. Dass der Beklagte gegenüber dem Versorgungsaspekt das formale Auswahlkriterium „Dauer der Eintragung in die Warteliste“ habe zurücktreten lassen, sei nicht zu beanstanden.
Gegen das ihm am 5. Juli 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. Juli 2022 Berufung eingelegt. Die Auswahlentscheidung des Beklagten sei rechtswidrig. Der Kläger sei für den ausgeschriebenen Vertragsarztsitz besser geeignet, da er ebenso wie die angestellten Ärzte auf dem abgebenden Vertragsarztsitz Facharzt für Chirurgie sei. Es sei nicht erkennbar, warum der Beklagte von der üblichen Praxis Abstand genommen habe, den vakanten Vertragsarztsitz mit einem Arzt derselben fachärztlichen Qualifikation wie der Vorbesitzer nachzubesetzen. Das Argument, dass aufgrund der längeren Vakanz kein fortzuführender Patientenstamm mehr existiere, gehe fehl, da der Patientenstamm einer chirurgischen Praxis ohnehin kein konstant regelmäßiger sei. Aufgrund der eher periodisch auftretenden gehäuften Besuche stehe nicht die persönliche Bindung zum Praxispersonal, sondern die geographische Nähe im Vordergrund. Der nicht aktive Patientenstamm würde sich daher wiederbeleben, wenn der Arztsitz wieder von einem Facharzt für Chirurgie, wie es der Kläger sei, besetzt werde. Auch der Hinweis auf die Versorgungslage in den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg gehe fehl. Da in beiden Bezirken jeweils zehn Praxen für Chirurgie bestünden, der Bezirk Tempelhof-Schöneberg jedoch 60.000 Einwohner mehr habe, sei die Versorgung mit chirurgischen Vertragsarztsitzen in Tempelhof-Schöneberg schlechter als in Friedrichshain-Kreuzberg. Die Verdrängung einer chirurgischen durch eine orthopädische Praxis führe daher nicht zu einer Verbesserung der Versorgungslage. Niemand profitiere von einem ausgeglichenen Versorgungsgrad der Arztgruppe, wenn innerhalb dieser die chirurgischen Leistungen von den orthopädischen verdrängt würden. Das Gericht habe überdies nicht hinreichend gewürdigt, dass viele Indizien dafür sprächen, dass die angestellte Ärztin Frau Dr. A lediglich kurzzeitig als Platzhalter für einen jüngeren Kollegen dienen sollte. Hierfür spreche nicht nur das Alter der Ärztin, sondern auch der Umstand, dass die Ärztin ausweislich des Arbeitsvertrages jederzeit ordentlich kündbar sei. Nach der Rechtsprechung des BSG (Verweis auf B 6 KA 49/12 R und B 6 KA 21/15 R) und unter Berücksichtigung von § 103 Abs. 4 Satz 5 Nr. 4 SGB V müsse die Kandidatin gewillt sein, ihre Leistung für mindestens drei bis fünf Jahre anzubieten. Einen diesbezüglichen Fortführungswillen habe die Beigeladene zu 7) nicht belegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2022 und den Beschluss des Beklagten vom 24. Februar 2021 (schriftliche Ausfertigung vom 21. April 2021) aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats eine neue Auswahlentscheidung zur Ausschreibung 294/07/20 zu treffen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Urteil des SG Berlin sei zutreffend. Die Berücksichtigung beider Bewerber als gleich geeignet sei rechtmäßig. Das Kriterium umfasse nicht nur die reine Qualifikation, sondern auch Versorgungsgesichtspunkte. Es sei für die Zuordnung zur selben Arztgruppe nicht erforderlich, dass die Fachgebietsbezeichnung des Nachfolgers mit der des Vorgängers übereinstimme. Vorauszusetzen sei, dass der Nachfolger der Arztgruppe des bisherigen Stelleninhabers zuzuordnen sei. Zur Arztgruppe der Chirurgen und Orthopäden gehörten nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 BedarfsplRL unter anderem die Fachärzte für Chirurgie und die Fachärzte für Orthopädie. Daher seien die anzustellende Fachärztin und der Kläger beruflich sowohl nach der Qualifikation als auch nach Versorgungsgesichtspunkten gleich geeignet. Der Beklagte habe, nachdem er auch sonst keine Vorteile zwischen den Bewerbern habe ausmachen können, entscheidend auf die Versorgungslage in den Verwaltungsbezirken abgestellt und dabei berücksichtigt, dass der Versorgungsgrad in Tempelhof-Schöneberg die Grenze der Überversorgung von 110 Prozent überschreite, wohingegen in Friedrichshain-Kreuzberg der Versorgungsgrad unter diesem Wert liege. Die Auswahlentscheidung für Frau Dr. A sei mit Blick auf die bestmögliche Patientenversorgung getroffen worden. Zweifel an dem Fortführungswillen der Frau Dr. A bestünden nicht.
Die Beigeladene zu 7) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Sozialgericht Berlin habe die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger und Frau Dr. A seien gemäß § 103 Abs. 4 Satz 5 Nr. 1 SGB V gleichwertig beruflich geeignet, da beide Bewerber aufgrund ihrer Facharztbezeichnung der Arztgruppe der Chirurgen und Orthopäden gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 BedarfsplRL angehörten. Die Ansicht des Klägers, dass die beiden Facharztgruppen unterschiedlich zu behandeln seien, sei im Rahmen der Bedarfsplanung unzutreffend. Eine Differenzierung sei innerhalb der Arztgruppe weder intendiert, noch lasse sich dies auf Grundlage der erhobenen Zahlen faktisch umsetzen. Der Beklagte habe die Versorgungslage zutreffend anhand des festgestellten Versorgungsgrades bewertet. Die vom Kläger vorgebrachten Zahlen seien nicht geeignet, Aussagen über einen allein chirurgischen Versorgungsbedarf zu treffen. Den Behauptungen des Klägers zur Installierung der Frau Dr. A als „Platzhalter“ werde entschieden entgegen getreten. Frau Dr. A beabsichtige weiterhin, den beantragten Vertragsarztsitz auf unabsehbare Zeit fortzuführen. Die Tatsache, dass ein Anstellungsvertrag kündbar sei, könne strukturell nicht gegen einen Fortführungswillen sprechen.
Die übrigen Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Die Beigeladene zu 1) ist der Ansicht, dass es nicht zu beanstanden sei, dass der Beklagte für die Beurteilung der Geeignetheit der Bewerber allein auf die festgelegte Arztgruppe der BedarfsplRL abgestellt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, der, soweit erforderlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung war.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen zu 2) bis 6) und 8) im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, weil diese zum Termin ordnungsgemäß geladen wurden und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthafte sowie nach §§ 151, 65d und 65a SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2022 ist zulässig und begründet.
Gegenstand des Verfahrens sind das erstinstanzliche Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2022 sowie der Beschluss des beklagten Berufungsausschusses vom 24. Februar 2021 (schriftliche Ausfertigung vom 21. April 2021), mit dem der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 7. Oktober 2020 (schriftliche Ausfertigung vom 16. Oktober 2020) als unbegründet zurückgewiesen, den ausgeschriebenen hälftigen Vertragsarztsitz gemäß § 103 Abs. 4b SGB V an die Beigeladene zu 7) zum Zwecke der Anstellung einer Ärztin mit Wirkung zum 1. April 2021 übertragen und dem Antrag der Beigeladenen zu 7) auf Genehmigung der Anstellung von Frau Dr. A im Umfang von 13 Stunden in der Woche mit Wirkung zum 1. April 2021 zugestimmt hat. Durch die Zurückweisung des Widerspruchs des Klägers hat sich der Berufungsausschuss die ablehnende Entscheidung bezüglich des Antrages des Klägers zu Eigen gemacht. Der Beschluss des Zulassungsausschusses vom 7. Oktober 2020 (schriftliche Ausfertigung vom 16. Oktober 2020) ist demgegenüber nicht Gegenstand des Verfahrens, weil die materiell-rechtliche Befugnis zur Regelung der Zulassungssache mit der Anrufung des Berufungsausschusses vollständig auf diesen übergegangen ist und der vom Berufungsausschuss erlassene Verwaltungsakt an die Stelle des vorangegangenen Bescheides des Zulassungsausschusses tritt (ständige Rechtsprechung BSG, Urteil 27. Januar 1993, 6 Rka 40/91, zitiert nach juris, Rn. 13 ff., insb. Rn. 20; Urteil, vom 16. Mai 2018, B 6 KA 1/17 R, zitiert nach juris, Rn. 20; zuletzt Urteil vom 19. Juli 2023, B 6 KA 5/22 R, zitiert nach juris, Rn. 16 m.w.N.).
Zu Unrecht hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen.
Die vom Kläger gegen den Beschluss des Berufungsausschusses erhobene Klage, welche sowohl gegen die Übertragung des hälftigen Vertragsarztsitzes auf die Beigeladene zu 7) als auch gegen die Ablehnung seines Zulassungsantrages gerichtet ist, ist in Gestalt der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Form der Neubescheidungsklage gemäß § 54 Abs. 1 in Verbindung mit § 131 Abs. 2 und 3 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 2005, B 6 KA 81/03 R, zitiert nach juris, Rn. 13) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die Klage ist auch begründet. Der Beschluss des Beklagten vom 24. Februar 2021 (schriftliche Ausfertigung vom 21. April 2021) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrages vom 13. Juli 2020.
Rechtsgrundlage für Entscheidungen der Zulassungsgremien über Anträge auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung in einem – wie hier – überversorgten und deshalb gesperrten Planungsbereich im Wege der Nachbesetzung nach Umwandlung und Aufgabe eines hälftigen Vertragsarztsitzes gemäß §§ 95 Abs. 9b, 103 Abs. 3a SGB V ist § 103 Abs. 4 SGB V.
Dabei sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für das auf eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gerichtete Begehren eines Arztes grundsätzlich alle Änderungen der Sachlage bis zur mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz sowie alle Rechtsänderungen bis zum Abschluss der Revisionsinstanz zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 2005, B 6 KA 81/03 R, zitiert nach juris, Rn. 14; vom 2. September 2009, B 6 KA 35/08 R, zitiert nach juris, Rn. 29 m.w.N.; Beschluss vom 25. Oktober 2023, B 6 KA 2/23 B, zitiert nach juris, Rn. 8 f.). Das gilt auch für eine Zulassung im Wege der Praxisnachfolge über § 103 Abs. 4 SGB V. Eine Ausnahme gilt aber, sofern dem jeweiligen Begehren – wie hier – notwendigerweise eine Abwehrklage in Gestalt einer Drittanfechtung der Begünstigung der Beigeladenen zu 7) vorangehen muss. Falls sich für die Zulassung des begünstigten Dritten die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung vorteilhafter darstellt, ist dieser Zeitpunkt maßgeblich (BSG, Urteil vom 5. November 2003, B 6 KA 52/02 R, zitiert nach juris, Rn. 16 m.w.N.; Beschluss vom 25. Oktober 2023, B 6 KA 2/23 B, zitiert nach juris, Rn. 8 f.)
Gemäß § 103 Abs. 3a Satz 1 SGB V entscheidet der Zulassungsausschuss auf Antrag des Vertragsarztes oder seiner Erben, ob ein Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 4 SGB V durchgeführt wird, wenn die Zulassung eines Vertragsarztes in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch Tod, Verzicht oder Entziehung endet und die Praxis von einem Nachfolger weitergeführt werden soll. Nach Satz 3 der Vorschrift kann der Zulassungsausschuss den Antrag ablehnen, wenn eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist. Das Nachbesetzungsverfahren ist mithin zweigliedrig ausgestaltet. Der Zulassungsausschuss entscheidet zunächst über die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens. Im Rahmen dieser Entscheidung ist von ihm unter Würdigung von Versorgungsgründen zu prüfen, ob in dem überversorgten Planungsbereich eine Nachbesetzung überhaupt erforderlich ist. Dabei geht es um die Gewährleistung einer kontinuierlichen Versorgung der Versicherten im gewohnten und vertrauten Umfeld mit der weiterhin zur Verfügung stehenden Patientenkartei (vgl. Geiger, in: Hauck/Noftz, SGB V, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 103 SGB 5, Rn. 56). Hintergrund ist, dass nicht nur das Verwertungsinteresse des Praxisabgebers, sondern auch Versorgungsgründe das Nachbesetzungsverfahren tragen und rechtfertigen können müssen. Zum Prüfungsumfang des Zulassungsausschusses gehört daher auch, ob der Tatbestand der Praxisfortführung erfüllt ist, d.h. ob überhaupt noch eine fortführungsfähige Praxis besteht. Fehlt es an dieser, kommt eine Praxisfortführung nicht in Betracht, denn dann gibt es keinen Grund, gerade zur Ermöglichung der Praxisfortführung zugunsten eines Nachfolgers die Zulassungsbeschränkungen bei Überversorgung in einem Nachbesetzungsverfahren zu durchbrechen. Dieses Erfordernis gilt auch im Rahmen einer Umwandlung eines Angestellten-Arztsitzes eines MVZ in eine Zulassung nebst beantragter Nachbesetzung, denn bei § 95 Abs. 9b SGB V geht es um eine größere statusbezogene Flexibilität im Rahmen der Fortführung der ärztlichen Versorgung und nicht um eine reine, vom konkreten Versorgungsgeschehen abgelöste Kommerzialisierung der vertragsärztlichen Zulassung (vgl. BSG, Urteil vom 11. Oktober 2017, B 6 KA 27/16 R, zitiert nach juris, Rn. 39). Auch bei der Umwandlung einer Angestellten-Arztstelle in einem MVZ und einer folgenden Nachbesetzung geht es um die Fortführung der konkreten vertragsärztlichen Versorgung. Die Entscheidung des Zulassungsausschusses, ein Nachbesetzungsverfahren durchzuführen, hat daher auch für die Frage, ob eine fortführungsfähige Praxis bzw. ein fortsetzungsfähiges Praxissubstrat vorliegt, konstitutive Wirkung (Geiger, a.a.O., Rn. 70 und 72). Vorliegend hat der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 6. Mai 2020 der Umwandlung des hälftigen Angestellten-Arztsitzes und der Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens zugestimmt. Damit steht für alle Beteiligten konstitutiv fest, dass ein für die Nachbesetzung notwendiges fortführungsfähiges Praxissubstrat besteht, d.h. dass eine konkrete vertragsärztliche Versorgung fortgeführt werden soll.
Im nächsten Schritt hat der Zulassungsausschuss nach Ausschreibung des Vertragsarztsitzes durch die Beigeladene zu 1) (§ 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V) gemäß § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V unter mehreren Bewerbern, die die ausgeschriebene Praxis als Nachfolger des bisherigen Vertragsarztsitzes fortführen wollen, nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen. Nach Satz 5 sind bei der Auswahl der Bewerber folgende Kriterien zu berücksichtigen: 1. die berufliche Eignung, 2. das Approbationsalter, 3. die Dauer der ärztlichen Tätigkeit, 4. eine mindestens fünf Jahre dauernde vertragsärztliche Tätigkeit in einem Gebiet, in dem der Landesausschuss nach § 100 Absatz 1 das Bestehen von Unterversorgung festgestellt hat, 5. ob der Bewerber Ehegatte, Lebenspartner oder ein Kind des bisherigen Vertragsarztes ist, 6. ob der Bewerber ein angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes oder ein Vertragsarzt ist, mit dem die Praxis bisher gemeinschaftlich betrieben wurde, 7. ob der Bewerber bereit ist, besondere Versorgungsbedürfnisse, die in der Ausschreibung der Kassenärztlichen Vereinigung definiert worden sind, zu erfüllen, 8. Belange von Menschen mit Behinderung beim Zugang zur Versorgung, 9. bei medizinischen Versorgungszentren die Ergänzung des besonderen Versorgungsangebots; dies gilt entsprechend für Vertragsärzte und Berufsausübungsgemeinschaften mit einem besonderen Versorgungsangebot. Gemäß § 103 Abs. 5 Satz 3 SGB V ist bei der Auswahl der Bewerber für die Übernahme einer Vertragsarztpraxis auch die Dauer der Eintragung in die Warteliste zu berücksichtigen.
Nach den Vorgaben des § 103 Abs. 4b Satz 4 SGB V kann die Praxis auch in der Form weitergeführt werden, dass ein Vertragsarzt den Vertragsarztsitz übernimmt und die vertragsärztliche Tätigkeit durch einen angestellten Arzt in seiner Praxis weiterführt, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegen stehen. In dieser Konstellation ist nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung nach § 103 Abs. 4 Satz 4 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 3 SGB V nicht auf den den Vertragsarztsitz übernehmenden Arzt, sondern auf den anzustellenden Arzt abzustellen (BSG, Urteil vom 13. Mai 2020, B 6 KA 11/19 R, zitiert nach juris, Rn. 29 f.).
Den Zulassungsgremien steht bei der Auswahlentscheidung ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die Rechtskontrolle des Gerichts beschränkt sich darauf, ob der Entscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zu Grunde liegt und ob der Beklagte die rechtlichen Grenzen seines Ermessensspielraums eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Eine danach rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung muss das Gericht hinnehmen; es ist nicht befugt, anstelle der Zulassungsinstanzen eine eigene Auswahlentscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2018, B 6 KA 33/17 R, zitiert nach juris, Rn. 26 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe kann die Auswahlentscheidung des Beklagten keinen Bestand haben.
Zwar hat der Beklagte zu Recht nicht nur die Bewerbung des Klägers, sondern auch die nach der in der Ausschreibung benannten Bewerbungsfrist eingegangene Bewerbung der Beigeladenen zu 7) bei seiner Entscheidung berücksichtigt, denn bei der Bewerbungsfrist handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist.
Zur Überzeugung des Senates hat der Beklagte jedoch die Befähigung der Bewerber zur Fortführung des konkret nachzubesetzenden Vertragsarztsitzes unzutreffend beurteilt. Zwar gehören sowohl der Kläger als Facharzt für Chirurgie und Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie als auch Frau Dr. A als Fachärztin für Orthopädie zu der bedarfsplanungsrechtlichen Arztgruppe der Chirurgen und Orthopäden nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 BedarfsplRL. Jedoch erfordert auch die Nachbesetzung eines umgewandelten Angestellten-Arztsitzes eines MVZ gemäß § 95 Abs. 9b SGB V i.V. m. § 103 Abs. 4 Satz 4 und Abs. 4b Satz 4 SGB V die Befähigung des Bewerbers bzw. des anzustellenden Arztes, die bisherigen Patienten des abgebenden Vertragsarztes zu behandeln. Die Erforderlichkeit eines inhaltlichen Bezuges zu der Tätigkeit des Vorgängers folgt aus den Begriffen „Nachfolger“ und „fortführen“ sowie dem Umstand, dass § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V den Willen zur Fortführung der konkret ausgeschriebenen Praxis als Nachfolger voraussetzt (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2014, B 6 KA 23/13 R, zitiert nach juris, Rn. 25). Es reicht mithin im Nachbesetzungsverfahren nicht aus, dass der Nachfolger – wie hier Frau Dr. A – eine vertragsärztliche Zulassung der gleichen bedarfsplanungsrechtlichen Facharztgruppe übernehmen und fortführen will, sondern es muss um die Fortführung der konkreten Praxis bzw. des verbliebenen Praxissubstrates gehen. Insoweit besteht ein maßgeblicher Unterschied zwischen einem Zulassungsverfahren in einem unterversorgten oder entsperrten Planungsbereich zu einem Nachbesetzungsverfahren in einem überversorgten Planungsbereich. Da Sinn und Zweck der ausnahmsweisen Durchbrechung der Zulassungssperren im Nachbesetzungsverfahren die Fortführung der bisherigen Praxis ist, muss die Befähigung der Bewerber gerade auch im Hinblick auf die Fortführung der konkreten Praxis in die Beurteilung der Zulassungsgremien mit einbezogen werden. Nach der Rechtsprechung des BSG erfordert der Begriff „fortführen“ die fachliche Qualifikation des Nachfolgers zur Weiterbehandlung der bisherigen Patienten der Praxis (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2014, B 6 KA 23/13 R, zitiert nach juris, Rn. 25). Dies ist auch bei der Umwandlung und Nachbesetzung eines Angestellten-Arztsitzes in einem MVZ nach § 95 Abs. 9b SGB V nicht abweichend zu beurteilen, da es andernfalls zu einem bloßen, vom Gesetzgeber nicht gewollten Zulassungsverkauf kommen würde.
Vorliegend war der fortzuführende Vertragsarztsitz bedarfsplanungsrechtlich zwar ein solcher in der Arztgruppe der Chirurgen und Orthopäden, besetzt war er aber – worauf die Beigeladene zu 1) in ihrer Ausschreibung auch hingewiesen hat – durch Fachärzte für Chirurgie. Die vertragsärztliche Versorgung der umgewandelten Angestelltenarztstelle umfasste mithin allein chirurgische Leistungen; Praxisausstattung und Patientenklientel waren hierauf bezogen. Zwar erfordert die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes nicht zwingend eine Identität der Fachgebietszugehörigkeit, jedoch ist bei Fachgebietsverschiedenheit zu prüfen, ob eine inhaltliche Übereinstimmung zwischen der Tätigkeit des bisherigen und des neuen Stelleninhabers gegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2014, B 6 KA 23/13 R, zitiert nach juris, Rn. 23). Dementsprechend regelt auch § 16 Satz 1 BedarfsplRL für die Praxisnachfolge, dass die Praxis auch für Ärzte ausgeschrieben werden kann, welche ganz oder teilweise in einem Fachgebiet tätig sind, welches mit dem alten Fachgebiet übereinstimmt. Entscheidend ist, ob der übernehmende Vertragsarzt zumindest teilweise die ärztliche Versorgung des abgebenden Vertragsarztes fortführen, d.h. er entsprechend seiner Qualifikation die bisherigen Patienten der Praxis behandeln kann. Da Ärzte, die eine Facharztbezeichnung führen, berufsrechtlich im Grundsatz nur in diesem Gebiet tätig werden dürfen (vgl. BSG, Urteil vom 29. September 1999, B 6 KA 38/98 R, zitiert nach juris, Rn. 15), ist durch den Beklagten unter Berücksichtigung der ärztlichen Weiterbildungsordnung zu prüfen, ob der Bewerber um die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes, der mit einem Facharzt für Chirurgie besetzt war, auch berechtigt ist, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung chirurgische Leistungen zu erbringen. Dies ist für Frau Dr. A, welche Fachärztin für Orthopädie ist, zu verneinen. Weder waren chirurgische Leistungen Inhalt ihrer Weiterbildung, noch ist sie als Fachärztin für Orthopädie nach dem EBM berechtigt, ambulante chirurgische Eingriffe abzurechnen (vgl. Abschnitt 2.3 des EBM kleinchirurgische Eingriffe). Es ist ihr daher nicht möglich, die bisherigen Patienten des abgebenden Vertragsarztsitzes zu behandeln und in diesem Sinne die bisherige vertragsärztliche Versorgung fortzuführen. Demgegenüber verfügt der Kläger über eine abgeschlossene chirurgische Weiterbildung. Als Facharzt für Chirurgie und als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ist er nach dem EBM berechtigt, chirurgische Leistungen zu erbringen und abzurechnen. Er verfügt damit über die grundsätzliche Befähigung, eine chirurgische Praxis weiterzuführen.
Aus dem Umstand, dass der G-BA mit Beschluss vom 20. September 2018 unter Berücksichtigung der Änderungen im Weiterbildungsrecht und des Urteils des Bundessozialgerichts vom 28. September 2016 (B 6 KA 40/15 R) u.a. die Fachärzte für Chirurgie, die Fachärzte für Orthopädie und die Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie in einer Arztgruppe zusammengefasst hat, folgt für die vorliegende Beurteilung nichts anderes. Denn Sinn und Zweck der Änderung war nach den tragenden Gründen des Beschlusses die Erleichterung der Nachbesetzung chirurgischer Vertragsarztsitze durch Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie, die zwar Überschneidungen im chirurgischen Leistungsinhalt hatten, aber nicht der gleichen bedarfsplanungsrechtlichen Arztgruppen angehörten. Aus der Zusammenführung der bedarfsplanungsrechtlichen Arztgruppe folgt hingegen nicht, dass ein rein chirurgischer Arztsitz durch eine Fachärztin für Orthopädie nachbesetzt werden kann. Es fehlt insoweit an fachlichen Schnittstellen, wie sie bei der Nachbesetzung von chirurgischen Arztsitzen mit Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie bestehen.
Der Beurteilung des Beklagten, dass es auf den Patientenstamm der abgebenden Praxis aufgrund der vorherigen Vakanz des Vertragsarztsitzes nicht entscheidend ankomme, kann unter Berücksichtigung der konstitutiven Wirkung des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 6. Mai 2020, dass der Vertragsarztsitz im Wege der Nachbesetzung neu zu vergeben sei, nicht gefolgt werden. Der Beklagte ist an diesen Beschluss und die darin enthaltene Feststellung, dass es ein fortführungsfähiges Praxissubstrat gibt, gebunden. Anderenfalls hätte es angesichts des Umstandes, dass der Vertragsarztsitz nicht unter Fortführung der vorherigen sächlichen und personellen Praxisausstattung am vorherigen Praxissitz übertragen werden sollte, einer Nachbesetzung in dem wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereich nicht bedurft. Dass es seit der Entscheidung des Zulassungsausschusses über die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens und der Auswahlentscheidung des Beklagten insoweit zu einer wesentlichen Änderung gekommen ist, ist nicht ersichtlich. Dabei ist auch der zutreffende Hinweis des Klägers zu berücksichtigen, dass der Patientenstamm eines Chirurgen in der Regel keiner kontinuierlichen Betreuung über einen längeren Zeitraum bedürfe. Entscheidend für das Vorliegen eines fortführungsfähigen Praxissubstrates ist letztlich auch nicht, ob tatsächlich Patienten in laufenden Behandlungen zu übergeben sind. Es kommt weniger auf die konkreten Patienten, sondern auf das qualitative Praxisprofil an; es geht im Rahmen der Nachbesetzung um die Fortführung der Versorgung des bisherigen Patientenklientels, so wie sie qualitativ-fachlich durch den Praxisabgeber geprägt worden ist (vgl. Geiger, a.a.O., Rn. 75).
Unter Berücksichtigung der Befähigung der Bewerber zur Fortführung des konkret nachzubesetzenden Vertragsarztsitzes wird der Beklagte eine neue Auswahlentscheidung zu treffen haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.