S 12 KA 7/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 7/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 46/19
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Anpassungsbescheide besitzen nur einen eingeschränkten Regelungsgehalt (vgl. BSG, Urt. v. 15.08.2002 - B 7 AL 38/01 R - SozR 3-1300 § 24 Nr. 21, juris Rdnr. 26). Zur Korrektur eines fehlerhaften EHV-Anspruchssatzes ist der Grundlagenbescheid aufzuheben. Soweit der Grundlagenbescheid nicht abgeändert wird, besteht ein Rechtsgrund für die - im Ergebnis zu hohen - Anpassungsbescheide.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 30.05.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2018 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten nach Neuberechnung des Anspruchs aus der Erweiterten Honorarverteilung (EHV) um eine Rückforderung in Höhe von 20.989,60 EUR.

Der 1942 geb. und jetzt 76-jährige Kläger war seit Juni 1977 zur vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der Beklagten zugelassen.

Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 03.11.2005 den Eingang des Antrages des Klägers auf Teilnahme an der Erweiterten Honorarverteilung und teilte ihm mit, er nehme ab 01.12.2005 mit ca. 9,9004 % an der EHV teil. Der Anspruchsprozentsatz werde zum Leistungszeitpunkt auf den Durchschnittshonorarumsatz des Landes Hessen bezogen. Unter Zugrundelegung der zuletzt abgerechneten Durchschnittshonorare würde das vierteljährliche EHV-Honorar z. Zt. ca. 3.800,00 EUR betragen. Er erhalten eine monatliche Abschlagszahlung von 1.050,00 EUR sowie eine Restzahlung für das jeweilige Quartal. Die Vorauszahlung werde am Ende eines Monats für den laufenden Monet gezahlt. Diese Mitteilung könne nur unter Vorbehalt gegeben werden.

Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 12.07.2007 eine Neuberechnung des Anspruchs vor und erhöhte den Anspruchssatz auf 11,6004 % ab dem Quartal IV/05. Zur Begründung führte sie aus, durch die im Schreiben vom 03.11.2005 vorgenommene Schätzung der Punktwerte, die wegen der noch nicht abgerechneten restlichen Quartale erforderlich gewesen sei, sei eine Neuberechnung des Anspruches notwendig geworden.

Die am xx.xx.1993 geschlossene Ehe des Klägers mit Frau E. A., geb. F., geb. 1961, wurde durch Urteil des Amtsgerichts Darmstadt - Familiengericht - vom xx.xx.2009 geschieden. Zu Lasten der Versorgung des Klägers bei der Beklagten wurden auf dem Versicherungskonto der Ehefrau bei der Deutschen Rentenversicherung Bund Rentenanwartschaften von monatlich 279,82 EUR, bezogen auf den 31.07.2008, begründet. Hiergegen legte die Beklagte mit Schriftsatz vom 23.04.2010 Beschwerde ein, weil davon ausgegangen werde, dass sie die Realteilung nicht zulasse. Das OLG Frankfurt a. M. fasst mit Beschluss vom 13.07.2010 den Ausspruch zum Versorgungsausgleich neu. Die vom Kläger in der EHV erworbenen Versorgungsanwartschaften teilte es in der Weise real, dass der Ehefrau gegen die Beklagte aus eigenem Recht Rentenanwartschaften von monatlich 230,51 EUR bezogen auf den 31.07.2008 zustehen. Die auszugleichende Anwartschaft entspricht einem Anspruchssatz von 1,9020 %. Der Beschluss wurde am 20.08.2010 rechtskräftig.

In einem vor dem Familiengericht Darmstadt am 10.08.2009 geschlossenen Unterhaltsvergleich verpflichtete sich der Kläger, an seine Ehefrau Trennungsunterhalt in Höhe von monatlich 1.000,00 EUR zu zahlen. Am 07.12.2009 verpflichtet sich der Kläger in einem weiteren Unterhaltsvergleich, ab Rechtskraft der Scheidung einen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 300,00 EUR an die frühere Ehefrau zu zahlen. Die Verpflichtung bestand der Höhe nach unveränderlich, solange der gemeinsame Sohn G. A., geb. 1991, überwiegend im Haushalt der Ehefrau lebte und sich in allgemeiner Schulausbildung befand, mindestens jedoch bis 30.06.2011.

Der Kläger beantragte am 30.11.2009 und 28.03.2010 und 02.04.2010 die Aussetzung der Rentenkürzung (EHV) gem. § 5 VAHRG. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 04.12.2009 mit, erst wenn der Versorgungsausgleich abgeschlossen und rechtskräftig sei, könne sie den Antrag des Klägers auf Aussetzung der Rentenkürzung bestätigen. Sie bitte um Einreichung der entsprechenden Unterlagen über die Unterhaltspflicht.

Die Beklagte setze das EHV-Honorar für den strittigen Zeitraum wie folgt fest, in den Quartalen III/11 bis II/12 quartalsweise, ab dem Quartal III/12 jährlich unter Festsetzung monatlicher Zahlungen:

Datum Quartale Anspruchssatz in % Anspruchssatz in Punkten Anspruch in EUR Bl.
27.08.2012 III/11 11,6004 4.140,85 112
31.10.2012 IV/11 11,6004 4.446,78 113
21.01.2013 I/12 11,6004 4.458,01 114
10.04.2013 II/12 11,6004 4.349,23 115
29.06.2012 III/12-II/13 11,6004 7.734 1.443,94 118
27.06.2013 III/13-II/14 7.734 1.482,61 120
26.06.2014 III/14-II/15 7.734 1.520,50 122
29.06.2015 III/15-II/16 7.734 1.774,18 123
27.06.2016 III/16-IV/16 7.734 1.810,53 125
20.12.2016 I/17-IV/17 7.734 1.791,97 126
18.12.2017 I/18-IV/18 7.734 1.809,76 127

Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 03.04.2018 mit, die dem von dem Familiengericht begründeten eigenständigen Anrecht der ausgleichsberechtigten Person zugrunde liegende Punktezahl werde von der dem ausgleichspflichtigen Mitglied zustehen Punktezahl abgezogen. Bei einer Prüfung der EHV-Akte des Klägers sei festgestellt worden, dass der Anspruch bisher nicht um den Versorgungsausgleich gekürzt worden sei. Für die Prüfung einer ggf. erforderlichen Korrektur bitte sie, hierzu und zu einer eventuell bestehenden Unterhaltspflicht gegenüber der geschiedenen Ehefrau um Stellungnahme.

Die Beklagte kürzte mit Bescheid vom 30.05.2018 den EHV-Anspruch des Klägers von 11,6004 % nach § 9 Abs. 2 lit. c) der derzeit gültigen Grundsätze der EHV (GEHV) um den Versorgungsausgleich auf 9,6984 % (entspricht 6.465,5935 Punkten ab 01.07.2012) und änderte die Bescheide vom 27.08.2012, 31.10.2012, 21.01.2013, 10.04.2013, 29.06.2012, 27.06.2013, 26.06.2014, 29.06.2015, 27.06.2016, 20.12.2016 und 18.12.2017 dahingehend ab, dass der Kläger ab 01.07.2011 mit 9,6984 % bzw. ab 01.07.2012 mit 6.465,5935 Punkten an der EHV teilnehme. Zur Begründung führte sie aus, aufgrund von Unterhaltszahlungen sei der EHV-Anspruch ungekürzt ausgezahlt worden. Die Zahlungen seien It. Beschluss des Familiengerichts Darmstadt vom 07.12.2009 bis mindestens 30.06.2011 zu leisten. Ein Nachweis über Unterhaltszahlungen nach dem 30.06.2011 liege ihr nicht vor. Nach telefonischer Auskunft habe der Kläger bestätigt, dass er keinen Unterhalt mehr leiste, den genauen Zeitraum habe er aber nicht mehr benennen können. Somit sei ab 01.07.2011 der Versorgungsausgleich der geschiedenen Ehefrau in Abzug zu bringen. Bei der Berechnung der Höhe des EHV-Anspruchs sei die Kürzung wegen des Versorgungsausgleichs bisher nicht berücksichtigt worden. In Abwägung gegen das Interesse an dem Erhalt der vorgenannten Bescheide überwiege das Interesse an der rechtmäßigen Verwaltungspraxis. Auf ein Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen. Seit der Rechtskraft der o. g. gerichtlichen Entscheidung sei für ihn erkennbar gewesen, dass seine Versorgung um die auszugleichende Anwartschaft gem. Beschluss vom 13.07.2010 ab 01.07.2011 hätte gekürzt werden müssen. Zu Gunsten des Klägers sei dabei zum einen sein Interesse an der Kalkulierbarkeit seiner Einnahmen aus der EHV zu berücksichtigen. Zu seinen Lasten müsse jedoch dabei berücksichtigt werden, dass er seit der Scheidung positive Kenntnis von der Höhe der Kürzung der Versorgungsansprüche gehabt habe. Dies sei bereits mit dem Bekanntwerden des o. g. Beschlusses des Oberlandesgerichts Frankfurt gegeben. Diese Kenntnis hätte er auch durch sein Schreiben vom 25.09.2011 bestätigt. Denn hierin hätte er sogar schon im Vorfeld der Scheidung die Aussetzung der Kürzung beantragt. Das öffentliche Interesse an einer rechtmäßigen Verwaltungspraxis (Rücknahme des Verwaltungsaktes) überwiege somit. § 9 Abs. 2 lit. c) GEHV sei daher ab dem 01.07.2011 rückwirkend anzuwenden. Ferner setzte sie den EHV-Anspruch für den Zeitraum 01.05. bis 31.12.2018 auf 6.465,5935 Punkte bzw. 1.512,95 EUR vor Abzug der Verwaltungsumlage fest.

Hiergegen legte der Kläger am 22.06.2018 Widerspruch ein. Er trug vor, es treffe zwar zu, dass er seiner geschiedenen Ehefrau E. A. seit dem 01.07.2011 nicht mehr den im Beschluss des Familiengerichts Darmstadt vom 07.12.2009 festgelegten monatlichen Unterhalt zahle. Der nachträglichen Korrektur der EHV-Bescheide stehe aber der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegen. Er habe auf den Bestand der EHV-Bescheide vertraut und nicht im Entferntesten damit gerechnet, dass diese für die zurückliegenden acht Jahre korrigiert werden könnten. Die ausgezahlten Beiträge habe er restlos verbraucht. Es sei ihm bekannt gewesen, dass zu einem späteren Zeitpunkt seine Rente wegen des Versorgungsausgleichs gekürzt werde. Allerdings habe er die Vorschrift des § 5 VAHRG so verstanden, dass die Kürzung so lange ausgesetzt werde, bis der andere Ehepartner selbst in Rente gehe. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Aussetzung der Rentenkürzung darüber hinaus dauerhafte Unterhaltszahlungen an den Ehepartner voraussetze. Hierauf habe weder seine damalige Rechtsanwältin im Schreiben vom 12.08.2009 noch das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen im Informationsschreiben vom 05.05.2010 hingewiesen. Wenn die fortlaufenden Unterhaltszahlungen für die Aussetzung nach § 5 VAHRG von Relevanz seien, hätte es nahegelegen, dass Beklagte eine jährliche Abfrage durchführe und hierbei die Frage nach den Unterhaltszahlungen stelle. Dieses Verfahren werde bspw. von den gesetzlichen Krankenversicherungen angewandt zur Abklärung der Frage, ob die beitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen noch die Voraussetzungen erfüllten oder aber eine eigene Versicherung abschließen müssten. Insgesamt sei also sein Vertrauen in den Fortbestand der Bescheide unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig. Auch wenn die monatlichen Unterhaltszahlungen zum 01.07.2011 eingestellt worden seien, erhalte seine geschiedene Frau seit vielen Jahren einen Vorteil in Form einer Freistellung vom gesetzlich geschuldeten Kindesunterhalt. Ihr gemeinsamer Sohn G. (geb. 1991) sei 26 Jahre alt, wohne seit vielen Jahren nicht mehr zu Hause und befinde sich noch in der Berufsausbildung. Er finanziere den gesamten Kindesunterhalt, d. h. die Wohnung (Warmmiete 810 EUR pro Monat), die private Hochschule (470 EUR pro Monat) sowie alle sonstigen Kosten.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2018, dem Kläger am 10.12.2018 zugestellt, den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X lägen, auch mit Wirkung für die Vergangenheit, vor. Die Ermessensausübung in dem Bescheid vom 30.05.2018 werde zunächst vollumfänglich zu eigen gemacht. Es sei zumindest von einer groben Fahrlässigkeit des Klägers auszugehen. Dies ergebe sich insb. aus seinem Schreiben vom 25.11.2009 an sie, in dem der Kläger mitteile, dass er voraussichtlich im Dezember geschieden werde. Er habe unter Beifügung einer Kopie des Schreibens von Frau Rechtsanwältin Dr. H. vom 12.08.2009 die Aussetzung der Rentenkürzung (EHV) gemäß § 5 VAHRG beantragt. Sie habe dem Kläger mit Schreiben vom 04.12.2009 mitgeteilt, dass sie erst nach rechtskräftigem Abschluss des Versorgungsausgleichs seinen Antrag auf Aussetzung der Rentenkürzung bestätigen könne. Er sei außerdem gebeten worden, ihr die entsprechenden Unterlagen über die Unterhaltspflicht einzureichen. Aufgrund dieser Anforderung der Unterlagen über die Unterhaltspflicht habe der Kläger definitiv positive Kenntnis davon gehabt, dass zwingende Voraussetzung für die Gewährung der nicht um den Versorgungsausgleich reduzierten EHV-Zahlung gewesen sei, dass seine ehemalige Frau noch nicht an der EHV teilnehme und er Unterhaltsleistungen an sie leiste. Selbst wenn der Kläger aufgrund des Schreibens seiner Rechtsanwältin vom 12.08.2009 tatsächlich davon ausgegangen sein sollte, dass die Zahlung von Unterhalt keine Voraussetzung für die Gewährung Ihrer ungekürzten EHV-Bezüge sei, hätte ihm aufgrund des Schreibens der KVH vom 04.12.2009 bekannt gewesen sein müssen, dass die Zahlung dieser Unterhaltsleistungen doch relevant sei. Auch die Rechtsanwältin habe auf den Anspruch auf Unterhalt hingewiesen, indem sie die Regelung nach § 5 VAHRG wiedergegeben habe, der in Abs. 1 regele: "Solange der Berechtigte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Rente erhalten kann und er gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt hat oder nur deshalb nicht hat, weil der Verpflichtete zur Unterhaltsleistung wegen der auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Kürzung seiner Versorgung außerstande ist, wird die Versorgung des Verpflichteten nicht auf Grund des Versorgungsausgleichs gekürzt." Auf das Schreiben der Landesärztekammer Hessen vom 05.05.2010 komme es nicht an, da dem Kläger bereits aufgrund ihres Schreibens vom 04.12.2009 die Relevanz der Unterhaltsleistungen bekannt gewesen sei. Maßgeblich hinsichtlich der EHV-Zahlungen und etwaiger Kürzungen seien im Übrigen die Vorgaben der GEHV und ihre Auskünfte. Nach den GEHV sei maßgeblich, ob er Unterhalt an die geschiedene Ehefrau zahle. Dies sei aber, auch nach dem Vortrag des Klägers, seit dem 01.07.2011 nicht mehr der Fall. Geleistete Unterhaltszahlungen an seinen Sohn seien gemäß den Vorgaben der GEHV nicht relevant und könnten Unterhaltszahlungen an die geschiedene Ehefrau nicht gleichgestellt werden.

Hiergegen hat der Kläger am 04.01.2019 die Klage erhoben. Er beruft sich weiterhin auf Vertrauensschutz. Der Gesetzestext könne einem juristischen Laien nicht als Kenntnisnahme der Gesetzeslage mit den weiteren Folgen angelastet werden. Es müsse auf die Aufklärungs- und Hinweispflicht der Beklagten verwiesen werden. Die Beklagte habe keine Zahlungsnachweise verlangt. Der Kindesunterhalt sei ein Surrogat für einen Unterhalt an seine geschiedene Frau. Er mache auch die Einrede der Entreicherung geltend. Nach Ziff. 3 der Scheidungsvereinbarung hätte er nach Ablauf der Schulausbildung des Sohnes eine neue Vereinbarung treffen können. So sei auch die Vereinbarung zwischen ihm und seiner früheren Ehefrau zu verstehen, wonach er die Kosten für das Studium des gemeinsamen Sohnes zu 100 % alleine finanziere. Im Gegenzug habe seine frühere Ehefrau keinerlei Zahlungen an den Sohn leisten müssen, obwohl sie hierzu verpflichtet gewesen und auch hierzu finanziell im Stande gewesen wäre. Durch diese Zahlung habe lediglich vermieden werden sollen, dass die nacheheliche Unterhaltszahlung ein reiner "Durchgangsposten" bei seiner ehemaligen Ehefrau wäre. Es werde bestritten, dass er vorsätzlich oder grob fahrlässig Kenntnis von der eventuellen Rückforderung der Beklagten hätte haben können. Für ihn hätten sich die Zahlungen an seinen Sohn immer als Zahlung an seine ehemalige Ehefrau dargestellt. Die Beklagte habe nach Vorlage des Protokolls über die Unterhaltsvereinbarung davon Kenntnis haben müssen, dass er auch über den 30.07.2011 hinaus Unterhalt schulden könne. Hierzu sei jedoch keinerlei Rücksprache erfolgt. Die Beklagte müsse sich dem Vorwurf stellen, weshalb sie ihn nach Ablauf des 30.06.2011 nicht angeschrieben habe. Die Beklagte habe den Ursprungsbescheid bislang nicht abgeändert. Dieser sei rechtskräftig. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGG sei der Verwaltungsakt lediglich für die Zukunft zurückzunehmen. Er sei Laie in Rentensachen und habe nicht aufgrund der Höhe der Auszahlung davon ausgehen können, dass die Voraussetzungen dem Grunde nach nicht vorliegen würden. Zudem habe er aufgrund der fehlerhaften Information seiner damaligen Rechtsanwältin in der Scheidungsangelegenheit gedacht, dass die Rentenkürzung erst im Falle der Verrentung seiner damaligen Ehefrau anfallen würde. Er habe hierauf Vermögensdispositionen getätigt. Da er über kein Vermögen verfüge, habe er die Zahlungen für den täglichen Lebensunterhalt, wie z. B. Miete, Lebenshaltungskosten, etc. verbraucht. Die Vorlage des Protokolls des Scheidungsurteils und des Vergleichs im Protokoll sei mit seinem Schreiben vom 02.04.2010 erfolgt. Der Kläger hat verschiedene Unterlagen über die Zahlungen an seinen Sohn bzw. Kosten für dessen Ausbildung zur Gerichtsakte gereicht.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30.05.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist unter weitgehender Wiederholung ihrer Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid weiterhin der Auffassung, der Kläger könne sich nicht auf Vertrauen hinsichtlich des Behaltendürfens der Überzahlungsbeträge berufen. Ergänzend trägt sie vor, der Kläger habe davon ausgehen müssen, dass er nicht dauerhaft über mehrere Jahre hinweg ähnlich hohe Beträge vereinnahmen könne. Er hätte mit einer nicht unerheblichen Reduzierung der Auszahlungsbeträge rechnen müssen. Ziehe man die Tatsache heran, dass über mehrere Jahre hinweg die entsprechenden EHV-Zahlungen gleichblieben bzw. leicht steigend gewesen seien, könne davon ausgegangen werden, dass für den Kläger durchaus erkennbar gewesen sein müsse, dass es in den Folgejahren nach 2011 zu keinerlei Minderung der EHV-Bezüge im Rahmen des Versorgungsausgleichs gekommen sei. Selbst wenn Vertrauensschutz anzunehmen wäre, müsste der Einwand der Vermögensdisposition substantiiert erfolgen. Die Vermutungsregelung des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X sei nicht unwiderleglich. Das bedeute, dass bei atypischer Konstellation auch bei Verbrauch der erbrachten Leistung und bei nicht wieder rückgängig zu machender Vermögensdisposition eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens verneint werden könne. Im letzteren Fall dürfte aber wohl das Rückgängigmachen der Vermögensdisposition auch nicht unzumutbar sein. Die Rücknahme sei über den § 45 SGB X zu bewerkstelligen, da in Gestalt des angefochtenen Bescheides vom 30.05.2018 ja eben gerade nicht der Grundlagenbescheid, als statusbegründender (Dauer-)Verwaltungsakt abgeändert werde. Die Rücknahme müsse innerhalb der 10-Jahre-Frist nach Maßgabe des § 45 SGB X erfolgen. In jedem Fall wäre eine Rücknahme über § 48 SGB X anzunehmen, da der Kläger bösgläubig gewesen sei. Maßgeblich sei die Definition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X an. Unter Anlegung eines subjektiven Maßstabes ergebe sich, dass der Kläger ihr im November 2009 selbst mitgeteilt habe, dass er aller Voraussicht nach im Dezember geschieden werden würde. Aufgrund ihres Schreibens vom 04.12.2009 habe dem Kläger bekannt gewesen sein müssen, dass erst nach rechtskräftigem Abschluss des Versorgungsausgleichs sein Antrag auf Aussetzung der Kürzung der EHV habe bestätigt werden könne. Hinsichtlich der Anforderung der Unterlagen wegen der Unterhaltspflicht müsse sich der Kläger zumindest grob fahrlässige Unkenntnis im obigen Sinne (wenn nicht sogar positive Kenntnis) zuschreiben lassen, dass zwingende Voraussetzung für die Gewährung der nicht um den Versorgungsausgleich reduzierten EHV-Zahlung an ihn gewesen sei, dass seine geschiedene, noch nicht an der EHV partizipierende Ehefrau Unterhaltsleistungen von ihm erhalte. Unterhaltszahlungen an den Sohn hätten keine Relevanz vor dem Hintergrund der GEHV. Hinsichtlich der fehlenden Information des Klägers durch die damalige Rechtsanwältin sei anzumerken, dass der Kläger sich hier nicht auf eine Gutgläubigkeit im Außenverhältnis berufen könne. Etwaige Versäumnisse der Rechtsanwältin müsse der Kläger im Innenverhältnis mit dieser klären. Die Behauptung einer mündlichen Vereinbarung, die eine "Verlängerung" des nachehelichen Unterhaltes bzw. der entsprechenden Unterhaltsvereinbarung zur Folge gehabt habe, müsse zunächst bestritten werden. Hier sei der klägerische Vortrag zu substantiieren. Zu einer gezielten Information hinsichtlich der Unterhaltszahlungen sei sie nicht verpflichtet. Die Vorschriften des SGB I, aus denen sich unter anderem derartige Hinweispflichten des Sozialversicherungsträgers ableiten ließen, seien auf sie nicht anwendbar, insoweit sie sich ausschließlich auf Sozialleistungsansprüche bezögen. Jedenfalls hätte dem Kläger mit ihrem Schreiben vom 04.12.2009 bekannt sein müssen, dass die Zahlung dieser Unterhaltsleistungen sehr wohl relevant sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insb. form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid vom 30.05.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2018 ist rechtswidrig. Er war daher aufzuheben.

Für die rückwirkende Änderung des EHV-Anspruchssatzes fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Ihr steht die bestandskräftige und bisher nicht abgeänderte Festsetzung im Bescheid vom 12.07.2007 entgegen.

Soweit die Beklagte auf die Rechtsgrundlage des 45 Abs. 2 SGB X verweist, fehlt es an der - anfänglichen - Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Verwaltungsakte.

Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Nach § 45 Abs. 4 SGB X wird nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

Die mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.05.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2018 abgeänderten Bescheide vom 27.08.2012, 31.10.2012, 21.01.2013, 10.04.2013, 29.06.2012, 27.06.2013, 26.06.2014, 29.06.2015, 27.06.2016, 20.12.2016 und 18.12.2017 sind rechtmäßig und waren insb. zum Erlasszeitpunkt rechtmäßig. Der ihnen zugrunde liegende EHV-Anspruchssatz in Höhe von 11,6004 % beruht auf dem bestandskräftigen Bescheid vom 12.07.2007. Im Bescheid vom 12.07.2007 wird der Anspruchssatz auf 11,6004 % festgesetzt. Dieser Bescheid ist bisher weder aufgehoben noch abgeändert worden und bleibt damit wirksam (§ 29 Abs. 2 SGB X). Der Bescheid vom 12.07.2007 bindet daher auch die Beklagte.

Anpassungsbescheide, die die Leistung lediglich neu festsetzen bzw. dynamisieren, besitzen nur einen eingeschränkten Regelungsgehalt (vgl. BSG, Urt. v. 15.08.2002 B 7 AL 38/01 R - SozR 3-1300 § 24 Nr. 21, juris Rdnr. 26). Die "weitere Teilnahme" inaktiver Vertragsärzte an der Honorarverteilung hat statusrelevanten Charakter (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 30.10.2013 - L 4 KA 65/11 -, juris Rdnr. 29). Soweit der Grundlagenbescheid nicht abgeändert wird, besteht ein Rechtsgrund für die - im Ergebnis zu hohen - Anpassungsbescheide.

Eine konkludente Aufhebung des Bescheids vom 12.07.2007 im angefochtenen Bescheid vom 30.05.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2018 ist nicht erfolgt. Im angefochtenen Bescheid wird ausdrücklich nur auf die ungekürzt Auszahlung Bezug genommen. Diese allein ist Gegenstand des Bescheids, wenn auch auf die Fehlerhaftigkeit der Berechnung verwiesen wird. Insbesondere sieht die Kammer aber aufgrund der Einlassung der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 03.05.2019 keine Möglichkeit zur Annahme einer inzidenten Aufhebung. In diesem Schriftsatz vom 03.05.2019 erklärt die Beklagte, die Rücknahme sei über den § 45 SGB X zu bewerkstelligen, da in Gestalt des angefochtenen Bescheides vom 30.05.2018 ja eben gerade nicht der Grundlagenbescheid als statusbegründender (Dauer-)Verwaltungsakt abgeändert werde. Damit ist auszuschließen, dass der Grundlagenbescheid vom 12.07.2007 - inzident - aufgehoben wurde. Maßgeblich ist allein der Grundlagenbescheid vom 12.07.2007, da dieser das Schreiben der Beklagten vom 03.11.2005 ersetzt. Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit dem Schreiben vom 03.11.2005 eine Qualität als Verwaltungsakt zukommt. Im Schreiben selbst wird ausgeführt, diese "Mitteilung" könne nur unter Vorbehalt gegeben werden. Soweit im Schreiben vom 03.11.2005 die Teilnahme ab 01.12.2005 und der Anspruchssatz mit "ca." 9,9004 % geregelt wird, wird die Regelung des Anspruchssatzes jedenfalls im Bescheid vom 12.07.2007 erstmals endgültig geregelt.

Im Übrigen käme eine - inzidente - Aufhebung des Bescheids vom 12.07.2007 nach § 45 Abs. 2 SGB X nicht in Betracht, da der Bescheid zum Erlasszeitpunkt rechtmäßig, nicht rechtswidrig war. Zum Erlasszeitpunkt 12.07.2007 war der Kläger noch nicht geschieden und war daher keine Verringerung seines Anspruchssatzes eingetreten.

Allenfalls wäre eine Aufhebung des Bescheids vom 12.07.2007 nach § 48 SGB X in Betracht gekommen, die die Beklagte aber nicht vorgenommen hat. Von daher kann dahinstehen, ob der Kläger sich auf Vertrauensschutz berufen könnte. Insofern gelten diesbezüglich die weitgehend gleichen Voraussetzungen wie nach § 45 SGB X. Diese Vorschrift soll eine rückwirkende Änderung ermöglichen, wenn der Betroffene Leistungen bezogen hat, obwohl er wusste oder aus grob fahrlässiger Unkenntnis nicht wusste, dass kein Anspruch auf diese Leistung mehr bestand. (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 und 4 SGB X).

Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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