L 18 U 91/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 136/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 91/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.02.2002 wird aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 23.06.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 19.04.1999 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob das Sozialgericht (SG) Würzburg die Beklagte zu Recht verurteilt hat, der Klägerin Verletztengeld in Höhe von 66.739,34 EUR zu zahlen.

Bei der am 1943 geborenen Klägerin sind mit Bescheid vom 08.12.1988 als Folgen eines am 18.07.1985 erlittenen Arbeitsunfalles anerkannt: Belastungsbeschwerden der Lendenwirbelsäule, Gefühlsstörungen im Hautdermatom L5 und S1 nach Bandscheibenvorfall L4/5.

Die Beklagte gewährte der Klägerin für diese Unfallfolgen ab 16.02.1987 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH und ab 01.03.1988 um 20 vH. Eine am 07.09.1992 begehrte Neufeststellung der Unfallfolgen wegen in den linken Fuß und die Zehen ausstrahlenden Dauerschmerzen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.09.1993 idF des Widerspruchsbescheides vom 03.02.1994 ab. Klage (S 2 U 40/94) und Berufung (L 17 U 14/99) waren erfolglos.

Die Beklagte lehnte nach Einholung eines Gutachtens des Arztes für Chirurgie Dr.L. vom 07.04.1997 die Gewährung von Verletztengeld für die Zeiträume ab 24.04.1996 mit Bescheid vom 23.06.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 19.04.1999 ab und anerkannte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Unfallfolgen lediglich bis 31.12.1989.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem SG Würzburg hat die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 23.06.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 19.04.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztengeld ab 24.04.1996 zu bezahlen, da die Arbeitsunfähigkeits-Zeiten ab 24.04.1996 durch den Unfall vom 18.07.1985 verursacht seien. Zur Begründung hat sie auf ein nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Rechtsstreit S 2 U 40/94 eingeholtes Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof.Dr.M. Bezug genommen. Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 28.02.2002 verpflichtet, Verletztengeld für die ab 24.04.1996 nachgewiesenen die Lendenwirbelsäule betreffenden Arbeitsunfähigkeits-Zeiten entsprechend den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren und auch für die insoweit bis 23.10.2001 eingetretenen Arbeitsunfähigkeits-Zeiten Verletztengeld in Höhe von 66.739,34 EUR zu gewähren. Es hat die bei der Klägerin bestehende Beschwerdesymptomatik als hinreichend wahrscheinlich durch die Folgen des Unfalls vom 18.07.1985 verursacht angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es habe auf weitere gutachtliche Untersuchungen der Klägerin verzichtet, da sowohl im Verwaltungsverfahren als auch in den bisherigen gerichtlichen Verfahren insbesondere bezüglich der Geltendmachung einer wesentlichen Verschlimmerung zahlreiche Gutachten eingeholt worden seien und im Rahmen des Klageverfahrens S 5 U 40/94 sowie des Berufungsverfahrens L 17 U 14/99 auch gutachtliche Stellungnahmen zur Frage des Ursachenzusammenhangs der Arbeitsunfähigkeits-Zeiten der Klägerin erfolgt seien. Die Bewertung des Dr.M. in seinem Gutachten vom 04.02.1998 und in der ergänzenden Stellungnahme vom 12.05.1998, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im Zeitraum ab 24.06.1996 mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die Folgen des Unfalls zurückzuführen sei, werde auch durch die Bewertung des die Klägerin behandelnden Orthopäden Dr.W. bestätigt. Dieser habe die von ihm ausgestellten Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen mit dem Vorliegen von Wurzelirritationen sowie Schmerzsymptomatik aufgrund eines von ihm diagnostizierten Postnukleotomiesyndroms begründet. Das SG habe sich demgegenüber der Bewertung des im Berufungsverfahren ua begutachtenden Neurologen und Psychiaters Dr.F. , dass die die Arbeitsunfähigkeits-Zeiten der Klägerin und die die Behandlungsbedüftigkeit der Klägerin verursachende Schmerzsymptomatik spätestens ab 1990 durch unfallunabhängige degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Fehlstatik des Achsorgans bzw psychische Faktoren überholt worden sei, nicht anzuschließen vermocht. Entgegen der Auffassung des Dr.F. sei zur Überzeugung des Gerichts die zu den Arbeitsunfähigkeits-Zeiten führende Schmerzsymptomatik der Klägerin nicht wesentlich durch deren Persönlichkeitsstruktur verursacht. Die Tatsache, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen nicht nachzuweisen sei, führe nicht zugleich dazu, dass der Ursachenzusammenhang der rezidivierenden ArbeitsunfähigkeitsZeiten verneint werden müsste. Die Höhe der geltend gemachten Forderung über Verletztengeld für die Zeit bis zum 22.10.2001 in Höhe von insgesamt 66.739,34 EUR sei von der Beklagten weder schriftsätzlich noch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 28.02.2002 bestritten worden, ebensowenig wie die Tatsache, dass tatsächlich Arbeitsunfähigkeit der Klägerin vorgelegen habe. Weitere Ermittlungen seien daher entbehrlich gewesen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und darauf hingewiesen, dass sie auf die geltend gemachte Höhe des Verletztengeldes nicht habe eingehen müssen, da sie schon den Anspruchsgrund der Klägerin verneint habe. Das SG gehe - wohl zu Recht - davon aus, dass die die Lendenwirbelsäule betreffenden Arbeitsunfähigkeits-Zeiten durch die Schmerzsymptomatik begründet seien. Das Gutachten des Prof.Dr.M. vom 04.02.1998, auf das sich das SG im Wesentlichen stütze, sei jedoch nicht schlüssig. Prof.Dr.M. habe die vorbestehenden degenerativen Erkrankungen der Klägerin nicht erkannt und sei (zu Unrecht) von einem Rezidivprolaps ausgegangen. Dr.F. habe überzeugend dargelegt, dass hinsichtlich der Schmerzsymptomatik eine Verschiebung der somatogenen Ursachen zu den persönlichkeitsspezifischen Faktoren der Klägerin stattgefunden habe. Dieser Bewertung habe sich das Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 22.05.2001 angeschlossen. Damit bestehe zwischen den - ab dem 01.01.1990 - verbliebenen Unfallfolgen und der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr die erforderliche Kausalität.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG vom 28.02.2002 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 23.06.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 19.04.1999 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 28.02.2002 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird die Archivakten des SG Az: S 2 U 40/94 und des Bayer. LSG (Az: L 17 U 14/99) und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld für Zeiten ab 24.04.1996.

Der Anspruch der Klägerin auf Verletztengeld richtet sich bis zum 31.12.1996 nach dem Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO). Für Bezugsräume ab dem 01.01.1997 sind dagegen die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs - Siebtes Buch - (SGB VII) anzuwenden. Das folgt aus § 214 Abs 1 Satz 1 SGB VII wonach die Vorschriften des Ersten bis Fünften Abschnitts des Dritten Kapitels auch für Versicherungsfälle gelten, die vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes (01. Januar 1997) eingetreten sind. Davon ausgenommen sind gemäß § 214 Abs 1 Satz 2 SGB VII Leistungen der Heilbehandlung und der beruflichen Rehabilitation, die vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes bereits in Anspruch genommen worden sind. Die Vorschriften über das Verletztengeld in den §§ 45 bis 48 SGB VII befinden sich im Sechsten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Dritten Kapitels. Sie gehören nicht zu den Leistungen der Heilbehandlung und der beruflichen Rehabilitation, die ihrerseits in den §§ 27 bis 34 und 35 bis 38 SGB VII geregelt sind (BSG in HVBG-INFO 2002, 1157).

Das nach § 560 RVO bzw nach § 45 SGB VII zu gewährende Verletztengeld setzt nach beiden Vorschriften voraus, das der Versicherte i n f o l g e des Versicherungsfalles arbeitsunfähig sein muss. Es muss also zwischen dem Versicherungsfall und der Arbeitsunfähigkeit ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der Theorie der rechtlich wesentlichen Ursache bestehen, dh die Folgen des Versicherungsfalles müssen mindestens eine wesentliche Mitursache der Arbeitsunfähigkeit sein (Lauterbach, Unfallversicherung SGB VII 4. Auflage § 45 RdNr 15; Bereiter-Hahn/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar § 45 SGB VII § 8 RdNr 4). Dabei genügt für die Annahme des Ursachenzusammenhangs die hinreichende Wahrscheinlichkeit (Bereiter-Hahn/Mehrtens aaO RdNr 10.1), dh die Arbeitsunfähigkeit muss mit Wahrscheinlichkeit auf die anerkannten Unfallfolgen zurückzuführen sein.

Hieran fehlt es vorliegend. Die Arbeitsunfähigkeits-Zeiten der Klägerin seit 1996 sind nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 18.07.1985 zurückzuführen. Dies ergibt sich - entgegen der Auffassung des SG - mit hinreichender Deutlichkeit aus den Gründen des Urteil des LSG vom 22.05.2001 im Rechtsstreit L 17 U 14/99. Zwar weist das SG zutreffend darauf hin, dass der fehlende Nachweis einer wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen "nicht zugleich dazu führt, dass der Ursachenzusammenhang mit Arbeitsunfähigkeits-Zeiten verneint werden müsste". Der Verschlimmerungsantrag der Klägerin erfolgte jedoch wegen Schmerzen im Rücken und Ausstrahlung in das linke Bein mehrmals im Jahr bzw wegen Dauerschmerzen. Das SG geht zu Recht davon aus, dass die die Lendenwirbelsäule betreffenden Arbeitsunfähigkeits-Zeiten durch die Schmerzsymptomatik begründet sind. Diese Schmerzsymptomatik kann aber nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den 1985 erlittenen Unfall zurückgeführt werden. Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung von den Feststellungen im Rechtsstreit L 17 U 14/99 abzuweichen. Dort hat Dr.F. in schlüssiger Weise dargetan, dass hinsichtlich der Schmerzsymptomatik eine Verschiebung der somatogenen Ursachen zu den persönlichkeitsspezifischen Faktoren der Klägerin stattgefunden hat. Die Auffassungen der Prof.Dr.M. hält der erkennende Senat - wie schon das LSG im Rechtsstreit L 17 U 14/99 - für unschlüssig. Prof.Dr.M. hat die vorbestehenden degenerativen Erkrankungen der Klägerin nicht erkannt und ist zu Unrecht von einem Rezidivprolaps ausgegangen.

Nach alledem können die schmerzbedingten Arbeitsunfähigkeits-Zeiten der Klägerin nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 18.07.1985 zurückgeführt werden. Das Urteil des SG war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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