L 8 AL 368/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 37 AL 1485/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 368/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 27.10.2000 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen. -

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) aufgrund der Antragstellung vom 18.05.1998 streitig.

Der am 1944 geborene Kläger meldete sich am 18.05.1998 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Auf dem Antrag gab der Kläger unter Punkt 4e "Meine Vermittlungsfähigkeit ist nach Tätigkeiten oder Arbeitsstunden eingeschränkt" unter "Sonstiges" an: "Psychische Störungen wegen Familienzusammenführung". Nach der Arbeitsbescheinigung der Firma P.-Papierverarbeitung und Versand GmbH, wo der Kläger seit 17.07.1989 durchgehend gearbeitet hatte, endete das Arbeitsverhältnis durch Kündigung des Klägers vom 14.04.1998 zum 30.04.1998, wobei die maßgebliche Kündigungsfrist vier Wochen zum 15. des Monats bzw. zum Monatsende betrug. Auf dem Fragebogen der Beklagten zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses durch Arbeitnehmer-Kündigung gab der Kläger an, seit 07.01. 1995 versuche er seine Familie zusammenzuführen. Bisher sei ihm dies nicht möglich gewesen, weshalb die psychische Belastung enorm sei. Er könne keinen Arbeitsplatz in dieser Verfassung antreten. Nach den Angaben des Arbeitsvermittlers Herrn W. habe ihm der Kläger bei der Antragstellung am 18.05.1998 erklärt, er sei nicht in der Lage, eine Arbeit anzunehmen. Er sei nervlich völlig fertig, weil er seinen Sohn nicht nach Deutschland bringen könne (Familienzusammenführung). Krank sei er nicht geschrieben. Daraufhin habe der Arbeitsvermittler den Kläger auf fehlende Verfügbarkeit hingewiesen. Herr S. , ein Kollege von Herrn W. , habe dem Kläger den Sachverhalt in Serbokroatisch erklärt.

Mit Bescheid vom 19.05.1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Alg ab. Anspruch auf Leistungen habe nur, wer arbeitslos sei. Arbeitslos sei u.a. aber nur derjenige, der alle Möglichkeiten nutze und nutzen wolle, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Nach § 119 Abs.1 Nr.3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) seien Eigenbemühungen erforderlich. Der Kläger habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen solche Eigenbemühungen abgelehnt, weshalb er nicht arbeitslos sei und auch keinen Leistungsanspruch habe. Dagegen wandte der Kläger im Widerspruchsverfahren ein, er stehe der Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Zurzeit habe er eine depressive Störung und sei in Behandlung bei Herrn Dr.med.R ... Nach einem Beratungsvermerk der Beklagten vom 31.07.1998 erklärte der Kläger gegenüber der Arbeitsvermittlung, dass er keine Arbeit annehme, bis seine Familie käme. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.1998 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach § 117 Abs.1 Nr.1 SGB III setze der Anspruch auf Alg voraus, dass der Arbeitnehmer arbeitslos sei. Arbeitslosigkeit läge nach § 118 Abs.1 SGB III vor, wenn ein Arbeitnehmer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehe (Beschäftigungslosigkeit) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung suche (Beschäftigungssuche). Der Begriff der Beschäftigungssuche sei in § 119 SGB III näher ausgeführt. Der Kläger habe sowohl am 18.05.1998 als auch am 31.07.1998 gegenüber dem zuständigen Arbeitsvermittler erklärt, dass er keine Arbeit annehmen werde. Über die Rechtsfolgen dieser Erklärung sei er belehrt worden. Bei dieser Sachlage könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger den Vermittlungen des Arbeitsamtes zur Verfügung stehe.

Zur Begründung seiner dagegen zum Sozialgericht (SG) München erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, er stehe grundsätzlich den Vermittlungen des Arbeitsamtes zur Verfügung, sei jedoch derzeit aufgrund einer bestehenden depressiven Erkrankung als arbeitsunfähig anzusehen. Die Beklagte hat dagegen eingewandt, auch eine eventuell derzeit vorliegende Arbeitsunfähigkeit könne nicht zur Begründung eines Anspruchs auf Alg führen, weil die in § 126 SGB III vorgesehene Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit nur erfolgen könne, wenn diese Arbeitsunfähigkeit während des Bezugs von Alg eintrete. Da der Kläger jedoch unstreitig kein Alg beziehe, könne ihm auch in Anbetracht der mit ärztlicher Bescheinigung vom 24.06. 1998 ab diesem Zeitpunkt attestierten Arbeitsunfähigkeit keine Leistungsfortzahlung gewährt werden. Falls der Kläger bereits zum Zeitpunkt seiner Antragstellung am 18.05.1998 arbeitsunfähig gewesen sein sollte, scheitere ein Anspruch auf Alg daran, dass er in diesem Falle wegen fehlender Arbeitsfähigkeit ebenfalls nicht arbeitslos gewesen wäre (§ 117 Abs.1 Nr.1 in Verbindung mit § 119 Abs.3 SGB III). Am 11.05.2000 hat eine nichtöffentliche Sitzung des SG München stattgefunden, in der der Arbeitsvermittler Herr Gerhard W. als Zeuge einvernommen wurde. Wegen der Einzelheiten seiner Bekundungen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Im Termin hat der Kläger darauf hingewiesen, dass der erste Arbeitsunfähigkeitsnachweis vom 24.06.1998 datiere und dass deshalb davon auszugehen sei, dass er bei Antragstellung arbeitsfähig gewesen wäre. Er sei immer arbeitswillig gewesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.10.2000 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.06.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.1998 verurteilt, dem Kläger Alg dem Grunde nach aufgrund seines Antrags vom 18.05.1998 zu gewähren. Aufgrund seiner Erklärungen im Erörterungstermin sei das Gericht der Überzeugung, dass die Angaben des Klägers vom 18.05. und 31.07.1998 auf einem Missverständnis beruhten. Es sei festzustellen, dass sich der Kläger arbeitsuchend und arbeitswillig zur Verfügung gestellt habe. Dies habe er mehrfach schriftlich und auch bei der persönlichen Vorsprache anlässlich der Widerspruchseinlegung erklärt. Das Gericht folge diesen Angaben, weil es den Kläger für glaubhaft halte.

Zur Begründung der Berufung führt die Beklagte im Wesentlichen aus, es liege im Veranwortungsbereich des Arbeitslosen, dem Arbeitsamt zweifelsfrei erkennen zu geben, dass er Vermittlungsbemühungen seitens des Arbeitsamtes wünsche. Man verweise in diesem Zusammenhang auf das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 11.11.1999 - L 1 AL 3/99 -. Der Kläger habe sich nicht im vorstehenden Sinne zweifelsfrei den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung gestellt. Er habe vielmehr des Öfteren zum Ausdruck gebracht, nicht an der Vermittlung von Stellen interessiert zu sein. Der Auffassung des Erstgerichts, die Erklärungen des Klägers würden auf einem Missverständnis beruhen, vermöge man nicht zu folgen. So habe der Kläger anlässlich seiner Arbeitslosmeldung vom 18.05.1998 eindeutig erklärt, nicht in der Lage zu sein, eine Arbeit aufzunehmen, wobei jedoch keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hätte. Bei der persönlichen Vorsprache am 31.07.1998 habe er abermals wiederholt, keine Arbeit annehmen zu wollen. Im Übrigen verweist die Beklagte auf ihr bisheriges Vorbringen.

Nach Beiziehung eines Befundberichts von Herrn Dr.med.R. erhob das Gericht Beweis durch Einvernahme der Zeugen G. W. , H. B. und M. S ... Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Sitzungniederschrift verwiesen. Am Ende der Beweisaufnahme wies das Gericht darauf hin, es sei zu klären, wer die Angaben im Alg-Antrag mit blauem Kugelschreiber gemacht habe. Der Kläger trug dazu vor, die Angaben seien nicht von ihm persönlich gemacht worden. Der Antrag sei vielmehr von einem in seiner Nachbarschaft wohnenden "flüchtigen Bekannten" ausgefüllt worden. Die Beklagte trug dazu vor, letztendlich käme es nicht darauf an, wer den Antrag ausgefüllt habe, der Kläger habe diesen jedenfalls persönlich unterschrieben und müsse sich die dort gemachten Angaben zurechnen lassen. Den Namen des "flüchtigen Bekannten" vermochte der Kläger im weiteren Verlauf nicht zu benennen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 27.10.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält nach wie vor den Gerichtsbescheid des SG München für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Beklagtenakten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet.

Zu Unrecht hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alg aufgrund seines Antrags vom 18.05. 1998 zu zahlen. Denn die Bescheide der Beklagten vom 19.06. und 24.08.1998 sind nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht Alg aufgrund der Antragstellung vom 18.05.1998 nicht zu.

Nach § 117 SGB III hat Anspruch auf Alg, wer arbeitslos ist, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Arbeitslosigkeit liegt nach § 118 Abs.1 SGB III vor, wenn ein Arbeitnehmer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche). Der Begriff der Beschäftigungssuche ist in § 119 SGB III näher ausgeführt. Danach sucht eine Beschäftigung, wer alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden und den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).

Dass der Kläger den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht zur Verfügung stand, folgert der Senat aus den Bekundungen der Zeugen W. , B. und S ... Danach steht fest, dass der Kläger anlässlich seiner am 18.05.1998 erfolgten persönlichen Arbeitslosmeldung gegenüber dem zuständigen Arbeitsvermittler, Herrn Gerhard W. , erklärt hat, dass er derzeit nicht in der Lage sei, eine Arbeit aufzunehmen, weil er wegen Problemen im Zusammenhang mit der geplanten Familienzusammenführung völlig fertig sei. Trotz Belehrung über die Rechtsfolgen dieser Erklärung, die dem Kläger durch den ebenfalls anwesenden Mitarbeiter der Beklagten, Herrn S. , auch in serbokroatischer Sprache erteilt wurde, blieb der Kläger bei seiner bisherigen Aussage und erklärte weiterhin, keine Arbeit aufnehmen zu wollen. Fest steht auch, dass der Kläger zu einem späteren Zeitpunkt am 31.07.1998 auf die nochmalige Frage von Herrn W., ob er nun bereit sei, eine Arbeit anzunehmen, dies wiederum abgelehnt hat. Zu diesem Gespräch wurde ebenfalls Herrn S. beigezogen. Des Weiteren hat der Kläger nochmals bei einer erneuten Vorsprache am 22.10.1998 angegeben, weiterhin keine Arbeit anzunehmen. Der Zeuge B. , der den Arbeitsvermittler Herrn W. am 25.06.1998 vertreten hat, hat bestätigt, dass der Kläger auch an diesem Tag erklärt habe, keine Arbeit annehmen zu wollen.

Auch aus § 126 SGB III lässt sich kein Anspruch des Klägers auf die Leistung von Alg herleiten, da die in dieser Vorschrift vorgesehene Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit nur hätte erfolgen können, wenn diese Arbeitsunfähigkeit während des Bezugs von Alg eingetreten wäre. Nachdem der Kläger jedoch kein Alg bezogen hat, da die Beklagte insoweit zu Recht die Zahlung von Alg bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit verweigert hat, kann auch in Anbetracht der mit ärztlicher Bescheinigung vom 24.06.1998 von Herrn Dr.R. ab diesem Zeitpunkt attestierten Arbeitsunfähigkeit keine Leistungsfortzahlung gewährt werden. Es liegt auch kein Fall des § 125 Abs.1 Satz 1 SGB III vor. Danach hat einen Anspruch auf Alg auch derjenige, der allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil er wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier erkennbar nicht vor. Auch für den Fall, dass der Kläger bereits zum Zeitpunkt seiner Antragstellung am 18.05.1998 arbeitsunfähig gewesen sein sollte, scheitert ein Anspruch auf Alg daran, dass er in diesem Falle wegen fehlender Arbeitsfähigkeit ebenfalls nicht arbeitslos gewesen wäre, § 117 Abs.1 Nr.1 iVm § 119 Abs.3 SGB III.

Auch das Vorbringen des Klägers, der Antrag sei von einem "flüchtigen Bekannten" ausgefüllt worden, kann zu keiner Änderung der Entscheidung führen, da der Kläger die Angaben im Antrag schließlich unterschriftlich bestätigt hat. Im Übrigen war der Kläger auch nicht in der Lage, die Namen des "flüchtigen Bekannten" zu nennen, wobei der "flüchtige Bekannte" ohnehin nur lediglich das zu Papier gebracht hat und bringen konnte, was der Kläger ihm auch tatsächlich gesagt habe.

Somit war der Gerichtsbescheid des SG München vom 27.10.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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