Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.03.2023 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit steht die von der Beklagten festgestellte Rechtswidrigkeit einer Stützrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 v.H. für die anerkannte Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – Lärmschwerhörigkeit – (BK 2301) sowie die Aussparung der Stützrente von zukünftigen Leistungserhöhungen.
Der 00.00.0000 geborene Kläger war seit September 1974 bei dem Unternehmen W. GmbH tätig. Dort absolvierte er bis 1975 zunächst eine Ausbildung zum Betriebsschlosser, die er abbrach. Danach wechselte er in die Vergüterei am Werksstandort Q. und war zunächst als Bote, ab 1978 dann als Ofenmann, teilweise auch als Kranführer und Springer eingesetzt. Seit 1994 war der Kläger im Walzwerk als Ofenführer beschäftigt.
Wegen der Folgen eines am 27.11.2007 erlittenen Arbeitsunfalls erkannte die Beklagte im Jahr 2014 eine unfallbedingte MdE von 10 von Hundert (v. H.) an.
Im Februar 2015 leitete die Beklagte auf Antrag des Klägers und nach Eingang einer BK-Verdachtsanzeige des HNO-Arztes X. vom 25.02.2015, der von einer Innenohrschwerhörigkeit beidseits nach 40 Jahren Lärmexposition berichtete, ein Feststellungsverfahren bezüglich der BK Nr. 2301 ein. Die Firma W. teilte in einer Stellungnahme vom 10.06.2015 zur Lärmbelastung am Arbeitsplatz mit, der personenbezogene äquivalente Dauerschallpegel habe im Zeitraum vom 09.02.1987 bis 28.02.1992 bei 85-109 dB(A) gelegen, vom 01.03.1992 bis 30.04.1994 bei 85-116 dB(A), vom 01.05.1994 bis 31.08.1994 bei 103 dB(A) und ab dem 01.09.1994 bei 69,6 dB(A). Nach – im Beisein des Klägers erfolgten – Ermittlungen im Betrieb (am 28.07.2015) führte der Präventionsdienst der Beklagten in einer Stellungnahme vom 07.08.2015 zur Arbeitsplatzexposition aus, der Kläger sei seit 1994 im Walzwerk als Ofenführer tätig, der Steuerstand des Ofens sei gekapselt, Lärm sei er seither nur noch kurzzeitig bei Kontrollgängen ausgesetzt gewesen. Ab 01.05.1994 und bis auf Weiteres liege die Lärmexposition bei weniger als 80 dB(A).
Nach Einverständniserklärung des Klägers veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den HNO-Arzt Y., der in seinem Gutachten vom 19.01.2016 ausführte, es liege eine beidseitige gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit vor. Diese sei hauptanteilig auf die anzunehmende berufliche Lärmexposition zurückzuführen. Seit der Tätigkeit in einer nicht mehr innenohrgefährdenden Arbeitsumgebung ab dem Jahr 1994 müsse die weitere Verschlechterung der Hörschwelle beidseits im Hochtonbereich auf andere, möglicherweise endogen-degenerative Ursachen zurückgeführt werden, beispielsweise eine Altersschwerhörigkeit. Die Voraussetzungen einer BK 2301 lägen vor, es ergebe sich eine berufsbedingte MdE unter Berücksichtigung des beidseitigen Ohrgeräusches von 10 v.H. seit dem 11.11.1994.
Mit Bescheid vom 08.06.2016 erkannte die Beklagte eine BK 2301 an und gewährte dem Kläger – bei Stützrententatbestand aus dem Arbeitsunfall – Rente nach einer MdE von 10 v.H. seit dem 01.01.2011. Folge der Berufskrankheit sei eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen beiderseits. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers, mit dem er eine höhere MdE geltend machte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2016 zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf – S 31 U 691/16 – erstellte der von Amts wegen zum Sachverständigen ernannte HNO-Arzt U. am 13.06.2018 ein Gutachten. Er führte darin aus, der Kläger leide unter einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit mit Tinnitus, rechts geringgradig und links knapp geringgradig ausgeprägt. Ein Teil der aktuellen Schwerhörigkeit sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Lärmexposition verursacht worden und daher als BK 2301 anzuerkennen, es handele sich dabei um eine beidseitige beginnende Lärmschwerhörigkeit. Die durch die Folgen der BK verursachte MdE werde auf unter 10 v.H. geschätzt. Werde der Tinnitus ebenfalls auf die frühere berufliche Lärmexposition zurückgeführt, ändere sich die MdE nicht. Die von Y. angenommene MdE von 10 v.H. beziehe sich auf die aktuelle Gesamtschwerhörigkeit, nicht auf den chronischen Lärmschaden. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 14.09.2018 führte U. weiter aus, anhand des Tonaudiogramms vom 11.11.1994 lasse sich – im Gegensatz zur Auffassung von Y. – die Teilursache „Lärmschwerhörigkeit" eindeutig von der Teilursache „schicksalhafte Schwerhörigkeit" abgrenzen. Das SG wies die Klage hierauf mit Urteil vom 15.02.2019 ab. Im Berufungsverfahren – L 17 U 198/19 – nahm Y. auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 27.11.2019 ergänzend Stellung. Allein aufgrund des Reintonaudiogramms vom 11.11.1994 sei keine Aussage über die anzunehmende MdE durch eine berufliche Lärmschwerhörigkeit zu machen; hierzu seien die eigenen belastbaren messphysikalischen Untersuchungsergebnisse heranzuziehen, die jedoch erst 22 Jahre nach Beendigung der Lärmarbeit aufgezeichnet worden seien. Daraus ergebe sich, dass entsprechend auch andere, möglicherweise degenerative Ursachen, bei der Beurteilung der MdE zu berücksichtigen seien, insbesondere die so genannte Altersschwerhörigkeit. Unter Bezugnahme auf die eigenen Untersuchungsergebnisse und unter Berücksichtigung konkurrierender Kausalitäten komme er weiter zu einer lärmbedingten MdE von 10 v.H.. Die Berufung wurde mit rechtskräftigem Beschluss vom 23.02.2022 zurückgewiesen.
Bereits mit Schreiben vom 21.02.2019 hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Feststellung, dass der Bescheid vom 08.06.2016 in Form des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2016 rechtswidrig sei und dass die Rente gemäß § 48 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) nicht mehr über den derzeitigen Betrag von monatlich 242,25 Euro hinausgehend erhöht werde, an.
Mit Bescheid vom 27.03.2019 stellte die Beklagte die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 08.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2016 fest. Gemäß § 48 Abs. 3 SGB X nehme die Rente an den Anpassungen gemäß § 95 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) in Verbindung mit der jeweiligen Rentenanpassungsverordnung bis auf Weiteres nicht mehr teil. Zur Begründung stützte sie sich auf das vom SG eingeholte Gutachten von U. vom 13.06.2018, nach dem die anerkannte BK 2103 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von unter 10 v.H. bedinge. Der Bescheid sei auf der Grundlage einer unzutreffenden medizinischen Beurteilung ergangen, die nunmehr revidiert werde. Die Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides sei nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB X nicht mehr möglich, da die Frist von zwei Jahren gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X, innerhalb derer eine Rücknahme hätte erfolgen können, bereits abgelaufen sei und die Voraussetzungen des §§ 45 Abs. 3 Satz 1 und 3 SGB X nicht vorlägen. Im Fall, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden könne und zugunsten des Betroffenen eine wesentliche Änderung eintrete, etwa durch Rentenanpassung jeweils zum 01.07. eines Jahres, dürfe die neu festzustellende Rentenleistung gemäß § 48 Abs. 3 SGB X nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach unter Berücksichtigung der Bestandskraft ergebe. Dies habe zur Folge, dass der bestandsgeschützte Rentenbetrag in Höhe von monatlich 242,25 Euro einzufrieren sei und von weiteren Anpassungen und Änderungen zugunsten des Klägers ausgenommen werde.
Den am 04.04.2019 erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2019, eingegangen bei den Bevollmächtigten des Klägers am 20.05.2019, aus den Gründen des Ausgangsbescheides zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 19.06.2019 Klage vor dem SG Düsseldorf erhoben und zur Begründung vorgebracht, das Gutachten von U. könne nicht nachvollzogen werden; es bleibe dabei, dass eine berufliche Lärmschwerhörigkeit vorliege, die eine MdE von 10 v. H. bedinge. Die Stützrente habe auch in der Zukunft an den Rentenanpassungen teilzunehmen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 27.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.05.2019 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.
In der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2023 hat die Beklagte ein vom Kläger angenommenes Teilanerkenntnis abgeben und die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 08.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2016 ausdrücklich auf die Gewährung einer Rente beschränkt; ausdrücklich nicht von der Feststellung betroffen sei die Anerkennung der BK 2301.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 30.03.2023 abgewiesen. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, gemäß § 48 Abs. 3 SGB X zum einen die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 08.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2016 festzustellen und zum anderen die Teilnahme der gewährten Stützrente an den Anpassungen gemäß § 95 SGB VII abzulehnen. Der Bescheid vom 08.06.2016 sei insoweit rechtswidrig, als dass bei dem Kläger keine berufliche Lärmschwerhörigkeitskomponente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 10 v. H. im Sinne des gewährten Stützrententatbestandes für die BK 2301 bestehe. U. sei nachvollziehbar und überzeugend sowie unter Zugrundelegung der Tabellen 1 bis 3 der Königsteiner Empfehlung zu der Einschätzung gelangt, dass die durch die Folgen der BK verursachte MdE lediglich mit unter 10 v.H. zu bewerten sei. Da eine Rücknahme des Bescheids vom 08.06.2016 nicht mehr möglich gewesen sei, sei für die Beklagte der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X eröffnet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidung Bezug genommen.
Gegen das am 20.04.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, 22.05.2023, Berufung eingelegt. Er habe in seiner Tätigkeit als Ofen- und Kranführer auch seit 1994 im Walzwerk lärmbelastet gearbeitet. Er sei 46 Jahre lang ununterbrochen Lärm ausgesetzt gewesen. Er habe zwar ab 1994 in einer Kabine gearbeitet; nach wie vor habe er aber außerhalb der Kabine Lärmtraumata davongetragen, beispielsweise, wenn Metallrohre aufeinandergeschlagen hätten; dieser Lärm sei exorbitant gewesen. Es treffe daher nicht zu, dass er ab 1994 nicht mehr lärmbelastet gearbeitet habe.
Der Kläger beantragt schriftlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.03.2023 abzuändern und den Bescheid vom 27.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.05.2019 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil, die sie für zutreffend hält.
Der Senat hat von Amts wegen ein hno-fachärztliches Gutachten nach Aktenlage von H. eingeholt (vom 11.09.2023). Darin hat der Sachverständige ausgeführt, es bestehe heute eine geringgradige Schwerhörigkeit rechts und eine knapp geringradige Schwerhörigkeit links, die berufliche und außerberufliche Ursachen habe; außerdem würden beiderseits kompensierte Ohrgeräusche angegeben. Da der Kläger seit 01.05.1994 keinem gehörschädigenden Lärm mehr ausgesetzt gewesen sei, sei eine beginnende Innenohrschwerhörigkeit mit einer MdE von unter 10 v.H. wahrscheinlich zu machen. Dies folge aus dem Tonaudiogramm vom 11.11.1994, aus dem ein prozentualer Hörverlust von 10% folge. Selbst wenn man die heute etwas günstigere Tabelle zugrunde lege und damit das Tonaudiogramm vom 11.11.1994 auswertet, komme man beiderseits auf einen prozentualen Hörverlust von 15%, also auch im Sinne einer beginnenden Schwerhörigkeit. Auch mit dieser verbesserten Tabelle betrage die MdE bezogen auf das Jahr 1994 weniger als 10 v.H.. Dem Gutachten von U. könne er daher voll und ganz zustimmen.
Im Erörterungstermin mit dem Berichterstatter vom 07.06.2024 sind die anwesenden Beteiligten zu einer Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 SGG angehört worden. Beide Beteiligten haben erklärt, sich hinreichend zur Sach- und Rechtslage geäußert zu haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe:
A. Der Senat konnte nach § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG durch Beschluss entscheiden, da er die Streitsache einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind dazu gehört worden.
B. Die zulässige, insbesondere statthafte (§ 144 Abs. 1 SGG) und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht beschwert, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Die als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids vom 27.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.05.2019, da diese rechtmäßig sind.
Nach § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X darf, wenn ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X nicht zurückgenommen werden kann und eine Änderung nach § 48 Abs. 1 und 2 SGB X zugunsten des Betroffenen eingetreten ist, die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Zweck ist es, den Begünstigten von nach § 48 Abs. 1 (oder Abs. 2) SGB X zu seinen Gunsten eintretenden Änderungen – insbesondere auch einer Rentenanpassung – auszunehmen, soweit die ihm gewährte Begünstigung rechtswidrig war, er aber nach § 45 SGB X Bestandsschutz genießt. Mit dieser Regelung wird ein Ausgleich zwischen dem Bestandsschutzinteresse des Begünstigten und dem Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung der materiell-rechtlich zutreffenden Rechtslage geschaffen. Voraussetzung dafür ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ursprungsbescheides sowie darüber hinaus, dass dieser Verwaltungsakt nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen werden kann. Die Wirkungen des § 48 Abs. 3 SGB X treten ein, sobald die Verwaltung die Aussparung künftiger Änderungen wegen Rechtswidrigkeit des zugrundeliegenden Bescheides verfügt hat (vgl. Schütze in: ders., SGB X, 9. Auflage 2020, § 48 Rn. 35; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.10.2013 – L 22 R 417/12 –, juris, Rn. 68).
Nach dieser Maßgabe ist das SG in dem angefochtenen Urteil zutreffend und ausführlich zu dem Ergebnis gelangt, dass der Bescheid vom 08.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2016 rechtswidrig war, soweit er die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 10 v.H. vorsah. Dabei hat sich das SG zutreffend auf das ausführliche und überzeugende Gutachten von U. bezogen, in dem dieser nachvollziehbar dargelegt hat, dass die Beurteilung von Y. hinsichtlich der Höhe der MdE nicht schlüssig ist, da lärmbedingt (bis zum Ende der Lärmexposition) lediglich eine beidseitige beginnende Lärmschwerhörigkeit abgrenzbar sei, die eine MdE von 10 v.H. nicht erreiche. Ebenfalls zutreffend hat das SG ausgeführt, dass der insoweit anfänglich rechtswidrig-begünstigende Bescheid vom 08.06.2016 wegen § 45 Abs. 3 SGB X und des darin geregelten Vertrauensschutzes nicht mehr zurückgenommen werden kann. Vor diesem Hintergrund hat das SG die Feststellung der Rechtswidrigkeit und die Aussparung künftiger Rentensteigerungen gemäß § 48 Abs. 3 SGB X zutreffend für rechtmäßig gehalten. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Ausführungen im Urteil des SG, die er sich nach Überprüfung zu eigen macht, und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend führt der Senat aus, dass das Gutachten von Y. nicht überzeugt, weil dieser selbst der Auffassung ist, ihm sei allein aufgrund des Reintonaudiogramms vom 11.11.1994 keine Aussage über die anzunehmende MdE durch eine berufliche Lärmschwerhörigkeit möglich; hierzu seien die eigenen belastbaren messphysikalischen Untersuchungsergebnisse heranzuziehen, die jedoch erst 22 Jahre nach Beendigung der Lärmarbeit aufgezeichnet worden seien. Seine dann gezogene Schlussfolgerung, dass die aktuelle Schwerhörigkeit „hauptursächlich“ auf die Lärmexposition zurückzuführen sei, hat er aber nicht weiter nachvollziehbar und unter genauer Differenzierung zwischen berufsbedingten und körpereigenen Anteilen begründet. Anhand des Tonaudiogramms vom 11.11.1994 ist zudem nicht eine gering- bis mittelgradige Hochtonschwerhörigkeit, sondern lediglich eine knapp geringgradige Innenohrschwerhörigkeit feststellbar. Dies hat U. anhand des Audiogramms – und damit kurz nach dem Ende der BK-relevanten Lärmexposition – nachgewiesen und eine beidseitige beginnende Lärmschwerhörigkeit mit einem beidseits prozentualen Hörverlust von 10 % festgestellt, die nach den einschlägigen Königsteiner Empfehlungen aber nicht zu einer MdE von mindestens 10 v.H. führt. Dabei hat U. ausdrücklich die für eine Lärmschwerhörigkeit sprechenden Punkte (adäquate Lärmexposition, reine Schallempfindungsschwerhörigkeit, typisches Bild der Tonschwelle für eine Lärmschwerhörigkeit, symmetrische Schwellenkurven im Tonaudiogramm, beidseits positives Rekruitment) gesehen und gewertet. Dass der Tinnitus keine MdE-erhöhende Berücksichtigung findet, hat auch Y. angenommen.
Diese Einschätzung hat der im Berufungsverfahren gehörte, besonders fachkundige und erfahrene Sachverständige H. bestätigt. Auch dieser ist – in vollständiger Übereinstimmung mit U. – zu der Einschätzung gelangt, dass eine beruflich verursachte beginnende Innenohrschwerhörigkeit mit einer MdE von unter 10 v.H. wahrscheinlich zu machen ist. Dies hat er schlüssig auf eine ausführliche Auswertung des Tonaudiogramms vom 11.11.1994 gestützt, aus dem ein prozentualer Hörverlust von 10% folge. Selbst wenn man die heute etwas günstigere Tabelle zugrunde lege und damit das Tonaudiogramm vom 11.11.1994 auswerte, komme man beiderseits auf einen prozentualen Hörverlust von 15%, also auch im Sinne einer beginnenden Schwerhörigkeit. In beiden Fällen beträgt die MdE bezogen auf das Jahr 1994 damit weniger als 10 v.H.. Auch H. hat dem Tinnitus keine MdE-erhöhende Wirkung beigemessen.
Zu weiteren arbeitstechnischen Ermittlungen hat sich der Senat schließlich – auch in Anbetracht des klägerischen Vortrags, er habe auch nach 1994 unter erheblicher Lärmbelastung gearbeitet – nicht veranlasst gesehen. Die Arbeitgeberin des Klägers hat in ihrer Auskunft vom 10.06.2015 für die Zeit ab Mai 1994 – im Gegensatz zu den Zeiträumen davor – ausdrücklich keine gehörschädigende Lärmeinwirkung von mindestens 85 dB(A) als äquivalentem Dauerschallpegel (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 347) angegeben; im Oktober 2003 lag die Lärmexposition bei 69,6 dB(A). Der Präventionsdienst der Beklagten hat zudem eine Betriebsbegehung – in Anwesenheit des Klägers sowie der Sicherheitsfachkraft der Arbeitgeberin – durchgeführt, in der ausdrücklich festgestellt worden ist, dass der Kläger seit 1994 im Walzwerk in einem gekapselten Steuerstand tätig war (Stellungnahme vom 07.08.2015). Es steht dabei außerfrage, dass der Kläger in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit weiter gegenüber Lärm exponiert gewesen ist (z.B. durch das Aufeinanderprallen von Metallrohren); nach den Angaben der Arbeitgeberin zum Arbeitsumfeld des Klägers und zu dessen Lärmexposition, die auf deren Lärmmessungen beruhen, sowie den vom Präventionsdienst vor Ort getroffenen Feststellungen war der Kläger indes bei einem Dauerschallpegel von unter 80 dB(A) ab Mai 1994 nicht mehr in einem BK-relevanten Ausmaß von mehr als 85 dB(A) lärmexponiert. Es ergeben sich auch keine weiteren Ansätze zu arbeitstechnischen Ermittlungen. Die Arbeitgeberin des Klägers hat zur Lärmexposition dezidierte Angaben gemacht, eigene, davon abweichende Lärmmessungen kann der Kläger nicht beibringen. Er hat auch keine Zeugen dafür angeboten, dass er ab 1994 in einem anderen Arbeitsumfeld als bisher zugrunde gelegt tätig gewesen ist.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
D. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) liegen nicht vor.