L 16 KR 74/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KR 104/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 74/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 26/01 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. Januar 2000 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Zulassung des Klägers ausschließlich zur Lieferung von Tinnitus-Artikeln an Betroffene.

Der 1957 geborene Kläger hat die Meisterprüfung im Hörgeräteakustiker-Handwerk abgelegt (Prüfungszeugnis vom 26.11.1987). Er war nach seinen Angaben bis 1996 Leiter einer Filiale der Gxxxx-Hörakustik in xxxx und ist zusammen mit Dr. Sxxxxxx Herausgeber des Ratgebers für Betroffene "So fühlen Sie sich frei von Ohrgeräuschen". Nach der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein, Dr. Uxxxxx, vom 07.09.1998 ist der Kläger zudem Inhaber eines Lehrauftrages der Heilpädagogischen Fakultät der Universität xxxx zu dem Themenbereich "Schwerhörigkeit und Hörgeräte-Versorgung".

Am 11.03.1998 beantragte der Kläger die Zulassung zur Lieferung von Masken, Einschlafhilfen und Verdeckungssystemen (Tinnitus-Artikeln). Er sei seit über 23 Jahren mit Hörakustik und apparativer Versorgung Hörgeschädigter beschäftigt. Nach einem schweren Autounfall im Jahre 1990 selbst von Tinnitus betroffen, habe er fast ausschließlich Versorgungen bei Tinnitus-Kunden durchgeführt. Seit Januar 1998 sei er selbständig tätig und führe "Dxxx Tinnitus- Workshops" durch. Er biete ausschliesslich Hilfen zur Tinnitus- Versorgung an, keine Hörgeräte. Als Vorsitzender der SOT (Selbsthilfeorganisation Tinnitus) erlebe er jeden Tag, wie der "Tinnitus-Markt" mit immer wieder neuen Produkten zu horrenden Preisen überschwemmt werde. Er wolle als Betroffener und Experte den Versicherten der GKV eine optimale und kostengünstige Versorgung anbieten; eine Hörgeräteversorgung sei nur angestrebt, wenn auch Tinnitus vorliege. In den kalkulierten Preisen seien die Betreuungskosten für vier Jahre enthalten. Er setze eine Arbeitsstunde mit ca. 67,-- DM an. Der Kläger verwendete einen Briefkopf mit seiner Privatanschrift (xxxx-xxxxxx-Straße xx, xxxxx xxxxxxxxx), einem Firmenlogo mit folgender Aufschrift: "xxxx Tinnitus-Workshop, Der Experte für Ohrgeräusche, Methodenanalyse - Gehörschutz, - Apparative Versorgung, Regulationstraining, Einzelberatung, Tinnitusanalyse, Workshop".

Die Beklagte lehnte die Zulassung zur Lieferung von Artikeln für Tinnitus-Betroffene mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.07.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.11.1998 ab. Eine Teilzulassung (beschränkt auf die Lieferung von Tinnitus-Artikeln) sei nach den "Gemeinsamen Empfehlung der Spitzenverbände der Krankenkassen gemäss § 126 Abs. 2 SGB V zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 126 Abs. 1 SGB V für Leistungserbringer von Hilfsmitteln" nicht vorgesehen und deshalb nicht möglich. Die nach diesen Empfehlungen vorgegebenen Mindestanforderungen an die räumliche Ausstattung seien zudem nicht erfüllt. Ferner werde nach den Empfehlungen die Eintragung in die Handwerksrolle für die Zulassung vorausgesetzt. Dies könne jedoch nur für ein sog. "stehendes Gewerbe" erfolgen. Die Handwerksrolleneintragung habe der Kläger bisher nicht nachgewiesen. Schließlich werde auch das Amt des Klägers als Vorsitzender der SOT als Hindernis für eine Zulassung als Lieferant angesehen. Dies gelte umsomehr, als nach seinen eigenen Angaben die Selbsthilfe ein ganz wichtiges Element seiner Leistung sei. Selbsthilfe könne nicht mit Geldern der Krankenkassen finanziert werden, wenn die Selbsthilfe in den zu vergütenden Leistungsumfang eines Hilfsmittellieferanten integriert werde.

Hiergegen hat der Kläger am 02.12.1998 Klage erhoben. Die Ablehnung der beantragten Zulassung sei rechtswidrig. Er verfüge über die geforderten Räumlichkeiten. Dies habe auch Dr. Uxxxxx vom MDK in einem für die Barmer Ersatzkasse erstellten Gutachten vom 07.09.1998 festgestellt. Seine Spezialisierung auf die Tinnitus- Versorgung sei sachgerecht. Er übernehme in Fällen, in denen Tinnitus und eine Hörstörung vorlägen, auch die apparative Versorgung der Hörstörung. Selbstverständlich wolle er keine ärztliche Leistungen erbringen. Auch jeder zugelassene Hörgeräteakustiker habe eine Anamnese zu erstellen, Patienten zu beraten und weitere Leistungen zu erbringen. Ohne diese Leistungen könne er kein Hörgerät anpassen. Dass sein Amt als Vorsitzender der SOT ein Hinderungsgrund sein könnte, stelle ein sachwidriges Argument dar. Er betreue seine Kunden separat, nicht innerhalb des SOT e.V ... Davon, dass die Selbsthilfe in den zu vergütenden Leistungsumfang integriert werden solle, könne nicht die Rede sein.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seinem Antrag auf Zulassung zur Lieferung von Artikeln für Tinnitus-Betroffene stattzugeben.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihrer bislang vertretenen Auffassung festgehalten. Die Stellungnahme des Dr. Uxxxxx vom MDK Nordrhein sei für die vorstehende Entscheidung irrelevant.

Das Sozialgericht hat die "Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen gemäss § 126 Abs. 2 SGB V zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 126 Abs. 1 SGB V für Leistungserbringer von Hilfsmitteln" vom 02. Mai 1991 beigezogen. Vom VdAK/AEV hat das erstinstanzliche Gericht das an die BEK gerichtete Gutachten des Dr. Uxxxxx vom MDK Nordrhein vom 07.09.1998 angefordert.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.12.1999 hat das Sozialgericht (SG) den Kläger darauf hingewiesen, dass es für ihn sachdienlicher sei, den Antrag auf Vollzulassung im Verwaltungsverfahren vordringlich zu betreiben und das anhängige Gerichtsverfahren insofern auszusetzen. Der Kläger hat dem zugestimmt. Sein Antrag auf Zulassung als Hörgeräte-Akustiker nach § 126 SGB V wurde mit Bescheid der Krankenkasse der rheinischen Landwirtschaft (KKdrL) vom 17.01.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2000 abgelehnt. Der Nachweis des Erfüllens der Mindestanforderungen einer räumlichen Ausstattung nach den einschlägigen Empfehlungen der Spitzenverbände sei nicht erbracht. Der Kläger habe erklärt, keine weiteren Informationen bzw. Nachweise zu geben. Gegen die Ablehnung hat der Kläger erneut Klage erhoben, die beim SG Köln anhängig ist (Az. S 9 KR 223/00).

Mit Urteil vom 24.01.2000 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den Kläger zur Abgabe von Artikeln für Tinnitus-Betroffene zuzulassen. Gemäss § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB V sei als Hilfsmittellieferant zuzulassen, wer eine ausreichende, zweckmäßige, funktionsgerecht und wirtschaftliche Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel gewährleiste und die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen anerkenne. Bei Erfüllung dieser Voraussetzungen bestehe ein gesetzlicher Zulassungsanspruch. Die hierzu ergangenen Gemeinsamen Empfehlungen seien weder für die Leistungserbringung, noch die Krankenkasse oder deren Verbände verbindlich. Auch die Gerichte seien hieran nicht gebunden. Selbst wenn man die Auffassung vertrete, dass es sich um sog. Verwaltungsbinnenrecht mit Bindungswirkung für die Krankenkassenverbände handele, könnten diese Empfehlungen den Rechtsanspruch des Leistungserbringers auf keinen Fall einschränken. Die hier streitige Zulassung falle unter Gruppe 1 der Empfehlungen gemäss § 126 Abs. 2 SGB V. Entgegen der Auffassung der Beklagten lägen auch die gesetzlich geregelten Voraussetzungen nach § 126 Abs. 1 SGB V vor. Dies ergebe sich aus dem beigezogenen MDK-Gutachten vom 07.09.1998. Der Kläger erfülle entsprechend seinem Versorgungskonzept die räumlichen und apparativen Voraussetzungen. Die Kammer habe sich durch die Schilderung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung davon überzeugen können, dass die Anpassung der Hilfsmittel in der Hörumgebung des Patienten einen wesentlichen Vorteil gegenüber einer Anpassung in den Räumen des Leistungserbringers habe. Bei einer Anpassung in der Werkstatt des Hörgeräte-Akustikers müßte die im Wohnumfeld des Patienten übliche Geräuschkulisse simuliert werden. Deshalb komme es nicht darauf an, ob der Kläger die räumlichen Voraussetzungen für einen Geschäftsbetrieb mit Verkaufsraum und regelmässigen Öffnungszeiten erfülle. Soweit die Empfehlungen einem derartigen Konzept entgegenstünden, schränkten sie in unzulässiger Weise den Zulassungsanspruch des Klägers ein und seien unbeachtlich. Die vom Kläger angebotene Beratung ersetze auch nicht die ärztliche Beratung. Sie beschränke sich auf die mit der Auswahl und Anpassung der Hilfsmittel verbundenen Probleme. Dies sei die originäre Aufgabe des Hörgeräteakustikers. Die Beratung erfolge auch nicht im Rahmen der Tätigkeit für die Selbsthilfegruppe, weswegen eine Unvereinbarkeit nicht ersichtlich sei. Ferner sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen das Angebot des Klägers unwirtschaftlich sein sollte. Die Zulassung setze die Vereinbarung eines bestimmten Abgabepreises nicht voraus. Im Rahmen der Vergütungsvereinbarung könne sichergestellt werden, dass Leistungen der Selbsthilfegruppen nicht indirekt mitfinanziert würden. An den persönlichen Qualifikationsvoraussetzungen des Klägers bestünden keine Zweifel.

Gegen dieses ihr am 12.04.200 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11.05.2000 Berufung eingelegt. Sie behauptet weiter, der Kläger erfülle die Zulassungsvoraussetzungen des § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB V in mehrfacher Hinsicht nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe sich die Beurteilung der Kriterien bei Berufen, die - wie auch der des Hörgeräteakustikers - nach der Handwerksordnung ausgeübt werden, an den handwerksrechtlichen Bestimmungen auszurichten (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.1995 - SozR 3-2500 § 126 SGB V Nr. 1). Ausweislich des § 3 der "Verordnung über die Berufsausbildung zum Hörgeräte-Akustiker/zur Hörgeräte-Akustikerin" vom 12.05.1997 sowie des § 1 der "Verordnung über das Berufsbild und über die Prüfungsanforderungen im praktischen und fachtheoretischen Teil der Meisterprüfung für das Hörgeräte-Akustiker-Handwerk" vom 26.04.1994 beinhalte das Berufsbild eine umfassende Betätigung und Sicherstellung auf dem Gebiet des Hörgeräte-Akustikers. Eine Beschränkung auf irgendeinen Teilbereich sei hiermit nicht zu vereinbaren. Dementsprechend sei der Kläger auch ganz allgemein als Hörgeräte-Akustiker in der Handwerksrolle eingetragen. Eine eingeschränkte Zulassung gemäss § 126 SGB V komme schon von daher nicht in Betracht. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts seien die räumlichen Voraussetzungen nach den gemeinsamen Empfehlungen keineswegs entbehrlich. Schließlich müsse der Kläger einen entsprechend schallgedämpften Raumschon deshalb vorhalten, da er auch Tinnitus-Betroffene versorgen wolle, bei denen gleichzeitig eine Schwerhörigkeit vorliege. In diesen Fällen könne mit der Hörhilfe allein eine Überdeckung des Hörgeräuschs nicht erzielt werden, vielmehr müsse der Einsatz eines kombinierten Tinnitus-Masker-Hörgeräts erwogen werden. Aber auch für eine reine Tinnitus-Betreuung entspreche eine Beratung und Anpassung allein im Wohnumfeld des Patienten nicht einer aus reichenden und zweckmäßigen Versorgung. Denn der Patient leide gerade nicht nur in seiner häuslichen Umgebung, sondern auch außerhalb unter Tinnitus und bedürfe insoweit einer Versorgung, die nur unter speziellen Bedingungen zu gewährleisten sei. Schließlich gewähre das Versorgungskonzept des Klägers nicht die ständige Erreichbarkeit für die Entgegennahme von Reparaturen, kurzfristige Beratungen bei kleineren, leicht behebbaren Problemen, so dass auch insoweit die Qualität nicht gesichert und der Grundsatz der ständigen und ganztägigen Meisterpräsenz letztlich nicht gewährleistet sei. Das Gutachten des Dr. Uxxxxx liege bereits über zwei Jahre zurück, eine Zulassung könne aber nur aufgrund des aktuellen Nachweises der erforderlichen Gegebenheiten erfolgen. Die nachhaltige Weigerung des Klägers, diesen zu erbringen, rechtfertige den Schluss, dass er die betreffenden Voraussetzungen nicht erfülle. Zudem biete der Kläger keine Gewähr für eine wirtschaftliche Versorgung des Versicherten. Nach Auskunft der Fachabteilung der Beklagten berechneten andere Leistungserbringer für die Versorgung mit Tinnitus-Maskern inklusive Betriebskostenpauschale, Dienstleistung und Umsatzsteuer ca. 760,-- bis 900,-- DM. Der Kläger berechne hierfür 1.500,-- bis 1.900,-- DM. Zweifel an der persönlichen Eignung des Klägers bestünden deshalb, da er wegen der bestehenden Differenzen damit drohe, den Versicherten einen Kassenwechsel zu empfehlen und in einzelnen Fällen er diese Drohung auch bereits verwirklicht habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. Januar 2000 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Ergänzend weist er darauf hin, dass der Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V./Arbeiterersatzkassen-Verband e.V. (VdAK/AEV), der ihn bereits mit Bescheid vom 30.04.1998 zur Abgabe von Hilfsmitteln, beschränkt auf Tinnitus-Versorgung zugelassen hatte, ihn ab 09.11.1999 als Hörgeräte-Akustikerbetrieb gemäss § 126 Abs. 1 SGB V zugelassen habe. Der Kläger hat den betreffenden Zulassungserweiterungs-Bescheid vom 15.11.1999 vorgelegt.

Die Beigeladene zu 1) schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

Sie hat vorgebracht, aus den Vorschriften der Handwerksordnung sei zu schliessen, dass die Ausübung eines Handwerks nur als stehendes Gewerbe zulässig sei und deshalb einen Betriebssitz erfordere. Ohne Betriebssitz sei die Eintragung in die Handwerksrolle rechtswidrig. Der Kläger verletze zudem handwerksrechtliche Bestimmungen, wenn er das eingetragene Gewerbe nicht vollständig ausübe, § 1 Abs. 2 Handwerksordnung.

Auf Anfrage des Senats hat die Handwerkskammer zu Kxxx mit Schreiben vom 09.02.2001 unter anderem mitgeteilt, der Kläger sei zum 21.06.1999 für das Hörgeräteakustiker-Handwerk in die Handwerksrolle eingetragen. Als Betriebssitz sei "xxxx-xxxxxx-Straße xx in xxxxx xxxxxxxxx" angegeben.

Die Verwaltungsakte der Beklagten hat neben der Prozessakte vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zulassung ausschließlich zur Lieferung von Tinnitus- Artikeln (Maskern, Einschlafhilfen und Verdeckungssystemen) an Betroffene. Zur Überzeugung des Senats ist die Beklagte nicht verpflichtet, den Kläger nur für diesen Teilbereich des Hörgeräteakustikers-Handwerks als Hilfsmittelerbringer im Sinne des § 126 Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zuzulassen.

Die auf Zulassung des Klägers ausschließlich zur Lieferung von Tinnitus-Artikeln gerichtete Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. Dem steht auch nicht entgegen, dass die gegen die Ablehnung seines Antrags auf Vollzulassung gegen die Krankenkasse der Rheinischen Landwirtschaft gerichtete Klage in der ersten Instanz anhängig ist. Denn der Kläger hat ein rechtlich geschütztes Interesse an einer gerichtlichen Klärung seines Anspruchs auf die von ihm begehrte Zulassung für den Teilbereich.

Gemäss § 126 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB V) ist zur Hilfsmittelerbringung zuzulassen, wer unter anderem eine "ausreichende, zweckmäßige, funktionsgerechte und wirtschaftliche Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel gewährleistet". Die fachlichen Voraussetzungen, die bei persönlicher Zulassung erfüllt sein müssen, und die Mindestanforderung an die räumliche sowie sachliche Ausstattung sind festgelegt in "Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen gemäss § 126 Abs. 2 SGB V zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 126 Abs. 1 SGB V für Leistungserbringer von Hilfsmitteln" vom 02.05.1991 (im folgenden: Empfehlungen). Bei der Regelung der fachlichen Voraussetzungen zählen die Empfehlungen die Lieferung von Hörhilfen zur "Abgabe von handwerklich individuell gefertigten Hilfsmitteln, bei denen die handwerkliche Leistung den überwiegenden Teil des Hilfsmittels darstellt" (II.1. Gruppe 1) und erfüllen Hörgeräte-Akustiker-Meister/-innen die fachlichen Voraussetzungen für die Versorgung mit Hörhilfen. Zu den Mindestanforderungen an die sachliche Ausstattung eines Hörgeräte-Akustiker-Meister/-innen-Betriebs gehören a) separater Anpaßraum (Anpaßkabine: maximaler Störschallpegel 40 db-A-), b) separater Arbeitsplatz zur Vornahme von Reparaturen, c) separater Arbeitsplatz zur Abnahme von Otoplastiken unter Beachtung der gebotenen Hygiene, d) Ton- und Sprachaudiometer und e) Meßbox (V 1.2).

Nach Auffassung des Senats kann es dahingestellt bleiben, ob der Kläger die vorgenannten Anforderung an die sachliche Ausstattung erfüllt. Denn zum einen handelt es sich bei den Empfehlungen nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 27.03.1996 - 3 RK 25/95 - SozR 3-2500 § 124 Nr. 5; BSG, Urteil vom 10.07.1997 - 3 RK 10/96 - SozR 3-2500 § 124 Nr. 8) lediglich um Verwaltungsbinnenrecht, das die Leistungserbringer und die Gerichte nicht bindet. Denn die Empfehlungen können nicht über § 126 Abs. 1 SGB V hinausgehend normativ weitere Zulassungsvoraussetzungen begründen (so schon BSG, Urteil vom 29.11.1995 - 3 RK 25/94 - BSGE 77, 108, 113 - SozR 3-2500 § 126 Nr. 1). Zum anderen hat der Kläger keinen Rechtsanspruch auf Zulassung, da er die gesetzlichen Voraussetzungen des § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht erfüllt. Eine Zulassung auf einen nur begrenzten Ausschnitt des Berufsbildes seines Handwerks gewährleistet weder eine zweckmäßige, noch eine funktionsgerechte und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln.

Zum Berufsbild für das Hörgeräte-Akustiker-Handwerk (nach der Verordnung gemäss § 45 Handwerksordnung über das Berufsbild und über die Prüfungsanforderung im praktischen und fachtheoretischen Teil der Meisterprüfung für das Hörgeräte-Akustiker-Handwerk vom 26.04.1994 - BGBl. I S. 895) gehören zu den ausgeübten Tätigkeiten 1) Auswahl und Anpassung von Hörgeräten und anderen Geräten der akustischen Kommunikation, 2) Ermittlung und Beurteilung der für die Hörgeräte-Versorgung und für die Gehörschutz-Bestimmung erforderlichen Kenndaten des Gehörs, 3) Abnahme von Abformungen des äußeren Ohres und Anfertigung von Ohrpaßstücken, 4) Anfertigung von Im-Ohr-Geräten und Sonderhörhilfen, 5) Wartung, Instandsetzung und Vervollständigung von Hör-, Hilfs- und Meßgeräten, 6) Auswahl und Anpassung von Gehörschutzmitteln nach Lärmmessung und Lärmanalyse. Die von dem Kläger nur angestrebte Versorgung von Tinnitus-Betroffenen mit Maskern, Einschlafhilfen und Verdeckungssystemen begrenzt danach die berufliche Betätigung auf einen kleinen spezifischen Ausschnitt, der sich mit keinem Berufsbild deckt. Weder in der Ausbildungs- noch in der Meisterprüfungsordnung für das Hörgeräte-Akustiker-Handwerk stellt die Versorgung von Tinnitus-Betroffenen einen eigens ausgewiesenen, fest umgrenzbaren Teilbereich dar. Vor allem aber gibt es in der Lebenswirklichkeit bislang keinen "Tinnitus-Hörgeräte-Akustiker". Die mit einer Zulassung für nur einen Teilbereich verbundene Diversifizierung brächte sowohl für die verordnenden Vertragsärzte als auch die Versicherten zusätzliche Unterscheidungszwänge. Der Vertragsarzt müßte bereits zum Zeitpunkt der Verordnung von Hörhilfen eine leistungsrechtlich relevante Weichenstellung vornehmen. Der Versicherte, der z.B. Ersatz für eine verordnete Hörhilfe oder deren Reparatur benötigt, müßte sich ein Bild davon machen, ob der von ihm ins Auge gefaßte Hörgeräte-Akustiker für seine Form von Hörbeeinträchtigung zugelassen ist. Nicht nur aus dem Blickwinkel der verordnenden Vertragsärzte und der Versicherten, sondern auch der Krankenkassen ist zur Vermeidung abrechnungsrechtlicher Schwierigkeiten eine umfassende Sicherstellung auf dem Gebiet der Hörgeräte-Akustik zu verlangen. Darüber hinaus könnte die Zulassung für nur ein Segment des Leistungsspektrums zu Wettbewerbs-Verzerrungen führen. Immerhin begründet der Kläger seinen Antrag auf Teilzulassung damit, die von ihm gewollte Konstellation sei für ihn erheblich kostengünstiger; die Tatsache, dass er nicht beabsichtige, ein Ladengeschäft zu eröffnen, erspare ihm Aufwendungen in erheblicher Höhe. Ein hoher Marktanteil von Leistungserbringern, die nur einen Teilbereich an Hilfsmitteln anbieten, könnte eine flächendeckende Versorgung der Versicherten gefährden. Eine Anknüpfung der krankenversicherungsrechtlichen Zulassung an das handwerksrechtliche (Voll-)Berufsbild entspricht deshalb nicht durch der Forderung nach Eindeutigkeit und Sicherheit im Rechtsverkehr, sondern gewährleistet auch eine funktionsgerechte Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln. Der gesetzliche Auftrag der Sicherstellung einer umfassenden Versorgung mit Hörhilfen jeglicher Art steht in sofern dem Individualinteresse des Leistungserbringers an einer gewinnorientierten Spezialisierung entgegen.

Die hier vertretene Auslegung des § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB V begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar ist die Zulassung zur Versorgung der Versicherten für die Erbringer von Heil- und Hilfsmitteln von einer solchen Bedeutung, dass sie der Berufswahl nahekommt (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 29.11.1995 - 3 RK 25/94 - a.a.O.). Jedoch ist vorliegend die Berufswahl-Freiheit gerade wegen der hier geforderten Übereinstimmung von krankenversicherungsrechtlicher Zulassung mit dem Berufsbild des Gewerbe- und Handwerksrechts überhaupt nicht tangiert. Dem Kläger ist es insbesondere unbenommen, nach Erlangung der Vollzulassung das Schwergewicht seiner beruflichen Betätigung auf die Versorgung von Tinnitus-Erkrankten zu verlegen.

Dementsprechend war das sozialgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat die Revision zugelassen, da er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt, § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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